Begründung eines Haftungsanspruchs durch Pflichtverletzung des Geschäftsführers nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens über sein Vermögen
Leitsatz
Jedenfalls nach der Rechtslage bis zum Inkrafttreten des Gesetzes zur Vereinfachung des Insolvenzverfahrens vom konnte das Finanzamt den Insolvenzverwalter über das Vermögen des Geschäftsführers einer GmbH, der nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens die von der GmbH geschuldeten Lohnsteuern nicht abgeführt hat, nicht mit Haftungsbescheid in Anspruch nehmen. Die Haftungsschuld war keine Masseverbindlichkeit. Die bloße Duldung der Geschäftsführertätigkeit durch den Insolvenzverwalter erfüllte nicht das Tatbestandsmerkmal des Verwaltens der Insolvenzmasse im Sinne des § 55 Abs. 1 Nr. 1 2. Halbsatz InsO.
Vergleichbar .
Gesetze: AO § 34, AO § 69, InsO § 35, InsO § 36, InsO § 55
Instanzenzug: (Verfahrensverlauf),
Gründe
I. Mit Beschluss des Amtsgerichts (AG) vom . Februar 2006 wurde das Insolvenzverfahren über das Vermögen des Herrn X eröffnet. Zum Insolvenzverwalter bestellte das AG den Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger). Herr X war zu diesem Zeitpunkt und darüber hinaus Geschäftsführer einer GmbH.
Für die Lohnsteueranmeldungszeiträume Juni 2006 bis Dezember 2006 führte die GmbH die geschuldeten Lohnsteuern nicht an den Beklagten und Revisionskläger (Finanzamt —FA—) ab. Beitreibungsversuche blieben erfolglos.
Mit Haftungsbescheid vom nahm das FA den Kläger in seiner Eigenschaft als Insolvenzverwalter über das Vermögen des Geschäftsführers nach § 191 i.V.m. §§ 34, 69 der Abgabenordnung (AO) in Haftung. Bei der Haftungsschuld handele es sich um eine sonstige Masseverbindlichkeit nach § 55 der Insolvenzordnung (InsO). Die Haftungsschuld sei zwar nicht durch Handlungen des Insolvenzverwalters, jedoch „in anderer Weise” durch die Verwaltung der Insolvenzmasse begründet worden, denn sie stehe in direktem Zusammenhang mit dem laufenden Arbeitseinkommen des Geschäftsführers, das der Masse als Neumasseerwerb zugeflossen sei. Das FA sei insoweit Neumassegläubiger.
Das Finanzgericht (FG) hat der nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhobenen Klage stattgegeben, da die Haftungsschuld des Geschäftsführers keine Masseverbindlichkeit im Insolvenzverfahren über sein persönliches Vermögen darstelle. Sie könne nicht als „in anderer Weise” vom Insolvenzverwalter, dem Kläger, begründete Masseverbindlichkeit gemäß § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO qualifiziert werden. Denn die steuerlichen Rückstände seien nicht durch eine Verwaltung des Klägers „in anderer Weise” dadurch begründet worden, dass er es vermeintlich versäumt habe, auf die Geschäftsführung der GmbH Einfluss zu nehmen und dadurch die Verletzung der Pflichten des Geschäftsführers als gesetzlicher Vertreter i.S. der §§ 34, 69 AO zu verhindern. Zum Schadenersatz verpflichtende oder den Haftungstatbestand der §§ 34, 69 AO begründende Handlungen des Insolvenzschuldners könnten nicht über das in § 55 Abs. 1 Nr. 1 2. Halbsatz InsO geregelte Tatbestandsmerkmal „in anderer Weise” als Verwertung oder Verwaltung der Insolvenzmasse verstanden werden. Da die Arbeitskraft des Insolvenzschuldners, anders als die daraus erzielten Einkünfte, nicht zur Insolvenzmasse gehöre, sei es nicht Aufgabe des Insolvenzverwalters, die Arbeit des Insolvenzschuldners zu kontrollieren oder zu beaufsichtigen, da seine Rechtsmacht gegenständlich auf die Insolvenzmasse beschränkt sei. Im Übrigen könne ein Insolvenzverwalter über das Vermögen einer natürlichen Person, die zugleich Organ einer juristischen Person ist, nicht für die steuerlichen Pflichten der juristischen Person verantwortlich sein.
