BAG Urteil v. - 2 AZR 682/08

Leitsatz

Leitsatz:

Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.

Gesetze: KSchG § 9 Abs. 1 S. 2

Instanzenzug: LAG München, 5 Sa 661/07 vom ArbG München, 20 Ca 13029/05 vom Veröffentlichungen: Für die Amtliche Sammlung: Nein

Tatbestand

Die Parteien streiten über einen Auflösungsantrag der Beklagten und Zahlungsansprüche des Klägers.

Der Kläger trat im März 2003 als "Manager Internal Audit" zu einer monatlichen Bruttovergütung iHv. 5.616,00 Euro in die Dienste der Beklagten. Diese beschäftigt rund 85 Mitarbeiter. Zu ihren Tochterunternehmen gehört die T GmbH & Co. OHG (im Folgenden: OHG) mit den Geschäftsbereichen "T Deutschland" und "T Information Technology". Für jeden der beiden "Geschäftsbereiche" wurde ein eigenständiger Betriebsrat gewählt.

Nachdem der Kläger am versucht hatte, bei der Beklagten eine Betriebsratswahl einzuleiten, sprach diese mit Schreiben vom eine außerordentliche Kündigung aus, deren Unwirksamkeit das Arbeitsgericht München mit Schlussurteil vom (- 8 Ca 402/04 -) festgestellt hat. Mit tags darauf verfasstem Schreiben vom erklärte die Beklagte erneut eine außerordentliche, hilfsweise ordentliche Kündigung. Dagegen hat der Kläger Klage erhoben.

Am beantragte der Kläger zusammen mit der "Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft ver.di, Bezirk München" beim Arbeitsgericht München den Erlass einer einstweiligen Verfügung zur Bestellung eines Wahlvorstands. Der Antrag wurde zurückgewiesen. Dasselbe Schicksal erlitten ein vom Kläger eingeleitetes Beschlussverfahren, mit dem er die Ergänzung des Wählerverzeichnisses zu Betriebsratswahlen bei der OHG erstrebt hatte, und ein weiteres Beschlussverfahren zur Anfechtung dieser Betriebsratswahlen. Hinsichtlich des letztgenannten Verfahrens und einer vom Kläger auch im Namen von ver.di ausgesprochenen Einladung zu einer Betriebsversammlung wurde zwischen diesem und seiner Gewerkschaft streitig, ob er von ihr dazu bevollmächtigt war. Die Gewerkschaft teilte der Beklagten in beiden Fällen mit, der Kläger habe ohne ihr Wollen gehandelt.

Der Kläger hat geltend gemacht, die Kündigung vom sei nicht durch einen wichtigen Grund gerechtfertigt und sozialwidrig. Sie sei außerdem mangels Betriebsratsanhörung nach § 102 BetrVG und nach § 20 BetrVG iVm. § 134 BGB unwirksam. Es handle sich um eine Trotzkündigung. Der Kläger hat ferner rechnerisch unstreitige Vergütungsansprüche für die Zeit vom bis zum erhoben.

Der Kläger hat die Feststellung der Unwirksamkeit der Kündigung begehrt und ferner - soweit für das Revisionsverfahren von Interesse - beantragt, die Beklagte zu verurteilen,

1. an ihn 117.936,00 Euro brutto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz aus jeweils 5.616,00 Euro seit dem , , , , , , , , , , , , , , , , , , , und zu zahlen;

2. an ihn weitere 8.424,00 Euro brutto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz aus jeweils 2.808,00 Euro seit dem , und zu zahlen;

