Leitsatz
[1] Zur Unterbrechung des Verfahrens der Nichtzulassungsbeschwerde gegen ein Berufungsurteil, mit dem ein Urteil eines ausländischen Gerichts für vollstreckbar erklärt worden ist, das zur Zahlung aus einem Nachlass verurteilt hat, über den im Inland das Nachlassinsolvenzverfahren eröffnet worden ist.
Gesetze: ZPO § 240; ZPO § 722; InsO § 178 Abs. 1; InsO § 179 Abs. 2; InsO § 180 Abs. 2
Instanzenzug: LG Göttingen, 6 O 39/01 vom OLG Braunschweig, 8 U 52/04 vom
Gründe
1. Die Nachlassinsolvenz unterbricht gemäß § 240 Satz 1 ZPO die Prozesse der Erben, die diese als solche führen, d.h. im Falle eines Passivprozesses Klagen, mit denen Nachlassverbindlichkeiten im Sinne von § 1967 BGB geltend gemacht werden (RG JW 1883, 36 f; KG OLGRspr 1 (1900), 445, 446; OLG München NJW-RR 1996, 228, 229; OLG Köln NJW-RR 2003, 47 f, NJW-RR 2003, 264; Hk-ZPO/Wöstmann, 2. Aufl. § 240 Rn. 4; MünchKomm-ZPO/Gehrlein, 3. Aufl. § 240 Rn. 15 a. E.; Musielak/Stadler, ZPO 6. Aufl. § 240 Rn. 2; Stein/Jonas/Roth, ZPO 22. Aufl. § 240 Rn. 11; Thomas/Putzo/Hüßtege, ZPO 28. Aufl. § 240 Rn. 5 f; Wieczorek/Schütze/Gerken, ZPO 3. Aufl. § 240 Rn. 10; Zöller/Greger, ZPO 26. Aufl. § 240 Rn. 7; Jaeger/Windel, InsO § 85 Rn. 24; MünchKomm-InsO/Schumacher, 2. Aufl. Vor §§ 85 bis 87 Rn. 32).
2. Die Vollstreckbarerklärung ausländischer Urteile gemäß §§ 722 f ZPO ist als Verfahren im Sinne des § 240 Satz 1 ZPO anzusehen, das durch Eröffnung des inländischen Insolvenzverfahrens unterbrochen wird, wenn es - wie hier - die Insolvenzmasse betrifft.
Diese Rechtsfrage ist in Rechtsprechung und Schrifttum umstritten. Die Stellungnahmen hierzu beziehen sich allerdings überwiegend auf die Vollstreckbarerklärung nach Art. 31 ff des Übereinkommens über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen vom (BGBl II 1972, 774 in der Fassung des 4. Beitrittsübereinkommens vom , BGBl II 1998, 1412, fortan: EuGVÜ) bzw. Art. 38 ff, 43 der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen vom (ABl EG Nr. L 12 vom , fortan: EuGVVO) und §§ 1, 3 ff, 11 ff AVAG, nicht auf das Verfahren nach §§ 722 f ZPO.
a) Die Unterbrechung des inländischen Vollstreckbarkeitsverfahren wird von einem Teil der Rechtsprechung und des Schrifttums jedenfalls dann bejaht, soweit es nach Einlegung eines Rechtsbehelfs zweiseitig ausgestaltet ist (OLG Zweibrücken NJW-RR 2001, 985; OLG Dresden DZWIR 2001, 434; MünchKomm-ZPO/Gehrlein, aaO § 240 Rn. 3; Wieczorek/Schütze/Gerken, aaO § 240 Rn. 1; Zöller/Geimer, aaO § 722 Rn. 4; MünchKomm-InsO/Reinhart, 1. Aufl. Art. 102 EGInsO Rn. 172; Uhlenbruck, InsO 12. Aufl. § 85 Rn. 21; Heß IPRax 1995, 16, 18; Mankowski ZIP 1994, 1577, 1579; Gruber IPRax 2007, 426, 428 f).
b) Die Gegenauffassung nimmt an, das Verfahren der Vollstreckbarkeitserklärung werde durch die Eröffnung des inländischen Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Schuldners nicht unterbrochen (OLG Saarbrücken NJW-RR 1994, 636, 637; OLG Frankfurt IPRax 2002, 35, 36 mit zustimmender Anmerkung von Rinne/Sejas IPRax 2002, 28, 29; OLG Frankfurt ZInsO 2002, 33, 35; OLG Dresden IPRspr 2005 Nr. 171, 467, 469; FK-InsO/App, 4. Aufl. § 89 Rn. 11).
c) Die zuerst genannte Auffassung trifft für das Verfahren gemäß §§ 722 f ZPO zu.
aa) Dieser Ansicht, nach der § 240 ZPO seinem Wortlaut gemäß auch auf das Verfahren der Vollstreckbarerklärung Anwendung findet, steht die systematische Stellung der §§ 722 f ZPO im achten Buch der Zivilprozessordnung über die Zwangsvollstreckung nicht entgegen.
