Leitsatz
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gesetze: SGB V § 33 Abs. 1 Satz 1
Instanzenzug: LSG Baden-Württemberg, L 11 KR 1952/08 vom SG Karlsruhe, S 3 KR 5313/07
Gründe
I
Die im März 1969 geborene Klägerin begehrt von der beklagten Krankenkasse die Gewährung eines sog Speedy-Tandems zum Preis von insgesamt 6.188,67 Euro.
Die Klägerin ist aufgrund einer Spina bifida querschnittsgelähmt und auf den Rollstuhl angewiesen. Von der Beklagten ist sie mit einem Aktiv-Rollstuhl ausgestattet, von der Arbeitsagentur mit einem Elektrorollstuhl versorgt. Im Juli 2007 beantragte sie die Versorgung mit einem sog Speedy-Tandem; dabei handelt es sich um ein speziell ausgerüstetes Fahrrad, an welches der Rollstuhl angekoppelt werden kann. Die Beklagte lehnte diesen Antrag ab, weil die maßgeblichen Voraussetzungen des § 33 SGB V nicht erfüllt seien und das begehrte Hilfsmittel weder zur Sicherung des Ziels der Krankenbehandlung noch zum Ausgleich einer Behinderung erforderlich sei (Bescheid vom , Widerspruchsbescheid vom ). Klage und Berufung hiergegen blieben erfolglos (Gerichtsbescheid des Sozialgerichts vom , Urteil des Landessozialgerichts [LSG] vom ): Die Klägerin sei im Nahbereich mit einem Greifreifenrollstuhl und einem Elektrorollstuhl ausreichend versorgt. In der neueren Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) sei geklärt, dass im Rahmen der Hilfsmittelversorgung nach § 33 SGB V kein Anspruch auf die Versorgung mit einem Speedy- oder Therapie-Tandem bestehe. Die Ermöglichung des Fahrradfahrens und der Wahrnehmung von Geschwindigkeit und Raum gehöre nicht zu den Grundbedürfnissen des täglichen Lebens. Etwas anderes ergebe sich auch nicht unter Berücksichtigung der - älteren - Rechtsprechung des 8. Senats des BSG, weil die dort genannten Grundsätze auf den vorliegenden Fall nicht übertragbar seien. Ein Verstoß gegen § 2 Abs 2 SGB I sei darin nicht zu erblicken.
Mit ihrer Beschwerde wendet sich die Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des LSG, wobei sie sich auf die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache beruft.
II
Die Nichtzulassungsbeschwerde ist unbegründet. Die von der Klägerin aufgeworfene Rechtsfrage ist bereits durch die Rechtsprechung des BSG entschieden und deshalb nicht mehr klärungsbedürftig.
Der Klägerin geht es nach eigenen Angaben "um die Frage, inwieweit der Begriff der Integration nicht nur für Kinder und Jugendliche als Grundbedürfnisse gilt, sondern auch für erwachsene Hilfsmittelbenutzer gerade im Hinblick auf die Anwendung des SGB IX im Sinne der C-Leg-Rechtsprechung des BSG". Ihr zufolge sei der Gesichtspunkt der Integration nicht auf das Alter von bis zu 15 Jahren beschränkt. Das habe so - für einen erwachsenen Menschen - auch das LSG Rheinland-Pfalz entschieden. Schließlich stehe der Hilfsmitteleigenschaft nach der Rechtsprechung des BSG nicht entgegen, dass das Hilfsmittel nur mit Unterstützung Dritter genutzt werden könne.
Diese Fragen sind in der gefestigten Rechtsprechung des erkennenden Senats entschieden. Danach ist grundsätzlich ein Anspruch auf Versorgung mit einem Speedy-Tandem als Hilfsmittel der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) nicht gegeben. Das Speedy-Tandem dient nicht - wie eine Beinprothese mit elektronischer Steuerung (C-Leg) - dem unmittelbaren Ausgleich einer Behinderung, sondern dem mittelbaren Ausgleich von Behinderungsfolgen. Für diesen Ausgleich hat die GKV nur aufzukommen, soweit Grundbedürfnisse des täglichen Lebens betroffen sind. Das ist bei der Vergrößerung des Aktionsradius über den Nahbereich hinaus - um den es hier geht - nach der gefestigten Rechtsprechung des erkennenden Senats aber gerade kein Behinderungsausgleich, den die beklagte Krankenkasse schuldet (vgl BSG SozR 4-2500 § 33 Nr 15 RdNr 14 und Nr 11 RdNr 19 - jeweils mwN). Auch das Radfahren als spezielle Art der Fortbewegung ist vom Senat nicht als Grundbedürfnis anerkannt worden (vgl BSG SozR 4-2500 § 33 Nr 12 RdNr 16 mwN). Dem Grundbedürfnis auf Fortbewegung ist schon dann Genüge getan, wenn ein Selbstfahrerrollstuhl im Nahbereich bewegt werden kann, selbst wenn das im Straßenverkehr nur unter Aufsicht möglich ist. Von der GKV nicht geschuldet wird das Ermöglichen von Freizeitbeschäftigungen wie Wandern, Dauerlauf, Ausflüge uä, die das "Stimulieren aller Sinne", die "Erfahrung von Geschwindigkeit und Raum", das "Erleben physischen und psychischen Durchhaltens" sowie das "Gewinnen von Sicherheit und Selbstbewusstsein" mit sich bringen (so -, USK 2002-88, Juris RdNr 17 f mwN). Dies schließt aber nicht aus, dass einem Versicherten ein Hilfsmittel, das eine dem Radfahren vergleichbare Art der Mobilität ermöglicht, zu gewähren ist, wenn damit zugleich auf andere Weise ein Grundbedürfnis erfüllt wird (BSG SozR 3-2500 § 33 Nr 27 - Handbike für den Rollstuhl eines Jugendlichen zur Integration in den Kreis von Gleichaltrigen).
