BVerwG Urteil v. - 2 C 63.08

Leitsatz

Bei der Berechnung des Ruhegehaltssatzes nach § 85 Abs. 1 BeamtVG ist über die Berücksichtigung von Vordienstzeiten aufgrund der Ermessenspraxis zu entscheiden, die am bestanden hat.

Eine Ermessenspraxis, die die Berücksichtigung von Vordienstzeiten wegen einer Versorgungsleistung aus einer ausländischen Rentenkasse ohne Rücksicht auf deren Höhe vollständig ausschließt, verstößt gegen § 12 Abs. 1, § 67 Abs. 2 BeamtVG (wie BVerwG 2 C 43.08 - zu § 11 BeamtVG).

Die Berücksichtigung von Vordienstzeiten als ruhegehaltfähig darf nicht deshalb abgelehnt werden, weil der Ruhestandsbeamte eine Versorgungsleistung erhält, die er aus eigenen Mitteln finanziert hat.

Gesetze: BeamtVG § 4 Abs. 3; BeamtVG § 12 Abs. 1; BeamtVG § 55; BeamtVG § 67 Abs. 1; BeamtVG § 67 Abs. 2; BeamtVG § 67 Abs. 3; BeamtVG § 85 Abs. 1; BeamtVG § 85 Abs. 4

Instanzenzug: VG Berlin, 28 A 291/05 vom Fachpresse: ja BVerwGE: ja

Gründe

I

Der 1940 in Belgien geborene Kläger ist Staatsbürger der Schweiz. Nach Abschluss des in Belgien absolvierten Studiums war er von 1968 bis 1980 am Zahnärztlichen Institut der Universität Zürich tätig. Er promovierte dort von April 1972 bis März 1974 und habilitierte sich von September 1976 bis August 1979. In der übrigen Zeit arbeitete er als Wissenschaftlicher Assistent und Oberassistent. Mit Wirkung vom ernannte ihn der Beklagte unter Berufung in das Beamtenverhältnis auf Lebenszeit zum Universitätsprofessor (Besoldungsgruppe C 4) im Fach Zahnmedizin. Durch Bescheid vom erkannte der Beklagte die Studienzeiten und die Beschäftigungszeiten des Klägers in der Schweiz unter der Bedingung, dass der Kläger keine andere Versorgungsleistung erhält, als ruhegehaltfähig an.

Der Kläger ist seit im Ruhestand. Aufgrund seiner Tätigkeiten an der Universität Zürich bezieht er eine Altersrente der Schweizerischen Ausgleichskasse von 615 Franken im Monat. Zudem erhält er 6 175 Franken im Jahr aus einer Lebensversicherung, die er zum größten Teil selbst finanziert hat. Wegen dieser Leistungen betrachtete der Beklagte den Bescheid aus dem Jahr 1988 als gegenstandslos, lehnte die Ruhegehaltfähigkeit der Vordienstzeiten ab und setzte den Ruhegehaltssatz auf 48,25% fest. Auf den Widerspruch des Klägers erkannte der Beklagte die Ruhegehaltfähigkeit der Studienzeiten und der zweijährigen Promotionszeit an, woraus sich ein neuer Ruhegehaltssatz von 60,25% ergab.

Das Verwaltungsgericht hat den Beklagten verpflichtet, über die Ruhegehaltfähigkeit der Beschäftigungszeiten des Klägers in der Schweiz erneut zu entscheiden. In den Urteilsgründen heißt es:

Die gesetzlichen Tatbestandsvoraussetzungen für die Berücksichtigung der dreijährigen Habilitationszeit und der Assistentenzeiten des Klägers lägen vor. Der Beklagte habe das ihm eröffnete Ermessen rechtsfehlerhaft ausgeübt. Die Ermessenspraxis, die Ruhegehaltfähigkeit von Vordienstzeiten generell abzulehnen, wenn der Ruhestandsbeamte hierfür eine weitere Versorgungsleistung erhalte, widerspreche dem Zweck der gesetzlichen Anrechnungsvorschriften. Ruhestandsbeamte mit berücksichtigungsfähigen Vordienstzeiten sollten versorgungsrechtlich so gestellt werden, als hätten sie diese Zeiten im Beamtenverhältnis verbracht. Daher dürfe deren Ruhegehaltfähigkeit nur abgelehnt werden, wenn und soweit die damit verbundene Einbuße durch eine Versorgungsleistung ausgeglichen werde, die der Beamte durch die vordienstliche Tätigkeit erworben habe. Dagegen führe die Ermessenspraxis des Beklagten zu einer versorgungsrechtlichen Schlechterstellung der Ruhestandsbeamten mit Vordienstzeiten gegenüber "Nur-Beamten", weil sie die Berücksichtigung dieser Zeiten wegen einer anderen Versorgungsleistung ohne Rücksicht auf deren Höhe und die Umstände des Einzelfalles schematisch ausschließe.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Sprungrevision des Beklagten. Er beantragt,

das Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

II

Er verteidigt das angefochtene Urteil.

Die zulässige Sprungrevision des Beklagten ist nicht begründet. Das Verwaltungsgericht hat den Beklagten zu Recht verpflichtet, erneut zu entscheiden, ob die dreijährige Habilitationszeit des Klägers und die Zeiten seiner Tätigkeit als Wissenschaftlicher Assistent und Oberassistent an der Universität Zürich bei der Berechnung des Ruhegehalts als ruhegehaltfähige Dienstzeiten zu berücksichtigen sind. Bei seiner erneuten Entscheidung muss der Beklagte die Rechtsauffassung des Senats beachten, die mit der Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichts nicht vollständig übereinstimmt.

1.

Nach Auffassung des Verwaltungsgerichts ist der im Jahr 1988 ergangene Bescheid wegen des Bezugs der Altersrente unwirksam geworden, weil sich der Beklagte für diesen Fall eine erneute Entscheidung über die Ruhegehaltfähigkeit der Vordienstzeiten vorbehalten habe. An die Auslegung dieses Vorbehalts als auflösende, die Wirksamkeit der Anerkennungsentscheidung beendende Bedingung ist der Senat gemäß § 137 Abs. 2 VwGO gebunden, weil sie nicht gegen allgemeine Erfahrungssätze, Denkgesetze oder Auslegungsregeln verstößt ( BVerwG 8 C 6.81 - Buchholz 406.11 § 135 BBauG Nr. 17 S. 6 und vom - BVerwG 8 C 17.87 - BVerwGE 84, 157 <162> = Buchholz 316 § 55 VwVfG Nr. 2; stRspr).

2.

Nach § 4 Abs. 3 BeamtVG wird das Ruhegehalt auf der Grundlage der ruhegehaltfähigen Dienstbezüge und der ruhegehaltfähigen Dienstzeit berechnet. Ruhegehaltfähig sind die im Beamtenverhältnis zurückgelegten Zeiten und die zu berücksichtigenden Vordienstzeiten (§ 4 Abs. 1 Satz 2 und 3 BeamtVG). Nach der Gesamtdauer der ruhegehaltfähigen Dienstzeit bestimmt sich der prozentuale Anteil der Dienstbezüge, den der Beamte als Ruhegehalt erhält (Ruhegehaltssatz). Somit wirken sich Entscheidungen über die Berücksichtigung von Vordienstzeiten als ruhegehaltfähig unmittelbar auf den Ruhegehaltssatz und damit auf die Höhe des Ruhegehalts aus.

Da das Beamtenverhältnis, aus dem der Kläger in den Ruhestand getreten ist, bereits am bestanden hat, ist das Ruhegehalt nach § 85 BeamtVG in der bei Eintritt in den Ruhestand geltenden Fassung des Versorgungsänderungsgesetzes vom (BGBl. I S. 3926) zu bestimmen. Nach § 85 Abs. 4 Satz 1 BeamtVG wird der sich nach Absatz 1, 2 oder 3 ergebende Ruhegehaltssatz der Berechnung des Ruhegehalts zugrunde gelegt, wenn er höher ist als der Ruhegehaltssatz, der sich nach diesem Gesetz für die gesamte ruhegehaltfähige Dienstzeit ergibt. Kommt es auf den Vergleich von Ruhegehaltssätzen an, die nach den verschiedenen Vorgaben der Absätze 1 bis 4 zu berechnen sind, so bemisst sich das Ruhegehalt nach dem höchsten Satz. Im vorliegenden Fall sind die Ruhegehaltssätze nach § 85 Abs. 1 und Abs. 4 Satz 1 BeamtVG zu vergleichen.

