Aufhebung eines Urteils aufgrund eines Klageentwurfs; Wiedereinsetzung in die Klagefrist nach Ablauf der Jahresfrist
Gesetze: FGO § 116 Abs. 6, FGO § 56, FGO § 142
Instanzenzug:
Gründe
I. Die Beklagte und Beschwerdeführerin (Familienkasse) hob mit Bescheid vom die Kindergeldfestsetzung für einen der Söhne des Klägers und Beschwerdegegners (Kläger) auf. Den Einspruch vom verwarf die Familienkasse am als unzulässig; Wiedereinsetzung gewährte sie nicht.
Der Kläger beantragte am Prozesskostenhilfe (PKH) für ein Klageverfahren. Dem Antrag war die unterzeichnete „Klage (Entwurf)” beigefügt. Auf den „beigefügten Klagentwurf” bezog sich der Kläger zur Begründung der hinreichenden Erfolgsaussichten. Seinem Antrag war nicht zu entnehmen, dass der Entwurf im Falle der PKH-Gewährung als Klageschrift behandelt werden sollte; Wiedereinsetzung in die Klagefrist wurde —soweit aus der vorgelegten Akte des Finanzgerichts (FG) ersichtlich— weder „im Vorhinein” noch nach der Gewährung der PKH durch Beschluss vom beantragt.
Das FG stellte der Familienkasse den Antrag nebst Klageentwurf zu und entschied wie vom Kläger beantragt. Es ging von einer fristgemäß erhobenen Klage aus, die —zusammen mit dem PKH-Antrag— auch zugestellt worden sei. Im Erörterungstermin hatte die Einzelrichterin erläutert, dass es sich bei der nochmaligen Zustellung der Klage nach Gewährung der PKH um eine reine Förmlichkeit handeln würde. Die Revision ließ das FG nicht zu.
II. Die Beschwerde ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG (§ 116 Abs. 6 FGO).
1. Der Kläger hat am keine Klage unter der Bedingung der Gewährung von PKH erhoben, was teilweise als unzulässig angesehen wird (BFH-Beschluss in BFH/NV 2005, 1111, m.w.N.; Gräber/von Groll, Finanzgerichtsordnung, 6. Aufl., § 40 Rz 5; vgl. auch Lange in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 120 FGO Rz 56 für die Revision; für die Zulässigkeit dagegen , nicht veröffentlicht; Tipke in Tipke/Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 65 FGO Rz 7), sondern ausdrücklich nur den Entwurf einer Klage eingereicht. Die Klage ist auch nicht zu einem späteren Zeitpunkt erhoben worden.
Das FG hat mithin über eine (noch) nicht erhobene Klage entschieden und damit gegen die Grundordnung des Verfahrens verstoßen. Sein Urteil beruht auch auf diesem Verfahrensfehler (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO).
2. Der Senat hält den Weg über § 116 Abs. 6 FGO für geeignet, den Verfahrensfehler möglichst schnell zu beheben. Er weist dazu darauf hin, dass eine Wiedereinsetzung in die Klagefrist in Betracht kommt; die Zwei-Wochen-Frist des § 56 Abs. 2 Satz 1 FGO für den Antrag und die Nachholung der versäumten Rechtshandlung (Klageerhebung) beginnt mit der Zustellung des vorliegenden Beschlusses an den Kläger. Falls der Kläger innerhalb dieser Frist dem FG erklärt, dass der eingereichte Klageentwurf nunmehr als Klage gelten soll, kann die Wiedereinsetzung auch ohne Antrag gewährt werden (§ 56 Abs. 2 Satz 3 FGO). Die Jahresfrist des § 56 Abs. 3 FGO stellt im Streitfall keinen Ausschlussgrund dar, weil der Kläger infolge des Verhaltens des FG stets davon ausgehen konnte, dass der Rechtsstreit materiell entschieden würde und es für ihn daher unzumutbar war, die erforderliche Prozesshandlung der Klageerhebung rechtzeitig vor Ablauf der Jahresfrist vorzunehmen. Insoweit ist dieser Fall als höhere Gewalt i.S. des § 56 Abs. 3 FGO zu behandeln (BFH-Beschluss in BFH/NV 2005, 1111; vgl. Beermann/Kuczynski, FGO, § 56 Rz 29).
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
BFH/NV 2009 S. 1818 Nr. 11
EAAAD-28971