Leitsatz
[1] Ist die vom Prozessbevollmächtigten eingelegte Berufung unwirksam, weil er nicht mehr als Rechtsanwalt zugelassen und aus der beim Berufungsgericht geführten Rechtsanwaltsliste gelöscht ist, muss sich die Partei die schuldhafte Unkenntnis des Prozessbevollmächtigten von der Löschung nicht zurechnen lassen (im Anschluss an , NJW 2007, 3226; Abgrenzung zu , NJW 2005, 3018).
Gesetze: ZPO § 85 Abs. 2; ZPO § 233 A
Instanzenzug: LG Köln, 7 O 462/05 vom OLG Köln, I-12 U 138/06 vom
Gründe
I. Das Landgericht hat die von der Klägerin erhobene Klage durch Urteil vom abgewiesen. Die schriftlich abgefasste Entscheidung ist am im Büro der klägerischen Prozessbevollmächtigten zugegangen. Mit am beim Berufungsgericht eingegangenem Schriftsatz hat die Klägerin durch den früheren Rechtsanwalt Dr. K. Berufung gegen das Urteil eingelegt. Durch Mitteilung vom machte die Rechtsanwaltskammer Köln das Oberlandesgericht darauf aufmerksam, dass Dr. K. seit dem nicht mehr als Rechtsanwalt zugelassen und am aus der Liste der beim Berufungsgericht zugelassenen Rechtsanwälte gelöscht worden war. Am hat Rechtsanwalt G. für die Klägerin erneut Berufung eingelegt und zugleich Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Berufungsfrist mit der Begründung beantragt, seiner Sozietät und Dr. K. sei dessen Löschung aus der Anwaltsliste erst am bekannt geworden.
Das Berufungsgericht hat das Wiedereinsetzungsgesuch zurückgewiesen und die Berufung der Klägerin als unzulässig verworfen. Zur Begründung hat es ausgeführt: Die Frist zur Einlegung der Berufung sei versäumt, weil Dr. K. mit seinem Schriftsatz vom keine wirksame Berufung eingelegt habe. Die Frist sei schuldhaft versäumt, weil er das Weiterbestehen seiner Zulassung sowie der Eintragung in die Rechtsanwaltsliste nicht überprüft habe, obwohl dafür durch das ihm bekannte Verfahren auf Widerruf der Zulassung hinreichend Veranlassung bestanden habe und die Prüfung der Prozesshandlungsvoraussetzungen zu den wesentlichen Aufgaben eines Rechtsanwalts gehöre. Handlungen des von ihr bevollmächtigten Vertreters müsse sich die Partei gemäß § 85 Abs. 2 ZPO zurechnen lassen. Dagegen richtet sich die Rechtsbeschwerde der Klägerin.
II. 1. Die Rechtsbeschwerde ist gemäß § 574 Abs. 1 Nr. 1, § 238 Abs. 2 Satz 1, § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO statthaft. Sie ist auch im Übrigen zulässig, weil das Berufungsgericht das Wiedereinsetzungsgesuch der Klägerin aus Gründen zurückgewiesen hat, die zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordern. Die Verfahrensgrundrechte auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 GG i.V. mit dem Rechtsstaatsprinzip) und auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) sowie der in Art. 19 Abs. 4 GG verankerte Justizgewährungsanspruch gebieten, den Zugang zu den Gerichten einschließlich der höheren Instanzen nicht in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise zu erschweren (vgl. , NJW 2004, 2583; BGHZ 151, 221; , NJW 2007, 2778). Diese Verfahrensgrundrechte sind hier berührt.
