BAG Urteil v. - 5 AZR 99/09

Arbeitnehmerstatus des Organisators und Dirigenten eines Kurorchesters - Befristungskontrollklage bei streitigem Arbeitsverhältnis

Gesetze: § 611 Abs 1 BGB, § 17 TzBfG

Instanzenzug: Az: 33b Ca 43/07 G Urteilvorgehend Landesarbeitsgericht München Az: 8 Sa 243/08 Urteil

Tatbestand

1Die Parteien streiten über den Bestand eines Arbeitsverhältnisses.

Der beklagte Markt ist ein Heilklimatischer Kurort in O, der Kurkonzerte veranstaltet. Diese führte der Kläger seit 1985 als Organisator und Dirigent mit von ihm engagierten Musikern jeweils während der Spielzeit von Mitte Mai bis Mitte September durch. Grundlage der Zusammenarbeit der Parteien waren - zum Teil auf ein Jahr, zum Teil auf zwei Jahre - befristete Verträge. Die letzte Vereinbarung vom , abgeschlossen zwischen dem Beklagten und „der Musikagentur H, vertreten durch Herrn Musikdirektor H“ regelte ua.:

Unter dem Betreff „Modalitäten zum Vertragsende“ informierte der Beklagte den Kläger mit Schreiben vom , dass er die Kurmusik 2007 europaweit ausschreiben werde. Der Kläger antwortete mit Schreiben vom :

4Am teilte der Beklagte dem Kläger mit, dass er sich für einen anderen Bewerber entschieden habe.

5Mit der am beim Arbeitsgericht eingereichten Klage hat der Kläger, nach Rücknahme eines Kündigungsschutzantrags und eines Befristungskontrollantrags, die Feststellung eines Arbeitsverhältnisses begehrt. Er sei kein selbständiger Unternehmer gewesen. Er habe kein unternehmerisches Risiko getragen. Sämtliche Kosten der Musiker des Kurorchesters seien in die vereinbarte Vergütung einbezogen und somit vom Beklagten getragen worden. Der Beklagte habe Weisungen erteilt.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Im Berufungsrechtszug hat der Kläger beantragt

7Der Beklagte hat Klageabweisung beantragt. Er habe als Veranstalter der Kurkonzerte mit dem Kläger bzw. dessen Agentur für die jeweilige Saison Werkverträge geschlossen. Der Kläger sei weder in die Betriebsorganisation des Beklagten eingebunden noch weisungsabhängig gewesen. Vorgaben hinsichtlich des Spielbetriebs hätten sich lediglich aus den Belegungsplänen des Kurparks bzw. des Kongresshauses sowie den Erwartungen der Gäste ergeben.

Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Mit der Revision hat der Kläger innerhalb der Revisionsbegründungsfrist die Aufhebung des Urteils des Landesarbeitsgerichts und die Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Landesarbeitsgericht beantragt. Mit Schriftsatz vom hat der Kläger beantragt

Gründe

9 I. Die Revision des Klägers ist zulässig. Der Kläger hat zwar innerhalb der Revisionsbegründungsfrist keinen förmlichen Sachantrag gestellt. Doch genügt sein lediglich auf Aufhebung und Zurückverweisung gerichteter Antrag, weil die innerhalb der Rechtsmittelfrist eingereichten Schriftsätze ihrem gesamten Inhalt nach das Rechtsschutzbegehren hinreichend deutlich haben erkennen lassen.Danach hat der Kläger in der Revision zumindest auch den in der Berufungsinstanz gestellten Befristungskontrollantrag weiterverfolgen wollen. Dieses Rechtsschutzbegehren hat er durch die mit Schriftsatz vom formulierten Sachanträge bestätigt.

10 II. Die Revision des Klägers ist unbegründet.

11 1. Die mit dem Hauptantrag verfolgte allgemeine Statusfeststellungsklage (§ 256 ZPO) ist unzulässig. Die mit der erneuten Stellung des allgemeinen Feststellungsantrags in der Revisionsinstanz verbundene Klageänderung ist unzulässig. Der neu formulierte, auf Feststellung eines Arbeitsverhältnisses der Parteien gerichtete Hauptantrag ist von der Befristungskontrollklage, wie sie am Landesarbeitsgericht ausschließlich Gegenstand des Rechtsstreits war und mit dem neuen Hilfsantrag weiterverfolgt wird, zu unterscheiden (vgl. - BAGE 106, 72). Eine derartige Klageänderung ist in der Revisionsinstanz wegen § 559 Abs. 1 ZPO nicht mehr möglich. Der Schluss der mündlichen Verhandlung in zweiter Instanz bildet nicht nur bezüglich des tatsächlichen Vorbringens, sondern auch bezüglich der Anträge der Parteien die Entscheidungsgrundlage für das Revisionsgericht (st. Rspr., BAG8. September 1971 - 4 AZR 405/70 - AP BAT §§ 22, 23 Nr. 46; - 1 ABR 25/04 - BAGE 115, 165).

