BAG Beschluss v. - 1 ABR 14/07

Leitsatz

[1] Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.

Gesetze: BetrVG § 95 Abs. 3; BetrVG § 99; ZPO § 256 Abs. 1

Instanzenzug: ArbG Hamburg, 22 BV 11/04 vom LAG Hamburg, 8 TaBV 1/06 vom

Gründe

A. Die Beteiligten streiten über Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats bei der Änderung einer generellen Vertretungsregelung.

Die Arbeitgeberin betreibt ein auf Knochen- und Gelenkchirurgie spezialisiertes Krankenhaus. Dieses besteht aus den Stationen 3 bis 8. Der Nachtdienst des Pflegepersonals auf den verschiedenen Stationen umfasst im Wesentlichen dieselben Tätigkeiten. Bis zum Jahr 2003 war grundsätzlich jede Pflegekraft auch im Nachtdienst nur einer Station zugeordnet und hatte ihren Dienst ausschließlich dort zu verrichten. Nur die Pflegekräfte der Station 4 wurden bei kurzfristigen Personalausfällen auf anderen Stationen als Vertretung eingesetzt. Infolge der Verkürzung der Verweildauer der Patienten wurden im Jahr 2003 die Bettenzahlen auf allen Stationen reduziert. Der damit verbundene Personalabbau hatte auf der Station 4 den Einsatz von nur noch einer Nachtwache zu Folge. Lediglich auf den Stationen 7 und 8 verrichten weiterhin zwei Pflegekräfte Nachtdienst. Mit Wirkung ab dem ordnete die Arbeitgeberin an, dass bei kurzfristigem Ausfall einer Nachtwache auf den nur mit einer Pflegekraft besetzten Stationen eine der beiden Nachtwachen der Stationen 7 und 8 die Vertretung zu übernehmen hat, wenn hierfür weder Mitarbeiterinnen der betroffenen Station noch studentische Aushilfen oder Leiharbeitnehmer herangezogen werden können. Die nähere Ausgestaltung der Nachtwachenvertretung ergibt sich aus einer Anweisung vom . Mit Schreiben vom unterrichtete die Arbeitgeberin den Betriebsrat über die Auswirkungen der Regelung. Von ihr sind etwa 40 Pflegekräfte betroffen.

Der Betriebsrat hat mit dem vorliegenden Beschlussverfahren zunächst das Ziel verfolgt, der Arbeitgeberin den vertretungsweisen Einsatz von Pflegekräften der Stationen 7 und 8 auf anderen Stationen während der Nachtwache zu untersagen, solange er hierzu seine Zustimmung nicht erteilt hat. Er hat die Auffassung vertreten, bei der Übertragung der Vertretungstätigkeit handele es sich um Versetzungen iSv. § 95 Abs. 3, § 99 BetrVG. Den Pflegekräften werde ein anderer Aufgabenbereich zugewiesen und das sei mit einer erheblichen Änderung der Umstände verbunden, unter denen die Arbeit zu leisten sei. Dies ergebe sich insbesondere daraus, dass im Vertretungsfall Patienten zu versorgen seien, die der Pflegekraft nicht bekannt seien. Nachdem der Betriebsrat erstinstanzlich einen auf die Unterlassung der einzelnen Vertretungseinsätze gerichteten Antrag gestellt hatte, hat er vor dem Landesarbeitsgericht im Wege der Antragsänderung zuletzt beantragt

festzustellen, dass die Einführung der Vertretungsregelung zum , wonach die Nachtwachen der Stationen 7 bzw. 8 künftig auch in Vertretungsfällen auf anderen Stationen eingesetzt werden können, eine Versetzung iSv. § 99 BetrVG iVm. § 95 Abs. 3 BetrVG war.

Die Arbeitgeberin hat beantragt, den Antrag abzuweisen. Sie hat die Auffassung vertreten, weder die generelle Vertretungsregelung noch die ohnehin selten vorkommenden einzelnen Vertretungsfälle seien Versetzungen.

