Leitsatz
[1] Die Nichtzulassung der Revision in einem Entschädigungsrechtsstreit kann auch mit der Rüge angefochten werden, das Berufungsgericht habe den Anspruch der beschwerten Partei auf rechtliches Gehör in entscheidungserheblicher Weise verletzt. Erachtet das Revisionsgericht diese Rüge für begründet, kann es in dem stattgebenden Beschluss das angefochtene Urteil aufheben und den Rechtstreit zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverweisen.
Der Anspruch einer Partei auf rechtliches Gehör wird in der Regel verletzt, wenn ihrem erst in zweiter Instanz gestellten Antrag nicht stattgegeben wird, den Sachverständigen zu einem erstinstanzlich eingeholten schriftlichen Gutachten befragen zu können, falls das Berufungsgericht sich insoweit nicht an die Feststellungen der Vorinstanz für gebunden erachtet, sondern auf der Grundlage des eingeholten Gutachtens in eine neue Beweiswürdigung eintritt.
Gesetze: BEG § 209 Abs. 1; BEG § 220; ZPO § 397; ZPO § 402; ZPO § 411 Abs. 3; ZPO § 412 Abs. 1; ZPO § 529 Abs. 1 Nr. 1; ZPO § 544 Abs. 7; GG Art. 103 Abs. 1
Instanzenzug: KG Berlin, 19 U 1/07 Entsch vom LG Berlin, 33 O 8/05 Entsch vom
Gründe
I.
Das Landgericht hat nach Einholung eines schriftlichen Gutachtens des internistischen Sachverständigen K. die Klage auf Zahlung einer Witwenrente und Übernahme von Bestattungskosten abgewiesen, weil die nach § 41 BEG vorausgesetzte Wahrscheinlichkeit für einen Ursachenzusammenhang zwischen der Verfolgung des Ehemannes der Klägerin und seinem Tod nicht feststellbar sei. Die Klägerin hatte in erster Instanz das medizinische Sachverständigengutachten unter Überreichung privatärztlicher Stellungnahmen angegriffen und die Begutachtung durch einen anderen Sachverständigen beantragt, die von der Beklagten angeregte Ladung des bisherigen Sachverständigen zur Erläuterung seines Gutachtens dagegen als unzureichend erachtet. Mit ihrer Berufungsbegründung hat die Klägerin den Antrag auf Begutachtung durch einen anderen Sachverständigen wiederholt, nunmehr aber zum Ausdruck gebracht, dass zumindest der Sachverständige K. zu den von ihr überreichten privatärztlichen Stellungnahmen nochmals habe gehört werden müssen.
Das Berufungsgericht hat das Rechtsmittel der Klägerin ohne weitere Beweisaufnahme zurückgewiesen. Die Beschwerde erstrebt die Zulassung der Revision mit der Rüge, durch die unterbliebene weitere Sachaufklärung des Berufungsgerichts sei der Klägerin nicht ausreichend rechtliches Gehör gewährt worden.
II.
Die Revision ist zuzulassen und begründet, weil das angegriffene Urteil den Anspruch der Klägerin auf rechtliches Gehör aus Art. 103 Abs. 1 GG in entscheidungserheblicher Weise verletzt.
1.
Nach § 209 Abs. 1 BEG sind die Vorschriften der Zivilprozessordnung in der jeweils geltenden Fassung in gerichtlichen Entschädigungsverfahren anzuwenden (, NJW-RR 2006, 1574 f). Dazu zählt auch die mit Wirkung vom angefügte Bestimmung des § 544 Abs. 7 ZPO, nach welcher das Revisionsgericht das angefochtene Urteil wegen entscheidungserheblicher Verletzung des rechtlichen Gehörs durch Beschluss aufheben und den Rechtsstreit an das Berufungsgericht zurückverweisen kann. Die sinngemäße Anwendung dieser Vorschrift stellt zugleich klar, dass jedenfalls seit ihrer Geltung auch Gehörsverletzungen im Berufungsverfahren vor den Entschädigungsgerichten mit der Nichtzulassungsbeschwerde angegriffen werden können.
2.
