Leitsatz
[1] Zur Auslegung eines mit "Berufung und Prozesskostenhilfeantrag" überschriebenen Schriftsatzes.
Gesetze: ZPO § 519 Abs. 2; ZPO § 520 Abs. 3
Instanzenzug: OLG Düsseldorf, 18 U 102/08 vom LG Düsseldorf, 4c O 102/05 vom
Gründe
I.
1.
Die Klägerin, die am beim Besuch der Zentrale für Gärtner- und Floristikbedarf der Beklagten in N. einen Unfall erlitt, als auf dem Freigelände ein dreibeiniger Eisenständer umfiel und sie am Kopf traf, nimmt die Beklagte auf Ersatz weiteren materiellen und immateriellen Schadens in Anspruch. Ihr ist in erster Instanz ratenfreie Prozesskostenhilfe bewilligt worden. Das Landgericht hat die Klage nach Beweisaufnahme abgewiesen. Das Urteil ist den Prozessbevollmächtigten der Klägerin am zugestellt worden. Am haben die zweitinstanzlichen Prozessbevollmächtigten der Klägerin einen mit "Berufung und Prozesskostenhilfeantrag" überschriebenen anwaltlichen Schriftsatz eingereicht. Mit anwaltlichem Schriftsatz vom , bei Gericht eingegangen am , hat die Klägerin den Prozesskostenhilfeantrag begründet. Gleichzeitig hat sie ein Formblatt mit der Erklärung über ihre persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse nebst einigen Belegen eingereicht. Auf Nachfrage des Gerichts hat die Klägerin mit Anwaltsschriftsatz vom erklärt, das Rechtsmittel solle erst nach Bewilligung von Prozesskostenhilfe und nur im Umfang der Bewilligung durchgeführt werden. Zugleich hat sie vorsorglich die Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist um einen Monat beantragt, die ihr mit Verfügung vom bis einschließlich gewährt worden ist. Durch Beschluss vom , der den Prozessbevollmächtigten der Klägerin am zugestellt worden ist, hat das Berufungsgericht den Prozesskostenhilfeantrag zurückgewiesen, weil die beabsichtigte Rechtsverfolgung keine hinreichende Aussicht auf Erfolg biete. Am hat die Klägerin Berufung eingelegt und Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsfrist beantragt. Zur Begründung hat sie auf den Schriftsatz vom Bezug genommen.
Mit Beschluss vom hat das Berufungsgericht den Wiedereinsetzungsantrag zurückgewiesen und die Berufung der Klägerin als unzulässig verworfen. Zur Begründung hat es ausgeführt, die Berufung sei unzulässig, weil das Rechtsmittel nicht innerhalb der Monatsfrist gemäß § 517 ZPO eingelegt worden sei. Die Berufungsfrist sei am abgelaufen. Sie sei durch den am eingegangenen Schriftsatz nicht gewahrt worden, weil eine an die Gewährung von Prozesskostenhilfe geknüpfte Berufungseinlegung unzulässig sei. Diese Voraussetzungen lägen hier vor, da die Klägerin klargestellt habe, dass die Berufung erst nach Bewilligung der Prozesskostenhilfe und nur im Umfang der Bewilligung durchgeführt werden solle. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand sei der Klägerin nicht zu gewähren, denn sie sei nicht ohne ihr Verschulden gehindert gewesen, die Berufungsfrist einzuhalten. Die Klägerin habe innerhalb der Rechtsmittelfrist weder das Formular über ihre persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse ausgefüllt und zu den Akten gereicht noch irgendwelche Belege vorgelegt. Sie habe auch nicht erklärt, dass sich ihre Verhältnisse gegenüber der Prozesskostenhilfebewilligung in erster Instanz nicht oder nicht wesentlich geändert hätten. Diese Angaben habe die Klägerin auch nicht für entbehrlich halten dürfen, zumal ihre in erster Instanz eingereichte Erklärung bereits mehr als zwei Jahre zurückgelegen habe. Der Beschluss vom ist den Prozessbevollmächtigten der Klägerin am zugestellt worden.
Auf ihren am beim Bundesgerichtshof eingegangenen Antrag hat der Senat der Klägerin Prozesskostenhilfe für die Rechtsbeschwerde gegen diesen Beschluss bewilligt und ihr mit Beschluss vom , zugestellt am , die Verfahrensbevollmächtigte beigeordnet. Diese hat am selben Tag Rechtsbeschwerde eingelegt und Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt und die Rechtsbeschwerde mit einem am eingegangenen Schriftsatz begründet.
II.
1.
Der Klägerin ist auf ihren rechtzeitig und formgerecht gestellten Antrag (§§ 236, 575 ZPO) Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Fristen zur Einlegung und zur Begründung der Rechtsbeschwerde zu gewähren.
2.
Die Rechtsbeschwerde ist gemäß §§ 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, 238 Abs. 2 Satz 1, 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO statthaft. Sie ist auch im Übrigen zulässig, weil nach § 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert (vgl. BVerfGE 79, 372, 376 f. = NJW 1989, 1147; BVerfG NJW-RR 2002, 1004).
3.
Die Rechtsbeschwerde ist auch begründet. Das Berufungsgericht durfte die Berufung nicht mit der Begründung als unzulässig verwerfen, die Berufung sei verspätet eingegangen.