2. Die Rechtsbeschwerde ist begründet.
a) Die Entscheidung über einen Wiedereinsetzungsantrag wegen Versäumung einer Frist zur Einlegung oder Begründung eines Rechtsmittels setzt voraus, dass die Frist versäumt ist (, NJW 2007, 1457). So verhält es sich hier. Zwar trägt die Klägerin mit der Rechtsbeschwerde erstmals vor, das Empfangsbekenntnis über die Zustellung des angefochtenen Urteils habe Dr. K. erteilt, obwohl er seinerzeit auch in der Liste der beim Landgericht Köln zugelassenen Rechtsanwälte gelöscht gewesen sei, weshalb diese Zustellung unwirksam sei. Mit diesem neuen Vorbringen kann die Klägerin im Rechtsbeschwerdeverfahren nicht gehört werden. Die Rechtsbeschwerde gegen einen Verwerfungsbeschluss des Berufungsgerichts kann grundsätzlich nicht auf Tatsachen gestützt werden, die belegen sollen, dass die Berufungsbegründungsfrist gewahrt war, wenn sie in der Berufungsinstanz nicht vorgetragen worden sind (, MDR 2004, 107). Es ist im Rechtsbeschwerdeverfahren deshalb davon auszugehen, dass die Berufungsfrist am in Gang gesetzt worden ist und dementsprechend bei Eingang der von Rechtsanwalt G. unterzeichneten Berufungsschrift abgelaufen war.
b) Das Oberlandesgericht geht unausgesprochen davon aus, dass ein die Klägerin an der Versäumung der Berufungsfrist treffendes eigenes Verschulden nicht in Betracht kommt. Dagegen bestehen nach Lage der Dinge keine rechtlichen Bedenken. Ein Verschulden von Dr. K. muss die Klägerin sich entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts nicht nach § 85 Abs. 2 ZPO zurechnen lassen.
aa) Ob § 85 Abs. 2 ZPO nicht anwendbar ist, weil der Verlust der Zulassung zur Rechtsanwaltschaft zugleich die einem Rechtsanwalt erteilte Vollmacht entfallen lasse, wird in der Fachliteratur unterschiedlich beurteilt (bejahend etwa: Baumbach/Lauterbach/Hartmann, ZPO, 66. Aufl., § 86 Rdn. 6; Zöller/Vollkommer, ZPO, 26. Aufl., § 86 Rdn. 5; verneinend: Musielak/Weth, ZPO, 5. Aufl., § 86 Rdn. 7; Stein/Jonas/Bork, ZPO, 22. Aufl., § 86 Rdn. 10).
bb) Der III. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat, ohne die Frage entscheiden zu müssen, zu der Ansicht geneigt, dass der Fortbestand der Prozessvollmacht mit Blick auf das Bedürfnis, die Mandanten vor ungeeigneten Rechtsvertretern zu schützen, zu verneinen sei (BGHZ 166, 117 Tz. 17). Das Bundesarbeitsgericht hat in seinem Urteil vom (5 AZR 848/06, NJW 2007, 3226) die Frage ebenfalls offengelassen, jedoch ausgesprochen, die Partei müsse sich Handeln ihres Prozessbevollmächtigten nach Widerruf seiner Zulassung zur Anwaltschaft und Anordnung der sofortigen Vollziehung dieser Verfügung im überwiegenden öffentlichen Interesse nicht nach § 85 Abs. 2 ZPO zurechnen lassen. Diese Bestimmung sei eine den besonderen Verhältnissen und Bedürfnissen des Prozesses Rechnung tragende Sondervorschrift, die gewährleisten solle, dass die Partei, die ihren Rechtsstreit durch einen Vertreter führen lasse, in jeder Weise so behandelt werde, als wenn sie den Prozess selbst geführt hätte. Dürfe der Prozessbevollmächtigte aufgrund eines Berufsausübungsverbots nicht mehr tätig werden, gehe es nicht um die von § 85 Abs. 2 ZPO umfassten, zu einer ordnungsgemäßen Prozessführung gehörenden Handlungen oder Unterlassungen. Vielmehr dürfe der Anwalt aus Gründen der Gefahrenabwehr überhaupt nicht mehr für die Partei tätig werden (§ 155 Abs. 2 und 4 BRAO). Eine Zurechnung der Gründe für das Berufsausübungsverbot würde den Rahmen des § 85 Abs. 2 ZPO sprengen und auch den Schutzzweck der §§ 244, 249 ZPO, 155, 156 Abs. 2 BRAO in sein Gegenteil verkehren.
