Wiedereinsetzung in den vorigen Stand: Sicherstellung der Fristwahrung vor Rückgabe des Empfangsbekenntnisses durch den Prozessbevollmächtigten
Leitsatz
Der Rechtsanwalt darf das Empfangsbekenntnis nur unterzeichnen und zurückgeben, wenn sichergestellt ist, dass in den Handakten die Rechtsmittelfrist festgehalten und vermerkt ist, dass die Frist im Fristenkalender notiert worden ist .
Gesetze: § 85 Abs 2 ZPO, § 233 ZPO, § 234 ZPO, § 519 ZPO
Instanzenzug: Az: I-26 U 65/09 Beschlussvorgehend LG Bochum Az: 6 O 368/07 Urteil
Gründe
I.
1 Die Klägerin nimmt die Beklagte wegen eines behaupteten ärztlichen Behandlungsfehlers auf Ersatz materiellen und immateriellen Schadens in Anspruch. Das Landgericht hat der Klage mit Urteil vom teilweise stattgegeben. Dieses Urteil ist dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin am zugestellt worden. Eine vollstreckbare Urteilsausfertigung ist ihm am zugestellt worden. Mit anwaltlichem Schriftsatz vom , der am selben Tag beim Oberlandesgericht eingegangen ist, hat die Klägerin Berufung eingelegt. Mit Beschluss vom , der dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin am zugestellt worden ist, hat das Oberlandesgericht darauf hingewiesen, dass die Berufungsfrist bereits am abgelaufen und die Berufung deshalb verspätet eingelegt worden sei. Daraufhin hat die Klägerin mit einem am beim Oberlandesgericht eingegangenen Schriftsatz Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt und zur Begründung u.a. ausgeführt, im Büro ihres Prozessbevollmächtigten gebe es die Anweisung, dass dann, wenn ein Urteil mit dem unterzeichneten Empfangsbekenntnis in das Sekretariat zurückgelange, die (Berufungs-)Fristen zu berechnen und im Fristenkalender sowie auf dem Urteil zu notieren seien. Hier liege der Fehler darin, dass nach der Unterzeichnung des Empfangsbekenntnisses zwar dieses, nicht aber das Urteil selbst zur Akte gelangt sei, was sich trotz höchster Sorgfalt nicht habe vermeiden lassen.
2 Mit dem angefochtenen Beschluss hat das Oberlandesgericht den Wiedereinsetzungsantrag zurückgewiesen und die Berufung der Klägerin als unzulässig verworfen. Zur Begründung hat es ausgeführt, die Klägerin müsse sich die von ihrem Prozessbevollmächtigten verschuldete Fristversäumung zurechnen lassen. Dieser habe den gebotenen Sorgfaltsanforderungen nicht genügt, weil er das Empfangsbekenntnis unterzeichnet habe, ohne selbst das Datum der Zustellung auf dem Urteil zu vermerken, eine Wiedervorlagefrist zu bestimmen und die Fristnotierung sicherzustellen. Zudem habe er es pflichtwidrig versäumt, anlässlich der Zustellung der vollstreckbaren Urteilsausfertigung zu prüfen, ob die (Berufungs-)Fristen richtig erfasst und festgehalten waren.
3 Gegen diese Entscheidung wendet sich die Klägerin mit der Rechtsbeschwerde.
II.
4 1. Die Rechtsbeschwerde ist statthaft (§§ 522 Abs. 1 Satz 4, 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, 238 Abs. 2 Satz 1 ZPO). Sie ist jedoch nicht zulässig, weil die hier maßgeblichen Rechtsfragen durch Entscheidungen des Bundesgerichtshofs geklärt sind und das Berufungsgericht hiernach im Ergebnis zutreffend entschieden hat.
5 2. Das Berufungsgericht hat den Wiedereinsetzungsantrag der Klägerin mit Recht zurückgewiesen und die Berufung als unzulässig verworfen. Die Klägerin hat die Berufungsfrist nicht unverschuldet versäumt. Das Versäumnis beruht auf einem Verschulden ihres Prozessbevollmächtigten, das sie sich nach § 85 Abs. 2 ZPO zurechnen lassen muss.