Mit seiner Revision macht das FA geltend, entgegen der Auffassung des FG könne der Haftungsanspruch insolvenzrechtlich nicht anders behandelt werden als das Arbeitseinkommen des Insolvenzschuldners. Denn eine Haftung, die sich aus der Geschäftsführerstellung ergebe, könne nicht behandelt werden wie eine andere Schuld, die der Insolvenzschuldner während des Insolvenzverfahrens ohne Zustimmung des Insolvenzverwalters begründe. Sofern eine den Haftungstatbestand der §§ 34, 69 AO begründende Handlung unmittelbar aus dem Arbeitseinsatz des Insolvenzschuldners resultiere, müsse sich der Insolvenzverwalter dies zurechnen lassen. Es sei widersprüchlich, wenn der Insolvenzschuldner —möglicherweise auf rechtswidrige Art und Weise— ein hohes Arbeitsentgelt erziele, die damit zusammenhängenden Folgen aus Sicht des Insolvenzverwalters hingegen völlig ausgeblendet würden. Das FA verweist insoweit auf die Einfügung der Abs. 2 und 3 in § 35 InsO durch das Gesetz zur Vereinfachung des Insolvenzverfahrens (InsVereinfG) vom (BGBl I 2007, 509), wonach dem Insolvenzverwalter die Entscheidung obliegt, ob das Vermögen aus einer während des Insolvenzverfahrens ausgeübten selbstständigen Tätigkeit zur Insolvenzmasse gehören soll und ob Ansprüche aus dieser Tätigkeit im Insolvenzverfahren geltend gemacht werden können. Die Freigabe einer nichtselbstständigen Tätigkeit sehe die Insolvenzordnung allerdings —auch nach der Einführung des § 35 Abs. 2 InsO— nicht vor, der pfändbare Arbeitslohn sei regelmäßig in die Insolvenzmasse abzuführen. Verbindlichkeiten, die im Zusammenhang mit dieser Tätigkeit begründet würden, seien dementsprechend aus der Insolvenzmasse zu zahlen.
Das FA beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger schließt sich im Wesentlichen den Ausführungen des FG an und beantragt, die Revision zurückzuweisen.
II. Die Revision ist unbegründet. Das Urteil des FG entspricht dem Bundesrecht (§ 118 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung —FGO—). Das FG hat zu Recht erkannt, dass der Haftungsanspruch im Streitfall keine Masseverbindlichkeit ist.
1. Nach § 34 Abs. 3 i.V.m. Abs. 1 AO hat ein Vermögensverwalter, soweit seine Verwaltung reicht, die steuerlichen Pflichten desjenigen zu erfüllen, über dessen Vermögen ihm die Verwaltung übertragen ist.
a) Im Streitfall war der Kläger als Insolvenzverwalter über das Vermögen des Geschäftsführers bestellt, als der —unstreitige— Haftungsanspruch des FA gegen den Geschäftsführer gemäß § 34, 69 AO wegen Nichtabführung der von der GmbH geschuldeten Lohnsteuern materiell-rechtlich entstanden ist. Das Recht des Geschäftsführers, sein nun zur Insolvenzmasse gehörendes Vermögen zu verwalten, war bereits auf den Kläger als Insolvenzverwalter übergegangen (§ 80 Abs. 1 InsO). Nach § 35 InsO erfasst das Insolvenzverfahren das gesamte Vermögen, das dem Schuldner zur Zeit der Eröffnung des Verfahrens gehört und das er während des Verfahrens erlangt.
b) Als Adressat des Haftungsbescheids kommt der Kläger aber deshalb nicht in Betracht, weil der Haftungsanspruch sich nicht gegen die seiner Verwaltung unterliegende Insolvenzmasse richtet.