Dieser Angriff der Beschwerde hat im vorliegenden Fall Erfolg. Allerdings weicht der Verfahrenshergang hier von den Umständen ab, unter denen der Bundesgerichtshof bisher schon eine Gehörsverletzung angenommen hat, weil der Tatrichter über den Antrag einer Partei hinweggegangen ist, einen gerichtlichen Sachverständigen nach den §§ 397, 402 ZPO zu seinem schriftlichen Gutachten befragen zu können (vgl. , NJW-RR 2007, 212; Beschl. v. - IV ZR 160/05, jeweils m.w.N.). Denn die Klägerin hat in erster Instanz nur einen Beweisantrag nach § 412 Abs. 1 ZPO gestellt, mit dem sich das Landgericht auseinandergesetzt hat. Danach kam in Betracht, dass das Berufungsgericht sich nach § 529 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 ZPO nur mit der Berufungsrüge zu befassen hatte, dass das Verfahren des Landgerichts wegen der behaupteten Mängel des schriftlichen Sachverständigengutachtens gegen § 412 Abs. 1 ZPO verstieß. Das erst aus der Berufungsbegründung als hilfsweiser Verfahrensantrag der Klägerin im Wege der Auslegung zu entnehmende Anliegen, beim Absehen des Gerichtes von einer neuen Begutachtung den landgerichtlichen Sachverständigen zu seinem schriftlichen Gutachten befragen zu können, wäre dann ins Leere gegangen.
Das Berufungsgericht hat sich jedoch nach den Gründen seiner Entscheidung an die erstinstanzlichen Feststellungen zur Todesursache des Ehemannes der Klägerin nicht nach § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO gebunden erachtet, sondern ist mit demselben Ergebnis wie die erste Instanz in eine neue Beweiswürdigung auf der Grundlage des erstinstanzlich erhobenen schriftlichen Sachverständigengutachtens eingetreten. Danach hat es die Veranlassung zur Einholung eines zweiten Gutachtens verneint. Anschließend hat das Berufungsgericht geprüft, ob die von der Klägerin eingereichten privatärztlichen Stellungnahmen Anlass boten, den landgerichtlichen Sachverständigen zu einem ergänzenden Gutachten aufzufordern und auch diese Frage verneint. Nach Eintritt in die erneute Beweiswürdigung durfte das Berufungsgericht jedoch den hilfsweise gestellten Antrag der Klägerin nicht übergehen, den Sachverständigen anhand der eingereichten privatärztlichen Stellungnahmen zu seinem schriftlichen Gutachten zu befragen, wenn keine neue Begutachtung nach § 412 Abs. 1 ZPO angeordnet wurde. Denn es hatte damit wie der erste Tatrichter das hiermit bekämpfte schriftliche Sachverständigengutachten zur Grundlage seiner eigenen Überzeugungsbildung gemäß § 286 ZPO gemacht. Zu einer solchen Befragung war die Klägerin unter dieser Voraussetzung prozessual auch in zweiter Instanz nach den §§ 397, 402 ZPO berechtigt. Dem Berufungsgericht stand zur Ablehnung dieses Antrages nicht der in § 411 Abs. 3 ZPO eröffnete tatrichterliche Ermessensspielraum zu (vgl. aaO m.w.N.).
Da nicht auszuschließen ist, dass das Berufungsgericht die Beweisfrage nach einer Befragung des Sachverständigen durch die Klägerin anders beantwortet hätte, wenn auch möglicherweise erst nach einer dann bejahten Notwendigkeit zur erneuten Begutachtung, kann das Berufungsurteil keinen Bestand haben.
III.
Die Auslegung des materiellen Entschädigungsrechts durch das Berufungsgericht ist rechtlich nicht zu beanstanden. Der Senat weist jedoch vorsorglich auch auf seine neuere Rechtsprechung hin, die zu § 41 BEG ergangen ist (vgl. , MDR 2002, 1248 f; Beschl. v. - IX ZB 25/08, Rn. 6 f).
Fundstelle(n):
QAAAD-25143
1Nachschlagewerk: ja; BGHZ: nein; BGHR: ja