Leitsatz
Leitsatz:
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Instanzenzug: LSG Chemnitz, L 2 AS 175/07 vom SG Chemnitz, S 25 AS 2886/07
Gründe
I
Die Klägerin begehrt höhere Leistungen für Unterkunft und Heizung im Zeitraum vom bis zum .
Die Klägerin bewohnt nach dem Tod ihres Ehemanns am alleine eine 60,42 qm große 3-Zimmer-Eigentumswohnung in Oberwiesental. Mit Schreiben vom teilte die Beklagte der Klägerin mit, die Kosten würden nur noch bis April 2007 in voller Höhe berücksichtigt. Danach erfolge eine Kappung auf die angemessene Höhe auf der Grundlage einer für angemessen gehaltenen Wohnfläche von 45 qm in Höhe von 216 Euro zuzüglich Heizkosten von 1,07 Euro/Quadratmeter. Dementsprechend gewährte die Beklagte der Klägerin Leistungen für Unterkunft und Heizung bis April 2007 in Höhe von 354,20 Euro, von Mai bis Juni 2007 in Höhe von 264,20 Euro.
Für die Zeit vom bis bewilligte die Beklagte der Klägerin Leistungen in Höhe von 306,90 Euro, wovon 264,20 Euro auf die Unterkunftskosten entfielen (Bescheide vom ; Widerspruchsbescheid vom ).
Das Sozialgericht (SG) hat die auf Zahlung von Leistungen für Unterkunft und Heizung in Höhe von 354,20 Euro gerichtete Klage abgewiesen (Gerichtsbescheid vom ). Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen (Urteil vom ). Es hat zur Begründung ausgeführt, die von der Beklagten vorgenommene Kürzung auf 264,20 Euro sei nicht zu beanstanden, weil ungeachtet der Frage, welche Unterkunftskosten tatsächlich angefallen seien, jedenfalls die von der Klägerin geltend gemachten Kosten von 354,20 Euro das Maß des Angemessenen überstiegen. Zur Ermittlung der angemessenen Wohnungsgröße sei die für Wohnberechtigte im sozialen Mietwohnungsbau anerkannte Wohnraumgröße zu Grunde zu legen. Im Freistaat Sachsen sei hierzu die Verwaltungsvorschrift des Sächsischen Innenministeriums zur Modernisierung und Instandsetzung von Mietwohnungen als Ersatzwohnraum im Rahmen des Stadtumbaus vom ergangen. Aus der speziellen Zielrichtung dieser Verwaltungsvorschrift ergebe sich jedoch, dass die dort zu Grunde gelegten Wohnflächenhöchstgrenzen nicht maßstäblich für die Ermittlung der Wohnverhältnisse im unteren Segment seien könnten. Daher sei - ungeachtet ihres Außerkrafttretens zum - weiterhin auf die Verwaltungsvorschrift vom abzustellen. Höchstgrenze seien danach 45 qm oder 1½ Wohnräume. Dass eine 45 qm große Wohnung als angemessen anzusehen sei, stehe nicht in einem Wertungswiderspruch zum weiterreichenden Verwertungsschutz für ein selbst genutztes Hausgrundstück oder eine Eigentumswohnung. Keine Bedenken bestünden auch hinsichtlich der in der Verwaltungsvorschrift der Beklagten als angemessen angesehenen Kosten für eine 45 qm Wohnung in Höhe von 174,60 Euro Grundmiete bzw Zinsbelastung und 41,60 Euro kalte Betriebskosten. Ebenso wenig sei zu beanstanden, dass als angemessene Heizkosten 1,07 Euro pro Quadratmeter und damit 48,20 Euro monatlich in Ansatz gebracht worden seien. Ob der pauschale Ansatz zulässig sei, könne dahinstehen. Vorliegend habe die Klägerin jedenfalls in einer zu großen Wohnung gelebt. Der Vergleich mit den ihr tatsächlich entstandenen Heizkosten mache deutlich, dass die pauschalierten Sätze die konkrete Heizsituation angemessen abbildeten.
