BFH Urteil v. - III R 45/07

Beschränkung der Kindergeldberechtigung von Ausländern verfassungsrechtlich unbedenklich; Aufenthaltsbefugnis nach § 30 AuslG entspricht einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 AufenthG

Leitsatz

Die Beschränkung der Kindergeldberechtigung von nicht freizügigkeitsberechtigten Ausländern in § 62 Abs. 2 EStG n.F. ist verfassungs- und völkerrechtlich unbedenklich.
Nach Art. 28 Abs. 1 SozSichAbk YUG sind kindergeldberechtigt nur Arbeitnehmer, nicht aber Bezieher von Arbeitslosenhilfe.

Gesetze: EStG § 52 Abs. 61a, EStG § 62 Abs. 2, GG Art. 3 Abs. 1, AufenthG § 25, AufenthG § 101, AuslG § 5, AuslG § 30

Instanzenzug: (Verfahrensverlauf),

Gründe

I. Der aus dem ehemaligen Jugoslawien stammende Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) war seit Juli 2001 ausländerrechtlich geduldet, später war er im Besitz einer Aufenthaltsbefugnis nach § 30 des Ausländergesetzes (AuslG 1990). Der Kläger war zeitweise erwerbstätig. Im November 2004 bezog er Arbeitslosenhilfe.

Der Kläger erhielt für seine fünf Kinder Kindergeld. Die Beklagte und Revisionsklägerin (Familienkasse) hob durch Bescheid vom die Festsetzung für die Zeit ab November 2004 auf und forderte für zwei Monate einen Betrag von 1.640 € zurück. Der hiergegen gerichtete Einspruch hatte keinen Erfolg.

Mit der Klage begehrte der Kläger, die Kindergeldfestsetzung nur für den Monat Dezember 2004 aufzuheben und Kindergeld nur für diesen Monat zurückzufordern. Das Finanzgericht (FG) gab der Klage statt. Es war der Ansicht, nach dem Wortlaut des neu gefassten § 62 Abs. 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG n.F.) bestehe zwar kein Anspruch auf Kindergeld. Die Vorschrift sei jedoch einschränkend dahin auszulegen, dass der Ausschluss von Ausländern von der Kindergeldberechtigung nicht für solche Eltern gelte, die auf unbestimmte Zeit nicht abgeschoben werden könnten und die sich seit mindestens einem Jahr ununterbrochen in der Bundesrepublik Deutschland (Bundesrepublik) aufhielten. Der Gesetzgeber sei nicht den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) in dem zum Bundeskindergeldgesetz (BKGG) ergangenen Beschluss vom 1 BvL 4/97 (BVerfGE 111, 160, BFH/NV 2005, Beilage 2, 114) nachgekommen. Auch sei die Erstreckung der gesetzlichen Neuregelung auf Altfälle verfassungsrechtlich unzulässig. Das BVerfG habe eine Frist bis zum gesetzt, bis zu dem der Gesetzgeber die verfassungswidrige Regelung der Kindergeldberechtigung von Ausländern in § 62 Abs. 2 EStG a.F. zu ersetzen gehabt habe. Diese Frist habe er nicht eingehalten. Darüber hinaus stehe die Neuregelung in Widerspruch zum Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) vom in der Sache 59140/00, Okpisz/Deutschland (BFH/NV 2006, Beilage 3, 357), nach dem der Ausschluss von im Inland lebenden Ausländern ohne Aufenthaltsberechtigung oder Aufenthaltsbefugnis vom deutschen Kindergeld gegen das Diskriminierungsverbot der Europäischen Menschenrechtskonvention verstoße.

Zur Begründung der Revision trägt die Familienkasse vor, die Neuregelung der Kindergeldberechtigung von Ausländern in § 62 Abs. 2 EStG n.F. sei verfassungsrechtlich unbedenklich.

Die Familienkasse beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

II. Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Abweisung der Klage (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der FinanzgerichtsordnungFGO—). Der Kläger hat keinen Anspruch auf Kindergeld.