Nach § 38 InsO dient die Insolvenzmasse zur Befriedigung der Gläubiger, die einen zur Zeit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens begründeten Vermögensanspruch gegen den Schuldner haben. Der Haftungsanspruch durch Pflichtverletzungen des Geschäftsführers ist jedoch nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens über sein Vermögen begründet worden. Eine sonstige Masseverbindlichkeit i.S. des § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO wäre die Haftungsschuld nur dann, wenn sie durch Handlungen des Insolvenzverwalters oder in anderer Weise durch die Verwaltung, Verwertung und Verteilung der Insolvenzmasse begründet worden wäre, ohne zu den Kosten des Insolvenzverfahrens zu gehören. Die Voraussetzungen des hier allein in Betracht kommenden Tatbestands „in anderer Weise durch die Verwaltung…der Insolvenzmasse” begründete Verbindlichkeit erfüllt der Haftungsanspruch des FA indes nicht.
aa) Nach dem Wortlaut der Vorschrift müsste der Anspruch auf eine —wie auch immer geartete— Verwaltungsmaßnahme des Insolvenzverwalters in Bezug auf die Insolvenzmasse zurückzuführen sein (vgl. Braun/Bäuerle, Insolvenzordnung, 3. Aufl. 2007, § 55 Rz 15). Der Haftungsanspruch des FA nach §§ 34, 69 AO ist durch die Verletzung der dem Geschäftsführer als gesetzlichen Vertreter der GmbH gemäß § 34 AO übertragenen steuerlichen Pflichten begründet. Die Arbeitskraft des Schuldners gehört aber nicht zur Insolvenzmasse (, Deutsche Zeitschrift für Wirtschafts- und Insolvenzrecht 2009, 204, unter II.2.b aa(3)). Die Überwachung der beruflichen Pflichterfüllung des Insolvenzschuldners ist nicht Aufgabe des Insolvenzverwalters.
bb) Der Senat teilt nicht die Auffassung des FA, der Haftungsanspruch müsse im Wege der Auslegung des in § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO geregelten Tatbestands als „in anderer Weise durch die Verwaltung, Verwertung oder Verteilung der Insolvenzmasse begründet” angesehen werden, sofern eine Haftung wie im Fall der Geschäftsführerhaftung nach §§ 34, 69 AO unmittelbar auf den Arbeitseinsatz des Insolvenzschuldners zurückzuführen sei.
Mit der Einbeziehung dessen in die Insolvenzmasse, was der Insolvenzschuldner während des Verfahrens erlangt (§ 35 Abs. 1 2. Halbsatz InsO), fallen zwar auch die Einkünfte aus einer Erwerbstätigkeit, soweit sie der Zwangsvollstreckung unterliegen (§ 36 Abs. 1 Satz 1 InsO), nunmehr —anders als unter der Geltung der Konkursordnung —KO— (§ 1 KO)— auch dann in die Insolvenzmasse, wenn sie erst nach Insolvenzeröffnung erzielt worden sind. Das allein rechtfertigt aber nicht die in der Revisionsbegründung zum Ausdruck kommende Gesamtbetrachtung der aus „dem Arbeitseinsatz” des Insolvenzschuldners resultierenden Ansprüche und Verbindlichkeiten.
(1) War der Geschäftsführer nichtselbstständig tätig, so hatte der Kläger von vornherein keine Möglichkeit, diese Tätigkeit zu unterbinden oder sonst zu beeinflussen. Die nach Insolvenzeröffnung neu erworbenen Lohn- und Gehaltsansprüche sind nicht anders zu berücksichtigen als jene, auf die bereits bei Eröffnung des Verfahrens ein Anspruch bestand (zum Neuerwerb von Vermögenswerten vgl. , Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung 2008, 77, m.w.N.). Sie fallen mit dem Betrag in die Insolvenzmasse, mit dem sie auch der Einzelzwangsvollstreckung unterliegen, d.h. mit dem Nettobetrag unter Berücksichtigung der Pfändungsfreigrenzen (§ 36 Abs. 1 Satz 2 InsO i.V.m. §§ 850c, 850e der Zivilprozessordnung). Schadenersatz- oder Haftungsansprüche aus der Tätigkeit beeinflussen den Lohn- und Gehaltsanspruch nicht unmittelbar. Sie sind keine Masseverbindlichkeiten.
