Private Nutzung eines Dienstfahrzeugs; Erschütterung des Anscheinsbeweis, wenn ein vergleichbares Privatfahrzeug zur Verfügung steht
Leitsatz
Nach der allgemeinen Lebenserfahrung werden dienstliche Fahrzeuge, die zu privaten Zwecken zur Verfügung stehen, auch tatsächlich privat genutzt. Dafür spricht der Beweis des ersten Anscheins.
Soweit keine besonderen Umstände hinzutreten, kann das Finanzgericht aufgrund der Anscheinsbeweisregel regelmäßig davon ausgehen, dass eine private Nutzung stattgefunden hat.
Ein Dienstfahrzeug wird erfahrungsgemäß auch dann privat genutzt, wenn ein Privatfahrzeug zwar zur Verfügung steht, dem Dienstfahrzeug aber weder in Status noch Gebrauchswert vergleichbar ist. Allerdings ist unter diesen Umständen der für die Privatnutzung sprechende Anscheinsbeweis umso leichter zu erschüttern, je geringer die Unterschiede zwischen den Fahrzeugen ausfallen. Denn bei Gleichwertigkeit der Fahrzeuge ist keine nachvollziehbare Veranlassung ersichtlich, für Privatfahrten das Dienstfahrzeug zu nutzen.
Gesetze: FGO § 48 Abs. 1 Nr. 1, FGO § 126 Abs. 3 Nr. 2, EStG § 6 Abs. 1 Nr. 4
Instanzenzug: (Verfahrensverlauf),
Gründe
I. Streitig ist, ob betriebliche Kraftfahrzeuge auch privat genutzt worden sind.
Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin), eine GbR von zwei Rechtsanwälten und Notaren, stellte ihren Gesellschaftern aufgrund einer entsprechenden Vereinbarung im Gesellschaftsvertrag jeweils ein Kraftfahrzeug „für den dienstlichen Gebrauch” zur Verfügung. Die Auswahl der Fahrzeuge war den Gesellschaftern überlassen; unterschiedlich hoher Aufwand sollte bei der Ergebnisverteilung berücksichtigt werden. In den Streitjahren (1996 bis 1999) standen dem Gesellschafter A bis Ende 1998 ein Mercedes Benz 300 SD und danach ein Mercedes-Benz S 320 und dem Gesellschafter B bis Juli 1996 ein BMW 525 TDS Automatik und seit August 1996 ein Mercedes-Benz 230 T zur Verfügung. Der Gesellschafter A führte für die Monate Januar bis März 1996 ein Fahrtenbuch.
Für private Zwecke erwarb der Gesellschafter A im März 1996 einen etwa drei Jahre alten Opel Omega (110 kw) von der X-Bank. Seine Ehefrau nutzte in den Streitjahren einen Opel Corsa.
Der Gesellschafter B verfügte bis 1997 privat über einen VW Golf und danach über einen BMW Z3. Nach den Feststellungen des Finanzgerichts (FG) nutzte die Ehefrau des Gesellschafters B (eigenen Angaben in der Einkommensteuererklärung zufolge) diese Fahrzeuge für ihre Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte.
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt —FA—) erhöhte den Gewinn der Gesellschaft um einen privaten Nutzungsanteil für die zum Betriebsvermögen gehörenden Kraftfahrzeuge, den es gemäß § 6 Abs. 1 Nr. 4 Satz 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) bewertete. Der Einspruch war erfolglos.
Das FG hat die Klage als unbegründet abgewiesen. Dagegen wendet sich die Klägerin mit der Revision.
Die Klägerin beantragt,
unter Aufhebung des Urteils des Niedersächsischen FG die Einkünfte aus selbständiger Arbeit für das Jahr 1996 um 21 624 DM, für 1997 um 22 634 DM, für 1998 um 22 864 DM und für 1999 um 25 748 DM zu kürzen.
Das FA beantragt,
die Revision der Klägerin als unbegründet abzuweisen.
II. Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung und Zurückverweisung der Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung —FGO—).
1. Die Klage ist nicht von den Gesellschaftern, sondern nur von der GbR erhoben worden. Nur die GbR war zur Klage befugt (§ 48 Abs. 1 Nr. 1 FGO; zur Beteiligtenfähigkeit der GbR , BFHE 206, 162, BStBl II 2004, 898). Nach dem Grundsatz der Rechtsschutz gewährenden Auslegung ist im Zweifel anzunehmen, dass das Rechtsmittel von demjenigen eingelegt werden sollte, der dazu befugt war. Das Rubrum des Rechtsstreits war deshalb von Amts wegen zu berichtigen.