3. auf sein Konto vermögenswirksame Leistungen in Höhe von 558,39 Euro für die Monate Januar 2006 bis einschließlich September 2007 zu überweisen.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen, hilfsweise das Arbeitsverhältnis der Parteien zum Ablauf des gegen Zahlung einer Abfindung aufzulösen, deren Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt werde. Sie hat außerdem Zahlungswiderklage erhoben. Die Beklagte hat sich auf die Wirksamkeit der Kündigung vom berufen. Der Arbeitsplatz des Klägers sei weggefallen; sie habe die unternehmerische Entscheidung getroffen, die Arbeitsplätze der drei Manager Internal Audit zu streichen. Den Betriebsrat der OHG habe sie nicht anhören müssen, weil kein Gemeinschaftsbetrieb vorliege. In jedem Fall sei das Arbeitsverhältnis aufzulösen. Eine gedeihliche Zusammenarbeit sei ua. aufgrund der ungesetzlichen Versuche des Klägers, einen Betriebsrat ins Leben zu rufen, nicht mehr zu erwarten.

Der Kläger hat beantragt, den Auflösungsantrag zurückzuweisen. Die Auflösung des Arbeitsverhältnisses könne die Beklagte schon deshalb nicht erreichen, weil die ordentliche Kündigung nicht nur sozialwidrig, sondern auch aus anderen Gründen unwirksam sei.

Das Arbeitsgericht hat die Unwirksamkeit der Kündigung festgestellt und das Arbeitsverhältnis zum Ablauf des gegen Zahlung einer Abfindung in Höhe von 20.000,00 Euro aufgelöst. Im Übrigen hat es die Klage, soweit noch von Interesse, abgewiesen und der Widerklage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat über die Widerklage noch nicht entschieden, im Übrigen aber die Berufung des Klägers und die Anschlussberufung der Beklagten durch Teilurteil zurückgewiesen. Es hat für beide Parteien die Revision zugelassen. Mit der allein von ihm eingelegten Revision macht der Kläger weiterhin die Abweisung des Auflösungsantrags und seine Zahlungsansprüche geltend.

Gründe

Die Revision ist begründet. Der Auflösungsantrag der Beklagten ist unbegründet. Auflösungsgründe iSd. § 9 KSchG liegen nicht vor. Die der Höhe nach unstreitigen Zahlungsansprüche sind gegeben.

I. Der Auflösungsantrag der Beklagten hat keinen Erfolg. Es liegen keine Gründe vor, die eine den Betriebszwecken dienliche weitere Zusammenarbeit der Parteien nicht erwarten ließen.

1. Stellt das Gericht in einem Kündigungsschutzprozess fest, dass das Arbeitsverhältnis nicht durch die als sozial ungerechtfertigt erkannte Kündigung aufgelöst worden ist, hat es nach § 9 Abs. 1 Satz 2 KSchG auf Antrag des Arbeitgebers das Arbeitsverhältnis gegen Zahlung einer angemessenen Abfindung aufzulösen, wenn Gründe vorliegen, die eine den Betriebszwecken dienliche weitere Zusammenarbeit zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer nicht erwarten lassen.

a) Das KSchG ist seiner Konzeption nach ein Bestandsschutz- und kein Abfindungsgesetz, so dass an den Auflösungsgrund strenge Anforderungen zu stellen sind (Senat - 2 AZR 1111/06 - Rn. 42 ff., AP KSchG 1969 § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 181 = EzA KSchG § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 163; - 2 AZR 256/04 - zu II 2 a der Gründe mwN, AP KSchG 1969 § 9 Nr. 52 = EzA KSchG § 9 nF Nr. 52). Ein Auflösungsantrag kommt vor allem dann in Betracht, wenn während eines Kündigungsschutzprozesses zusätzliche Spannungen zwischen den Parteien auftreten, die eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses sinnlos erscheinen lassen (Senat - 2 AZR 1111/06 - Rn. 42, aaO.; - 2 AZR 21/05 - Rn. 65, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 53 = EzA KSchG Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 67).

