Nur ausnahmsweise Übersendung der Akten in die Kanzlei des Prozessbevollmächtigten
Gesetze: FGO § 78 Abs. 1, FGO § 78 Abs. 2, VwGO § 100 Abs. 2 Satz 2
Instanzenzug:
Gründe
I. Der Prozessbevollmächtigte der Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) beantragte, ihm die Akten der Beklagten und Beschwerdegegnerin (Familienkasse) zur Einsicht in seine Kanzleiräume zu übersenden. Das Finanzgericht (FG) lehnte den Antrag ab. Der Prozessbevollmächtigte habe keine hinreichenden Gründe für eine entsprechende Notwendigkeit vorgetragen. Durch das Angebot, Akteneinsicht in einer Behörde in seiner Nähe zu nehmen, sei dem Hinweis des Prozessbevollmächtigten auf die Entfernung seiner Kanzleiräume zum Gericht hinreichend Rechnung getragen.
Mit der Beschwerde trägt der Prozessbevollmächtigte vor, die Ermessensentscheidung des FG über die Art und Weise der Akteneinsicht sei fehlerhaft; einem bevollmächtigten Rechtsanwalt seien die Akten regelmäßig zur Einsicht in die Kanzlei zu übersenden. Er beruft sich für seine Auffassung auf den (Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht —NVwZ— 1998, 836).
II. Die Beschwerde ist unbegründet.
Gemäß § 78 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) können die Beteiligten die Gerichtsakte und die dem Gericht vorgelegten Akten einsehen und sich auf ihre Kosten durch die Geschäftsstelle Ausfertigungen, Auszüge und Abschriften erteilen lassen.
a) Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) ergibt sich aus dem Begriff „einsehen” und der Regelung über die Erteilung von Abschriften usw. durch die Geschäftsstelle, dass die Einsichtnahme der Akten bei Gericht die Regel sein soll und eine vorübergehende Überlassung von Akten an den Prozessbevollmächtigten nur ausnahmsweise in Betracht kommt (z.B. Beschlüsse des , BFH/NV 2002, 1464; vom VII B 188/03, BFH/NV 2003, 1595; vom V B 29/08, BFH/NV 2009, 194, und vom III B 166/05, BFH/NV 2006, 963).
b) Nach Auffassung des BVerfG verletzt diese Rechtsprechung ersichtlich keine Grundrechte oder grundrechtsgleichen Rechte. Es hat deshalb durch Beschluss vom 1 BvR 1503/02 (Deutsche Steuer-Zeitung 2003, 46) die Verfassungsbeschwerde gegen den BFH-Beschluss in BFH/NV 2002, 1464 nicht zur Entscheidung angenommen.
c) Dem Beschluss des BVerfG in NVwZ 1998, 836, der die Gewährung von Akteneinsicht im verwaltungsgerichtlichen Verfahren betraf (§ 100 Abs. 2 Satz 3 der Verwaltungsgerichtsordnung in der bis geltenden Fassung —VwGO a.F.—), können keine Aussagen für das finanzgerichtliche Verfahren entnommen werden (BFH-Beschluss in BFH/NV 2003, 1595, und Senatsbeschluss in BFH/NV 2006, 963). Denn § 78 FGO enthält anders als die VwGO keine Regelung, dass die Akten nach dem Ermessen des Vorsitzenden dem bevollmächtigten Rechtsanwalt (§ 100 Abs. 2 Satz 3 VwGO a.F.) bzw. der bevollmächtigten Person (§ 100 Abs. 2 Satz 2 VwGO in der Fassung ab April 2005) zur Mitnahme in seine bzw. ihre Geschäftsräume übergeben werden können. Wie das (Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung 1982, 77; bestätigt durch , Die Information über Steuer und Wirtschaft 1984, 478) ausgeführt hat, kann die Art und Weise, wie Akteneinsicht zu gewähren ist, in den einzelnen Verfahrensordnungen unterschiedlich geregelt werden.
d) Der Senat teilt die Auffassung des FG, dass keine Gründe für eine ausnahmsweise Übersendung der Akten in die Kanzleiräume vorgetragen sind.
e) Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (§ 113 Abs. 2 Satz 3 FGO).
Fundstelle(n):
BFH/NV 2010 S. 49 Nr. 1
AAAAD-31624