12 2. Die mit dem Hilfsantrag weiterverfolgte Befristungskontrollklage, mit der der Kläger geltend macht, sein Arbeitsverhältnis habe über den Fristablauf hinaus bestanden, ist unbegründet. Zwischen den Parteien bestand am kein Arbeitsverhältnis.

13 a) Arbeitnehmer ist, wer aufgrund eines privatrechtlichen Vertrags im Dienste eines anderen zur Leistung weisungsgebundener, fremdbestimmter Arbeit in persönlicher Abhängigkeit verpflichtet ist. Das Weisungsrecht kann Inhalt, Durchführung, Zeit, Dauer und Ort der Tätigkeit betreffen. Arbeitnehmer ist derjenige Mitarbeiter, der nicht im Wesentlichen frei seine Tätigkeit gestalten und seine Arbeitszeit bestimmen kann (§ 84 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 HGB). Der Grad der persönlichen Abhängigkeit hängt dabei auch von der Eigenart der jeweiligen Tätigkeit ab. Abstrakte, für alle Arbeitsverhältnisse geltende Merkmale lassen sich nicht aufstellen. Letztlich kommt es für die Beantwortung der Frage, welches Rechtsverhältnis im konkreten Fall vorliegt, auf eine Gesamtwürdigung aller maßgebenden Umstände des Einzelfalls an. Der jeweilige Vertragstyp ergibt sich aus dem wirklichen Geschäftsinhalt. Die zwingenden gesetzlichen Regelungen für Arbeitsverhältnisse können nicht dadurch abbedungen werden, dass die Parteien ihrem Arbeitsverhältnis eine andere Bezeichnung geben. Der objektive Geschäftsinhalt ist den ausdrücklich getroffenen Vereinbarungen und der praktischen Durchführung des Vertrags zu entnehmen. Widersprechen sich Vereinbarung und tatsächliche Durchführung, ist letztere maßgebend (Senat - 5 AZR 31/08 -EzA BGB 2002 § 611 Arbeitnehmerbegriff Nr. 15; - 5 AZR 499/06 -mwN, AP BGB § 611 Arbeitnehmerähnlichkeit Nr. 13 = EzA BGB 2002 § 611 Arbeitnehmerbegriff Nr. 10; - 5 AZR 347/04 - zu I der Gründe, AP BGB § 611 Abhängigkeit Nr. 117 = EzA BGB 2002 § 611 Arbeitnehmerbegriff Nr. 6).

14 b) Die Parteien standen nicht in einem Arbeitsverhältnis. Ein solches ist weder durch die schriftlichen Verträge noch deren tatsächliche Durchführung begründet worden. Vielmehr betrieb der Kläger die musikalische Unterhaltung im Kurpark und bei sonstigen Veranstaltungen des Beklagten als Selbständiger.

15 aa) Der Kläger hatte die vertraglich geschuldete Leistung nicht in Person zu erbringen, sondern schuldete die Durchführung der musikalischen Veranstaltungen als Ganzes und nicht nur die Tätigkeit eines Dirigenten. Dazu musste er Musiker auswählen, engagieren, zur Verfügung stellen, entlohnen und die gesetzlichen Abgaben leisten. Die Arbeitsbedingungen konnte er selbständig mit den Musikern aushandeln. Im Verhältnis zu diesen war er Arbeitgeber. Es war seine Aufgabe, die Musiker einzuweisen, die notwendigen Proben selbst durchzuführen oder durchführen zu lassen und für die Durchführung der Veranstaltungen zu sorgen. Dies sind wesentliche Merkmale selbständiger Arbeit (vgl. Senat - 5 AZR 253/00 - AP BGB § 611 Abhängigkeit Nr. 111 = EzA BGB § 611 Arbeitnehmerbegriff Nr. 87; - 5 AZR 312/96 - BAGE 86, 170). Für diese Tätigkeit erhielt der Kläger zuletzt eine Gesamtvergütung von 180.000,00 Euro zuzüglich Mehrwertsteuer. Für die Statusbeurteilung ist es unerheblich, welche Kalkulation diesem Betrag zugrunde lag und ob der Beklagte im Falle tariflicher Vergütungserhöhungen Beträge nachgeschossen hat oder weitere Aufwendungen ersetzte.

16 Des Weiteren spricht für die Selbständigkeit des Klägers seine Berechtigung, andere berufliche und gewerbliche Aktivitäten zu entfalten (vgl. Senat12. Dezember 2001 - 5 AZR 253/00 - AP BGB § 611 Abhängigkeit Nr. 111 = EzA BGB § 611 Arbeitnehmerbegriff Nr. 87). Der Kläger war für andere Auftraggeber ua. im Ausland tätig.

17 bb) Der Kläger begründete keine mittelbaren Arbeitsverhältnisse der Musiker zum Beklagten. Weil der Kläger die geschuldeten Dienstleistungen nicht allein erbringen konnte, stellte er im eigenen Namen und für eigene Rechnung von ihm frei ausgewählte Arbeitskräfte ein, denen er allein weisungsberechtigt war. Rechtsbeziehungen der von ihm beschäftigten Arbeitskräfte zum Beklagten entstanden nicht (vgl. Senat - 5 AZR 253/00 - mwN, AP BGB § 611 Abhängigkeit Nr. 111 = EzA BGB § 611 Arbeitnehmerbegriff Nr. 87). Der Beklagte hat keine konkreten Weisungen zur Einstellung von Arbeitnehmern erteilt. Er hat auch kein Weisungsrecht gegenüber den vom Kläger eingestellten Beschäftigten ausgeübt.

