BFH Urteil v. - VI R 12/05 BStBl 2009 II S. 116

Auslegung des eingelegten Rechtsbehelfs

Gesetze: AO § 357, BGB § 133, BGB § 157

Instanzenzug: (Verfahrensverlauf),

Gründe

I. Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) wurden als Ehegatten zum Streitjahr (2001) mit Bescheid vom zur Einkommensteuer, Solidaritätszuschlag und Kirchensteuer zusammen veranlagt. Mit Schreiben vom erhob der damalige Bevollmächtigte der Kläger dagegen „Einspruch” und führte zur Begründung aus, „der Einspruch richtet sich gegen die Festsetzung eines Kirchgeldes für die Ehefrau”. Hierauf erwiderte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt —FA—) mit Schreiben vom , da sich der Einspruch gegen die Festsetzung des Kirchgeldes richte und der richtige Rechtsbehelf hiergegen der Widerspruch wäre, werde der Einspruch als Widerspruch gegen den Kirchensteuerbescheid behandelt. Indessen habe auch dieser keine Aussicht auf Erfolg. Nach vergeblicher Bitte um Stellungnahme bis zum und Erinnerung vom meldete sich mit Schriftsatz vom der jetzige Bevollmächtigte der Kläger und führte aus: „Der Einspruch gegen den Einkommensteuerbescheid 2001 wird weiter aufrecht erhalten.” Neben der Herabsetzung des Kirchgeldes machte er weitere Werbungskosten geltend. Nach weiterem Schriftwechsel zur materiellen Berechtigung des Werbungskostenabzugs setzte das FA mit Bescheid vom das Kirchgeld antragsgemäß herab und wies mit Bescheid vom den Einspruch gegen den Einkommensteuerbescheid, der ausdrücklich als zulässig bezeichnet wurde, als unbegründet zurück.

Die am gegen den Einkommensteuerbescheid in Gestalt der Einspruchsentscheidung erhobene Klage, mit der die Kläger den Abzug weiterer Werbungskosten geltend machten, wies das Finanzgericht (FG) mit der Begründung ab, Einspruch sei erstmals mit Schreiben vom , also verspätet eingelegt worden, weil das Schreiben vom —nach seiner Begründung— nur als Widerspruch gegen die Kirchensteuerfestsetzung habe angesehen werden können. Da der Einkommensteuerbescheid demnach bestandskräftig geworden sei, sei schon aus diesem Grund die Klage ohne weitere Sachprüfung abzuweisen.

Mit der Revision machen die Kläger Verletzung materiellen Rechts geltend.

Die Kläger beantragen, unter Aufhebung der Vorentscheidung die Sache an das FG zurückzuverweisen, damit dieses über die geltend gemachten Werbungskosten entscheiden könne.

Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

II. Die Revision der Kläger ist unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der FinanzgerichtsordnungFGO—). Das Urteil des FG entspricht dem materiellen Recht (§ 118 Abs. 1 Satz 1 FGO). Dem Gericht ist darin zu folgen, dass eine Überprüfung in der Sache nicht mehr möglich gewesen ist. Der Einkommensteuerbescheid vom ist bestandskräftig geworden.

Die Annahme des FG, der von dem ehemaligen Prozessbevollmächtigten der Kläger als „Einspruch” bezeichnete Rechtsbehelf vom habe sich nicht gegen den Einkommensteuerbescheid vom , sondern ausschließlich gegen den Kirchensteuerbescheid selben Datums gerichtet, hält einer revisionsrechtlichen Prüfung stand.

1. Gemäß § 357 Abs. 3 Satz 1 der Abgabenordnung (AO) „soll” bei der Einlegung des Rechtsbehelfs der Verwaltungsakt bezeichnet werden, gegen den der Einspruch gerichtet ist. Danach ist die Rechtswirksamkeit des eingelegten Rechtsbehelfs nicht von einer genauen Bezeichnung des angefochtenen Verwaltungsakts abhängig. Es ist jedoch erforderlich, dass sich die Zielrichtung des Begehrens aus der Rechtsbehelfsschrift in der Weise ergibt, dass sich der angefochtene Verwaltungsakt entweder aus dem Inhalt der Rechtsbehelfsschrift selbst ermitteln lässt oder Zweifel oder Unklarheiten am Gewollten durch Rückfragen des FA beseitigt werden können (, BFH/NV 2007, 1509). Fehlt es an einer eindeutigen und zweifelsfreien Erklärung des tatsächlich Gewollten, ist der wirkliche Wille des Steuerpflichtigen durch Auslegung seiner Erklärungen zu ermitteln. Dabei ist grundsätzlich davon auszugehen, dass der Steuerpflichtige denjenigen Verwaltungsakt anfechten will, der angefochten werden muss, um zu dem erkennbar angestrebten Erfolg zu kommen (vgl. BFH-Entscheidungen vom X B 43/06, BFH/NV 2007, 1499; vom IX B 208/05, BFH/NV 2006, 2269; vom XI B 206/04, BFH/NV 2006, 68; vom IV R 48/02, BFHE 206, 211, BStBl II 2004, 964). Dies gilt grundsätzlich auch für Erklärungen rechtskundiger Personen (vgl. z.B. BFH-Beschlüsse vom XI B 149/05, BFH/NV 2006, 2035; vom XI B 45/03, BFH/NV 2005, 2029).