Bei jeder Berechnung des Ruhegehaltssatzes nach § 85 Abs. 1 bis 4 BeamtVG ist auf der Grundlage des jeweils maßgebenden Rechts gesondert über die Ruhegehaltfähigkeit von Vordienstzeiten zu entscheiden.

3.

Nach § 85 Abs. 1 Satz 1 und 2 BeamtVG bleibt der bis zum erreichte Ruhegehaltssatz gewahrt, wobei die ruhegehaltfähige Dienstzeit und der Ruhegehaltssatz nach dem bis zum geltenden Recht zu berechnen sind. Die Steigerung dieses Ruhegehaltssatzes für die ruhegehaltfähigen Dienstzeiten ab richtet sich nach Satz 3 bis 5. § 85 Abs. 1 BeamtVG schließt die Anwendung des neuen, am in Kraft getretenen Versorgungsrechts für die bis dahin geleisteten ruhegehaltfähigen Dienstzeiten aus. Die Vorschrift gewährleistet den Versorgungsstand, den die Beamten unter Geltung des alten Rechts erreicht haben. Insbesondere gilt für diese Zeiten noch die günstigere degressive Ruhegehaltsskala des § 14 BeamtVG a.F., die am durch die lineare Skala abgelöst worden ist.

Daraus folgt, dass bei der Berechnung des Ruhegehaltssatzes nach § 85 Abs. 1 BeamtVG auch die Ruhegehaltfähigkeit von Vordienstzeiten nach der Rechtslage am zu beurteilen ist. Maßgebend sind daher die Anrechnungsvorschriften des Beamtenversorgungsgesetzes in der Fassung vom - BeamtVG a.F. - < BGBl. I S. 570 > ( BVerwG 2 C 38.03 - Buchholz 239.1 § 11 BeamtVG Nr. 9 S. 2 und vom - BVerwG 2 C 18.06 - Buchholz 239.1 § 12 BeamtVG Nr. 16 Rn. 22).

a.

Danach handelt es sich bei den Habilitations- und Assistentenzeiten des Klägers um Vordienstzeiten, deren Berücksichtigung als ruhegehaltfähig im Rahmen des § 85 Abs. 1 BeamtVG im behördlichen Ermessen steht:

Nach § 67 Abs. 1 BeamtVG a.F. richtet sich die Ruhegehaltfähigkeit von Vordienstzeiten der zu Beamten ernannten Professoren an Hochschulen vorrangig nach Absatz 2 Satz 1 bis 4 dieser Vorschrift. Nach Satz 3 soll die nach erfolgreichem Abschluss eines Hochschulstudiums vor der Ernennung unter anderem zum Professor liegende Zeit einer hauptberuflichen Tätigkeit, in der besondere Fachkenntnisse erworben wurden, die für die Wahrnehmung des Amtes förderlich sind, im Falle des § 44 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. b des Hochschulrahmengesetzes - HRG - als ruhegehaltfähig berücksichtigt werden; im übrigen kann sie als ruhegehaltfähig berücksichtigt werden. Damit werden Tätigkeiten erfasst, die in dem Zeitraum zwischen Studienabschluss und Ernennung zum Professor oder Verleihung eines der anderen aufgeführten statusrechtlichen Ämter ausgeübt werden. Eine derartige Tätigkeit ist förderlich, wenn sie dem späteren Beamten bei der Ausübung des ersten übertragenen Amtes von Nutzen sein kann ( BVerwG 2 C 4.01 - Buchholz 239.1 § 10 BeamtVG Nr. 14 S. 5 und vom a.a.O.).

Die Zeiten zwischen 1968 und 1980, in denen der Kläger als Wissenschaftlicher Assistent und Oberassistent an der Universität Zürich gearbeitet hat, werden von der "Kann-Regelung" des § 67 Abs. 2 Satz 3 BeamtVG a.F. erfasst, weil kein Fall des § 44 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. b HRG vorliegt. Der Kläger wurde erst nach Abschluss der Zeit an der Universität, nämlich im Jahr 1983, in ein Beamtenverhältnis als Professor berufen. Er erwarb durch die vordienstlichen Tätigkeiten besondere Fachkenntnisse, die für die Wahrnehmung des Amtes als Professor förderlich waren.

