BGH Beschluss v. - V ZR 110/08

Leitsatz

[1] Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.

Gesetze: GG Art. 103 Abs. 1; ZPO § 531 Abs. 2; BGB § 912 Abs. 1; BGB § 1004 Abs. 2

Instanzenzug: LG Cottbus, 5 S 33/07 vom AG Cottbus, 39 C 311/02 vom

Gründe

Die Parteien sind Eigentümer benachbarter Grundstücke in D. (Brandenburg). Ihre Grundstücke sind durch die Teilung eines Grundstücks nach einer 1984 notariell beurkundeten Auseinandersetzung einer Erbengemeinschaft entstanden. Für das nicht mit einem öffentlichen Weg verbundene Trennstück, das die Beklagten 1992 von einem der Miterben erworben haben, wurde in der Auseinandersetzung der Erbengemeinschaft ein Wege- und Durchgangsrecht vereinbart und in das Grundbuch des Grundstücks der Klägerin eingetragen.

Beide Grundstücke wurden damals zu Erholungszwecken genutzt. In der Nähe der jeweiligen Grundstücksgrenze wurden auf beiden Grundstücken Bungalows errichtet, die sich teilweise in den nach der Bauordnung des Landes einzuhaltenden Abstandsflächen befinden. Die Kläger nutzen ihren aus- und umgebauten Bungalow mittlerweile zu Wohnzwecken. Die behördliche Genehmigung zur Nutzungsänderung ist ihnen jedoch versagt worden; ihre dagegen erhobene Klage wurde von dem Verwaltungsgericht auch wegen der fehlenden Sicherung der Erschließung abgewiesen.

Die Klägerin hat von den Beklagten die Beseitigung der Baulichkeiten in dem Grenzbereich, ein jährliches Entgelt für ein von ihr zu bewilligendes Notleitungsrecht sowie das Unterlassen des Befahrens des Weges mit Personenkraftwagen verlangt. Die Beklagten haben im Wege der Widerklage von der Klägerin die Beseitigung des von ihr errichteten Bungalows verlangt, soweit sich dieser im Bauwich befindet.

Das Amtsgericht hat mit einem Teilurteil der Klage stattgegeben. Das Landgericht hat unter Zurückweisung der Berufung der Beklagten im Übrigen dem Unterlassungsantrag nur teilweise stattgeben, indem es den Beklagten das Befahren des Weges mit motorisierten Fahrzeugen insoweit verboten hat, als es über den Umfang hinausgeht, der zur Nutzung eines kleingärtnerisch oder zu Erholungszwecken genutzten Wochenendgrundstücks erforderlich ist.

Mit der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision wollen die Beklagten ihre Anträge auf Abweisung der Klage weiter verfolgen.

1.

Die Nichtzulassungsbeschwerde ist statthaft. Der Wert der in einem Revisionsverfahren geltend zu machenden Beschwer der Beklagten übersteigt die in § 26 Nr. 8 EGZPO bestimmte Wertgrenze von 20.000 EUR.

Diese Grenze wird schon durch den Angriff gegen die Verurteilung zur Beseitigung des Bungalows überschritten, soweit sich dieser in dem Bauwich zum Grundstück der Klägerin befindet. Der Wert der Beschwer der Beklagten aus der Verurteilung zur Beseitigung eines Bauwerks bestimmt sich nach dem Kostenaufwand, der ihnen aus der Befolgung des Urteils entsteht (Senat, BGHZ 124, 313, 319 ; , WuM 2004, 352). Diese Beschwer ist unter Berücksichtigung des Verlusts der Gebrauchsfähigkeit der Bauwerkssubstanz durch einen Teilabriss zu bestimmen und schließt daher - entgegen der Ansicht der Erwiderung - auch die Kosten für die Wiederherstellung der Nutzbarkeit des Bauwerks ein. Diese Kosten haben die Beklagten unter Vorlage eines Gutachtens mit 22.750 EUR glaubhaft dargelegt.

2.

Die Nichtzulassungsbeschwerde ist in Bezug auf diese Verurteilung begründet. Das angefochtene Berufungsurteil ist insoweit nach § 544 Abs. 7 ZPO aufzuheben, weil das Berufungsgericht den Anspruch der Beklagten auf rechtliches Gehör ( Art. 103 Abs. 1 GG) in entscheidungserheblicher Weise verletzt hat.

a)

Die Nichtzulassungsbeschwerde rügt mit Recht, dass das Berufungsgericht dem in der Berufungsbegründung unter Beweis gestellten neuen Vorbringen der Beklagten, dass die Klägerin dem Ausbau des Bungalows im Grenzbereich zugestimmt habe, hätte nachgehen müssen und nicht nach § 531 Abs. 2 ZPO zurückweisen durfte.

aa)

Die Zurückweisung neuen Vorbringens nach § 531 Abs. 2 ZPO verletzt das Gebot zur Gewährung rechtlichen Gehörs, wenn der Umstand, dass der Vortrag erst in der Berufungsinstanz erfolgt, auf unzulänglicher Verfahrensleitung oder Verletzung richterlicher Fürsorgepflicht durch Unterlassen eines nach der Prozesslage gebotenen richterlichen Hinweises zurückzuführen ist (Senat , Beschl. v. , V ZR 271/04, NJW 2005, 2624). Ein solcher Verfahrensfehler des erstinstanzlichen Gerichts liegt dann vor, wenn dieses in seinem Urteil den Rechtsstreit anders als nach seinen vorherigen Hinweisen entschieden hat und die davon betroffene Partei auch bei gewissenhafter Vorbereitung der mündlichen Verhandlung mit einer solchen Wendung des Prozesses nicht rechnen konnte (vgl. Senat , Beschl. v. , V ZR 200/06, NJW-RR 2007, 1221, 1222). Ein Gericht, dass den Parteien seine Rechtsansicht kundgetan hat, dann aber zu einer anderen Ansicht gelangt, muss die Parteien darauf hinweisen und ihnen vor seiner Endentscheidung durch Urteil Gelegenheit zur Stellungnahme und zu einem der geänderten Rechtsauffassung des Gerichts Rechnung tragenden Sachvortrag geben (Senat , Beschl. v. , V ZR 16/06, BeckRS 2006 14709; Beschl. v. , V ZR 200/06, aaO).