Nach der Rechtsprechung des VII. Zivilsenats des Bundesgerichtshofs wird zwar das Zwangsvollstreckungsverfahren in Bezug auf Pfändungsmaßnahmen nicht nach § 240 ZPO wegen der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Schuldners unterbrochen (BGHZ 172, 16, 18 Rn. 8; a.A. OLG Hamburg OLGR 1997, 203). Gleiches gilt demnach für die die Zwangsvollstreckung vorbereitenden und sie erst ermöglichenden Maßnahmen wie die Erteilung der Vollstreckungsklausel (, ZIP 2008, 527, 528 Rn. 7 a.E.). Allerdings ist dann jeweils der Insolvenzverwalter anstelle des Insolvenzschuldners Beteiligter des Zwangsvollstreckungsverfahrens (BGHZ 172, 16, 18 Rn. 7; aaO Rn. 7).
bb) Bei dem Rechtsstreit nach § 722 ZPO handelt es sich jedoch um einen ordentlichen Zivilprozess und nicht um ein Verfahren der Zwangsvollstreckung (BGHZ 118, 312, 316; , ZZP 70 (1957), 234, 235; OLG Köln ZIP 2007, 2287, 2288; LG Karlsruhe IPRspr 1991 Nr. 200d; Schütze in Geimer/Schütze, Internationale Urteilsanerkennung Bd. I 2. Halbbd. § 237 I; Wolff RIW 1986, 728, 730; Mankowski ZIP 1994, 1577, 1578). Maßgebender Titel für die Zwangsvollstreckung im Inland ist allein die Entscheidung über die Vollstreckbarerklärung ( IVb ZR 73/84, NJW 1986, 1440; OLG Zweibrücken NJW-RR 2001, 985). Das deutsche Vollstreckbarerklärungsverfahren schafft als Erkenntnisverfahren - wie schon aus dem Begriff Vollstreckungsurteil hervorgeht - erst diesen Titel und kann deswegen in seiner Ausgestaltung und Funktion nicht mit dem Klauselerteilungsverfahren nach §§ 724 ff ZPO verglichen werden (Mankowski ZIP 1994, 1577, 1578 f).
Streitgegenstand des Verfahrens auf Vollstreckbarerklärung eines ausländischen Urteils ist zwar nicht der dem ausländischen Titel zu Grunde liegende Anspruch des Klägers, sondern die Herstellung der Vollstreckbarkeit der ausländischen Entscheidung im Inland durch rechtsgestaltendes Urteil (Hk-ZPO/Kindl, aaO § 723 Rn. 5; MünchKomm-ZPO/Gottwald, aaO § 722 Rn. 2; Thomas/Putzo/Hüßtege, aaO § 723 Rn. 9; Wieczorek/Schütze, aaO § 722 Rn. 25; Zöller/Geimer, aaO § 722 Rn. 6). Auch Gestaltungsprozesse werden indessen unterbrochen, wenn sie unmittelbar oder mittelbar den Bestand der Insolvenzmasse berühren (Kübler/Prütting/Lüke, InsO § 85 Rn. 18; MünchKomm-InsO/Schumacher, aaO Vor §§ 85 bis 87 Rn. 31).
