BGH Beschluss v. - IX ZB 294/08

Leitsatz

[1] Wird im ersten Rechtszug neben dem in der Klageschrift angegebenen ausländischen Wohnsitz des Beklagten im Blick auf die Zuständigkeit des Gerichts auch ein inländischer Wohnsitz in den Raum gestellt, so ist die unbeanstandete ausländische Anschrift, unter der dem Beklagten die Klage auf Veranlassung des Klägers tatsächlich zugestellt wurde, für die Bestimmung des Berufungsgerichts maßgeblich.

Gesetze: GVG § 119 Abs. 1

Instanzenzug: LG Köln, 13 S 228/08 vom AG Bergheim, 22 C 166/07 vom

Gründe

I.

Der Kläger nimmt die beiden Beklagten im Wege einer Teilklage auf Zahlung von Anwaltshonorar in Höhe von 300 EUR in Anspruch; die Beklagten verlangen von dem Kläger aus abgetretenem Recht im Wege der Widerklage Zahlung von 3.672,30 EUR. Die Klage ist unter den in der Klageschrift angegebenen Adressen dem Beklagten zu 1 in Pulheim und der Beklagten zu 2 in Eupen/Belgien zugestellt worden. Das Amtsgericht Bergheim hat der Zahlungsklage - unter Abweisung eines außerdem von dem Kläger verfolgten Feststellungsantrags -stattgegeben und die Widerklage abgewiesen. Die Beklagten haben gegen dieses Urteil Berufung zum Landgericht Köln eingelegt. Dieses hat sich als unzuständig angesehen und die Berufung als unzulässig verworfen.

II.

Das Landgericht meint, die Berufung sei nicht bei dem zuständigen Gericht eingelegt worden. In vorliegender Sache sei gemäß § 119 Abs. 1 Nr. 1 b GVG das Oberlandesgericht zuständiges Berufungsgericht, weil die Beklagte zu 2 im Zeitpunkt der Klageerhebung ihren Wohnsitz in Eupen/Belgien unterhalten habe. Die Beklagte zu 2 habe erstmals in der Berufungsschrift ihren Wohnsitz mit Pulheim angegeben. Tatsächlich seien der Beklagten zu 2 die Klage und die Terminsladung durch das Amtsgericht in Eupen/Belgien zugestellt worden. Dadurch sei die Beklagte zu 2 über ihre in vorliegendem Verfahren als maßgeblich erachtete ausländische Adresse unterrichtet worden. Mithin sei von einem Wohnsitz der Beklagten zu 2 in Eupen/Belgien auszugehen.

III.

Die gemäß § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO statthafte und auch im Übrigen zulässige Rechtsbeschwerde ist unbegründet. In Einklang mit der rechtlichen Würdigung des Landgerichts ist die Berufung der Beklagten unzulässig, weil sie nicht innerhalb der Berufungsfrist bei dem in vorliegender Sache zuständigen Oberlandesgericht Köln eingelegt wurde.

1.

Die Oberlandesgerichte sind gemäß der mit Wirkung zum aufgehobenen, im vorliegenden Altfall noch anwendbaren Vorschrift des § 119 Abs. 1 Nr. 1 b GVG in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten zuständig für die Verhandlung und Entscheidung über das Rechtsmittel der Berufung in Streitigkeiten über Ansprüche, die von einer oder gegen eine Partei erhoben werden, die ihren allgemeinen Gerichtsstand im Zeitpunkt der Rechtshängigkeit außerhalb des Geltungsbereichs des Gerichtsverfassungsgesetzes hat. Maßgeblich für die Bewertung ist der Zeitpunkt des Eintritts der Rechtshängigkeit, also regelmäßig der Zustellung der Klageschrift an die Partei (BGHZ 155, 46, 48). Die Regelung ist grundsätzlich auch einschlägig, wenn - wie im Streitfall die Beklagte zu 2 - nur einer von mehreren Streitgenossen seinen Wohnsitz im Ausland hat (BGHZ 155, 46, 49).

2.

