Ausschluss der Verfallsanordnung nach Insiderhandel: Deliktischer Anspruch eines Dritten aus der Tat
Gesetze: § 73 Abs 1 S 2 StGB, § 38 Abs 1 Nr 1 WpHG, § 826 BGB
Instanzenzug: Az: 608 KLs 10/08 - 5500 Js 68/06 - 2 Ss 48/09 Urteil
Gründe
1Das Landgericht hat den Angeklagten B. wegen Kurs- und Marktpreismanipulation in Tateinheit mit Insiderhandel in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt, die Vollstreckung der Freiheitsstrafe zur Bewährung ausgesetzt und den Verfall von 32.500 € angeordnet. Den Angeklagten K. hat das Landgericht der Kurs- und Marktpreismanipulation in Tateinheit mit Insiderhandel schuldig gesprochen und ihn mit einer - zur Bewährung ausgesetzten - Freiheitsstrafe von neun Monaten belegt. Die Revision des Angeklagten K. ist im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO unbegründet. Die Revision des Angeklagten B. führt zu einer Aufhebung der Verfallsanordnung, die gemäß § 357 StPO auch auf die nichtrevidierenden Mitangeklagten und die Verfallsbeteiligte zu erstrecken ist. Im Übrigen ist die Revision des Angeklagten B. gleichfalls unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
21. Die Verfallsanordnung hält rechtlicher Überprüfung nicht stand, weil § 73 Abs. 1 Satz 2 StGB hier der Anordnung des Verfalls entgegensteht. Diese musste deshalb entfallen. Einer vom Senat angeregten Verfahrensweise nach §§ 430, 442 StPO hat der Generalbundesanwalt nicht zugestimmt.
3a) Sind die Voraussetzungen des § 73 Abs. 1 Satz 2 StGB gegeben, schließen sie die Anordnung des Verfalls aus. Dies gilt auch im Hinblick auf die nach § 111i Abs. 2 bis 8 StPO geschaffene Möglichkeit, das Erlangte im Urteil zu bezeichnen und gegebenenfalls eine Sicherstellung aufrechtzuerhalten. Diese Vorschrift ist als strengeres Recht auf vor dem begangene Altfälle nicht anwendbar (BGH NJW 2008, 1093; StV 2008, 226, 227). Da die ausgeurteilten Taten 2003 und 2004 begangen wurden, kommt das besondere Festsetzungsverfahren gemäß § 111i Abs. 2 bis 8 StPO nicht in Betracht.
4b) Aus der Tat sind Ansprüche von Verletzten erwachsen. Der Senat kann allerdings hier offenlassen, ob - was das Landgericht verneint hat - § 38 Abs. 1 Nr. 1 WpHG drittschützend ist. Dies erscheint jedenfalls in den Fällen nahe liegend, bei denen die Tat manipulativ unmittelbar auf eine Schädigung der Erwerber der Wertpapiere gerichtet ist (differenzierend auch BGHZ 170, 226, 232). Im vorliegenden Fall braucht dem jedoch nicht näher nachgegangen zu werden, weil die Erwerber der Aktien unmittelbar aus dem abgeurteilten Geschehen jedenfalls einen deliktischen Anspruch nach § 826 BGB haben. Hierfür müssen sämtliche Beteiligte, die an der Schadenszufügung mitgewirkt haben, als Gesamtschuldner einstehen (§ 830 BGB).
5Es kann keinem Zweifel unterliegen, dass auf der Grundlage der Feststellungen des Landgerichts eine vorsätzliche sittenwidrige Schädigung gegeben ist. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs handelt in der Regel sittenwidrig, wer im Geschäftsverkehr über verkehrswesentliche Umstände bewusst unwahre Angaben macht (BGH NJW 2008, 1734, 1736; 2004, 3423, 3424). Dies gilt gleichermaßen bei vorsätzlich unzutreffenden Mitteilungen im Zusammenhang mit den Pflichten nach dem Wertpapierhandelsgesetz (Palandt/Sprau, BGB 69. Aufl. § 826 Rdn. 30; vgl. auch BGH NJW 2008, 1734, 1736; Gaßmann wistra 2004, 41, 44). Die Angeklagten haben durch das Lancieren bewusster Falschmeldungen wissentlich eine Informationslage geschaffen, die einen höheren Aktienkurs herbeiführte. Hierauf kam es ihnen auch an, weil sie ihre Aktien möglichst teuer verkaufen wollten. Die vorsätzliche, auf betrügerische Machenschaften aufgebaute Täuschung des Publikums, das letztlich auf der Grundlage dieser Fehlvorstellungen einen ungerechtfertigt hohen Preis zu zahlen bereit war, erfüllt den Tatbestand der vorsätzlichen sittenwidrigen Schädigung (vgl. Ziouvas, Das neue Kapitalmarktstrafrecht 2005 S. 257).