(2) Auch wenn der Geschäftsführer seine Funktion im Rahmen des Gesellschaftsverhältnisses ausgeübt haben und diese nach den Umständen des Einzelfalls nicht als nichtselbstständige Tätigkeit zu qualifizieren sein sollte (vgl. , BFH/NV 2009, 1311), könnten nachinsolvenzlich daraus herrührende Haftungsschulden nicht Masseverbindlichkeiten sein. Für Einkommen aus selbstständiger Tätigkeit hat der BGH in ständiger Rechtsprechung erkannt, dass es in vollem Umfang und nicht lediglich in Höhe des nach Abzug der Ausgaben verbleibenden Gewinns zur Insolvenzmasse gehört (, Zeitschrift für das gesamte Insolvenzrecht —ZInsO— 2004, 739, m.w.N.). Könnten danach —jedenfalls nach der im Streitfall maßgeblichen Rechtslage— Verbindlichkeiten, die aus der selbstständigen Tätigkeit erwachsen sind —also auch Haftungsschulden, sofern sie bei der Gewinnermittlung überhaupt berücksichtigt werden könnten—, die Insolvenzmasse nicht mindern, so gilt dies umso mehr, falls die Haftungsschuld aus der Tätigkeit eines Gesellschafter-Geschäftsführers herrührte, der insoweit (nur) über Einkünfte aus Kapitalvermögen verfügt.
(3) Die bloße Duldung der Geschäftsführertätigkeit erfüllte nach der hier maßgeblichen Rechtslage nicht das Tatbestandsmerkmal des Verwaltens der Insolvenzmasse i.S. des § 55 Abs. 1 Nr. 1 2. Halbsatz InsO. Zwar konnte der Insolvenzverwalter schon vor Inkrafttreten des InsVereinfG aufgrund seiner Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis nach pflichtgemäßem Ermessen (§§ 80, 60 InsO) mit dem Schuldner vereinbaren, dass er ihm die für die Fortführung dieser Tätigkeit erforderlichen Mittel aus der bereits vorhandenen Insolvenzmasse oder aus den zukünftigen, gleichfalls zur Masse gehörigen Einkünften zur Verfügung stellt (vgl. , ZInsO 2003, 413, Neue Juristische Wochenschrift 2003, 2167). Da aber insoweit keine Erklärungspflicht des Insolvenzverwalters gesetzlich geregelt war, konnte in dem bloßen Unterlassen solcher Vereinbarungen keine Verwaltungsmaßnahme liegen, die eine Masseverbindlichkeit entstehen ließ.
2. Mit der Normierung des § 35 Abs. 2 InsO durch das InsVereinfG zum hat der Gesetzgeber nun zwar dem Insolvenzverwalter im Fall der Fortführung oder Aufnahme einer selbstständigen Tätigkeit durch den Schuldner die Pflicht auferlegt, zu erklären, ob Vermögen aus der Tätigkeit zur Insolvenzmasse gehört und ob Ansprüche aus der Tätigkeit im Insolvenzverfahren geltend gemacht werden können (vgl. dazu Gesetzentwurf der Bundesregierung vom , BTDrucks 16/3227, insbesondere Begründung zu Nr. 12, S. 17).
Da im Zeitraum der Verwirklichung des Haftungsanspruchs (im Jahre 2006) die zum in Kraft getretene Norm (Art. 103c des Einführungsgesetzes zur Insolvenzordnung) noch nicht anzuwenden war, erübrigen sich im Streitfall Erwägungen darüber, ob diese Erklärungspflicht dazu führt, dass eine schlichte Duldung einer selbstständigen Tätigkeit als Verwalten der Insolvenzmasse angesehen werden kann, ob zu den „Ansprüchen aus einer solchen Tätigkeit”, die im Fall des Insolvenzbeschlags des Neuerwerbs „im Insolvenzverfahren geltend gemacht werden können”, auch Haftungsansprüche des FA wegen Nichterfüllung steuerlicher Pflichten gehören können und ob die Regelung auch auf die Haftung eines Gesellschafter-Geschäftsführers angewendet werden könnte.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
BFH/NV 2010 S. 15 Nr. 1
GmbH-StB 2009 S. 323 Nr. 12
VAAAD-31630