Leitsatz
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gesetze: SGG § 105 Abs 2; SGG § 124 Abs 1; EMRK Art 6 Abs 1; GG Art 3 Abs 1; GG Art 19 Abs 4
Instanzenzug: LSG Nordrhein-Westfalen, L 9 SO 12/07 vom SG Detmold, S 6 SO 100/06 vom
Gründe
I
Im Streit ist die Zahlung von Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch - Sozialhilfe - (SGB XII).
Den Antrag des Klägers, ihm aus Anlass einer Rehabilitationsmaßnahme einen Vorschuss auf Geldleistungen zu zahlen sowie die Fahrkosten zu übernehmen, lehnte der Beklagte ab (Bescheid vom ; Widerspruchsbescheid vom ). Zur Begründung führte er aus, dass die für den Kläger zuständige Krankenkasse alle im Zusammenhang mit der Maßnahme erforderlichen Kosten zu tragen habe. Das Sozialgericht (SG) Detmold hat die Klage abgewiesen (Gerichtsbescheid vom , zugestellt am ).
Mit einem beim SG am eingegangenen Schreiben vom hat der Kläger die Erstattung diverser außergerichtlicher Kosten begehrt. Auf Nachfrage des SG, ob dieses Schreiben als Berufung gegen den Gerichtsbescheid des SG anzusehen sei, hat der Kläger mit einem beim SG am eingegangenen Schreiben "Berufung im Rechts-Streit der LBS Westdeutsche Landesbausparkasse gegen Herrn G. S. (Bausparer)" gegen ein offenbar am ergangenes Urteil des Amtsgerichts Höxter eingelegt. Nach Weiterleitung des Vorgangs an das Landessozialgericht (LSG) Nordrhein-Westfalen hat der Kläger auf Nachfrage des mit einem am eingegangenen Schriftsatz vom "Berufung" eingelegt. Das LSG hat die Berufung des Klägers als unzulässig verworfen, weil sie nicht innerhalb der am (Montag) endenden Berufungsfrist eingelegt worden sei. Die vom Kläger bis zu diesem Zeitpunkt vorgelegten Schriftsätze nebst Anlagen könnten nicht als Überprüfung des erstinstanzlichen "Urteils" und damit nicht als Berufung ausgelegt werden (Beschluss vom ).
Mit der Nichtzulassungsbeschwerde rügt der Kläger Verfahrensfehler. Das LSG habe ohne ehrenamtliche Richter und damit in fehlerhafter Besetzung durch Beschluss entschieden. Daneben habe es gegen die Grundsätze des rechtlichen Gehörs, des fairen Verfahrens sowie des effektiven Rechtsschutzes verstoßen.
II
Die Beschwerde ist zulässig und begründet und führt gemäß § 160a Abs 5 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Zurückverweisung an das LSG.
Die Beschwerde des Klägers ist zulässig. Sie genügt hinsichtlich der geltend gemachten Verfahrensfehler den Darlegungserfordernissen des § 160a Abs 2 Satz 3 iVm § 160 Abs 2 Nr 3 SGG. Grundsätzlich bedarf es keines weiteren Vortrags zum Beruhen der angegriffenen Entscheidung auf dem Verfahrensfehler, wenn ein Beschwerdeführer die Verletzung seines Rechts auf mündliche Verhandlung behauptet (vgl Bundessozialgericht [BSG], Beschluss vom - B 12 KR 16/02 B).
Die Beschwerde ist auch begründet. Der behauptete Verfahrensfehler liegt vor. Das LSG hätte unter Beachtung des Prozessgrundrechts auf ein faires Verfahren, zu Wahrung des rechtlichen Gehörs und unter Beachtung von Art 6 Abs 1 Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) nicht durch Beschluss nach § 158 Satz 2 SGG, sondern nur aufgrund mündlicher Verhandlung durch Urteil unter Einbeziehung der ehrenamtlichen Richter entscheiden dürfen. Nach § 158 Satz 2 SGG "kann" die Entscheidung (über die Verwerfung der Berufung als unzulässig) durch Beschluss ergehen. Damit ist dem Berufungsgericht - insoweit vergleichbar der Regelung des § 153 Abs 4 Satz 1 SGG - Ermessen eingeräumt, durch Beschluss ohne mündliche Verhandlung zu entscheiden. Die Ermessensentscheidung kann im Revisionsverfahren nur darauf überprüft werden, ob das Berufungsgericht von seinem Ermessen erkennbar fehlerhaft Gebrauch gemacht hat, dh etwa sachfremde Erwägungen oder eine grobe Fehleinschätzung zu Grunde gelegt hat (vgl zu § 153 Abs 4 Satz 1 SGG ; BSG SozR 3-1500 § 153 Nr 13 S 35, 38 mwN). Das ist hier der Fall. Nicht grundlegend anders als im Rahmen von § 153 Abs 4 Satz 1 SGG (vgl dazu ; BSG SozR 4-1500 § 153 Nr 1 RdNr 6) ist die Möglichkeit, nach § 158 Satz 2 SGG ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss zu entscheiden, eng und in einer für die Beteiligten möglichst schonenden Weise auszulegen und anzuwenden. Auch die Ausgestaltung des vereinfachten Berufungsverfahrens im SGG unter Berücksichtigung der Rechtsbehelfe gegen Gerichtsbescheide nach §§ 153 Abs 4, 105 Abs 2 SGG ist nach dem Willen des Gesetzgebers allgemein an Art 6 Abs 1 EMRK orientiert und strahlt ebenfalls auf die Ermessensentscheidung nach § 158 Satz 2 SGG aus.
Das BSG hat bereits entschieden, § 158 Satz 2 SGG gelte nicht ohne Einschränkungen auch in solchen Fällen, in denen erstinstanzlich ein Gerichtsbescheid ergangen ist (BSG SozR 4-1500 § 158 Nr 2 RdNr 9; Krasney/Udsching, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 5. Auflage 2008, Kap VIII RdNr 77; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Auflage 2008, § 158 RdNr 6). Vielmehr geböten es das Gebot des fairen und effektiven Rechtsschutzes sowie das Recht auf eine mündliche Verhandlung, von einer Entscheidung durch Beschluss nach § 158 Satz 2 SGG abzusehen, wenn sich die Berufung gegen einen Gerichtsbescheid richte. Nicht anders als bei § 153 Abs 4 Satz 1 SGG führe die hieraus resultierende Verletzung des § 158 Satz 2 SGG zur unvorschriftsmäßigen Besetzung des Berufungsgerichts nur mit den Berufsrichtern und damit zum Vorliegen eines absoluten Revisionsgrundes gemäß § 202 SGG iVm § 551 Nr 1 ZPO (vgl zu § 153 Abs 4 Satz 1 SGG: BSG SozR 3-1500 § 153 Nr 13 S 35, 40; ). Dieser Auffassung schließt sich der erkennende Senat ausdrücklich an.
Der Senat hat von der durch § 160a Abs 5 SGG eröffneten Möglichkeit Gebrauch gemacht, auf die Nichtzulassungsbeschwerde das angefochtene Urteil wegen des festgestellten Verfahrensfehlers aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen.
Das LSG wird im Berufungsverfahren ggf auch über die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu entscheiden haben.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
UAAAD-26212