BGH Urteil v. - 3 StR 84/08

Leitsatz

[1] Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.

Gesetze: StGB § 20; StGB § 21; StGB § 49 Abs. 1; StGB § 63; StGB § 64; StGB § 66; StGB § 66 Abs. 2; StGB § 72

Instanzenzug: LG Kiel, vom

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Mordes in Tateinheit mit Raub mit Todesfolge (Fall 4 der Urteilsgründe) sowie wegen gefährlicher Körperverletzung in drei Fällen (Fälle 1 bis 3) zur lebenslangen Freiheitsstrafe als Gesamtstrafe verurteilt und seine Unterbringung in der Sicherungsverwahrung angeordnet. Der Angeklagte wendet sich mit seiner auf die Rüge der Verletzung sachlichen Rechts gestützten Revision gegen den Schuldspruch im Fall 4 der Urteilsgründe sowie den gesamten Rechtsfolgenausspruch.

Die Überprüfung des Urteils aufgrund der Revisionsrechtfertigung hat zum angefochtenen Teil des Schuldspruchs aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts keinen durchgreifenden Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben. Der Rechtsfolgenausspruch hat hingegen insgesamt keinen Bestand.

I. Nach den Feststellungen zu den Fällen 1 bis 3 verletzte der jeweils erheblich alkoholisierte Angeklagte im Zeitraum zwischen ca. Mitte September und dem aus Verärgerung den neun Jahre alten Sohn seiner Lebensgefährtin in drei Fällen schwer. Im ersten Fall schlug er mit einer Baseballkeule gezielt auf dessen linken Oberarm im Bereich des Ellenbogengelenks, wodurch er eine Fraktur verursachte. In den zwei weiteren Fällen warf er u. a. Messer auf den Geschädigten, die teilweise im Körper stecken blieben.

1. In diesen Fällen ist das sachverständig beratene Landgericht auf der Grundlage der festgestellten Trinkgewohnheiten des Angeklagten - Konsum von täglich vier bis sechs Litern Bier sowie einer halben bis dreiviertel Flasche Rum - und seiner Einlassung zu den Taten davon ausgegangen, eine erhebliche alkoholbedingte Beeinträchtigung der Steuerungsfähigkeit sei nicht sicher auszuschließen. Die fakultative Strafrahmenverschiebung gemäß §§ 21, 49 Abs. 1 StGB hat es abgelehnt, weil der Angeklagte gewusst habe, dass er unter Alkoholeinfluss zu Gewalttätigkeiten neige.

2. Dies hält rechtlicher Überprüfung nicht stand.

a) Zwar können Umstände, welche die Schuld erhöhen, zur Versagung der Strafrahmenmilderung gemäß §§ 21, 49 Abs. 1 StGB führen, wenn sie die infolge der Herabsetzung der Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit verminderte Tatschuld aufwiegen. Dies kann bei einer alkoholbedingten Verminderung der Schuldfähigkeit dann der Fall sein, wenn sie auf einer selbst zu verantwortenden, verschuldeten Trunkenheit beruht, die dem Täter uneingeschränkt vorwerfbar ist; dabei ist es regelmäßig auch ohne Belang, ob dieser schon früher unter Alkoholeinfluss vergleichbare Straftaten begangen hat (vgl. BGH NStZ 2003, 480, 481; Fischer, StGB 55. Aufl. § 21 Rdn. 20, 25 ff.). Ein die Steuerungsfähigkeit erheblich beeinträchtigender Alkoholrausch ist aber dann nicht verschuldet, wenn der Täter alkoholkrank oder alkoholüberempfindlich ist. Eine Alkoholerkrankung, bei der schon die Alkoholaufnahme nicht als ein die Schuld erhöhender Umstand zu werten ist, liegt regelmäßig vor, wenn der Täter den Alkohol aufgrund eines unwiderstehlichen oder ihn weitgehend beherrschenden Hanges trinkt, der seine Fähigkeit, der Versuchung zum übermäßigen Alkoholkonsum zu widerstehen, einschränkt (st. Rspr.; vgl. Fischer aaO § 21 Rdn. 26 m. w. N.).

b) Die vom Landgericht getroffenen Feststellungen lassen es als möglich erscheinen, dass der Angeklagte im dargestellten Sinne alkoholkrank war. Zwar ist es bei seinen Erwägungen lediglich von einer massiven Alkoholgewöhnung ausgegangen, die ebenso wie ein Hang im Sinne des § 64 StGB für sich allein grundsätzlich nicht ausreicht, um den Alkoholkonsum als unverschuldet einzustufen. Indessen hätte das Landgericht wegen des Vorlebens des Angeklagten, das von einem bereits während der Schulzeit begonnenen Alkoholkonsum und einem langjährigen Alkoholmissbrauch gekennzeichnet war, seiner schweren Persönlichkeitsstörung, die in Konfliktsituationen regelmäßig zu einem Suchtmittelkonsum führt, der außergewöhnlich hohen täglichen Alkoholmengen, und wegen des Umstandes, dass er bei allen verfahrensgegenständlichen Taten und bei weiteren festgestellten, nicht abgeurteilten Straftaten jeweils erheblich alkoholisiert war, mit der Frage einer krankhaften Alkoholsucht näher auseinandersetzen müssen (vgl. BGH NStZ 2008, 330).

