BGH Beschluss v. - 3 StR 494/08

Leitsatz

[1] Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.

Gesetze: StGB § 177 Abs. 1; StPO § 349 Abs. 4

Instanzenzug: LG Duisburg, vom

Gründe

Das Landgericht hat den nicht revidierenden, zwischenzeitlich verstorbenen Mitangeklagten Wa. P. wegen Vergewaltigung in 104 Fällen, davon in 39 Fällen in Tateinheit mit schwerem sexuellen Missbrauch von Kindern, wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in 24 Fällen und wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern in 27 Fällen, davon in zwei Fällen in Tateinheit mit sexueller Nötigung, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von elf Jahren und neun Monaten verurteilt und seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Die Angeklagte M. P. hat es wegen Beihilfe zur Vergewaltigung in 78 Fällen, davon in 13 Fällen in Tateinheit mit Beihilfe zu schwerem sexuellen Missbrauch von Kindern, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und zehn Monaten verurteilt. Mit ihrer Revision beanstandet die Angeklagte M. P. das Verfahren und rügt die Verletzung materiellen Rechts. Das Rechtsmittel hat mit der Sachrüge Erfolg. Auf die Verfahrensrüge kommt es danach nicht mehr an.

I.

Nach den Feststellungen des Landgerichts kam die am geborene Nebenklägerin im Jahre 1995 als Pflegekind in den Haushalt der Angeklagten. Der Mitangeklagte, der als Fernfahrer tätig war, nahm die Nebenklägerin u. a. in der Zeit vom bis zum wiederholt zu Lkw-Fahrten mit. Anlässlich dieser Fahrten steuerte er einen Rasthof oder Parkplatz an, verriegelte die Türen des Lkw, zog die Vorhänge zu und vollzog mit der Nebenklägerin in 78 Fällen den vaginalen Geschlechtsverkehr bis zum Samenerguss. In 13 der genannten Fälle war sie jünger als 14 Jahre alt. Die Angeklagte M. P. hatte seit Oktober 2001 von vorangegangenen sexuellen Übergriffen ihres Ehemannes auf die Nebenklägerin Kenntnis. Sie duldete aber gleichwohl im genannten Tatzeitraum, dass die Nebenklägerin den Mitangeklagten auf den Lkw-Fahrten begleitete und unternahm keine Anstrengungen, um sie seinem Einfluss zu entziehen. Dabei wusste die Angeklagte, dass der Mitangeklagte die Fahrten dazu nutzte, um auf Rastplätzen ungestört mit seiner Pflegetochter geschlechtlich zu verkehren, und ihr war klar, dass es für die Geschädigte aus dieser Situation kein Entrinnen geben würde. In einem Fall im Oktober 2003 sagte die Angeklagte der Nebenklägerin, die es abgelehnt hatte, den Mitangeklagten auf einer am nächsten Tag anstehenden Fahrt zu begleiten, sie solle mitfahren und packte ihr dafür eine Tasche. Auch bei dieser Fahrt führte der Mitangeklagte den Geschlechtsverkehr mit der Nebenklägerin aus.

II.

Der Schuldspruch gegen die Angeklagte M. P. hält rechtlicher Prüfung nicht stand.

Die Annahme des Landgerichts, der Haupttäter, der Mitangeklagte Wa. P. , habe sich in den die Beschwerdeführerin betreffenden 78 Fällen wegen Vergewaltigung zum Nachteil seiner Pflegetochter strafbar gemacht, weil er sie im Sinne des § 177 Abs. 1 Nr. 3 StGB unter Ausnutzung einer schutzlosen Lage zur Duldung des Geschlechtsverkehrs genötigt habe, begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Die Ausführungen zur rechtlichen Würdigung der festgestellten Handlungen des (Haupt-)Täters lassen besorgen, dass das Landgericht die Voraussetzungen, die nach neuerer Rechtsprechung an diese Tatbestandsalternative des § 177 Abs. 1 StGB zu stellen sind, verkannt hat.