Über die Ruhegehaltfähigkeit von Zeiten der Habilitation, die in § 67 Abs. 2 BeamtVG a.F. nicht aufgeführt werden, ist nach dem ergänzend anwendbaren § 12 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BeamtVG ebenfalls nach Ermessen zu entscheiden ( BVerwG 2 C 4.84 - Buchholz 232.5 § 10 BeamtVG Nr. 8 S. 14).

Die Anrechnungsregelungen des § 67 Abs. 2 BeamtVG schließen die Anwendung der §§ 10 bis 12 BeamtVG nicht aus, sondern eröffnen zusätzliche Anrechnungsmöglichkeiten. Dies folgt aus dem Wortlaut der Sätze 1 und 2 des § 67 Abs. 2, wonach "auch" die Zeiten der genannten Vordiensttätigkeiten ruhegehaltfähig sind. Zudem verweist § 67 Abs. 3 Satz 1 BeamtVG für Vorabentscheidungen über die Ruhegehaltfähigkeit von Vordienstzeiten der Beamten im Hochschuldienst nicht nur auf § 67 Abs. 2, sondern auch auf die allgemeinen Regelungen der §§ 10 bis 12 BeamtVG.

Nach § 12 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BeamtVG a.F. kann die vorgeschriebene Hochschulausbildung als ruhegehaltfähige Dienstzeit berücksichtigt werden. Vorgeschrieben ist eine Ausbildung, wenn sie aufgrund von Rechts- oder Verwaltungsvorschriften zur Übertragung des ersten statusrechtlichen Amtes erforderlich ist. Bei der Ausbildung muss es sich um eine normative Einstellungsvoraussetzung handeln, die der Bewerber erfüllen muss, um in das Beamtenverhältnis übernommen zu werden (Urteil vom a.a.O. Rn. 22).

Die Habilitation war für die Ernennung zum Professor notwendig. Nach § 44 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. a des Hochschulrahmengesetzes - HRG - gehörten zusätzliche wissenschaftliche Leistungen zu den Einstellungsvoraussetzungen für Professoren. Nach § 44 Abs. 2 HRG, dem § 100 Abs. 1 Nr. 4, Abs. 2 des Berliner Hochschulgesetzes vom (GVBl. S. 2165) entspricht, wurden diese Leistungen durch die Habilitation oder durch gleichwertige wissenschaftliche Leistungen nachgewiesen.

b.

Im Rahmen des § 85 Abs. 1 BeamtVG ist über die Ruhegehaltfähigkeit von berücksichtigungsfähigen Vordienstzeiten nach der Verwaltungspraxis der Ermessensausübung zu entscheiden, die am bestanden hat. Dies folgt aus dem Zweck des § 85 Abs. 1 BeamtVG, den Beamten denjenigen Versorgungsstand zu erhalten, den sie nach dem bis dahin geltenden Recht erreicht haben. Mit diesem gesetzlichen Bestandsschutz lässt sich nicht vereinbaren, Vordienstzeiten, die nach der Handhabung des Ermessens bis zum als ruhegehaltfähig anerkannt worden wären, aufgrund einer nach diesem Zeitpunkt eingeführten Ermessenspraxis nicht zu berücksichtigen. Dem entspricht, dass die Versorgungsbehörde einen rechtmäßigen Bescheid über die Berücksichtigung von Vordienstzeiten nicht aufgrund einer danach geänderten Ermessenspraxis zurücknehmen kann ( BVerwG 2 C 9.81 - Buchholz 232 § 116a BBG Nr. 8 S. 6 , vom - BVerwG 6 C 92.78 - BVerwGE 66, 65 <68> = Buchholz 232 § 116 BBG Nr. 21 und vom - BVerwG 2 C 43.08 - [...] Rn. 16 <zur Veröffentlichung in der Entscheidungssammlung Buchholz vorgesehen>).