18 cc) Der Kläger war auch in zeitlicher Hinsicht nicht weisungsgebunden. Die Zeit der Dienstleistungen der verschiedenen vom Kläger gebildeten Klangkörper war im Wesentlichen vertraglich festgelegt. In § 1 des Vertrags erklärte sich der Kläger damit einverstanden, dass der Beklagte einen Spielplan mit Spieltagen und Uhrzeiten für die musikalische Unterhaltung in den Spielzeiten 2004 und 2005 aufstellte. Dabei war in § 3 der Umfang der musikalischen Unterhaltung bzw. die Anzahl der wöchentlichen Auftritte genau festgelegt, ebenso in § 5 die Dauer der einzelnen Veranstaltungen. Zudem hatten die Parteien in § 5 vereinbart, an welchen Tagen keine Aufführungen stattfinden sollten. Notwendige Probenzeiten waren zwischen den Parteien zu vereinbaren, konnten somit nicht einseitig vom Beklagten vorgegeben werden. Damit war der Kläger hinsichtlich der Zeit und des Umfangs seiner Vertragsleistung bereits vertraglich so gebunden, dass der Beklagte arbeitgeberseitige Weisungen nicht mehr ausüben konnte. Den genauen Zeitpunkt konkretisierende Vereinbarungen belegen kein Weisungsrecht des Beklagten, sondern die Gleichrangigkeit beider Vertragspartner. Soweit der Kläger in der Berufungsbegründung Vorgaben des Beklagten hinsichtlich zusätzlicher Veranstaltungen in den Jahren 2002 bis 2004 behauptet hat, belegen auch diese Ausführungen keine einseitigen Weisungen des Beklagten, sondern die Erteilung zusätzlicher Aufträge.

19 dd) Die Parteien haben den Ort der Dienstleistung vertraglich festgelegt. Die Veranstaltungen sollten im Kurpark stattfinden, bei schlechtem Wetter in einem vom Beklagten zur Verfügung zu stellenden Raum.

20 ee) Der Inhalt der Tätigkeit ergab sich aus dem Vertrag und konnte vom Beklagten nicht mehr einseitig bestimmt werden. Die Programmzusammenstellung oblag dem Kläger, der dabei vereinbarungsgemäß dem Charakter des beklagten Kurorts Rechnung tragen sollte. Im Übrigen hatte er freie Hand. Soweit der Kläger Weisungen (zB Vorgaben zur Moderation im Jahr 1999 oder „Dienstanordnungen an Musiker“) behauptet, fallen diese angesichts des Gesamtbefunds nicht ins Gewicht bzw. stellen nur die Ausübung eines Rügerechts dar, wie sie auch in anderen Rechtsverhältnissen möglich ist. Hinsichtlich der vom Kläger mitunterzeichneten Dienstanordnungen hat der Kläger nicht dargelegt, dass diese überhaupt an ihn persönlich gerichtet gewesen seien.

21 ff) Äußere Umstände wie ein „eigener“ Schreibtisch, ein „eigenes“ Büro, die Aufnahme in ein internes Telefonverzeichnis oder ein „Dienstausweis“ sind für die Begründung eines Arbeitsverhältnisses für sich genommen nicht entscheidend (Senat - 5 AZR 757/93 - zu B I 2 a der Gründe, AfP 1995, 693). Zudem war nach § 7 des Vertrags ein Büroraum mit dem Beklagten zu vereinbaren. Unerheblich ist auch, ob Musikinstrumente teilweise im Eigentum des Beklagten standen und von diesem versichert wurden.

22 gg) Schließlich belegt die Tatsache, dass die Parteien über lange Zeit zusammenarbeiteten, keine persönliche Abhängigkeit des Klägers vom Beklagten. Allein die wirtschaftliche Abhängigkeit vermag kein Arbeitsverhältnis zu begründen (vgl. § 5 Abs. 1 Satz 2 ArbGG; Senat - 5 AZR 194/90 - AP BGB § 611 Abhängigkeit Nr. 53 = EzA BGB § 611 Arbeitnehmerbegriff Nr. 38).

23 3. Im Übrigen hat das Landesarbeitsgericht in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (vgl. Senat - 5 AZR 362/02 - AP BGB § 620 Befristeter Arbeitsvertrag Nr. 245) zutreffend erkannt, dass die dreiwöchige Klagefrist des § 17 TzBfG auch dann anläuft, wenn der Arbeitnehmerstatus während eines befristeten Rechtsverhältnisses nicht abschließend geklärt ist.

III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

Fundstelle(n):
BB 2010 S. 759 Nr. 13
BFH/NV 2010 S. 1407 Nr. 7
DB 2010 S. 788 Nr. 14
VAAAD-39397