c) Dieser Ansicht tritt der Senat bei. Sie steht in Einklang mit den Zwecken des in § 78 ZPO verankerten Anwaltszwangs im Anwaltsprozess. Der Anwaltszwang dient einer geordneten Rechtspflege und zugleich den Interessen der Prozessparteien, die sich vor den Land- und Oberlandesgerichten nur durch einen bei einem Amts- oder Landgericht bzw. einem Oberlandesgericht zugelassenen Rechtsanwalt vertreten lassen können. § 78 ZPO ist eine formale Ordnungsvorschrift, die zwingend und strikt regelt, wann und in welcher Weise sich die Parteien eines Rechtsstreits durch Prozessbevollmächtigte vertreten lassen und welche Voraussetzungen diese - nach rein formalen Gesichtspunkten - erfüllen müssen (Sen.Beschl. v. - X ZB 11/00, NJW 2000, 3357). Es erschiene als ein schwer verständlicher Widerspruch, eine Partei einerseits zu verpflichten, sich zur Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung eines zugelassenen Rechtsanwalts zu bedienen, ihr aber andererseits das Verschulden einer Person zuzurechnen, die ohne Zulassung zur Anwaltschaft lediglich noch als Rechtsanwalt auftritt und deren Rechtshandlungen wegen der Löschung in der Liste der zugelassenen Anwälte unwirksam sind (vgl. § 36 Abs. 2 BRAO; Henssler/Prütting, BRAO 2. Aufl. § 36 Rdn. 4; vgl. auch BGHZ 90, 249, 253; , NJW 1987, 327). § 85 Abs. 2 ZPO bürdet der Partei im Anwaltsprozess das Risiko auf, dass der von ihr bevollmächtigte Rechtsanwalt im Rahmen der Prozessvollmacht bei seinen Prozesshandlungen seine Pflichten schuldhaft verletzt. Das Risiko dafür, dass der als Rechtsanwalt beauftragte Prozessbevollmächtigte überhaupt noch Prozesshandlungen vor einem Gericht vornehmen kann und vornimmt, obwohl er nicht mehr als Rechtsanwalt zugelassen ist und seine Postulationsfähigkeit verloren hat, kann jedenfalls der von diesem Prozessbevollmächtigten gutgläubig vertretenen Partei dagegen nicht auferlegt werden. Die unter dem Gesichtspunkt der eingetretenen Rechtskraft des unwirksam angefochtenen Urteils berührte Rechtssicherheit muss in einem solchen Fall zurücktreten (vgl. BGH NJW 1986, 327).
d) Dieser Entscheidung des Senats steht der , NJW 2005, 3018) nicht entgegen. Demzufolge führt der Verlust der Postulationsfähigkeit des Prozessbevollmächtigten eines Beteiligten im Verlauf des Verfahrens infolge Widerrufs seiner Zulassung zur Anwaltschaft nicht dazu, dass der Beteiligte nicht (mehr) nach Vorschrift des Gesetzes i. S. von § 138 Nr. 4 VwGO vertreten ist. Damit ist nicht zugleich beantwortet, ob eine Partei sich zurechnen lassen muss, dass der Prozessbevollmächtigte schuldhaft für sie ein infolge des Wegfalls seiner Postulationsfähigkeit unwirksames Rechtsmittel einlegt. Dazu hat das Bundesverwaltungsgericht nicht in den tragenden Gründen seiner Entscheidung Stellung genommen.
e) Die Klägerin hat glaubhaft gemacht, dass sie an der Versäumung der Berufungsfrist kein zurechenbares Verschulden eines von ihr beauftragten Rechtsanwalts trifft. Sie hat durch die eidesstattliche Versicherung von Rechtsanwalt S. glaubhaft gemacht, dass dieser und Rechtsanwalt G. erst am durch eine telefonische Mitteilung der Rechtsanwaltskammer Köln von Dr. K. Streichung aus der Liste der zugelassenen Anwälte erfahren haben und dass die Anwaltskammer sich zur Begründung für diese späte Mitteilung auf ihre Verschwiegenheitsverpflichtung berufen hat.
Das Berufungsgericht wird deshalb in der Sache über das eingelegte Rechtsmittel zu entscheiden haben.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
NJW-RR 2008 S. 1290 Nr. 18
FAAAC-81375
1Nachschlagewerk: ja; BGHZ: nein; BGHR: ja