1. Die Neuregelung der Kindergeldberechtigung von Ausländern in § 62 Abs. 2 EStG n.F. ist mit Wirkung vom in Kraft getreten und erfasst gemäß § 52 Abs. 61a Satz 2 EStG alle Sachverhalte, bei denen —wie im Streitfall— das Kindergeld noch nicht bestandskräftig festgesetzt worden ist (Art. 2 des Gesetzes zur Anspruchsberechtigung von Ausländern wegen Kindergeld, Erziehungsgeld und Unterhaltsvorschuss vom , BGBl I 2006, 2915, BStBl I 2007, 62). Die Gesetzesänderung war eine Reaktion auf den Beschluss des BVerfG in BVerfGE 111, 160, BFH/NV 2005, Beilage 2, 114, in dem dieses den nahezu wortgleichen § 1 Abs. 3 BKGG als insoweit unvereinbar mit Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) ansah, als die Gewährung von Kindergeld allein von der Art der ausländerrechtlichen Genehmigung nach dem AuslG 1990 abhing. Der Senat hat mit Urteilen vom III R 93/03 (BFHE 217, 443, BFH/NV 2007, 1234) sowie vom III R 54/02 (BFHE 220, 45, BFH/NV 2008, 457) entschieden, dass der Gesetzgeber bei der Neuregelung der Kindergeldberechtigung in § 62 Abs. 2 EStG n.F. im Rahmen des ihm zustehenden Gestaltungsspielraums handelte, als er die Kindergeldberechtigung von Ausländern vom Besitz bestimmter Aufenthaltstitel nach dem Aufenthaltsgesetz (AufenthG) abhängig machte und bei einzelnen Titeln, die einen schwächeren aufenthaltsrechtlichen Status vermitteln, darüber hinaus von einem mindestens dreijährigen rechtmäßigen, gestatteten oder geduldeten Aufenthalt im Bundesgebiet sowie von einer berechtigten Erwerbstätigkeit, vom Bezug laufender Geldleistungen nach dem Dritten Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) oder von der Inanspruchnahme von Elternzeit (§ 62 Abs. 2 Nr. 2 Buchst. c, Nr. 3 EStG n.F.). An den Grundsätzen dieser Urteile hält der Senat fest.

2. Der Senat teilt die vom FG geäußerten verfassungs- und völkerrechtlichen Bedenken gegen § 62 Abs. 2 EStG n.F. nicht.

a) In Fällen, in denen ein Ausländer rechtmäßig oder rechtswidrig in die Bundesrepublik einreist und —z.B. wegen eines tatsächlichen Abschiebungshindernisses— damit zu rechnen ist, dass er auf absehbare Zeit nicht mehr ausreist, gebietet es Art. 3 Abs. 1 GG nicht, von Anfang an oder nach einer gewissen Zeit Kindergeld zu gewähren, weil von einem Daueraufenthalt auszugehen sei (Senatsurteil in BFHE 220, 45, BFH/NV 2008, 457).

b) Die in § 52 Abs. 61a Satz 2 EStG angeordnete Rückwirkung der Neufassung des § 62 Abs. 2 EStG n.F. auf noch nicht bestandskräftig entschiedene Fälle ist entgegen der Ansicht des FG auch nicht deshalb verfassungswidrig, weil der Gesetzgeber den bis zum befristeten Regelungsauftrag des BVerfG in der Entscheidung in BVerfGE 111, 160, BFH/NV 2005, Beilage 2, 114 bis zu diesem Zeitpunkt nicht erfüllt hat (s. Senatsurteil in BFHE 220, 45, BFH/NV 2008, 457).

c) Eine Beschränkung des Kindergeldanspruchs durch § 62 Abs. 2 EStG n.F. steht entgegen der Rechtsansicht des FG auch nicht in Widerspruch zum Urteil des EGMR in BFH/NV 2006, Beilage 3, 357. Dieses ist, ebenso wie die Entscheidung des BVerfG in BVerfGE 111, 160, BFH/NV 2005, Beilage 2, 114, zu § 1 Abs. 3 BKGG ergangen, nicht aber zu § 62 Abs. 2 EStG a.F.

3. Im Streitfall war der Kläger im November 2004 lediglich im Besitz einer Aufenthaltsbefugnis nach § 30 AuslG 1990 und hatte somit keine ausländerrechtliche Genehmigung, die ihm einen Anspruch auf Kindergeld nach § 62 Abs. 2 EStG n.F. einräumte.

a) Betrifft der Sachverhalt —wie hier— einen Zeitraum vor 2005, in dem noch das AuslG 1990 galt, sind Aufenthaltsregelungen i.S. des § 5 AuslG 1990 entsprechend den Fortgeltungsregelungen in § 101 AufenthG in Aufenthaltstitel im Sinne des AufenthG umzuqualifizieren (Senatsurteile in BFHE 217, 443, BFH/NV 2007, 1234, sowie in BFHE 220, 45, BFH/NV 2008, 457).