cc) Auch der Zweck des § 240 ZPO erfordert die Anwendung auf das Verfahren nach § 722 ZPO. Durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens geht das Recht des Schuldners, das zur Insolvenzmasse gehörende Vermögen zu verwalten und über es zu verfügen, gemäß § 80 Abs. 1 InsO auf den Insolvenzverwalter über. Diesem Wechsel in der Prozessführungsbefugnis trägt § 240 Satz 1 ZPO Rechnung, indem er die Unterbrechung der die Insolvenzmasse betreffenden anhängigen Verfahren anordnet. Der Insolvenzverwalter soll genügend Zeit haben, sich mit dem Prozessgegenstand zu befassen und zu prüfen, ob die Fortführung des Prozesses sinnvoll erscheint (Mankowski ZIP 1994, 1577, 1579 f; Zöller/Greger, aaO § 240 Rn. 1). Laufende Prozesse dürfen das Insolvenzverfahren nicht stören und die Rechte der Insolvenzgläubiger nicht beeinträchtigen. Dieser Zweck ist betroffen, wenn der Gläubiger eines ausländischen Titels im Rahmen eines ordentlichen Zivilprozesses ein Gestaltungsurteil begehrt, auf Grund dessen die Forderung im Inland vollstreckt werden könnte. Im Unterschied zum formalen Verfahren der Zwangsvollstreckung aus einem inländischen Titel (BGHZ 172, 16, 19 Rn. 11) bedarf es bei der Klage auf Vollstreckbarerklärung eines ausländischen Titels einer eingehenden Auseinandersetzung mit der Sach- und Rechtslage und daher einer Überlegungsfrist für Gläubiger und Insolvenzverwalter, um das weitere Vorgehen zu klären. Es genügt nicht, dass die §§ 88 ff InsO zur Unwirksamkeit bzw. Unzulässigkeit späterer Vollstreckungsmaßnahmen führen, was mit dem statthaften Rechtsbehelf geltend gemacht werden kann (vgl. BGHZ 172, 16, 20 Rn. 12). Außerdem führt die Gegenauffassung zu einer nicht zu rechtfertigenden unterschiedlichen Behandlung inländischer Gläubiger und ausländischer Titelgläubiger; denn der inländische Forderungsprozess wird gemäß § 240 Satz 1 ZPO vor Erlass eines Titels unterbrochen, wohingegen nach jener Auffassung der ausländische Titel im Inland für vollstreckbar erklärt werden könnte (vgl. Mankowski ZIP 1994, 1577, 1582).
dd) Schließlich bestehen keine schutzwürdigen Interessen des Gläubigers daran, dass das Verfahren der Vollstreckbarerklärung nicht unterbrochen wird. Vielmehr wird sich das Rechtsschutzziel des Gläubigers in die Feststellung der Forderung zur Tabelle verwandeln (Zöller/Greger, aaO § 240 Rn. 1, 14). Der Gläubiger kann seine Forderung unmittelbar zur Insolvenztabelle anmelden. Die Forderung gilt als festgestellt, soweit nicht gemäß § 178 Abs. 1 InsO ein Widerspruch vom Insolvenzverwalter oder einem Insolvenzgläubiger erhoben wird. Widersprechen sie der Feststellung, ist es ihre Aufgabe, den Widerspruch gemäß § 179 Abs. 2 InsO zu verfolgen. Hier liegt für den Kläger bereits ein vollstreckbarer Schuldtitel in Form des angegriffenen Berufungsurteils vor, mit dem das Urteil des Superior Court of Justice der Provinz Ontario vom für vollstreckbar (und diese Vollstreckbarerklärung für vorläufig vollstreckbar) erklärt wurde. Der Widerspruch ist gemäß § 180 Abs. 2 InsO durch Aufnahme des Rechtsstreits zu betreiben. Wenn der Widersprechende den Rechtsstreit nicht aufnimmt, ist dazu gegebenenfalls auch der Gläubiger befugt (vgl. MünchKomm-InsO/Schumacher, aaO § 179 Rn. 43). An den Voraussetzungen für die Zulassung der Revision ändert sich dadurch nichts.
ee) Die Vollstreckbarerklärung bezieht sich hier auf die Verurteilung der Beklagten zur Zahlung aus dem Nachlass und somit auf eine Nachlassverbindlichkeit (§ 325 InsO). Der Kläger könnte auf Grund eines Titels gegen die Beklagten als Erben in den Nachlass vollstrecken (vgl. § 747, § 780, § 784 Abs. 1 ZPO). Deshalb wird der Prozess von der Unterbrechungswirkung der Eröffnung des inländischen Nachlassinsolvenzverfahrens erfasst.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
NJW-RR 2009 S. 279 Nr. 4
WM 2008 S. 1794 Nr. 38
ZIP 2008 S. 1943 Nr. 41
RAAAC-87252
1Nachschlagewerk: ja; BGHZ: nein; BGHR: ja