Weist das Berufungsgericht nach einem solchen Verfahrensfehler des erstinstanzlichen Gerichts das neue Vorbringen einer Partei nach § 531 Abs. 2 ZPO zurück, so perpetuiert es dadurch die Verletzung des Art. 103 Abs. 1 GG.

bb)

So liegt es hier.

(1)

Die Verletzung des Grundrechts auf rechtliches Gehör durch das erstinstanzliche Gerichts hat das Berufungsgericht selbst zutreffend festgestellt. Hatte das Amtsgericht in seinem Hinweisbeschluss den Parteien mitgeteilt, dass die Klage auf Beseitigung des Baus im Grenzbereich nur begründet sei, wenn die Klägerin zu einem rechtzeitigen Widerspruch weiter vortrage, durften die Beklagten das so verstehen, dass das Amtsgericht von einer Duldungspflicht der Klägerin unter entsprechender Anwendung der Regeln über einen entschuldigten Überbau analog § 912 Abs. 1 BGB ausging. Die Wendung in den Entscheidungsgründen des erstinstanzlichen Urteils, dass der Bau im Grenzbereich grob fahrlässig gewesen sei und es daher auf einen rechtzeitigen Widerspruch der Klägerin nach dem Beginn der Bebauung an der Grundstücksgrenze nicht ankomme, war für die Beklagten überraschend. Erst daraus ergab sich für sie das Erfordernis, zu den Umständen dieser Bebauung weiter vorzutragen.

(2)

Die Verletzung des Verfahrensgrundrechts durch das Amtsgericht führte dazu, dass das Berufungsgericht neuen Vortrag der Beklagten nicht nur zum fehlenden Verschulden, sondern auch zur behaupteten Einwilligung der Klägerin hätte zulassen müssen. Die Notwendigkeit, andere Tatsachen für eine den Beseitigungsanspruch ausschließende Duldungspflicht der Klägerin vorzutragen, ergab sich für die Beklagten erst nach dem erstinstanzlichen Urteil.

b)

Dieser Verfahrensfehler betrifft einen entscheidungserheblichen Punkt. Der Beseitigungsanspruch des Nachbarn ist ausgeschlossen, soweit er zur Duldung verpflichtet ist ( § 1004 Abs. 2 BGB). Ein Bau im Grenzbereich ist von dem Nachbarn zu dulden, wenn der Eigentümer mangels Vorsatzes oder grober Fahrlässigkeit entschuldigt ist und der Nachbar nicht sofort nach Baubeginn im Grenzbereich Widerspruch erhoben hat (analog § 912 Abs. 1 BGB - sog. entschuldigter Überbau) oder aber wenn der Nachbar sein Einverständnis mit dieser Bebauung erklärt hat (vgl. Senat BGHZ 62, 141, 145 - sog. rechtmäßiger Überbau).

Da - wovon auch das Berufungsgericht - ausgeht, die Klägerin dem Ausbau des Bungalows im Grenzbereich konkludent zugestimmt haben könnte, wenn sie diesen durch ihr Einverständnis mit einer Beseitigung der Grenzanlagen zur Durchführung der grenznahen Bebauung gefördert hätte, war dem Vortrag und den Beweisangebot durch die benannten Zeugen nachzugehen.

3.

Ohne Erfolg bleibt die Nichtzulassungsbeschwerde dagegen wegen der Verurteilung der Beklagten zur Unterlassung einer übermäßigen Nutzung des als Wege- und Durchgangsrecht eingetragenen Mitbenutzungsrechts sowie zur Zahlung einer Entschädigung für ein nach dem Landesrecht von der Klägerin zu gewährendes Notleitungsrecht. Von einer weiteren Begründung wird nach § 544 Abs. 4 Satz 2 ZPO abgesehen.

Der Beschwerdewert beträgt 15.580,98 EUR.

1.

Bei der Beseitigungsklage ist der Gebührenstreitwert - abweichend von dem Wert der Beschwer der verurteilten Beklagten - gemäß § 3 ZPO nach den Anträgen der Klägerin und dem mit diesem verfolgten Interesse (vgl. Senat, BGHZ 124, 313, 317) zu bestimmen, die von dem Berufungsgericht nach den Angaben der Klägerin über die Wertminderung ihres Grundstücks durch die grenznahe Bebauung auf 2.500,98 EUR bestimmt worden ist.

2.

Der Gegenstandswert für den Antrag auf Verurteilung der Beklagten zur Zahlung einer Entschädigung für das Notleitungsrecht von 8 EUR/mtl. ist nach § 8 ZPO nach dem 3,5 fachen Jahresbetrag auf 336 EUR zu bemessen.

3.

Der Wert des Streits um den Inhalt des eingetragenen Mitbenutzungsrechts ist entsprechend § 7 ZPO nach dem höheren Wert der Beeinträchtigung des Grundstücks der Beklagten für den von ihnen behaupteten Verlust der Bebaubarkeit des Grundstücks mit einem Wohnhaus auf 12.744 EUR festzusetzen.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:

Fundstelle(n):
QAAAD-08039

1Nachschlagewerk: nein; BGHZ: nein; BGHR: nein