2. Das FG hat zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt, die Klägerin habe den Beweis des ersten Anscheins, der für eine private Nutzung der betrieblichen Kraftfahrzeuge spreche, nicht entkräftet. Sie habe keinen Sachverhalt dargelegt, bei dem eine private Mitbenutzung so gut wie ausgeschlossen sei. Den Gesellschaftern hätten keine evident gleichwertigen Fahrzeuge zur privaten Nutzung zur Verfügung gestanden. Der Opel Omega des Gesellschafters A sei in Status und Gebrauchswert dem betrieblich genutzten Mercedes-Benz nicht gleichwertig. Auch der Gesellschafter B habe privat keinen gleichwertigen Wagen zur Verfügung gehabt, zumal dessen Ehefrau das private Fahrzeug für ihre Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte genutzt habe. Das im Gesellschaftsvertrag vereinbarte Privatnutzungsverbot lasse keinen anderen Schluss zu, da es nicht überwacht worden sei. Das FA habe die Privatnutzung auch zu Recht nach der 1 %-Regel bewertet, denn das vom Gesellschafter A geführte Fahrtenbuch entspreche nicht den formalen Anforderungen.
3. Diese Ausführungen halten revisionsrechtlicher Nachprüfung teilweise nicht stand. Das FG hat im Hinblick auf den Sachvortrag der Klägerin zu den besonderen Verhältnissen bei dem Gesellschafter A die Reichweite des Erfahrungssatzes verkannt, der für eine Privatnutzung des Dienstwagens streitet. Es hat seiner Entscheidung in diesem Zusammenhang außerdem Schlussfolgerungen zugrunde gelegt, die nicht ausreichend mit tatsächlichen Feststellungen unterlegt sind. Daran ist der BFH nicht gebunden.
a) Nach der Rechtsprechung des BFH ist die Bewertungsregel in § 6 Abs. 1 Nr. 4 Satz 2 EStG unanwendbar, wenn eine private Nutzung nicht stattgefunden hat (vgl. , BFHE 215, 256, BStBl II 2007, 116, m.w.N.; , BFH/NV 2008, 210). Das FG muss sich deshalb grundsätzlich die volle Überzeugung (§ 96 Abs. 1 Satz 1 FGO) davon bilden, dass eine private Nutzung tatsächlich stattgefunden hat, wenn es § 6 Abs. 1 Nr. 4 Satz 2 EStG anwenden will (vgl. , BFH/NV 2007, 716).
aa) Nach der allgemeinen Lebenserfahrung werden dienstliche Fahrzeuge, die zu privaten Zwecken zur Verfügung stehen, auch tatsächlich privat genutzt. Dafür spricht der Beweis des ersten Anscheins (vgl. , BFH/NV 1999, 1330). Etwas anderes gilt, wenn es sich um ein Fahrzeug handelt, das typischerweise zum privaten Gebrauch nicht geeignet ist (vgl. , BFHE 224, 108, BStBl II 2009, 381). Soweit keine besonderen Umstände hinzutreten, kann das FG aufgrund der Anscheinsbeweisregel regelmäßig davon ausgehen, dass eine private Nutzung stattgefunden hat.
bb) Der Beweis des ersten Anscheins kann vom Kläger durch den sog. Gegenbeweis entkräftet oder erschüttert werden. Hierzu ist der Vollbeweis des Gegenteils nicht erforderlich. Der Kläger muss also nicht beweisen, dass eine private Nutzung nicht stattgefunden hat. Erforderlich, aber auch ausreichend ist, dass vom Kläger ein Sachverhalt dargelegt (und im Zweifelsfall nachgewiesen) wird, der die ernsthafte Möglichkeit eines anderen als des der allgemeinen Erfahrung entsprechenden Geschehens ergibt (vgl. BFH-Urteil in BFHE 215, 256, BStBl II 2007, 116, m.w.N.). Über die vom Kläger in diesem Zusammenhang aufgestellten Tatsachenbehauptungen hat das FG, soweit erforderlich, von Amts wegen gemäß §§ 81 ff. FGO Beweis zu erheben.