Danach erweist sich die Entscheidung des Beklagten, die Ruhegehaltfähigkeit der Habilitations- und Assistentenzeiten des Klägers abzulehnen, schon deshalb als rechtswidrig, weil der Beklagte diese Entscheidung nach den gemäß § 137 Abs. 2 VwGO bindenden tatsächlichen Feststellungen des Verwaltungsgerichts auch im Rahmen des § 85 Abs. 1 BeamtVG auf eine Ermessenspraxis gestützt hat, die erst seit dem Jahr 2003 besteht. Hinweise auf die maßgebende Handhabung des Ermessens bis zum enthält der im Jahr 1988 erlassene Anerkennungsbescheid.

c.

Hiervon unabhängig ist die vom Beklagten zugrunde gelegte Ermessenspraxis rechtswidrig. Sie gibt eine Ausübung des Ermessens vor, die mit Wortlaut und Zweck der gesetzlichen Anrechnungsvorschriften nicht vereinbar ist (Urteile vom a.a.O. und vom a.a.O. Rn. 19).

Der Zweck der Anrechnungsvorschriften nach §§ 10 bis 12 BeamtVG besteht darin, den Beamten mit berücksichtigungsfähigen Vordienstzeiten diejenige Altersversorgung zu ermöglichen, die sie erhalten hätten, wenn sie die vordienstlichen Tätigkeiten im Beamtenverhältnis erbracht hätten ( BVerwG 2 C 38.03 - Buchholz 239.1 § 11 BeamtVG Nr. 9; vom - BVerwG 2 C 5.07 - Buchholz 239.1 § 11 BeamtVG Nr. 12 Rn. 12 und vom a.a.O. Rn. 20). Für § 67 Abs. 2 BeamtVG gilt nichts anderes. Diese zusätzliche Anrechnungsvorschrift trägt den Besonderheiten des Hochschuldienstes Rechnung, indem sie darauf zugeschnittene Vordienstzeiten für ruhegehaltfähig erklärt.

Dem Zweck der gesetzlichen Anrechnungsvorschriften entspricht eine Ausübung des Ermessens, die darauf angelegt ist, die gesetzlich vorgegebene versorgungsrechtliche Gleichstellung mit "Nur-Beamten" zu erreichen. Folgerichtig bietet die Ermessensausübung eine Handhabe zu verhindern, dass Beamte aufgrund der Berücksichtigung von Vordienstzeiten als ruhegehaltfähig und deren zusätzlicher Anrechnung in einem anderen System der Alterssicherung eine höhere Gesamtversorgung aus öffentlichen Mitteln erhalten, als wenn sie diese Zeiten im Beamtenverhältnis abgeleistet hätten. Umgekehrt überschreitet der Dienstherr den gesetzlich eröffneten Ermessensspielraum durch eine Ermessenspraxis, die eine Schlechterstellung der Beamten mit berücksichtigungsfähigen Vordienstzeiten gegenüber "Nur-Beamten" bewusst in Kauf nimmt.

Will der Dienstherr die Besserstellung eines Beamten, der durch vordienstliche Tätigkeiten einen anderen Anspruch aus Versorgung aus öffentlichen Mitteln erworben hat, gegenüber "Nur-Beamten" verhindern, so muss er eine Vergleichsberechnung anstellen: Das Ermessen wird im Regelfall rechtsfehlerfrei ausgeübt, wenn die Berücksichtigung der Vordienstzeiten abgelehnt wird, soweit die dadurch erworbene andere Versorgungsleistung die Ruhegehaltseinbuße ausgleicht. Die Gesamtversorgung aus Ruhegehalt und anderer Versorgungsleistung darf nicht niedriger ausfallen als das Ruhegehalt bei Berücksichtigung der Vordienstzeiten. Handelt es sich bei der anderen Versorgung um eine Rente im Sinne von § 55 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 3 BeamtVG, so muss die Behörde das Ermessen so ausüben, dass die Summe aus auszuzahlendem Ruhegehalt und Rente die Höchstgrenze gemäß § 55 Abs. 2 BeamtVG nicht unterschreitet. Die Nichtberücksichtigung von Vordienstzeiten wird ermessensfehlerhaft, wenn sie dazu führt, dass dem Beamten ein Ruhegehalt unterhalb der gesetzlichen Höchstgrenze ausgezahlt und die Differenz nicht durch eine andere Versorgung ausgeglichen wird (Urteil vom a.a.O. Rn. 21 f.).