6c) Ein deliktischer Anspruch eines Dritten, der aus dem strafbaren Verhalten entstanden ist, reicht aus, um den Verfall nach § 73 Abs. 1 Satz 2 StGB auszuschließen (Schmidt in LK 12. Aufl. § 73 Rdn. 41; Fischer, StGB 57. Aufl. § 73 Rdn. 20); jedenfalls insoweit ist er Verletzter im Sinne der Norm. Entscheidend ist nämlich nicht, ob sich aus einer Verletzung eines Strafgesetzes der Ersatzanspruch eines Dritten ergibt. Maßgeblich ist vielmehr, dass sich der Ersatzanspruch aus dem historischen Sachverhalt herleitet, der auch der Verwirklichung der Strafnorm zugrunde liegt. Eine solche auf das tatsächliche Geschehen abstellende Auslegung des Verletztenbegriffs im Sinne des § 73 Abs.1 Satz 2 StGB folgt aus dem Normzweck der Vorschrift, dem Geschädigten das ungeschmälerte Vermögen des Schädigers zu erhalten (BGHR StGB § 73 Verletzter 3). Um dies sicherzustellen, kann es nur - was im Übrigen auch der mit § 264 StPO korrespondierende Wortlaut des § 73 Abs. 1 Satz 2 StGB nahe legt - auf die Tat als tatsächliches Geschehen und nicht auf die einzelne Gesetzesverletzung ankommen. Aufgrund einer am Schutzzweck des § 73 Abs. 1 Satz 2 StGB orientierten Auslegung hat der Bundesgerichtshof auch die Anordnung des Verfalls von Bestechungslohn abgelehnt, wenn dem Bestechungslohn spiegelbildlich ein Schaden gegenübersteht, obwohl Schutzgut der Bestechung nicht das Vermögen, sondern das Vertrauen der Allgemeinheit in die Lauterkeit des öffentlichen Dienstes ist (BGHR StGB § 73 Verletzter 4). Eine solche Auslegung vermeidet zudem Zufälligkeiten, die zu Lasten des verletzten Dritten dadurch entstehen würden, dass drittschützende Straftatbestände nach §§ 154, 154a StPO ausgeschieden werden. Auch dies belegt, dass der Anspruch des verletzten Dritten nicht unmittelbar an den verwirklichten Straftatbestand anknüpfen kann (BGHR StGB § 73 Verletzter 3, 4). Entscheidend ist vielmehr, inwieweit eine zwingende innere Verknüpfung zwischen dem erlangten Vorteil und dem ersatzfähigen Schaden eines Dritten vorliegt (BGHR StGB § 73 Verletzter 4).
7Die Geschädigten haben durch den Ankauf der Aktien zu höheren Kursen die Kursgewinne für die Angeklagten erst ermöglicht. Die deliktsrechtliche Norm des § 826 BGB erlaubt eine Rückabwicklung der rechtswidrig erlangten Vermögenswerte zugunsten der Geschädigten. Deren Individualansprüche haben Vorrang (Schmidt aaO Rdn. 34; Gaßmann wistra 2004, 41, 46). Deshalb ist es bei einer solchen Sachverhaltskonstellation unerheblich, ob dem Straftatbestand dann selbst ein Schutzgesetzcharakter (etwa im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB) zukommt.
82. Die Anordnung des Verfalls muss gemäß § 357 StPO auf die Mitangeklagten und die Verfallsbeteiligte erstreckt werden. Die Erstreckung kann allerdings nur für denjenigen Fall angeordnet werden, auf den sich die Aufhebung zugunsten des Revidenten B. bezieht; sie betrifft hinsichtlich der Nichtrevidenten freilich weit höhere Verfallsanordnungen bis zur Höhe des Gesamtbetrages von über 970.000 €.
9Soweit in einem anderen Fall gegen den Revidenten kein Verfall angeordnet wurde und er an einem weiteren, zusätzlichen selbständig ausgeurteilten Fall nicht beteiligt war, verbleibt es - selbst wenn hier derselbe Rechtsfehler vorläge - bei der vom Landgericht ausgesprochenen Verfallsanordnung. Insoweit handelt es sich um jeweils selbständige prozessuale Taten im Sinne des § 264 StPO (BGH NJW 1983, 2097, 2099; ; Kuckein in KK, StPO 6. Aufl. § 357 Rdn. 8), die von der Erstreckung nach § 357 StPO nicht erfasst sind.
Basdorf Raum Schaal
Schneider König
Diese Entscheidung steht in Bezug zu
Fundstelle(n):
wistra 2010 S. 141 Nr. 4
VAAAD-38107