II. Nach den getroffenen Feststellungen zum Fall 4 beabsichtigte der Angeklagte am unter dem Vorwand, in eine von ihm unter einem falschen Namen angemietete Ferienwohnung einziehen zu wollen, die Vermieterin auszurauben. Nachdem es zwischen ihm und der Frau zu Unstimmigkeiten über die Hausordnung gekommen war und diese ihn zum Verlassen des Hauses aufgefordert hatte, tötete der unter Alkoholeinfluss stehende Angeklagte aus Wut die arg- und wehrlose Frau durch eine Vielzahl von Messerstichen. Anschließend entwendeten er und seine ihn begleitende Lebensgefährtin verschiedene Wertgegenstände.

1. Zur Beurteilung der Schuldfähigkeit hat der psychiatrische Sachverständige in seinem Gutachten im Wesentlichen ausgeführt: Für eine andere schwere seelische Abartigkeit gebe es keine Anhaltspunkte. Der Angeklagte weise zwar eine schwere Persönlichkeitsstörung mit vor allem emotional-instabilen, narzisstischen und dissozialen Zügen auf, die sich aus einer hochgradig unreifen Emotionalität herleite. Er komme mit sich und seiner Umwelt nur zurecht, solange er Macht ausübe und Gutes tue, könne indes dann, wenn er in Frage gestellt werde, die daraus resultierenden Konflikte nicht lösen. Jedes Scheitern, jede Frustration und jeder Verlust seien für ihn Anlass für einen depressiven Rückzug und Suchtmittelkonsum, wobei der Alkoholkonsum zwar förderlich, aber nicht notwendig sei, um bei ihm aus banalen Anlässen sehr schnelle Stimmungsumschwünge und Aggressionsausbrüche zu erzeugen. Diese Persönlichkeitsstörung erreiche aber insgesamt kein Ausmaß, welches den Angeklagten in seiner Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit erheblich beeinträchtige. Auch eine tiefgreifende Bewusstseinsstörung zum Tatzeitpunkt sei zu verneinen. Zwar sei das Tatgeschehen - wie die Vielzahl der Messerstiche zeige - in hohem Maße affektiv besetzt gewesen, jedoch habe sich die affektive Aufladung nicht zu einem die Steuerungsfähigkeit tangierenden Affekt verdichtet.

Diesen Ausführungen des Sachverständigen hat sich die Strafkammer pauschal "aus eigener Überzeugung" angeschlossen. Eine die Schuldfähigkeit erheblich beeinträchtigende Alkoholisierung zur Tatzeit hat sie verneint. Dem Gutachten des Sachverständigen folgend hat die Strafkammer die Unterbringung des Angeklagten in der Sicherungsverwahrung gemäß § 66 Abs. 2 StGB angeordnet, weil die Gefahr bestehe, dieser werde als Folge seines persönlichkeitsbedingten Unvermögens, Konflikte zu lösen und Beziehungen zu gestalten, weitere schwere Straftaten begehen. Die schwere Persönlichkeitsstörung mit ihren Begleiterscheinungen begründe einen inneren Hang des Angeklagten, in Situationen, in denen andere Personen dem Reiz zur Aggressionstat widerstehen könnten, auf ihn frustrierende und herausfordernde Anstöße mit Gewalttaten zu reagieren.

2. Gegen die Begründung, mit der das Landgericht eine erhebliche Verminderung der Schuldfähigkeit abgelehnt hat, bestehen durchgreifende rechtliche Bedenken.

Aufgrund der Urteilsausführungen lässt sich schon nicht zweifelsfrei beurteilen, ob die Bewertung der Strafkammer rechtsfehlerfrei ist, dass die festgestellte schwere Persönlichkeitsstörung des Angeklagten - isoliert betrachtet - das Eingangsmerkmal einer schweren anderen seelischen Abartigkeit nicht erfüllt. Zwar führen gravierende Persönlichkeitsdefizite, die bei Straftätern häufig vorliegen, nicht notwendig zu Handlungsweisen, die sich außerhalb der Bandbreite des Verhaltens voll schuldfähiger Menschen bewegen. Jedoch ist bei einer nicht pathologisch bedingten schweren Persönlichkeitsstörung das Eingangsmerkmal dann gegeben, wenn sie in ihrem Gewicht einer krankhaften seelischen Störung gleichkommt und Symptome aufweist, die in ihrer Gesamtheit das Leben des Täters vergleichbar schwer und mit ähnlichen Folgen stören, belasten oder einengen. Zur Beurteilung ihres Schweregrades bedarf es einer - hier nur unvollständig vorgenommenen - Gesamtschau der Persönlichkeit des Angeklagten und deren Entwicklung, der Tatvorgeschichte, dem unmittelbaren Anlass und der Ausführung der Tat sowie des Verhaltens nach der Tat (st. Rspr.; vgl. BGHSt 37, 397, 401; 49, 45, 52 f.; BGHR StGB § 63 Zustand 24; BGH NStZ 2000, 585 f.; 2005, 326, 327). Die beschriebenen Persönlichkeitsdefizite - wie die stark eingeschränkte Affektregulation mit der Folge häufiger massiver Konflikte mit anderen Menschen, die Unfähigkeit zur Gestaltung von Beziehungen, das Unvermögen, Lehr- oder Arbeitsstellen über längere Zeit zu halten, sowie die deutliche Störung des Selbstwertgefühls (vgl. Boetticher/Nedopil/Bosinski/Saß NStZ 2005, 57, 60) - könnten möglicherweise darauf hindeuten, dass sie das Leben des Angeklagten mit ähnlichen Folgen stören, belasten und einengen wie eine krankhafte seelische Störung.