Das Arbeitsgericht hat den Unterlassungsantrag auf Grund einer Anhörung vom durch einen am verkündeten Beschluss abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat auf die Beschwerde des Betriebsrats dem Feststellungsantrag stattgegeben. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Rechtsbeschwerde begehrt die Arbeitgeberin die Abweisung dieses Antrags. Der Betriebsrat beantragt die Zurückweisung der Rechtsbeschwerde.

B. Die Rechtsbeschwerde der Arbeitgeberin ist begründet. Der vom Betriebsrat zuletzt gestellte Antrag ist unzulässig. Es fehlt an dem für einen Feststellungsantrag § 256 Abs. 1 ZPO erforderlichen rechtlichen Interesse an alsbaldiger gerichtlicher Feststellung.

I. Durch die Rechtsbeschwerde der Arbeitgeberin ist dem Senat dasjenige prozessuale Begehr angefallen, das der Betriebsrat beim Landesarbeitsgericht zuletzt verfolgt und über welches dieses entschieden hat. Das ist, wie das Landesarbeitsgericht in seinem Beschluss mehrfach betont hat, ausschließlich der zuletzt gestellte Feststellungsantrag. Dagegen ist der erstinstanzliche Unterlassungsantrag nicht in die Rechtsbeschwerdeinstanz gelangt. Indem der Betriebsrat seinen Antrag im Beschwerdeverfahren mit Zustimmung der Arbeitgeberin geändert hat, hat er den bis dahin verfolgten Antrag zurückgenommen. Nach § 87 Abs. 2 Satz 3 ArbGG war dies mit Zustimmung der anderen Beteiligten möglich.

II. Das Landesarbeitsgericht hat dem Antrag des Betriebsrats zu Unrecht entsprochen.

1. Das Landesarbeitsgericht war nicht etwa wegen eines Verfahrensfehlers des Arbeitsgerichts an einer Sachentscheidung gehindert. Dabei kann dahinstehen, ob es mit § 60 Abs. 1 Satz 2 ArbGG iVm. § 84 Satz 3 ArbGG vereinbar war, dass das Arbeitsgericht seine Entscheidung erst mehr als 13 Monate nach dem Anhörungstermin verkündet hat. Bei § 60 Abs. 1 Satz 2 ArbGG handelt es sich um eine Ordnungsvorschrift, deren Verletzung nicht zur Unwirksamkeit der Entscheidung führt ( - AP BAT-O §§ 22, 23 Nr. 26 = EzA ArbGG 1979 § 69 Nr. 3, zu I 3 der Gründe mwN).

2. Der vom Betriebsrat zuletzt gestellte und vom Landesarbeitsgericht beschiedene Antrag ist unzulässig.

a) Der Antrag bedarf in mehrfacher Hinsicht der Auslegung.

aa) Seinem Wortlaut nach ist er auf die Feststellung gerichtet, die Einführung der Vertretungsregelung zum sei eine Versetzung iSv. § 99 BetrVG iVm. § 95 Abs. 3 BetrVG gewesen. Damit wäre der Antrag nicht auf die Feststellung eines Rechtsverhältnisses, sondern auf die rechtliche Qualifizierung einer tatsächlichen Maßnahme gerichtet. Rechtsverhältnis iSv. § 256 Abs. 1 ZPO ist ein durch die Herrschaft einer Rechtsnorm über einen konkreten Sachverhalt entstandenes rechtliches Verhältnis einer Person zu einer anderen Person oder zu einer Sache ( -AP TVG § 2 Tarifzuständigkeit Nr. 20 = EzA ZPO 2002 § 256 Nr. 8, zu B I 2 a der Gründe mwN). Die rechtliche Beurteilung einer Maßnahme ist kein Rechtsverhältnis. Der Antrag kann jedoch dahin ausgelegt werden, dass er auf die Feststellung gerichtet ist, dem Betriebsrat habe bei der Einführung der Vertretungsregelung zum ein Mitbestimmungsrecht nach § 99 BetrVG zugestanden. In diesem Sinne hat ihn auch das Landesarbeitsgericht verstanden. Das Bestehen eines betriebsverfassungsrechtlichen Mitbestimmungsrechts ist nach der ständigen Rechtsprechung des Senats ein der gerichtlichen Feststellung zugängliches Rechtsverhältnis iSv. § 256 Abs. 1 ZPO (vgl. etwa - 1 ABR 20/01 - BAGE 100, 281, zu B III 2 b der Gründe mwN).