b) Für die Entscheidung über den Auflösungsantrag kommt es auf den Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung in der Tatsacheninstanz an (Senat - 2 AZR 256/04 - zu II 2 b der Gründe, AP KSchG 1969 § 9 Nr. 52 = EzA KSchG § 9 nF Nr. 52; - 2 AZR 158/01 - zu B II 2 b der Gründe, AP KSchG 1969 § 9 Nr. 42 = EzA KSchG § 9 nF Nr. 45). Der Auflösungsantrag ist trotz seiner nach § 9 Abs. 2 KSchG gesetzlich angeordneten Rückwirkung auf den Kündigungszeitpunkt in die Zukunft gerichtet. Das Gericht hat eine Vorausschau anzustellen. Im Zeitpunkt der Entscheidung über den Antrag ist zu fragen, ob in Zukunft noch mit einer den Betriebszwecken dienlichen weiteren Zusammenarbeit der Parteien zu rechnen ist. Es geht um die Würdigung, ob die zum Zeitpunkt der abschließenden Entscheidung in der Tatsacheninstanz gegebenen Umstände eine künftige gedeihliche Zusammenarbeit noch erwarten lassen (Senat - 2 AZR 1111/06 - Rn. 43, AP KSchG 1969 § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 181 = EzA KSchG § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 163; - 2 AZR 256/04 - zu II 2 b der Gründe, aaO.).

c) Als Auflösungsgründe für den Arbeitgeber gemäß § 9 Abs. 1 Satz 2 KSchG kommen solche Umstände in Betracht, die das persönliche Verhältnis zum Arbeitnehmer, die Wertung seiner Persönlichkeit, seiner Leistung oder seiner Eignung für die ihm gestellten Aufgaben und sein Verhältnis zu den übrigen Mitarbeitern betreffen. Die Gründe, die eine den Betriebszwecken dienliche weitere Zusammenarbeit zwischen den Vertragspartnern nicht erwarten lassen, müssen allerdings nicht im Verhalten, insbesondere nicht im schuldhaften Verhalten des Arbeitnehmers liegen. Vielmehr kommt es darauf an, ob die objektive Lage die Besorgnis rechtfertigt, dass die weitere Zusammenarbeit mit dem Arbeitnehmer gefährdet ist (Senat - 2 AZR 1111/06 - Rn. 44, AP KSchG 1969 § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 181 = EzA KSchG § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 163; - 2 AZR 158/01 - zu B II 2 b der Gründe, AP KSchG 1969 § 9 Nr. 42 = EzA KSchG § 9 nF Nr. 45; KR/Spilger 9. Aufl. § 9 KSchG Rn. 56 mwN; ErfK/Kiel 9. Aufl. § 9 KSchG Rn. 20, 22 mwN; APS/Biebl 3. Aufl. § 9 KSchG Rn. 62).

d) Die Wertung, ob im Einzelfall die Auflösung gerechtfertigt ist, obliegt in erster Linie dem Tatsachengericht. Das Revisionsgericht kann aber nachprüfen, ob das Berufungsgericht die Voraussetzungen für den Auflösungsantrag verkannt und bei Prüfung der vorgetragenen Auflösungsgründe alle wesentlichen Umstände vollständig und widerspruchsfrei gewürdigt hat (vgl. Senat - 2 AZR 1111/06 - Rn. 40, AP KSchG 1969 § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 181 = EzA KSchG § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 163; - 2 AZR 256/04 - zu II 1 der Gründe, AP KSchG 1969 § 9 Nr. 52 = EzA KSchG § 9 nF Nr. 52).

