Leitsatz
[1] Würdigt das Berufungsgericht eine Zeugenaussage anders als das erstinstanzliche Gericht, ohne den Zeugen selbst zu vernehmen, liegt darin ein Verstoß gegen das rechtliche Gehör der benachteiligten Partei (im Anschluss an BVerfG, NJW 2005, 1487 und , FamRZ 2006, 946).
Gesetze: ZPO § 398 Abs. 1; ZPO § 529 Abs. 1; GG Art. 103 Abs. 1
Instanzenzug: OLG Hamm, I U 5/08 vom LG Essen, 3 O 382/06 vom
Gründe
I.
Die Klägerin nimmt die Beklagte aus abgetretenem Recht ihres Geschäftsführers auf Zahlung des Kaufpreises in Höhe von 42.000 EUR nebst Zinsen für die Übertragung eines GmbH-Geschäftsanteils in Anspruch. Die Beklagte behauptet, bei Abschluss des Kaufvertrages sei vereinbart worden, dass der Kaufpreis mit einer persönlichen Darlehensschuld des Verkäufers gegenüber der "W. -Gruppe" (hier: der S. -GmbH) verrechnet werde; dadurch sei die Forderung erloschen.
Durch Vorbehaltsurteil vom ist die Beklagte im Urkundsprozess entsprechend den Anträgen der Klägerin verurteilt worden. Im Nachverfahren hat das Landgericht die Verrechnungsvereinbarung aufgrund der Aussagen der von der Beklagten benannten Zeugen R. , P. , B. und W. für bewiesen erachtet und deshalb die Klage unter Aufhebung des Vorbehaltsurteils abgewiesen.
Auf die Berufung der Klägerin hat das Oberlandesgericht das Urteil des Landgerichts abgeändert und das Vorbehaltsurteil unter Wegfall des Vorbehalts mit der Begründung aufrechterhalten, die Beklagte habe den Beweis für die behauptete Verrechnungsvereinbarung nicht erbracht. Gegen dieses Urteil richtet sich die Nichtzulassungsbeschwerde der Beklagten.
II.
Die Nichtzulassungsbeschwerde ist statthaft und auch im Übrigen zulässig (§ 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2, § 544 ZPO; § 26 Nr. 8 EGZPO). Sie ist auch begründet und führt gemäß § 544 Abs. 7 ZPO zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht. Das Berufungsgericht hat die erstinstanzlich vernommenen Zeugen entgegen § 529 Abs. 1 Nr. 1, § 398 Abs. 1 ZPO nicht erneut vernommen, obwohl es deren Aussagen anders gewürdigt hat als das Landgericht. Diese rechtsfehlerhafte Anwendung des § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO verletzt den Anspruch der Beklagten auf rechtliches Gehör nach Art. 103 Abs. 1 GG (vgl. BVerfG, NJW 2005, 1487; , FamRZ 2006, 946).
Nach § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO ist das Berufungsgericht grundsätzlich an die Tatsachenfeststellungen des ersten Rechtszuges gebunden. Bei Zweifeln an der Richtigkeit und Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen ist eine erneute Beweisaufnahme zwingend geboten. Insbesondere muss das Berufungsgericht die bereits in erster Instanz vernommenen Zeugen nochmals gemäß § 398 Abs. 1 ZPO vernehmen, wenn es deren Aussagen anders würdigen will als die Vorinstanz (, NJW 1996, 663, unter III 3; Senatsurteil vom - VIII ZR 340/98, NJW 2000, 1199, unter II 2 a, st. Rspr.). Die nochmalige Vernehmung eines Zeugen kann allenfalls dann unterbleiben, wenn sich das Rechtsmittelgericht auf solche Umstände stützt, die weder die Urteilsfähigkeit, das Erinnerungsvermögen oder die Wahrheitsliebe des Zeugen noch die Vollständigkeit oder Widerspruchsfreiheit seiner Aussage betreffen (Senatsurteil vom - VIII ZR 116/90, NJW 1991, 3285, unter II 2 b aa; , NJW 1998, 2222, unter II 1 b). Ein solcher Ausnahmefall liegt hier entgegen der Auffassung der Beschwerdeerwiderung nicht vor.
Das Landgericht hat die Aussagen der von ihm vernommenen Zeugen dahin gewürdigt, dass die in der Besprechung vom im Rahmen der beabsichtigten Auseinandersetzung nur skizzierte, aber noch nicht verbindlich vereinbarte Verrechnungsabrede bei dem späteren Abschluss des Anteilsübertragungsvertrages am (konkludent) vereinbart worden sei. Es hat dabei maßgeblich auf die Angaben der Zeugen zu den Hintergründen des Geschäftsanteilskaufs abgestellt. Danach sei der Anteilskauf von vornherein nur im Hinblick auf die von allen Beteiligten erstrebte gesellschaftsrechtliche Auseinandersetzung zwischen der W. -Gruppe und dem Geschäftsführer der Klägerin erfolgt, dem auf diese Weise die Möglichkeit habe eröffnet werden sollen, seine hohen Darlehensverbindlichkeiten gegenüber der W. -Gruppe abzutragen. Vor diesem Hintergrund hat das Landgericht die vom Zeugen R. geschilderte Einschätzung, die Verrechnung sei für die Parteien bei Abschluss des Geschäftanteilskaufs selbstverständlich gewesen, für zutreffend erachtet. Das Berufungsgericht hat demgegenüber gemeint, dass sich der Aussage des Zeugen R. , der als einziger der vernommenen Zeugen bei dem Vertragsschluss am zugegen gewesen sei, ein übereinstimmender Wille der Vertragsparteien im Hinblick auf eine Verrechnungsabrede nicht entnehmen lasse. Somit hat das Berufungsgericht die Zeugenaussagen für unergiebig erachtet und abweichend gewürdigt, ohne sich durch erneute Vernehmung des Zeugen einen eigenen Eindruck zu verschaffen. Das angefochtene Urteil beruht auf dieser Verletzung des rechtlichen Gehörs. Es ist nicht auszuschließen, dass das Berufungsgericht zu einer abweichenden Entscheidung gelangt wäre, wenn es die Zeugen erneut vernommen hätte.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
NJW-RR 2009 S. 1291 Nr. 18
IAAAD-26550
1Nachschlagewerk: ja; BGHZ: nein; BGHR: ja