Mit der vom Senat zugelassenen Revision rügt die Klägerin eine Verletzung des § 22 SGB II. § 22 Abs 1 Satz 3 SGB II solle die Möglichkeit eröffnen, sich innerhalb einer angemessenen Frist um anderweitigen Wohnraum zu bemühen. Für einen Eigentümer gestalte sich dieser Vorgang schwieriger als für einen Mieter. Der Klägerin seien mit Rücksicht auf den als schlecht einzuschätzenden Immobilienmarkt in Oberwiesental auch über den Zeitraum von sechs Monaten hinaus die zuvor anerkannten Unterkunfts- und Heizungskosten zu gewähren. Eine Kürzung kalter Betriebskosten und der Instandhaltungsrücklage komme für Wohnungseigentümer nicht in Betracht, weil diese zur Zahlung verpflichtet seien. Auch sei es nicht rechtens, die Heizkosten der Klägerin zu kürzen. Sie verhalte sich angemessen und heize ein Zimmer nicht mehr.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sächsischen Landessozialgerichts vom und den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Chemnitz vom aufzuheben sowie die Bescheide vom in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, ihr Leistungen für Unterkunft und Heizung in Höhe von 354,20 Euro monatlich zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält die Ausführungen im Urteil des LSG für zutreffend und weist darauf hin, dass eine Berücksichtigung von Tilgungsleistungen nach der Entscheidung des B 14/11b AS 67/06 R - hier nicht in Betracht komme.
II
Die Revision der Klägerin ist im Sinne einer Aufhebung des Urteils des LSG und Zurückverweisung der Sache begründet.
1. Gegenstand des Rechtsstreits sind nur noch die Bescheide vom in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom , soweit die Beklagte mit diesen Bescheiden über den Anspruch der Klägerin auf Leistungen für Unterkunft und Heizung für den Zeitraum vom bis zum entschieden hat. Bei den Ansprüchen auf Leistungen für Unterkunft und Heizung handelt es sich um abtrennbare selbständige Ansprüche, sodass eine Beschränkung des Streitgegenstandes insoweit zulässig ist.
2. Auch hinsichtlich des Anspruchs auf höhere Leistungen nach § 22 SGB II gilt allerdings, dass grundsätzlich alle Anspruchsvoraussetzungen dem Grunde und der Höhe nach unter jedem rechtlichen Gesichtspunkt zu prüfen sind. Von einer Prüfung der Anspruchsvoraussetzungen des § 7 SGB II hat das LSG, offenbar ausgehend von seiner Auffassung, die Klägerin könne jedenfalls keinen Anspruch auf höhere Leistungen nach § 22 SGB II geltend machen, abgesehen. Das LSG wird deshalb ggf zu prüfen haben, ob die Klägerin die Voraussetzungen des § 7 SGB II erfüllt.
3. Auf der Grundlage der vom LSG getroffenen Feststellungen kann ferner nicht beurteilt werden, in welcher Höhe der Klägerin Leistungen nach § 22 SGB II zustehen. Leistungen für Unterkunft und Heizung werden nach § 22 Abs 1 Satz 1 SGB II in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen erbracht, soweit sie angemessen sind. Der Klägerin stehen möglicherweise höhere als von der Beklagten zuerkannte Unterkunftskosten bereits nach § 22 Abs 1 Satz 1 SGB II zu.
a) Aufwendungen sind auch bei Eigenheimen oder Eigentumswohnungen angemessen, wenn das Objekt nach Ausstattung, Lage und Bausubstanz einfachen grundlegenden Bedürfnissen genügt und keinen gehobenen Wohnungsstandard aufweist ( B 14/7b AS 34/06 R, SozR 4-4200 § 12 Nr 10). Da die Frage der Angemessenheit für Mieter und Eigentümer nach einheitlichen Kriterien zu beantworten ist, ist auch hinsichtlich der im Rahmen der Produkttheorie heranzuziehenden Wohnungsgröße auf die anerkannte Wohnraumgröße für Wohnberechtigte im sozialen Mietwohnungsbau abzustellen.