Allerdings darf die Ruhegehaltfähigkeit von Vordienstzeiten nicht deshalb ganz oder teilweise abgelehnt werden, weil der Beamte neben dem Ruhegehalt eine Versorgungsleistung erhält, die er ausschließlich oder weit überwiegend aus eigenen Mitteln finanziert hat. Das Ruhegehalt ist grundsätzlich ohne Rücksicht darauf zu gewähren, ob und inwieweit ein Beamter den amtsangemessenen Lebensunterhalt aus seinem Vermögen oder aus Einkünften bestreiten kann, die nicht aus öffentlichen Kassen stammen ( BVerwG 2 C 26.07 - Buchholz 239.1 § 53 BeamtVG Nr. 17 - zur Veröffentlichung in der Entscheidungssammlung vorgesehen; stRspr). Daraus folgt auch, dass der Dienstherr gehindert ist, den Beamten durch die Nichtberücksichtigung anrechenbarer Vordienstzeiten schlechter zu stellen, weil er mit eigenen Mitteln Altersvorsorge betrieben hat.

Darüber hinaus widerspricht dem Zweck der Anrechnungsvorschriften eine Ermessenspraxis, nach der die besonderen Umstände des jeweiligen Einzelfalles ausnahmslos außer Acht gelassen werden. Derartige Umstände können sich aus der Dauer der vordienstlichen Tätigkeit oder der dadurch gewonnenen Qualifikation ergeben. Die Anrechnungsvorschriften erfassen von vornherein nur vordienstliche Tätigkeiten, die zumindest einen engen inhaltlichen Bezug zu der späteren Beamtentätigkeit aufweisen oder auf eine besondere Eignung für die Wahrnehmung des späteren Amtes schließen lassen (Urteile vom a.a.O. S. 5 und vom a.a.O. Rn. 26).

Danach verfehlt die vom Verwaltungsgericht festgestellte Ermessenspraxis des Beklagten den Gesetzeszweck der versorgungsrechtlichen Gleichstellung, weil sie eine andere Versorgungsleistung ohne Rücksicht auf deren Grund und Höhe zum Anlass nimmt, die Ruhegehaltfähigkeit der Zeiten ohne Berücksichtigung des Einzelfalls abzulehnen. Die Handhabung des Ermessens ist nicht darauf angelegt, Beamte mit berücksichtigungsfähigen Vordienstzeiten "Nur-Beamten" versorgungsrechtlich gleichzustellen. Vielmehr nimmt sie die Benachteiligung jener Beamten bewusst in Kauf (Urteil vom a.a.O. Rn. 27).

Im vorliegenden Fall darf der Beklagte bei der erneuten Ausübung des Ermessens im Rahmen des § 85 Abs. 1 BeamtVG nicht zu Lasten des Klägers einbeziehen, dass dieser Leistungen aus einer Lebensversicherung erhält. Denn diese Versicherung hat er zu über 90% aus eigenen Mitteln finanziert.

Hinsichtlich der Altersrente, die der Kläger von der Schweizerischen Ausgleichskasse erhält, muss sich der Beklagte im Rahmen des § 85 Abs. 1 bei der Ermessensausübung nicht an der Höchstgrenze des § 55 Abs. 2 BeamtVG orientieren. Denn diese Versorgungsleistung wird von der bereits am geltenden Ruhensvorschrift des § 55 BeamtVG nicht erfasst. Nach § 55 Absatz 8 stehen den in Absatz 1 bezeichneten Renten entsprechende wiederkehrende Geldleistungen gleich, die von einem ausländischen Versicherungsträger nach einem für die Bundesrepublik wirksamen zwischen- oder überstaatlichen Abkommen gewährt werden. Nach dem Zweck dieser Regelung ist es erforderlich, aber nicht ausreichend, dass die Leistungen auf der Rechtsgrundlage eines zwischen- oder überstaatlichen Abkommens gewährt werden. Hinzukommen muss, dass die Leistungen zumindest anteilig oder mittelbar aus deutschen öffentlichen Kassen stammen. Danach können Leistungen, die von einem ausländischen Versicherungsträger allein auf der Grundlage ausländischen Rechts gewährt werden, nicht zum Ruhen des Ruhegehalts führen (Bayer, in: Plog/Wiedow, § 55, Rn. 65a; Stadler, GKÖD, O § 55, Rn. 30).