bb) Wie sich aus dem Antrag unmissverständlich ergibt, geht es dem Betriebsrat nicht um die Feststellung eines Mitbestimmungsrechts bei den einzelnen künftig erfolgenden Einsätzen von Nachtwachen der Stationen 7 und 8 auf anderen Stationen. Vielmehr soll festgestellt werden, dass ihm bei der generellen Einführung der Vertretungsregelung zum ein Mitbestimmungsrecht nach § 99 BetrVG zustand. Während der von ihm ursprünglich verfolgte Unterlassungsantrag auf die Mitbestimmung bei den einzelnen Einsätzen gerichtet war, ist dies sein beim Landesarbeitsgericht gestellter Antrag nicht mehr. Mit diesem wird vielmehr geltend gemacht, schon die "Einführung der Vertretungsregelung" sei der nach § 99 BetrVG iVm. § 95 Abs. 3 BetrVG mitbestimmungspflichtige Tatbestand gewesen. Mit diesem Inhalt hat das Landesarbeitsgericht den Antrag auch beschieden. Es hat ausgeführt, bei der Einführung der neuen Vertretungsregelung zum handele es sich um eine Versetzung der auf den Stationen 7 und 8 eingesetzten Pflegekräfte; die Zuweisung eines anderen Arbeitsbereichs übersteige die Dauer eines Monats, da die Arbeitgeberin eine dauerhafte Vertretungsregelung getroffen habe und entgegen ihrer Auffassung nicht auf die Dauer der jeweiligen Vertretungseinsätze abzustellen sei.

b) Bei diesem Verständnis ist der Antrag hinreichend bestimmt iSv. § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO. Die Maßnahme, an welcher der Betriebsrat sein Mitbestimmungsrecht nach § 99 BetrVG festgestellt wissen will, ist als Einführung der Vertretungsregelung zum ausreichend konkret beschrieben. Unklarheiten über den Umfang der objektiven Rechtskraft einer dem Antrag stattgebenden oder ihn abweisenden gerichtlichen Sachentscheidung sind nicht zu besorgen.

c) Der Zulässigkeit des Antrags steht nicht entgegen, dass er auf einer im Beschwerdeverfahren vorgenommenen Antragsänderung beruht. Diese war nach § 87 Abs. 2 Satz 3 2. Halbs. iVm. § 81 Abs. 3 Satz 1 ArbGG zulässig. Die Arbeitgeberin hat ihr ausdrücklich zugestimmt. Im Übrigen ist die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts über die Zulassung der Antragsänderung gemäß § 87 Abs. 2 Satz 3 2. Halbs. iVm. § 81 Abs. 3 Satz 3 ArbGG unanfechtbar.

d) Dem Antrag fehlt das nach § 256 Abs. 1 ZPO erforderliche Interesse an alsbaldiger gerichtlicher Feststellung.

aa) Nach dem auch im arbeitsgerichtlichen Beschlussverfahren anwendbaren § 256 ZPO ist für die Zulässigkeit eines Feststellungsbegehrens ein besonderes rechtliches Interesse daran erforderlich, dass das Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses durch eine gerichtliche Entscheidung alsbald festgestellt werde. Für eine nur auf die Vergangenheit gerichtete Feststellung, aus der sich keinerlei Rechtsfolgen für die Zukunft mehr ergeben, besteht ein Rechtsschutzbedürfnis regelmäßig nicht ( - AP ZPO 1977 § 256 Nr. 87, zu B I der Gründe). Es ist nicht Aufgabe der Gerichte, einem Beteiligten zu bescheinigen, dass er im Recht war, oder eine die Verfahrensbeteiligten interessierende Rechtsfrage gutachterlich zu klären. Allerdings kann ein in der Vergangenheit liegender Streitfall Anlass sein, das Bestehen eines Mitbestimmungsrechts für die Zukunft feststellen zu lassen. Das Bestehen, der Inhalt oder der Umfang eines Mitbestimmungsrechts können im Beschlussverfahren losgelöst von einem konkreten Ausgangsfall geklärt werden, wenn die Maßnahme, für die ein Mitbestimmungsrecht in Anspruch genommen wird, häufiger im Betrieb auftritt und sich auch künftig jederzeit wiederholen kann ( - BAGE 101, 232, zu B II 1 der Gründe mwN). Das Feststellungsinteresse fehlt regelmäßig, wenn der Antragsteller sein Recht im Wege eines Leistungsoder Gestaltungsantrags verfolgen kann und nicht Gründe der Prozessökonomie einen Feststellungsantrag ausnahmsweise als sachdienlich erscheinen lassen (vgl. - BAGE 102, 356, zu B II 1 der Gründe).