Der Schriftsatz der Klägerin vom erfüllt die Anforderungen, die das Gesetz in § 519 ZPO an eine Berufungsschrift stellt. In diesem Fall kommt nach gefestigter Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs die Deutung, dass der Schriftsatz nicht als unbedingte Berufung bestimmt war, nur dann in Betracht, wenn sich dies aus den Begleitumständen mit einer jeden vernünftigen Zweifel ausschließenden Deutlichkeit ergibt (BGH, Beschlüsse vom - IVb ZB 62/85 - VersR 1986, 40, 41; vom - IVb ZB 161/87 - NJW 1988, 2046, 2047 f.; vom - XII ZB 134/89 - FamRZ 1990, 995; -NJW 1995, 2563, 2564; Senatsbeschlüsse vom - VI ZB 51/01 -VersR 2002, 1256, 1257 und vom - VI ZB 70/05 - VersR 2007, 662, 663). Diese Voraussetzungen sind hier nicht gegeben.
Ob eine Berufung eingelegt ist, ist im Wege der Auslegung der Berufungsschrift und der sonst vorliegenden Unterlagen zu entscheiden. Dabei sind - wie auch sonst bei der Auslegung von Prozesserklärungen - alle Umstände des jeweiligen Einzelfalls zu berücksichtigen. Die Auslegung von Prozesserklärungen, die auch der Senat als Revisionsgericht selbst vornehmen kann (st. Rspr., vgl. Senatsurteil vom - VI ZR 325/95 - NJW-RR 1996, 1210, 1211; BGH BGHZ 4, 328, 334) , hat den Willen des Erklärenden zu beachten, wie er den äußerlich in Erscheinung getretenen Umständen üblicherweise zu entnehmen ist (vgl. Senatsurteil vom - VI ZR 316/97 - VersR 1999, 900, 901 und Senatsbeschluss vom - VI ZB 51/01 - aaO, jeweils m.w.N.). Bei Beachtung dieser Grundsätze hat die Klägerin wirksam Berufung eingelegt.
Für die Auslegung des Schriftsatzes vom sind dessen Inhalt und die Begleitumstände heranzuziehen. Maßgebend ist der objektiv zum Ausdruck gekommene Wille des Erklärenden. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts kommt es dabei allerdings nicht darauf an, ob der Schriftsatz vom Gericht als Berufungsschrift gewertet und behandelt worden ist. Nicht zu berücksichtigen sind auch die Begleitumstände, von denen das Gericht und der Rechtsmittelgegner erst nach Ablauf der Rechtsmittelfrist Kenntnis erlangt haben (vgl. - VersR 1984, 870 und vom - VIII ZR 267/94 - aaO). Deshalb kommt es vorliegend nicht darauf an, welche Erklärung die Klägerin auf den nach Ablauf der Berufungsfrist ergangenen gerichtlichen Hinweis vom abgegeben hat.
Ebenso unerheblich ist, dass die Klägerin mit Schriftsatz vom erneut "Berufung" eingelegt und Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsfrist beantragt hat.
Der Inhalt des Schriftsatzes vom spricht nicht mit der erforderlichen Deutlichkeit dafür, dass die Klägerin zunächst lediglich einen Prozesskostenhilfeantrag stellen und noch keine Berufung einlegen wollte. Für eine unbedingte Berufungseinlegung sprechen hier schon die Verwendung des Begriffs "Berufung" in der Überschrift und die Bezeichnung der Parteien als "Berufungsklägerin" und "Berufungsbeklagte" im Rubrum.
Mit Rücksicht auf die schwerwiegenden Folgen einer bedingten und damit unzulässigen Berufungseinlegung ist für die Annahme einer derartigen Bedingung eine ausdrückliche zweifelsfreie Erklärung erforderlich, die beispielsweise darin gesehen werden kann, dass der Schriftsatz als "Entwurf einer Berufungsschrift" bezeichnet wird, oder von einer "beabsichtigten Berufung" die Rede ist oder angekündigt wird, dass "nach Gewährung der Prozesskostenhilfe" Berufung eingelegt werde (vgl. -aaO; Beschluss vom - XII ZB 25/04 - FamRZ 2004, 1553, 1554; Senatsbeschluss vom - VI ZB 70/05 - aaO). Daran fehlt es hier.
4.
Hiernach ist die Berufung fristgerecht eingelegt worden. Das Rechtsmittel ist auch im Übrigen zulässig. Zwar ist die Berufungsbegründung nicht innerhalb der Begründungsfrist bei Gericht eingegangen, doch ist der Klägerin insoweit Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, da sie diese Frist ohne ihr Verschulden versäumt und die Berufung innerhalb der Wiedereinsetzungsfrist (§ 234 Abs. 1 Satz 2, § 236 Abs. 1 ZPO) begründet hat. Die Berufungsbegründung, die nach § 520 Abs. 3 Satz 1 ZPO entweder bereits in der Berufungsschrift selbst oder in einem weiteren Schriftsatz beim Berufungsgericht einzureichen ist, kann auch dadurch erfolgen, dass auf andere Schriftsätze Bezug genommen wird, die von einem bei dem Berufungsgericht zugelassenen Rechtsanwalt unterzeichnet sind und inhaltlich den Anforderungen der Berufungsbegründung gerecht werden ( - NJW 2008, 1740). Dies ist hier der Fall, denn die Klägerin hat in ihrer Berufungsschrift vom zur Begründung der Berufung ausdrücklich auf den Schriftsatz vom Bezug genommen. Dieser erfüllt die Anforderungen einer Berufungsbegründung (§ 520 Abs. 3 Satz 2 ZPO).
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
NJW-RR 2010 S. 278 Nr. 4
TAAAD-21056
1Nachschlagewerk: ja; BGHZ: nein; BGHR: ja