4.

Im Rahmen der Berechnung nach § 85 Abs. 4 Satz 1 BeamtVG richtet sich die Berücksichtigung der Vordienstzeiten nach den Anrechnungsvorschriften des Beamtenversorgungsgesetzes, die bei Eintritt des Klägers in den Ruhestand in Kraft gewesen sind. Danach steht die Berücksichtigung der vom Beklagten abgelehnten Vordienstzeiten auch nach neuem Recht im Ermessen:

Für die Zeiten der Tätigkeit als wissenschaftlicher Assistent und Oberassistent gilt die "Kann-Regelung" des § 67 Abs. 2 Satz 4 BeamtVG, die hinsichtlich der Tatbestandsvoraussetzungen mit § 67 Abs. 2 Satz 3 BeamtVG a.F. übereinstimmt. Allerdings können die Zeiten nur noch bis zu fünf Jahren in vollem Umfang, darüber hinaus bis zur Hälfte berücksichtigt werden. Die dreijährige Habilitationszeit ist nunmehr nach § 67 Abs. 2 Satz 3 BeamtVG berücksichtigungsfähig. Danach können Zeiten für die Erbringung von Habilitationsleistungen bis zu drei Jahren berücksichtigt werden, wenn in der Habilitationsordnung keine Mindestdauer festgelegt ist.

Wie dargelegt verstößt die vom Verwaltungsgericht bindend festgestellte Ermessenspraxis des Beklagten gegen die gesetzlichen Anrechnungsvorschriften, hier gegen § 67 Abs. 2 Satz 3 und 4 BeamtVG. Dies führt zur Rechtswidrigkeit jeder darauf beruhenden Ermessensentscheidung (Urteil vom a.a.O. Rn. 29).

Für die nochmalige Ermessensentscheidung des Beklagten im Rahmen des § 85 Abs. 4 Satz 1 BeamtVG gelten die oben unter 3. aufgeführten Vorgaben gleichermaßen. Zudem hat der Beklagte hier zusätzlich gemeinschaftsrechtliche Regelungen zu beachten:

Die Unanwendbarkeit der Ruhensvorschrift des § 55 BeamtVG, die sich auf die Ermessensausübung auswirkt, ergibt sich auch aus Art. 46b Abs. 2 der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates vom in ihrer konsolidierten Fassung (ABl. EG Nr. L 28 vom , S. 1). Diese Regelung ist durch die Verordnung (EG) Nr. 1606/98 des Rates vom (ABl. EG Nr. L 209 vom S. 1) eingeführt worden, die den Anwendungsbereich der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 auf die Alterssicherungssysteme für Beamte erstreckt hat. Sie gilt auch für Staatsangehörige der Schweiz (Art. 8, Anhang II, Abschnitt A Nr. 1 des Abkommens zwischen der EG und ihren Mitgliedstaaten einerseits und der schweizerischen Eidgenossenschaft andererseits über die Freizügigkeit vom , in Bundesrecht überführt durch Gesetz vom , BGBl. II S. 810).

Auch darf bei der Berücksichtigung von Vordienstzeiten als ruhegehaltfähig nicht unterschieden werden, ob die vordienstlichen Tätigkeiten im Inland, in einem Mitgliedstaat der EU oder in der Schweiz ausgeübt werden. Die Verwaltungspraxis der Ermessensausübung muss in- und ausländische Vordienstzeiten gleich behandeln. Die Notwendigkeit der versorgungsrechtlichen Gleichstellung folgt aus Art. 39 Abs. 1 und 2 EG, der die Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Gemeinschaft gewährleistet. Danach ist jede auf der Staatsangehörigkeit beruhende unterschiedliche Behandlung in Bezug auf Beschäftigung, Entlohnung und sonstige Arbeitsbedingungen untersagt. Dies gilt nach Art. 9 Abs. 1 des Anhangs I des Abkommens vom (a.a.O.) auch für Staatsangehörige der Schweiz.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.

Fundstelle(n):
JAAAD-31190