Vor allem hat das Landgericht im Rahmen der erforderlichen Gesamtbetrachtung nicht erkennbar die sich aufdrängende Frage geprüft, ob die schwere Persönlichkeitsstörung, die Alkoholisierung und die affektive Aufladung, die nach seiner Überzeugung jeweils für sich betrachtet noch keine erhebliche Beeinträchtigung der strafrechtlichen Verantwortlichkeit herbeiführten, durch ihr Zusammenwirken die Fähigkeit des Angeklagten, sich normgerecht zu verhalten, im Vergleich zu einem voll schuldfähigen Menschen in erheblichem Maße einschränkten (vgl. BGHR StGB § 21 Ursachen, mehrere 3, 5).

III. Wegen der dargestellten Rechtsfehler waren die verhängten Einzelstrafen und die Gesamtstrafe aufzuheben. Damit kann auch die gemäß § 66 Abs. 2 StGB angeordnete Sicherungsverwahrung nicht bestehen bleiben. Der Schuldspruch wird indes nicht berührt. Der Senat kann ausschließen, dass der Angeklagte bei einer der Taten schuldunfähig (§ 20 StGB) war.

IV. Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat auf Folgendes hin:

1. Bei der Prüfung des § 21 StGB ist nicht entscheidend, ob die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten generell erheblich eingeschränkt war. Maßgeblich kommt es vielmehr auf den Zustand bei Begehung der konkreten Tat an. Zur Beurteilung dieser Rechtsfrage überprüft der Tatrichter die vom Sachverständigen gestellte Diagnose, den Schweregrad der Störung und deren innere Beziehung zur Tat aufgrund des Ergebnisses der Beweisaufnahme. Ob eine psychische Störung ein Eingangsmerkmal der §§ 20, 21 StGB erfüllt, entscheidet er nach sachverständiger Beratung in eigener Verantwortung. Gleiches gilt für die sich daran anschließende Frage, ob das Eingangsmerkmal zu einer erheblichen Einschränkung der Schuldfähigkeit führte. Denn hierbei spielen normative Gesichtspunkte eine Rolle, weil die Anforderungen entscheidend sind, welche die Rechtsordnung an jedermann stellt. Diese Anforderungen sind umso höher, je schwerwiegender das zu beurteilende Delikt ist (vgl. BGHSt 49, 45, 52 f.; BGH NStZ 2005, 326, 327; Boetticher/Nedopil/Bosinski/Saß NStZ 2005, 57, 58).

2. Der symptomatische Zusammenhang zwischen dem Hang zum übermäßigen Alkoholkonsum einerseits und den begangenen sowie künftig zu befürchtenden Straftaten andererseits ist schon dann zu bejahen, wenn der Hang neben anderen Umständen mit dazu beitrug, dass der Angeklagte die erheblichen rechtswidrigen Taten beging und dies bei einem unveränderten Suchtverhalten auch für die Zukunft zu besorgen ist. Er kann daher grundsätzlich nicht allein deshalb verneint werden, weil neben dem Alkoholmissbrauch Persönlichkeitsmängel eine Disposition für die Begehung von Straftaten begründen (vgl. BGHR StGB § 64 Zusammenhang, symptomatischer 2; BGH NStZ 2004, 681; NStZ-RR 2004, 78; Fischer aaO § 64 Rdn. 12). Die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt (§ 64 StGB) kann neben der Anordnung von Sicherungsverwahrung (vgl. Fischer aaO § 72 Rdn. 2 a) oder der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus (BGH StV 1998, 72) in Betracht kommen. Liegen die Voraussetzungen sowohl des § 63 StGB als auch des § 66 StGB vor, kann - nach der Regelung des § 72 StGB - die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus die Anordnung von Sicherungsverwahrung entbehrlich machen (vgl. Fischer aaO § 72 Rdn. 2 a m. w. N.).

Fundstelle(n):
SAAAC-83867

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