BGH Beschluss v. - XII ZB 102/08

Leitsatz

[1] a) Hat eine Partei innerhalb der Berufungsfrist lediglich Prozesskostenhilfe beantragt, beginnt die 14-tägige Wiedereinsetzungsfrist der §§ 234 Abs. 1 Satz 1, 236 Abs. 2 Satz 2 ZPO spätestens mit Zugang der gerichtlichen Entscheidung über diesen Antrag. Sie kann aber auch schon früher beginnen, wenn die Partei, etwa nach einem gerichtlichen Hinweis, nicht mehr mit der Bewilligung der beantragten Prozesskostenhilfe rechnen konnte.

b) Zwar darf ein Prozessbevollmächtigter mit der Notierung und Überwachung von Fristen sein voll ausgebildetes und sorgfältig überwachtes Personal betrauen, soweit nicht besondere Gründe gegen deren Zuverlässigkeit sprechen. Dann muss er aber durch ausreichende organisatorische Maßnahmen, etwa durch eine allgemeine Kanzleianweisung oder durch Einzelanweisungen, sicherstellen, dass alle für die Einhaltung einer Frist notwendigen Tätigkeiten erledigt werden. Dazu gehört es auch, dass der Rechtsanwalt Kenntnis von gerichtlichen Hinweisen erhält, die Auswirkungen auf den Fristablauf haben können.

Gesetze: ZPO § 234 Abs. 1 Satz 1 A; ZPO § 236 Abs. 2 Satz 2 D

Instanzenzug: AG Oldenburg, 59 F 270/06 vom OLG Oldenburg, 13 UF 41/08 vom

Gründe

I.

Das Urteil des Amtsgerichts - Familiengericht - vom wurde den Klägern am zugestellt. Am Montag, dem ging beim Oberlandesgericht ein Antrag der Kläger auf Prozesskostenhilfe für die Durchführung eines Berufungsverfahrens ein. Dem Antrag war keine Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse beigefügt. Das Original des Antrags, dem eine Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse beilag, ging am (Dienstag) beim Oberlandesgericht ein. Mit Verfügung vom - eingegangen bei dem Prozessbevollmächtigten der Kläger am - wies das Oberlandesgericht die Kläger "darauf hin, dass dem am per Fax eingegangenen Antrag auf Prozesskostenhilfe weder das angegriffene Urteil noch die Erklärung zu den persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen beigefügt war". Mit Beschluss vom versagte das Oberlandesgericht den Klägern die begehrte Prozesskostenhilfe mangels Erfolgsaussicht. Der Beschluss wurde den Klägern am zugestellt. Mit einem am selben Tag eingegangenen Schriftsatz vom legten die Kläger Berufung ein und begründeten diese zugleich. Außerdem beantragten sie Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsfrist. Mit weiterem Schriftsatz vom beantragten sie außerdem Wiedereinsetzung in eine versäumte Wiedereinsetzungsfrist.

Das Oberlandesgericht hat den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zurückgewiesen, weil der Antrag nicht binnen der 14-tägigen Wiedereinsetzungsfrist eingegangen sei, die am zu laufen begonnen habe. Dagegen richtet sich die Rechtsbeschwerde der Kläger.

II.

Die Rechtsbeschwerde ist nach § 574 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO statthaft. Sie ist jedoch nicht zulässig, da es an den Voraussetzungen des § 574 Abs. 2 ZPO fehlt. Denn eine Entscheidung des Berufungsgerichts ist entgegen der Rechtsauffassung der Kläger nicht zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung und auch nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache oder zur Fortbildung des Rechts erforderlich.