b) Im Streitfall hat das FG nicht festgestellt, auf welchem der in § 30 AuslG 1990 geregelten Tatbestände die Aufenthaltsbefugnis des Klägers beruhte. In Betracht kam eine Aufenthaltsbefugnis nach § 30 Abs. 2 bis Abs. 4 AuslG 1990. Eine Befugnis nach § 30 Abs. 1 AuslG 1990 aus dringenden humanitären Gründen schied aus, weil diese Vorschrift nur Ausländer betraf, die sich noch nicht im Bundesgebiet aufhielten (, BVerwGE 108, 21; Dienelt in Gemeinschaftskommentar zum Ausländerrecht, § 30 AuslG Rz 10, m.w.N.). § 30 Abs. 5 AuslG 1990 verwies bei Ausländern, deren Asylantrag unangefochten abgelehnt worden war oder die ihren Asylantrag zurückgenommen hatten, auf § 30 Abs. 3 und Abs. 4 AuslG 1990.

c) Eine ausländerrechtliche Befugnis nach § 30 Abs. 2 AuslG 1990 setzte u.a. voraus, dass das Verlassen des Bundesgebiets für den Ausländer eine außergewöhnliche Härte bedeutet hätte; § 30 Abs. 3 AuslG 1990 betraf unanfechtbar ausreisepflichtige Ausländer, bei denen die Voraussetzungen für eine Duldung vorlagen, weil ihrer freiwilligen Ausreise und Abschiebung Hindernisse entgegenstanden, die sie nicht zu vertreten hatten. Nach § 30 Abs. 4 AuslG 1990 konnte einem seit zwei Jahren unanfechtbar ausreisepflichtigen Ausländer, der eine Duldung besaß, eine Aufenthaltsbefugnis erteilt werden, es sei denn, er weigerte sich, zumutbare Anforderungen zur Beseitigung des Abschiebungshindernisses zu erfüllen.

d) Eine ausländerrechtliche Befugnis nach § 30 Abs. 2 AuslG 1990 hat ihre aufenthaltsrechtliche Entsprechung in § 25 Abs. 4 Satz 2 AufenthG (Funke-Kaiser in Gemeinschaftskommentar zum Aufenthaltsgesetz, § 101 Rz 17; Albrecht in Storr/Wenger/ Eberle/Albrecht/Harms/Kreuzer, ZuwG, § 101 AufenthG Rz 26; s. auch BTDrucks 15/420 S. 80), eine Aufenthaltsbefugnis nach § 30 Abs. 3 oder Abs. 4 AuslG 1990 entspricht weitgehend einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG (Senatsurteil in BFHE 220, 45, BFH/NV 2008, 457, zu § 30 Abs. 3 AuslG 1990; , BVerwGE 129, 226, zu § 30 Abs. 4 AuslG 1990; Funke-Kaiser in Gemeinschaftskommentar zum Aufenthaltsgesetz, § 101 Rz 17; a.A. Albrecht in Storr/Wenger/Eberle/Albrecht/Harms/Kreuzer, a.a.O., § 101 AufenthG Rz 24: § 25 Abs. 3 AufenthG).

e) Eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 3, Abs. 4 oder Abs. 5 AufenthG begründet jedoch nur dann einen Anspruch auf Kindergeld, wenn sich ein Ausländer seit mindestens drei Jahren rechtmäßig, gestattet oder geduldet im Bundesgebiet aufhält und darüber hinaus im Bundesgebiet berechtigt erwerbstätig ist, laufende Geldleistungen nach dem SGB III bezieht oder Elterngeld in Anspruch nimmt (§ 62 Abs. 2 Nr. 2 Buchst. c, Nr. 3 EStG n.F.). Diese Voraussetzungen erfüllte der Kläger, der im November 2004 Arbeitslosenhilfe bezog, nicht.

4. Auch nach dem Abkommen zwischen der Bundesrepublik und der Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien über Soziale Sicherheit vom (BGBl II 1969, 1438) i.d.F. des Änderungsabkommens vom (BGBl II 1975, 390) hat der Kläger keinen Anspruch auf Kindergeld. Nach Art. 28 Abs. 1 dieses Abkommens können Personen Kindergeld beanspruchen, die in der Bundesrepublik beschäftigt sind und den in der Bundesrepublik geltenden Rechtsvorschriften unterliegen oder nach Beendigung ihres Beschäftigungsverhältnisses Geldleistungen der Krankenversicherung wegen vorübergehender Arbeitsunfähigkeit oder Leistungen der Arbeitslosenversicherung beziehen. Diese Voraussetzungen sind im Streitfall nicht gegeben. Beschäftigte Personen im Sinne dieses Abkommens sind nur Arbeitnehmer (Senatsurteile in BFHE 217, 443, BFH/NV 2007, 1234, sowie vom III R 54/05, BFH/NV 2007, 1298). Der Kläger war im November 2004 nicht beschäftigt, auch bezog er keine Leistungen aus der Kranken- oder Arbeitslosenversicherung, sondern Arbeitslosenhilfe.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:


Fundstelle(n):
SAAAD-31268