6 Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs darf der Rechtsanwalt das Empfangsbekenntnis über eine Urteilszustellung nur unterzeichnen und zurückgeben, wenn sichergestellt ist, dass in den Handakten die Rechtsmittelfrist festgehalten und vermerkt ist, dass die Frist im Fristenkalender notiert worden ist (Senatsbeschlüsse vom - VI ZB 1/96 und VI ZB 2/96 - VersR 1996, 1390 und vom - VI ZB 64/09 - z.V.b.; - BGHR ZPO § 233 - Empfangsbekenntnis 1 m.w.N.). Bescheinigt der Rechtsanwalt den Empfang eines ohne Handakten vorgelegten Urteils, so erhöht sich damit die Gefahr, dass die Fristnotierung unterbleibt und dies erst nach Fristablauf bemerkt wird. Um dieses Risiko auszuschließen, muss der Anwalt, falls er nicht selbst unverzüglich die notwendigen Eintragungen in der Handakte und im Fristenkalender vornimmt, durch eine besondere Einzelanweisung die erforderlichen Eintragungen veranlassen. Auf allgemeine Anordnungen darf er sich in einem solchen Fall nicht verlassen (vgl. BGH, Beschlüsse vom - XII ZR 268/91 - VersR 1992, 1536; vom - VII ZB 20/93 - VersR 1994, 371 und vom - XII ZB 197/94 - aaO). Weist er seine Bürokraft im Einzelfall mündlich an, die Rechtsmittelfrist einzutragen, müssen ausreichende organisatorische Vorkehrungen dafür getroffen sein, dass diese Anweisung nicht in Vergessenheit gerät (vgl. Senatsbeschlüsse vom - VI ZR 419/01 - VersR 2003, 792, 793 und vom - VI ZB 50/03 - VersR 2005, 94, 95; BGH, Beschlüsse vom - VI ZR 399/01 - BGHR ZPO § 233 [Empfangsbekenntnis 6] und vom - IX ZA 14/07 - AnwBl 2008, 71).
7 Durch welche allgemeinen organisatorischen Maßnahmen in der Kanzlei des Prozessbevollmächtigten der Klägerin gewährleistet ist, dass bei Urteilszustellungen nach Unterzeichnung des Empfangsbekenntnisses durch Rechtsanwalt H. die Eintragung der Berufungsfrist erfolgt und nicht in Vergessenheit gerät, zeigt die Rechtsbeschwerde nicht auf. Sie macht auch nicht geltend, dass Rechtsanwalt H. am eine Einzelanweisung zur Fristnotierung erteilt habe und die Ausführung einer solchen Anweisung durch allgemeine organisatorische Maßnahmen sichergestellt gewesen sei. Mithin hat Rechtsanwalt H. die ihm obliegende Sorgfaltspflicht verletzt, als er am das Empfangsbekenntnis unterzeichnet und zurückgegeben hat, ohne ausreichende Vorkehrungen für die Notierung der Rechtsmittelfrist getroffen zu haben.
8 Bei dieser Sachlage kann offen bleiben, ob Rechtsanwalt H. auch im Rahmen der Zustellung der vollstreckbaren Ausfertigung des erstinstanzlichen Urteils eine Sorgfaltspflichtverletzung vorzuwerfen ist.
9 3. Da dem Antrag auf Wiedereinsetzung nicht stattzugeben war, hat das Berufungsgericht die Berufung der Klägerin wegen Versäumung der Berufungsfrist zu Recht als unzulässig verworfen.
10 4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
Galke Zoll Diederichsen
Pauge von Pentz
Diese Entscheidung steht in Bezug zu
Fundstelle(n):
DStR-Aktuell 2010 S. 12 Nr. 13
NJW 2010 S. 1080 Nr. 15
HAAAD-39153