Leitsatz
[1] Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Instanzenzug: LG Chemnitz, vom
Gründe
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten verurteilt. Die hiergegen gerichtete Revision des Angeklagten dringt mit der Sachrüge durch. Die Beweiswürdigung der Strafkammer leidet an Mängeln, die zur Aufhebung des Urteils führen.
1.
Das Landgericht hat im Wesentlichen Folgendes festgestellt:
Aus von der Strafkammer nicht geklärten Gründen stieg der Angeklagte am in den von dem später geschädigten Zeugen Z. gesteuerten Pkw Opel Astra ein. Im Fahrzeug befanden sich ferner auf dem Beifahrersitz der Zeuge R. und auf der Rückbank hinter dem Fahrersitz der Zeuge P. . Der Angeklagte setzte sich auf die Rückbank hinter dem Beifahrersitz.
Während der Fahrt kam es zwischen dem Angeklagten und R. zu einem Streit, in dessen Verlauf R. dem Angeklagten vom Beifahrersitz aus mit der Faust mindestens zehnmal wuchtig ins Gesicht schlug und ihn hierdurch erheblich verletzte. Als der Angeklagte an einer Ampelkreuzung auszusteigen versuchte, hielt ihn P. im Auto fest. R. schlug weiter gegen die linke Gesichtshälfte des Angeklagten, P. versetzte ihm einige Schläge von links gegen den Körper. Z. steuerte das Fahrzeug währenddessen in eine abgelegene Straße und hielt es dann an. Während R. ausstieg und die rechte hintere Tür öffnete, hielt P. den Angeklagten weiter fest. Z. wusste, dass der Angeklagte regelmäßig ein Messer bei sich hatte. Er forderte ihn auf, sein Messer herauszugeben. Dann dürfe er aussteigen. Dem kam der Angeklagte nach und stieg aus. Er wusch sich mit Bier das blutverschmierte Gesicht ab, setzte sich ein wenig abseits vom Fahrzeug hin und rauchte eine Zigarette, wobei er sich "mit Z. unterhielt, während R. und P. abseits standen" (UA S. 15, 16).
Nunmehr stand der Angeklagte auf, zog seine von ihm mitgeführte Pistole, lud sie durch und schoss in Richtung von Z. , R. und P. , die um das Auto herumstanden. Während P. hinter einem anderen Fahrzeug Schutz suchte, gingen Z. und R. hinter dem Fahrzeug des Z. in Deckung und - weil der Angeklagte ihnen folgte - um das Fahrzeug herum, um den Wagen als Deckung zwischen sich und ihm zu behalten.
Der Angeklagte gab insgesamt mindestens drei Schüsse ab, wovon einer knapp unterhalb der linken hinteren Dreiecksscheibe in den linken hinteren Kotflügel des Fahrzeugs eindrang und durch diesen, den Türdichtgummi und die zu seiner Befestigung aufgesteckte Kunststoffkappe im Bereich der hinteren linken Türöffnung wieder austrat. Ein weiteres Geschoss drang durch die offenstehende rechte hintere Fahrzeugtür in die Kopfstütze des Fahrersitzes und anschließend in den B-Holm der linken Fahrzeugseite ein. Ein drittes Projektil traf Z. links neben dem Nabel und verursachte lebensgefährliche Verletzungen.
Nach Abgabe der Schüsse floh der Angeklagte, wobei ihm P. zunächst ca. 100 bis 150 m folgte und mit Steinen nach ihm warf. Dann kehrte P. zu seinen Kumpanen zurück.
2.
Das Landgericht lehnt eine Rechtfertigung durch Notwehr (§ 32 StGB) ab. Im Tatzeitpunkt habe auch für den Angeklagten erkennbar keine Gefahr eines weiteren Angriffs mehr bestanden. Das gelte vor allem hinsichtlich des Zeugen Z. , der weder vorher gegen den Angeklagten vorgegangen sei noch in irgendeiner Weise habe erkennen lassen, überhaupt gegen den Angeklagten vorgehen zu wollen.
3.
Die hierfür mitgeteilte Beweiswürdigung ist unklar und lückenhaft (vgl. BGH NJW 2007, 384, 387, insoweit in BGHSt 51, 144 nicht abgedruckt). Sie unterlässt es, prägende Umstände der Tat näher zu würdigen (vgl. Rdn. 4 m.w.N.).
a)
Das "unvermittelte Ziehen der Waffe" durch den Angeklagten erfolgte nach den Urteilsgründen in einer "scheinbaren Deeskalation der Situation" (UA S. 21). Indessen ist die Bewertung der Lage als (nur) "scheinbare" Deeskalation zunächst nicht ohne Weiteres mit der Auffassung des Landgerichts zu vereinbaren, es habe bei Abgabe der Schüsse keine Notwehrlage mehr bestanden, weil die Angriffe endgültig beendet gewesen seien (UA S. 26). Sie lässt ferner außer Acht, dass zumindest die Freiheitsberaubung noch andauerte, wobei der Angeklagte durch den Zeugen Z. und seine Mittäter bewusst an einen abgelegenen Ort verbracht worden war, an dem er - zudem vermeintlich entwaffnet - ihrem Zugriff preisgegeben war. Eine nachvollziehbare Würdigung dieser Umstände erfolgt nicht.
Der Senat kann eine den Erfordernissen genügende Würdigung auch nicht dem Zusammenhang der Urteilsgründe entnehmen. Die Strafkammer hat keine Motive und Ziele festgestellt, die auch für den Angeklagten eine Beendigung der Angriffe und somit eine die Notwehrlage beseitigende wirkliche Deeskalation hätten begründen können.
b)
Das Landgericht unterlässt es ferner, die objektiv gegebene Situation mit der Einlassung des Angeklagten und den Aussagen der Zeugen hinreichend in Beziehung zu setzen. Zur Einlassung des Angeklagten wird letztlich nur mitgeteilt, dass der Angeklagte teilgeständig gewesen sei. Inwieweit der nicht als Geständnis gewertete Teil der Einlassung durch welche beweiswürdigenden Erwägungen überwunden worden ist, wird nicht im Einzelnen dargelegt.
c)
Die Glaubhaftigkeit der Aussagen der Zeugen wäre einer kritischen Prüfung zu unterziehen gewesen. Dazu hätte schon deswegen besonderer Anlass bestanden, weil die Strafkammer die von ihnen bekundete Ursache des Streits im Fahrzeug, der Angeklagte habe sich geweigert, den von ihm mitgeführten Hund von der Rückbank in den Fußraum des Fahrzeugs zu verlagern, den Zeugen nicht geglaubt hat (UA S. 22). Überdies hatten die Zeugen allen Grund, ihr eigenes Verhalten in einem besseren Licht erscheinen zu lassen.
4.
Die Sache muss demnach neu verhandelt und entschieden werden. Der Senat verkennt nicht, dass eine Rechtfertigung oder Entschuldigung des Angeklagten selbst bei Bestehen einer Notwehr- oder Putativnotwehrlage eher fern liegt. Namentlich bedarf der Einsatz einer lebensbedrohenden Waffe grundsätzlich vorheriger Androhung (BGHSt 26, 256, 258 ; Fischer, StGB 56. Aufl. § 32 Rdn. 33). Auch die Voraussetzungen des § 33 StGB liegen nicht eben nahe. Eine abschließende Beurteilung ist freilich wegen der lückenhaften Feststellungen nicht möglich.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
OAAAD-31184
1Nachschlagewerk: nein