Der Anscheinsbeweis wird im Regelfall noch nicht erschüttert, wenn der Kläger lediglich behauptet, für privat veranlasste Fahrten hätten private Fahrzeuge zur Verfügung gestanden (vgl. BFH-Beschluss in BFH/NV 1999, 1330). Auch ein eingeschränktes privates Nutzungsverbot vermag den Anscheinsbeweis regelmäßig nicht zu entkräften (vgl. , BFH/NV 2005, 1300).
cc) Über die Frage, ob der Kläger den für eine Privatnutzung sprechenden Beweis des ersten Anscheins erschüttert hat, entscheidet das FG unter Berücksichtigung sämtlicher Umstände des Einzelfalls nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung. Dabei hat es nicht nur den vom Kläger vorgetragenen Sachverhalt von Amts wegen aufzuklären. Unter Umständen muss das FG auch zusätzliche, für die Privatnutzung sprechende Umstände aufklären und berücksichtigen (vgl. dazu BFH-Beschluss in BFH/NV 1999, 1330). An die Würdigung des FG ist der BFH revisionsrechtlich gebunden (§ 118 Abs. 2 FGO), soweit sie verfahrensrechtlich einwandfrei zustande gekommen und nicht durch Denkfehler oder die Verletzung von Erfahrungsgrundsätzen beeinflusst ist (vgl. , BFH/NV 2005, 1801; Senatsbeschluss in BFH/NV 2008, 210).
b) Im Streitfall ist der BFH an die Würdigung des FG nicht gebunden. Das FG hat den allgemeinen Erfahrungssatz grundsätzlich zutreffend dahin präzisiert, dass ein Dienstfahrzeug erfahrungsgemäß auch dann privat genutzt wird, wenn ein Privatfahrzeug zwar zur Verfügung steht, dem Dienstfahrzeug aber weder in Status noch Gebrauchswert vergleichbar ist. Allerdings ist unter diesen Umständen der für die Privatnutzung sprechende Anscheinsbeweis umso leichter zu erschüttern, je geringer die Unterschiede zwischen den Fahrzeugen ausfallen. Denn bei Gleichwertigkeit der Fahrzeuge ist keine nachvollziehbare Veranlassung ersichtlich, für Privatfahrten das Dienstfahrzeug zu nutzen.
Im Streitfall fehlt es für die Würdigung des FG, das private Fahrzeug des Gesellschafters A sei dem betrieblichen Fahrzeug in seinem Gebrauchswert nicht evident gleichwertig, an entsprechenden tatsächlichen Feststellungen. Insbesondere hätte das FG dem Vortrag der Klägerin, der private PKW sei dem Dienstfahrzeug in Leistung und Ausstattung sogar überlegen gewesen, in tatsächlicher Hinsicht nachgehen müssen. Auf den eventuell niedrigeren Wiederbeschaffungswert des Privatfahrzeugs und dessen angeblich geringeres soziales Ansehen konnte das FG seine Entscheidung bei dieser Sachlage nicht allein stützen.
4. Da die Vorentscheidung auf unzureichende tatsächliche Feststellungen gestützt ist, beruht sie insoweit auf einem Rechtsfehler, so dass sie aufzuheben ist.
Das FG wird im zweiten Rechtszug den Sachverhalt bezüglich der angeblich fehlenden Privatnutzung des Gesellschafters A weiter aufzuklären haben. Dabei wird es auch Feststellungen dazu nachzuholen haben, ob die Behauptung der Klägerin zutrifft, dass eine Benutzung des Privatfahrzeugs durch Familienangehörige des Gesellschafters A in den Streitjahren nicht in Betracht kam (z.B. Schriftsatz vom , Bl. 87 FG-Akte). Dieser Umstand würde ebenfalls zu Gunsten der Klägerin sprechen. Bei der Gesamtabwägung kann das FG sodann —wie bisher— davon ausgehen, dass das im Gesellschaftsvertrag vereinbarte Privatnutzungsverbot (dazu von Bornhaupt, Deutsches Steuerrecht 2007, 792) unter den gegebenen Umständen für sich genommen nicht ausreicht, um den für die Privatnutzung sprechenden Anscheinsbeweis zu erschüttern.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
BFH/NV 2009 S. 1974 Nr. 12
DStRE 2009 S. 1357 Nr. 22
EStB 2009 S. 429 Nr. 12
HFR 2010 S. 62 Nr. 1
KÖSDI 2009 S. 16751 Nr. 12
StBW 2009 S. 6 Nr. 24
TAAAD-30582