Zwar dient das Rechtsinstitut der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach gefestigter Rechtsprechung in besonderer Weise dazu, den Rechtsschutz und das rechtliche Gehör zu garantieren. Daher gebieten es die Verfahrensgrundrechte auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip) und auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG), den Zugang zu den Gerichten und den in den Verfahrensordnungen vorgesehenen Instanzen nicht in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise zu erschweren (BGHZ 151, 221, 227 m.w.N.; Senatsbeschlüsse vom - XII ZB 131/06 - FamRZ 2008, 1166 und vom - XII ZB 225/04 - FamRZ 2005, 791, 792). Gegen diese Grundsätze verstößt die angefochtene Entscheidung im Ergebnis nicht.

1. Zutreffend ist das Berufungsgericht davon ausgegangen, dass eine arme Partei, die ein Rechtsmittel einlegen will, grundsätzlich Anspruch auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand hat, wenn sie ihr Prozesskostenhilfegesuch - wie hier - bis zum Ablauf der Rechtsmittelfrist eingereicht hatte. Das setzt allerdings voraus, dass dem Antrag auf Prozesskostenhilfe zur Durchführung des Rechtsmittelverfahrens innerhalb der Rechtsmittelfrist eine ausgefüllte Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse nebst insoweit notwendigen Belegen beigefügt war. Denn für den Regelfall schreibt § 117 Abs. 4 ZPO zwingend vor, dass sich der Antragsteller zur Darlegung seiner persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des durch die Verordnung vom (BGBl. I 3001, abgedruckt bei Zöller/Philippi ZPO 26. Aufl. § 117 Rdn. 15) eingeführten Vordrucks bedienen muss. Der Antragsteller kann deswegen grundsätzlich nur dann davon ausgehen, die wirtschaftlichen Voraussetzungen für die Gewährung von Prozesskostenhilfe dargelegt zu haben, wenn er rechtzeitig vor Ablauf der Rechtsmittelfrist einen ordnungsgemäß ausgefüllten Vordruck nebst den erforderlichen Anlagen zu den Akten reicht (Senatsbeschlüsse vom - XII ZB 151/07 - FamRZ 2008, 871; vom - XII ZB 116/05 - FamRZ 2005, 1901, 1902 und vom - XII ZA 11/03 - FamRZ 2004, 1548). Einen solchen vollständigen Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe hatten die Kläger hier erst mit dem Originalschriftsatz nach Ablauf der Berufungsfrist am eingereicht.

Zwar weist die Rechtsbeschwerde zu Recht darauf hin, dass eine Partei, der bereits in erster Instanz Prozesskostenhilfe bewilligt worden war, grundsätzlich davon ausgehen darf, dass ihr bei unveränderten wirtschaftlichen Verhältnissen auch in der zweiten Instanz die Prozesskostenhilfe nicht mangels Bedürftigkeit versagt wird (Senatsbeschlüsse vom - XII ZB 221/99 - NJW-RR 2000, 1387 und vom - XII ZB 71/00 - FamRZ 2005, 789). Dies setzt allerdings voraus, dass die unveränderten wirtschaftlichen Verhältnisse mit dem Antrag auf Prozesskostenhilfe hinreichend deutlich gemacht werden. Solches ist entweder dadurch möglich, dass dem Antrag eine neue Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse beigefügt wird, die sich nicht wesentlich von der bereits vorliegenden Erklärung im ersten Rechtszug unterscheidet. Haben sich die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse seit der Erklärung im ersten Rechtszug nicht verändert, kann die Partei auf eine Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Berufungsverfahren aber auch dann vertrauen, wenn sie dies in ihrem neuen Prozesskostenhilfeantrag ausdrücklich versichert. Weil der rechtzeitig am (Montag) per Fax eingegangene Prozesskostenhilfeantrag weder eine Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse noch einen Hinweis auf unveränderte Verhältnisse seit der Bewilligung der Prozesskostenhilfe in erster Instanz enthält, konnten die Kläger bei verspätetem Eingang der Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse nicht auf eine Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Berufungsverfahren vertrauen.