bb) Hiernach hat der Betriebsrat kein rechtliches Interesse an der begehrten Feststellung. Diese betrifft einen in der Vergangenheit liegenden Vorgang. Die Arbeitgeberin hat die Vertretungsregelung bereits zum endgültig eingeführt. Zwar praktiziert sie diese bis heute. Damit entfaltet die Maßnahme, hinsichtlich derer der Betriebsrat die Feststellung eines Mitbestimmungsrechts reklamiert, noch Wirkungen in der Gegenwart. Gleichwohl hat der Betriebsrat kein rechtliches Interesse an der gerichtlichen Feststellung, ihm habe bei der Einführung der Vertretungsregelung ein Mitbestimmungsrecht nach § 99 BetrVG zugestanden. Wäre entsprechend der - allerdings wohl unzutreffenden - Beurteilung von Betriebsrat und Landesarbeitsgericht bereits die abstrakte, generelle Vertretungsregelung eine personelle Einzelmaßnahme iSv. § 99 Abs. 1 BetrVG oder auch ein Bündel solcher Einzelmaßnahmen gewesen, könnte der Betriebsrat gemäß § 101 Satz 1 BetrVG beantragen, der Arbeitgeberin aufzugeben, die personelle(n) Maßnahme(n) aufzuheben. Ein solcher Antrag ist das prozessuale Mittel, welches das Betriebsverfassungsgesetz dem Betriebsrat für den Fall zur Verfügung stellt, dass der Arbeitgeber personelle Einzelmaßnahmen ohne seine Zustimmung endgültig vorgenommen hat (vgl. - AP ZPO 1977 § 256 Nr. 87, zu B II 3 der Gründe; - 1 ABR 30/00 - AP BetrVG 1972 § 101 Nr. 23 = EzA BetrVG 1972 § 99 Einstellung Nr. 7, zu B I der Gründe). Mit ihm kann der Betriebsrat erreichen, dass der betriebsverfassungswidrige Zustand beseitigt wird. Für einen Antrag auf Feststellung, die bereits durchgeführte Maßnahme sei mitbestimmungspflichtig gewesen, ist daneben kein Raum. An einer entsprechenden gesonderten gerichtlichen Feststellung besteht kein rechtlich schützenswertes Interesse.

Der Betriebsrat benötigt die begehrte Feststellung auch nicht etwa, um künftige Streitigkeiten über seine Mitbestimmung bei gleichartigen Vertretungsregelungen zu vermeiden. Er hat nicht vorgetragen, die Arbeitgeberin beabsichtige die Einführung weiterer derartiger Regelungen. Vielmehr will die Arbeitgeberin auf der Grundlage der eingeführten generellen Vertretungsregelung die Pflegekräfte auch künftig weiterhin einsetzen. Ein mögliches Mitbestimmungsrecht bei diesen konkreten Einsätzen (vgl. zu den Voraussetzungen einer Versetzung iSv. § 99 Abs. 1, § 95 Abs. 3 Satz 1 BetrVG zuletzt - Rn. 22, 23) ist nicht - mehr - Gegenstand des Verfahrens.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:




Fundstelle(n):
DB 2008 S. 1691 Nr. 31
NAAAC-83834

1Für die amtliche Sammlung: nein; Für die Fachpresse: nein