Das ist hier bei der begehrten Versorgung mit einem Speedy-Tandem zur Förderung von Familienaktivitäten indes nicht der Fall; die damit zusammenhängenden Fragen sind höchstrichterlich bereits geklärt: Der Senat hat entschieden, dass die zusätzliche Ausrüstung eines Rollstuhls mit einer fahrradgleichen mechanischen Zugvorrichtung (sog Rollstuhl-Bike) jedenfalls von einem erwachsenen Menschen nicht als Hilfsmittel der GKV beansprucht werden kann (BSG SozR 3-2500 § 33 Nr 31). Entsprechendes gilt für ein Therapie-Tandem, welches dem Speedy-Tandem vergleichbar ist - allerdings mit dem Unterschied, dass die Begleitperson den hinteren Sitz einnimmt und der behinderte Mensch vor ihm sitzt (BSG SozR 3-2500 § 33 Nr 32 und Urteil vom - B 3 KR 8/02 R -, USK 2002-88). Ausnahmsweise etwas anderes gilt nach der gefestigten Rechtsprechung des Senats nur bei Kindern und Jugendlichen, wenn es darum geht, die Integration eines Behinderten in seiner jugendlichen Entwicklungsphase zu fördern oder ihm dadurch erst der regelmäßige Schulbesuch ermöglicht wird (vgl BSG SozR 3-2500 § 33 Nr 46 - Dreirad und BSG SozR 2200 § 182b Nr 13 - Faltrollstuhl). Um dieses Interesse geht es hier indes nicht.
Anlass zur Überprüfung dessen besteht auch nicht im Hinblick auf die von der Klägerin zitierte C-Leg-Rechtsprechung des erkennenden Senats zur Versorgung mit elektronisch gesteuerten Beinprothesen (SozR 3-2500 § 33 Nr 44 und BSGE 93, 183 = SozR 4-2500 § 33 Nr 8). Danach gilt zwar, dass der Versicherte zum Ausgleich einer Behinderung eine Versorgung mit fortschrittlichen Hilfsmitteln grundsätzlich solange beanspruchen kann, bis der Ausgleich das Gleichziehen mit einem gesunden Menschen ermöglicht. Diese Rechtsprechung betrifft indes nur den unmittelbaren Ausgleich ausgefallener Körperfunktionen. Dagegen ist in ständiger und gefestigter Rechtsprechung geklärt, dass ein Hilfsmittel beim Ausgleich direkter oder indirekter Folgen einer Behinderung - wie hier - nur "erforderlich" iS von § 33 Abs 1 Satz 1 SGB V ist, wenn es die Auswirkungen der Behinderung im gesamten täglichen Leben beseitigt oder mildert und damit ein Grundbedürfnis des täglichen Lebens betrifft. Danach hat die GKV auch nach Inkrafttreten des SGB IX (vgl hier § 31 Abs 1 Nr 3 SGB IX) nicht sämtliche direkten und indirekten Folgen einer Behinderung auszugleichen. Aufgabe der Krankenkassen ist nach wie vor allein die medizinische Rehabilitation. Eine darüber hinausgehende berufliche oder soziale Rehabilitation bleibt Aufgabe anderer Sozialleistungssysteme (stRspr, vgl zuletzt Urteil vom - B 3 KN 4/07 KR R - zur Veröffentlichung in SozR 4 vorgesehen, Juris RdNr 14, unter Verweis auf BSGE 93, 176 = SozR 4-2500 § 33 Nr 7, jeweils RdNr 12 - schwenkbarer Autositz bei Wachkomaversorgung; BSGE 91, 60 RdNr 9 = SozR 4-2500 § 33 Nr 3 RdNr 10 - Rollstuhl-Ladeboy; BSG SozR 3-2500 § 33 Nr 31 S 185 - Rollstuhl-Bike; BSG SozR 3-2500 § 33 Nr 32 S 191 - Therapie-Tandem). Einen Anlass zur Überprüfung dessen hat die Klägerin nicht aufgezeigt.
Das gilt auch, soweit die Klägerin rügt, diese Rechtsprechung des 3. Senats des BSG stehe im Widerspruch zu älterer Rechtsprechung des 8. Senats (BSG SozR 3-2500 § 33 Nr 25 und 28). Unter diesem Blickwinkel besteht ebenfalls kein Klärungsbedarf, weil der nunmehr ausschließlich für das Hilfsmittelrecht zuständige 3. Senat dazu wiederholt Stellung genommen und ausgeführt hat, dass es sich bei den früheren Fällen um besondere Fallkonstellationen gehandelt hat, in denen ganz außergewöhnliche Bewegungseinschränkungen vorlagen und den gemeinsamen Fahrradausflügen in der konkreten Familiensituation eine große Bedeutung zukam (BSG SozR 3-2500 § 33 Nr 32, Juris RdNr 21, und -, USK 2002-88, Juris RdNr 20).
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.
Fundstelle(n):
CAAAD-28937