Nach § 10 des Gesetzes über die soziale Wohnraumförderung (WoFG) können die Länder im geförderten Wohnungsbau Grenzen für Wohnungsgrößen festlegen, bis zu denen eine Förderung in Betracht kommt. Der erkennende Senat hat bereits im Einzelnen dargelegt, dass er der Rechtsprechung des 7b. und des 14. Senats ( B 7b AS 18/06 R, BSGE 97, 254 = SozR 4-4200 § 22 Nr 3; Urteil vom - B 14/7b AS 44/06 R) folgt, wonach zur Bestimmung der in § 22 SGB II geforderten Angemessenheit auf die nach § 10 WoFG von den Ländern festgesetzten Werte zurückzugreifen ist (). Der Senat hat jedoch zugleich darauf hingewiesen, dass nicht feststeht, ob der mit der Angemessenheitsprüfung verfolgte Zweck im Rahmen des § 22 SGB II mit den Zwecken des WoFG nebst Ausführungsbestimmungen der Länder weitgehend übereinstimmt. Er hat es gleichwohl aus Gründen der Rechtssicherheit und der Praktikabilität für derzeit noch vertretbar erachtet, auf die auf der Grundlage des § 10 WoFG von den Ländern festgelegten Werte zurückzugreifen, bis der Verordnungsgeber eine auf der Grundlage des § 27 SGB II mögliche und im Hinblick auf eine gleichmäßige Rechtsanwendung dringend wünschenswerte bundeseinheitliche Bestimmung bundeseinheitlicher Grundstücksgrößen durch Verordnung selbst vorgenommen hat (, RdNr 18).
Erfolgt der Rückgriff auf die nach § 10 WoFG festgesetzten Werte mit Rücksicht auf Rechtssicherheit und Praktikabilität in einem Übergangszeitraum, so verbietet sich allerdings das Vorgehen des LSG, das die aktuell im Land Sachsen festgesetzten Werte (Verwaltungsvorschrift des Sächsischen Innenministeriums zur Modernisierung und Instandsetzung von Mietwohnungen als Ersatzwohnraum im Rahmen des Stadtumbaus vom , Sächsisches Amtsblatt vom , S 682) nicht zugrunde gelegt hat, sondern stattdessen auf diejenigen Verwaltungsvorschriften abstellt, die im Zeitraum vor dem Inkrafttreten des SGB II zur Anwendung gekommen waren. Insoweit ist auch das vom LSG für seine Auffassung angeführte Argument nicht hilfreich, aus den speziellen Zielsetzungen der Verwaltungsvorschrift vom ergebe sich, dass die dort zugrunde gelegten Wohnflächenhöchstgrenzen nicht maßstäblich für die Ermittlung üblicher Wohnflächen im unteren Segment sein könnten. Denn der Umstand, dass sich die aktuellen Verwaltungsvorschriften im Lande Sachsen möglicherweise nicht hinreichend daran orientieren, was als Wohnung mit bescheidenem Zuschnitt angesehen werden kann, wird infolge des Rückgriffs auf die Werte nach § 10 WoFG ohnehin bewusst in Kauf genommen. Insoweit kommt dem Gesichtspunkt der Rechtssicherheit eine überragende Bedeutung zu. Eine Heranziehung anderweitiger Verwaltungsregelungen zur Bestimmung der Wohnflächen erscheint nur dann vertretbar, wenn aktuelle Verwaltungsvorschriften zu § 10 WoFG nicht existieren. Das LSG wird bei der Anwendung der Produkttheorie deshalb die sich aus der aktuell geltenden Verwaltungsvorschrift des Landes Sachsen vom für einen Einpersonenhaushalt ergebenden Werte zugrunde zu legen haben.
Der Senat wiederholt in diesem Zusammenhang jedoch seinen Appell an den Verordnungsgeber, eine auf der Grundlage des § 27 SGB II mögliche und im Hinblick auf eine gleichmäßige Rechtsanwendung dringend wünschenswerte Bestimmung bundeseinheitlicher Wohnungsgrößen durch Verordnung selbst vorzunehmen (so schon , RdNr 18).