2. Ist innerhalb der Berufungsfrist - wie hier - kein Rechtsmittel und auch kein vollständiger Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe eingegangen, kommt allerdings gleichwohl eine Wiedereinsetzung in die versäumte Rechtsmittelfrist in Betracht, wenn der verspätete Eingang der Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse nicht auf einem dem Rechtsmittelführer zurechenbaren Verschulden beruht (Senatsbeschluss vom - XII ZB 131/06 - FamRZ 2008, 1166, 1167).

Mit Recht weist die Rechtsbeschwerde deswegen darauf hin, dass auch hier eine Wiedereinsetzung in die versäumte Rechtsmittelfrist grundsätzlich in Betracht kam, obwohl bis zum Ablauf der Berufungsfrist kein vollständiger Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe eingegangen war. Denn die Kläger haben vorgetragen und glaubhaft gemacht, dass der verspätete Eingang der Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse nicht auf einem Verschulden ihrer Prozessbevollmächtigten beruht. Dieser hatte den vollständigen Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe mit der vollständig ausgefüllten Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse am Tag des Fristablaufs seiner Anwaltsgehilfin übergeben, um sie noch am selben Tag per Fax an das Berufungsgericht zu übersenden. Durch eine generelle Kanzleianweisung war die Kanzleiangestellte zudem angehalten, einem per Fax zu übersendenden Schreiben stets auch alle Anlagen beizufügen. Dies hat die Anwaltsgehilfin nach dem Inhalt der eidesstattlichen Versicherungen eigenmächtig unterlassen, was in Anbetracht der abweichenden Kanzleianweisung kein Organisationsverschulden begründet und den Klägern deswegen auch nicht nach § 85 Abs. 2 ZPO zugerechnet werden kann.

3. Das Oberlandesgericht hat den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand in die versäumte Berufungsfrist allerdings gleichwohl zu Recht zurückgewiesen, weil der Wiedereinsetzungsantrag mit der nachgeholten Berufung nicht innerhalb der Wiedereinsetzungsfrist der §§ 234 Abs. 1 Satz 1, 236 Abs. 2 Satz 2 ZPO eingegangen ist.

Die Wiedereinsetzungsfrist beginnt nach § 234 Abs. 2 ZPO mit dem Tag, an dem das Hindernis behoben ist. Das ist in Fällen der Prozesskostenarmut spätestens der Zeitpunkt der Zustellung des Prozesskostenhilfebeschlusses.

a) Wenn der Antragsteller aber schon früher nicht mehr mit einer Bewilligung der beantragten Prozesskostenhilfe rechnen kann, beginnt die Wiedereinsetzungsfrist bereits in diesem Zeitpunkt. Die Frist für den Antrag auf Wiedereinsetzung in die Rechtsmittelfrist beginnt also spätestens in dem Zeitpunkt, in dem der Partei ein gerichtlicher Hinweis zugeht, dass die Voraussetzungen für eine Bewilligung von Prozesskostenhilfe nicht vorliegen. Jedenfalls ab diesem Zeitpunkt muss der Antragsteller mit der Ablehnung des Prozesskostenhilfegesuchs rechnen; er darf deswegen mit seinem Wiedereinsetzungsgesuch und der Nachholung der versäumten Prozesshandlung nicht über die 14-tägige Frist (§§ 234 Abs. 1 Satz 1, 236 Abs. 2 Satz 2 ZPO) hinaus zuwarten, bis das Gericht über sein Gesuch entscheidet (Senatsbeschluss vom - XII ZB 207/06 - FamRZ 2007, 801, 802).