2. Diesen Anforderungen hält die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts nicht stand.

a) Aus dem Vorbringen der Beklagten und aus dem unstreitigen Sachverhalt ist nicht ersichtlich, dass es zwischen dem Kläger und Vorgesetzten zu persönlichen Auseinandersetzungen gekommen wäre. Ebenso wenig ist eine Trübung des Verhältnisses zwischen dem Kläger und Arbeitskollegen ersichtlich. Die Leistung und die Eignung des Klägers für die vertraglich geschuldete Arbeit sind nicht von den Sachverhalten betroffen, die von der Beklagten als Auflösungsgründe herangezogen werden.

b) Dass der Kläger Anträge bei Gericht gestellt hat, die erfolglos geblieben sind, ist für sich genommen ersichtlich kein Auflösungsgrund. Dass die Anträge in Schädigungsabsicht oder sonst schikanös angebracht worden wären, ist nicht festgestellt. Überdies finden sich im Berufungsurteil und im Vorbringen der Beklagten zur objektiven Lage der Beziehungen zwischen dem Kläger einerseits und seinen Vorgesetzten und Kollegen andererseits im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung in der Berufungsinstanz keinerlei Feststellungen, die das Arbeitsverhältnis des Klägers konkret - dh. auf der Ebene der Tatsachen - beträfen. Es mag sein, dass der Kläger bei der - vermeintlichen oder wirklichen - Wahrnehmung betriebsverfassungsrechtlicher Positionen "über das Ziel hinausgeschossen" und dabei die ihm gesetzten Grenzen verkannt hat und die Beklagte ihn als einen menschlich problematischen und herausfordernd wirkenden Mitarbeiter betrachtet. Es mag auch sein, dass der Kläger sich in ein schwieriges Verhältnis zu seiner Gewerkschaft gebracht hat. Dass dadurch das Arbeitsverhältnis zur Beklagten irgendwie fassbar - etwa im Bereich der Hauptleistungspflichten oder einzelner Nebenpflichten - in Mitleidenschaft gezogen worden wäre, ist nicht ersichtlich.

c) Wenn das Landesarbeitsgericht den Kläger als "unehrlich" charakterisiert und als jemanden ansieht, der in der Verfolgung eigener Interessen "Grenzen überschreite", so sind dies gewiss Würdigungen, die, wenn sie zutreffen, eine zwar nicht unverbreitete, aber um deswillen doch nicht begrüßenswerte Haltung im Wirtschaftsleben bezeichnen. Gleichwohl korrespondieren sie nicht ausreichend mit den gesetzlichen Anforderungen an einen Auflösungsgrund. Diese setzen vielmehr die Prognose einer schweren Beeinträchtigung des Austauschverhältnisses voraus. Davon kann hier nach dem Vortrag der Beklagten und den Feststellungen des Berufungsgerichts keine Rede sein. Dass eine Vertrauensbeziehung zwischen den Vertragsparteien unerlässlich ist, wie das Landesarbeitsgericht ausführt, trifft zu. Störungen des erforderlichen Vertrauens, die der weiteren wechselseitigen Erfüllung der Vertragspflichten und dem Zusammenwirken zum Wohl des Betriebs entgegenstünden, sind aber nicht ersichtlich; zumindest haben sie sich nicht in greifbaren Tatsachen niedergeschlagen.

II. Dem Kläger stehen, da das Arbeitsverhältnis fortbesteht, die der Höhe nach unstreitigen Zahlungsansprüche nach §§ 611, 615, 286, 288 BGB zu.

III. Die Kostenentscheidung erging in entsprechender Anwendung von § 97 Abs. 1, § 91 Abs. 1 ZPO. Zwar ist die Revision des Klägers erfolgreich und regelt § 97 Abs. 1 ZPO unmittelbar nur die Kosten eines erfolglosen Rechtsmittels. Es steht aber rechtskräftig fest, dass der Kläger hinsichtlich aller in die Revision gelangten Streitgegenstände obsiegt hat. Daran vermag die noch ausstehende Entscheidung des Landesarbeitsgerichts über die Widerklage nichts zu ändern. Nach dem Grundgedanken des § 91 ZPO müssen deshalb die Kosten der Revision der Beklagten auferlegt werden; sie ist in dieser Instanz unterlegen (vgl. - BGHZ 54, 21).

Fundstelle(n):
BB 2010 S. 308 Nr. 6
DB 2010 S. 230 Nr. 4
QAAAD-36639