Im Berufungsverfahren ist regelmäßig der im Verfahren vor dem Amtsgericht unangegriffen gebliebene inländische oder ausländische Wohnsitz einer Partei zugrunde zu legen und einer Nachprüfung durch das Rechtsmittelgericht grundsätzlich entzogen (, NJW-RR 2008, 144 Rn. 4). Könnte der Wohnsitz einer Partei im Rechtsmittelverfahren in Frage gestellt werden, hätte dies wegen der nahe liegenden Möglichkeit konträren Parteivortrags zum allgemeinen Gerichtsstand der Parteien im Zeitpunkt der Rechtshängigkeit mit dem Rechtsstaatsprinzip unvereinbare Unsicherheiten für die Bestimmung des zuständigen Berufungsgerichts zur Folge. Dem Rechtsstaatsprinzip kann mithin nur dadurch wirksam Rechnung getragen werden, dass im Rechtsmittelverfahren regelmäßig der im Verfahren vor dem Amtsgericht unangegriffene inländische oder ausländische Gerichtsstand einer Partei als maßgeblich erachtet wird und einer Nachprüfung durch das Rechtsmittelgericht entzogen ist (, NJW 2006, 1808, 1809 Rn. 11 m.w.N.).

3.

Nach diesen auch von dem Berufungsgericht angenommenen Grundsätzen war der im Verfahren vor dem Amtsgericht unbestrittene ausländische Wohnsitz der Beklagten zu 2 auch im Berufungsverfahren beachtlich. Der Beklagten zu 2 ist die ihren ausländischen Wohnsitz ausweisende Klageschrift unter der angegebenen Adresse in Belgien zugestellt worden. Außerdem wurde sie über diese Adresse geladen. Beanstandungen gegen die Richtigkeit der Anschrift hat die Beklagte zu 2 im erstinstanzlichen Verfahren nicht erhoben.

a)

Allerdings wäre die Regelung des § 119 Abs. 1 Nr. 1 b GVG nicht anwendbar, wenn die Beklagte zu 2 neben einem allgemeinen Gerichtsstand im Ausland auch einen allgemeinen Gerichtsstand im Inland gehabt hätte (vgl. , ZIP 2007, 1626, 1627 Rn. 13 f; v. - VIII ZB 105/07, ZIP 2009, 987, 988 Rn. 8). Einen inländischen Gerichtsstand der Beklagten zu 2 vermag jedoch die Rechtsbeschwerde nicht aufzuzeigen. Der Kläger hat lediglich in einem der Klageschrift nachfolgenden Schriftsatz zwecks Ausräumung gerichtlicher Zuständigkeitsbedenken die nicht näher konkretisierte Möglichkeit eines inländischen Gerichtsstands der Beklagten zu 2 in den Raum gestellt. Die Beklagte zu 2, der die Klage entsprechend der dort angegebenen Anschrift in Belgien zugestellt wurde, hat diesen Vortrag nicht zum Anlass genommen, sich erstinstanzlich auf einen solchen inländischen Gerichtsstand zu berufen. Feststellungen hinsichtlich eines inländischen Gerichtsstands konnte das Amtsgericht mangels eines entsprechenden Sachvortrags nicht treffen. Bei dieser Sachlage ist der von dem Kläger behauptete ausländische Gerichtsstand der Beklagten zu 2 - zumal sich diesen im Laufe des amtsgerichtlichen Verfahrens auch der Beklagte zu 1 zu Eigen gemacht hat - erstinstanzlich unbeanstandet geblieben.

b)

Zu Unrecht beruft sich die Rechtsbeschwerde auf den , GuT 2008, 46). Dort konnte mangels einer eindeutigen Bezeichnung des Sitzes der beklagten Gesellschaft nicht von dessen Nichtbestreiten ausgegangen werden. Anders verhält es sich dagegen im Streitfall, wo eine keine inhaltlichen Zweifeln unterliegende ausländische Anschrift angegeben wurde, gegen deren Richtigkeit die Beklagte zu 2 in Einklang mit dort an sie wiederholt bewirkten Zustellungen keine Einwendungen erhoben hat.

4.

Durch die Einlegung der Berufung (§§ 517, 519 ZPO) bei dem unzuständigen Berufungsgericht konnte die Berufungsfrist nicht gewahrt werden (, NJW 2000, 1574 f; Beschl. v. , aaO Rn. 9).

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:

Fundstelle(n):
NJW-RR 2010 S. 1078 Nr. 15
WM 2010 S. 285 Nr. 6
MAAAD-32511

1Nachschlagewerk: ja; BGHZ: nein; BGHR: ja