Gleiches gilt, wenn der Antragsteller Umstände erfährt, die ein weiteres Vertrauen auf die Bewilligung der beantragten Prozesskostenhilfe erschüttern. Das ist etwa der Fall, wenn der Antragsteller - wie hier - erfährt, dass sein Antrag entgegen der ausdrücklichen Anweisung seiner Prozessbevollmächtigten nicht in vollständiger Form rechtzeitig dem Berufungsgericht übersandt worden ist. Im Hinblick auf die insoweit eindeutige Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs muss ihm damit bekannt sein, dass eine Bewilligung von Prozesskostenhilfe vernünftigerweise nicht mehr in Betracht kommt (Senatsbeschlüsse vom - XII ZB 184/05 - zur Veröffentlichung bestimmt; vom - XII ZB 131/06 - FamRZ 2008, 1166; vom - XII ZB 83/07 - FamRZ 2008, 868; vom - XII ZB 151/07 - FamRZ 2008, 871 und vom - XII ZB 125/05 - FamRZ 2006, 32).

b) Soweit die Kläger sich darauf berufen, ihre Prozessbevollmächtigte habe erst mit Zugang des die Prozesskostenhilfe ablehnenden Beschlusses Kenntnis von dem verspäteten Eingang der Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse erlangt, steht dies einem Fristbeginn mit Zugang des gerichtlichen Hinweises am nicht entgegen. Zwar haben die Kläger glaubhaft gemacht, dass die Rechtsanwaltsgehilfin ihrer Prozessbevollmächtigten den Hinweis eigenmächtig bearbeitet und dem Prozessbevollmächtigten nicht vorgelegt hat. Zutreffend ist auch, dass ein Verschulden der Rechtsanwaltsgehilfin den Klägern nicht nach § 85 Abs. 2 ZPO zugerechnet werden kann. Die nicht rechtzeitige Kenntnisnahme des gerichtlichen Hinweises durch die Prozessbevollmächtigte der Kläger ist aber auf ein Organisationsverschulden in ihrem Büro zurückzuführen.

Die Bearbeitung eines ihm übertragenden Mandats ist grundsätzlich Sache des Rechtsanwalts, hier also der Prozessbevollmächtigten der Kläger. Zwar darf ein Prozessbevollmächtigter mit der Notierung und Überwachung von Fristen sein voll ausgebildetes und sorgfältig überwachtes Personal betrauen, soweit nicht besondere Gründe gegen deren Zuverlässigkeit sprechen (Senatsbeschluss vom - XII ZB 109/04 - FamRZ 2007, 2059, 2060). Dann muss der Rechtsanwalt aber durch ausreichende organisatorische Maßnahmen, etwa durch eine allgemeine Kanzleianweisung oder durch Einzelanweisungen, sicherstellen, dass alle für die Einhaltung einer Frist notwendigen Tätigkeiten erledigt werden. Dazu gehört es auch, dass der Rechtsanwalt Kenntnis von gerichtlichen Hinweisen erhält, die Auswirkungen auf den Fristablauf haben können. Denn gerichtliche Hinweise in fristgebundenen Angelegenheiten sind von dem Prozessbevollmächtigten selbst zu bearbeiten und können nicht zur eigenverantwortlichen Bearbeitung auf das Büropersonal übertragen werden.

Dem Wiedereinsetzungsgesuch ist nicht zu entnehmen, ob im Büro des Prozessbevollmächtigten der Kläger eine Kanzleianweisung bestand, die eine grundsätzliche Vorlage gerichtlicher Hinweise sicherstellt, und ob die Kanzleiangestellte sich darüber hinweggesetzt hat, als sie den am eingegangenen Hinweis eigenmächtig bearbeitete. Die Kläger haben nicht dargelegt, dass in der Kanzlei ihrer Prozessbevollmächtigten ausreichende organisatorische Vorkehrungen getroffen waren, die es sicherstellten, dass ihr ein für den Beginn der Wiedereinsetzungsfrist relevanter gerichtlicher Hinweis vorgelegt wird. Weil dieser Vortrag im Verfahren der Rechtsbeschwerde auch nicht mehr nachgeholt werden kann, kommt eine Wiedereinsetzung in die versäumte Berufungsfrist nicht in Betracht.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:


Fundstelle(n):
NJW 2009 S. 854 Nr. 12
LAAAD-02621

1Nachschlagewerk: ja; BGHZ: nein; BGHR: ja