Von § 177 Abs. 1 Nr. 3 StGB werden danach Fälle erfasst, in denen zwar weder Gewalt ausgeübt noch mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben des Opfers gedroht wird, dieses aber aus Furcht vor möglichen Einwirkungen des Täters auf einen ihm grundsätzlich möglichen Widerstand verzichtet, weil es sich in einer hilflosen Lage befindet und ihm Widerstand gegen den überlegenen Täter aussichtslos erscheint (BGHSt 50, 359, 364 ff. ; 51, 280, 284). Erforderlich ist dabei stets, dass sich das Opfer aus Angst vor körperlicher Beeinträchtigung, also vor Körperverletzungs- oder gar Tötungshandlungen, nicht gegen den Täter zur Wehr setzt; es genügt nicht, dass es dies aus Furcht vor der Zufügung anderer Übel unterlässt (BGHSt 51, 280, 285; BGH NStZ 2003, 533, 534) .

Eine solche Angst der Nebenklägerin vor körperlichen Beeinträchtigungen ist in dem angefochtenen Urteil nicht belegt. Den Feststellungen ist - was für die Annahme einer schutzlosen Lage nicht ausreicht - lediglich zu entnehmen, dass die Geschädigte die Übergriffe duldete, um nicht getrennt von ihrer Schwester in einem Kinderheim untergebracht zu werden. Ob darüber hinaus auch frühere Drohungen des Mitangeklagten, etwaigen körperlichen Widerstand der Nebenklägerin gegebenenfalls zu überwinden, zumindest mitursächlich für die fehlende Gegenwehr der Nebenklägerin bei den Taten waren, ergibt das Urteil hingegen nicht. Dies versteht sich auch nicht von selbst. Vielmehr hat das Landgericht einen gewalttätigen Umgang des Mitangeklagten mit der Nebenklägerin, der im Sinne eines "Klimas der Gewalt" für ein Fortwirken der Furcht vor Gewalteinwirkungen ausreichen könnte (vgl. BGH NStZ 2005, 268), gerade nicht festgestellt. Dem Urteil ist nur zu entnehmen, dass zwar die Beschwerdeführerin, nicht aber der Mitangeklagte die Nebenklägerin gelegentlich schlug.

Damit sind für den Haupttäter bereits die objektiven Voraussetzungen für das Vorliegen von Vergewaltigungstaten im Sinne des § 177 Abs. 1 Nr. 3 i. V. m. Abs. 2 Nr. 1 StGB nicht rechtsfehlerfrei festgestellt, so dass die Verurteilung der Angeklagten wegen Beihilfe zu diesen Taten schon aus diesem Grund keinen Bestand haben kann. Es kommt deshalb nicht mehr darauf an, dass das Landgericht darüber hinaus nicht erörtert hat, ob die Angeklagte von Drohungen des Mitangeklagten und entsprechenden Ängsten der Nebenklägerin vor körperlichen Beeinträchtigungen, Kenntnis hatte, mithin bei ihr ein Beihilfevorsatz hinsichtlich einer Vergewaltigung nach § 177 Abs. 1 Nr. 3 i. V. m. Abs. 2 Nr. 1 StGB vorlag. Soweit der Haupttäter in 13 Fällen rechtsfehlerfrei wegen tateinheitlich begangenen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern verurteilt worden ist, unterliegen diese Taten insgesamt der Aufhebung (BGHR StPO § 353 Aufhebung 1).

III.

Für die neue Verhandlung weist der Senat darauf hin, dass ein bloßes Unterlassen der Angeklagten, die Nebenklägerin der Zugriffsmöglichkeit des Mitangeklagten zu entziehen, sich nicht als eine Vielzahl rechtlich selbständiger Beihilfetaten darstellen würde. Jeder Beteiligte ist für die Frage, ob eine oder mehrere Straftaten vorliegen, nur nach seinem eigenen Tatbeitrag zu beurteilen. Besteht die Beihilfe aus einem einzigen pflichtwidrigen Unterlassen, stellt sie sich auch bei mehreren selbständigen Haupttaten als eine einheitliche Teilnahmehandlung dar (vgl. Fischer, StGB 55. Aufl. vor § 52 Rdn. 34 m. w. N.). Insoweit nimmt der Senat auf die zutreffenden Ausführungen des Generalbundesanwalts Bezug.

Sollte der neue Tatrichter bei der Beschwerdeführerin erneut das Vorliegen einer Unterlassenstat annehmen, wird er zudem Gelegenheit haben, die Vorschrift des § 13 Abs. 2 StGB zu erörtern. Allerdings legen die in der ersten Hauptverhandlung getroffenen Feststellungen die Anwendung der nur fakultativen Strafmilderung nicht nahe.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:

Fundstelle(n):
NAAAD-10006

1Nachschlagewerk: nein