b) Auch die tatsächlichen Grundlagen für die weiteren im Rahmen der Produkttheorie zu vollziehenden Prüfungsschritte sind dem angefochtenen Urteil nicht zu entnehmen. Hierzu ist zunächst in einem zweiten Schritt der maßgebliche räumliche Vergleichsmaßstab festzulegen, innerhalb dessen das durchschnittliche Mietpreisniveau einer Wohnung im unteren Segment ermittelt wird. Schließlich ist in einem dritten Schritt zu ermitteln, welcher Mietpreis für eine abstrakt als angemessen eingestufte Wohnung auf dem für den Hilfebedürftigen maßgeblichen Wohnungsmarkt aufzuwenden ist (s zur abstrakten Angemessenheitsprüfung Knickrehm/Voelzke/Spellbrink, Kosten der Unterkunft nach § 22 SGB II, DGST Praktikerleitfaden, S 16 ff). Zu den genannten Prüfungsschritten hat das LSG lediglich ausgeführt, es bestünden hinsichtlich der in der Verwaltungsvorschrift der Beklagten für eine 45 qm-Wohnung als angemessen angesehenen Kosten in Höhe von 216,00 Euro (einschließlich kalter Betriebskosten) keine Bedenken. Damit wird nicht offengelegt, auf welcher Grundlage die beklagte Arbeitsgemeinschaft die genannten Werte ermittelt hat. Denn es wird nicht aufgezeigt, von welchem räumlichen Vergleichsmaßstab die Beklagte ausgegangen ist und in welcher Weise das durchschnittliche Mietpreisniveau im unteren Segment ermittelt worden ist. Somit ist es ausgeschlossen, die angemessene Referenzmiete zu bestimmen. Jedenfalls dann, wenn die Beteiligten über die Angemessenheit der Unterkunftskosten nach § 22 SGB II streiten, hat das Gericht die von der Beklagten festgelegten Werte auf der Grundlage der angesprochenen Prüfungsschritte selbständig nachzuvollziehen. Eine solche Schlüssigkeitsprüfung lässt das angefochtene Urteil nicht erkennen.
4. Nach § 22 Abs 1 Satz 1 SGB II sind auch die Heizkosten grundsätzlich in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen zu erstatten. Die Beklagte hat entsprechend ihren Verwaltungsvorschriften ausgehend von einer von ihr als angemessen angesehenen Wohnfläche von 45 qm und einem Faktor von 1,07 Euro/qm den Betrag von 48,20 Euro monatlich als berücksichtigungsfähige Heizkosten in Ansatz gebracht. Soweit den Feststellungen des LSG eine generelle Pauschalierung der Heizkosten durch die Beklagte entnommen werden kann, fehlt es hierfür derzeit mangels einer entsprechenden Verordnung nach § 27 Nr 1 SGB II schon an einer rechtlichen Grundlage. Das Vorgehen der Beklagten ist - wie bereits ausgeführt worden ist - schon insofern zu beanstanden, als hierbei die Ausführungsbestimmungen zu § 10 WoFG nicht in ihrer aktuellen Fassung berücksichtigt worden sind und deshalb nicht von zutreffenden Wohnungsgrößen ausgegangen worden ist.
Im Übrigen steht einer weiteren rechtlichen Prüfung des BSG auch insoweit entgegen, dass der angefochtenen Entscheidung die tatsächlichen Grundlagen für die vorgenommene Begrenzung der Heizkosten nicht zu entnehmen sind. Unzutreffend ist jedenfalls der Ausgangspunkt des LSG, wonach für eine Deckelung bereits als ausreichend angesehen wird, "dass die pauschalierten Sätze der Beklagten jedenfalls im vorliegenden Fall die konkrete Heizsituation für die Wohnung der Klägerin angemessen abbilden." Auszugehen ist vielmehr davon, dass Heizkosten in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen lediglich dann nicht erstattungsfähig sind, wenn sie bei sachgerechter und wirtschaftlicher Beheizung als der Höhe nach nicht erforderlich erscheinen. Dies setzt eine konkrete Prüfung im Einzelfall voraus. Das Überschreiten der oberen Grenzwerte eines lokalen bzw, soweit ein solcher nicht existiert, des bundesweiten Heizspiegels kann insoweit lediglich als Indiz für die fehlende Erforderlichkeit angesehen werden (vgl die im Terminbericht Nr 40/09 zur Entscheidung vom - B 14 AS 36/08 R wiedergegebenen Erwägungen). Bei der in jedem Fall durchzuführenden konkreten Prüfung müssen sodann ggf auch die besonderen individuellen Gegebenheiten mit einbezogen werden. Hierzu gehören zB die besonderen klimatischen Bedingungen des Wohnortes der Klägerin.
5. Da bislang nicht feststeht, ob die von der Klägerin geltend gemachten Unterkunftskosten die angemessenen Kosten iS des § 22 Abs 1 Satz 1 SGB II übersteigen, braucht derzeit nicht geprüft werden, ob im streitigen Zeitraum ein Anspruch auf Übernahme zu hoher Leistungen für Unterkunft und Heizung nach § 22 Abs 1 Satz 3 SGB II besteht.
Das LSG wird auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
TAAAD-35559