Die Auslegung des Einspruchs ist Gegenstand der vom FG zu treffenden tatsächlichen Feststellungen, an die das Revisionsgericht gebunden ist (§ 118 Abs. 2 FGO), soweit im Revisionsverfahren keine zulässigen und begründeten Revisionsrügen erhoben werden. Das Revisionsgericht kann die Auslegung durch das FG nur daraufhin überprüfen, ob das FG die gesetzlichen Auslegungsregeln beachtet und nicht gegen Denkgesetze und Erfahrungssätze verstoßen hat (BFH-Urteil in BFH/NV 2007, 1509; vgl. Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 6. Aufl., § 118 Rz 48). Revisionsrechtlich in vollem Umfang nachprüfbar ist indes, ob der Einspruch auslegungsbedürftig ist. Hieran fehlt es, wenn die Erklärung nach Wortlaut und Zweck einen eindeutigen Inhalt hat (vgl. , BFH/NV 2002, 613; vom IV R 51/96, BFH/NV 1998, 6).

2. Die Entscheidung des FG entspricht diesen Rechtsgrundsätzen.

a) Der insoweit streitgegenständliche Bescheid über Einkommen- und Kirchensteuer vom ist ein sog. Sammelbescheid. Beide Steuerfestsetzungen stehen selbständig nebeneinander und sind lediglich in einem Bescheid verbunden. Die Steuerfestsetzungen können daher grundsätzlich unabhängig voneinander angefochten werden (BFH-Urteil in BFH/NV 2007, 1509; Birkenfeld in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 347 AO Rz 79). Ausgehend von dieser Sachlage ist der Inhalt des mit Schreiben vom eingelegten Rechtsbehelfs auslegungsbedürftig. Zwar wird darin zunächst, gleichsam einleitend, ausgeführt, dass Einspruch gegen den Einkommensteuerbescheid für das Streitjahr eingelegt werde. Eine Beschwer durch die Einkommensteuerfestsetzung haben die Kläger allerdings nicht dargelegt, sondern ausgeführt, dass sich der Einspruch gegen die Festsetzung eines Kirchgeldes für die Ehefrau richte, und dies kurz begründet. Das FA hatte den Rechtsbehelf des damaligen Prozessbevollmächtigten der Kläger infolgedessen zunächst als „Widerspruch” gegen die Festsetzung der Kirchensteuer desselben Jahres angesehen. Angesichts dieser Widersprüchlichkeiten hat das FG die mit Schriftsatz vom abgegebenen Erklärungen der Kläger zu Recht als auslegungsbedürftig und auslegungsfähig angesehen.

b) Die vom FG vorgenommene Auslegung, dass der mit Schreiben vom eingelegte Rechtsbehelf als Widerspruch gegen den Kirchensteuerbescheid zu werten sei, lässt einen Verstoß gegen Denkgesetze und Erfahrungssätze nicht erkennen.

Die Auslegung orientiert sich ersichtlich an dem von den Klägern dargelegten Rechtsschutzziel, sich gegen die Festsetzung des Kirchgeldes für den kirchenangehörigen Ehegatten zu wenden. Daher steht auch der Umstand, dass die rechtskundig beratenen Kläger ihren Rechtsbehelf zunächst als Einspruch gegen den Einkommensteuerbescheid bezeichnet haben, anstatt den Kirchensteuerbescheid mit dem hierfür vorgesehenen Rechtsbehelf des Widerspruchs anzugreifen, dieser Auslegung nicht entgegen. Denn ebenso, wie nach § 357 Abs. 1 Satz 4 AO die unrichtige Bezeichnung des Einspruchs nicht schadet, also etwa auch ein als Widerspruch bezeichneter Rechtsbehelf als wirksamer Einspruch angesehen werden kann (Tipke in Tipke/Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 357 AO Rz 4), kann ein als Einspruch bezeichneter Rechtsbehelf als Widerspruch zu behandeln sein. Wenn daher das FG angesichts der Ausführungen der Kläger, sich gegen die Festsetzung eines Kirchgeldes für die Ehefrau wenden zu wollen, den als Einspruch bezeichneten Rechtsbehelf als Widerspruch gegen die Kirchgeldfestsetzung auslegte, ist dies revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.

Fundstelle(n):
BStBl 2009 II Seite 116
AO-StB 2009 S. 35 Nr. 2
BB 2009 S. 130 Nr. 4
BFH/NV 2008 S. 1641 Nr. 10
BFH/NV 2009 S. 238 Nr. 2
BFH/PR 2009 S. 110 Nr. 3
BStBl II 2009 S. 116 Nr. 5
DB 2009 S. 326 Nr. 7
DStRE 2009 S. 247 Nr. 4
HFR 2009 S. 222 Nr. 3
NWB-Eilnachricht Nr. 4/2009 S. 190
StB 2009 S. 62 Nr. 3
StBW 2009 S. 8 Nr. 3
StuB-Bilanzreport Nr. 5/2009 S. 204
LAAAC-87990