Anpassung von Folgebescheiden an Grundlagenbescheide
1. Allgemeines
Grundlagenbescheide i.S. des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO sind Feststellungsbescheide, Steuermessbescheide oder sonstige für eine Steuerfestsetzung bindende Verwaltungsakte. Auch Verwaltungsakte von Behörden, die keine Finanzbehörden sind, können Grundlagenbescheide sein (vgl. Tz. 8).
Folgebescheide sind nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO an die Grundlagenbescheide anzupassen, denn diese sind im Umfang der in ihnen getroffenen Feststellungen für Folgebescheide bindend (§ 182 Abs. 1 AO).
2. Hemmung der Verjährung (§ 171 Abs. 10 AO)
2.1. Durch § 171 Abs. 10 Satz 1 AO wird die Änderungsbefugnis nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO über die normale Festsetzungsfrist (§§ 169, 170 AO) hinaus erweitert. Danach endet die Festsetzungsfrist beim Folgebescheid nicht vor Ablauf von zwei Jahren nach Bekanntgabe des Grundlagenbescheids, soweit dieser für die Festsetzung der Folgesteuer bindend ist.
Die 2-Jahresfrist des § 171 Abs. 10 AO beginnt mit der Bekanntgabe des Grundlagenbescheids, nicht mit dem Zugang der verwaltungsinternen Mitteilungen, mit denen die für den Erlass der Folgebescheide zuständigen Finanzämter über die getroffenen Feststellungen unterrichtet werden.
Die Aufhebung des Vorbehalts der Nachprüfung eines Grundlagenbescheids (auch ohne dessen sachliche Änderung) steht dem Erlass eines geänderten Grundlagenbescheids gleich (§ 164 Abs. 3 Satz 2 AO) und setzt daher die Zwei-Jahresfrist in Lauf (vgl. , BFH/NV 1995 S. 943).
Auch die Änderung eines Grundlagenbescheids durch Einspruchsentscheidung oder Gerichtsentscheidung setzt die Zwei-Jahresfrist des § 171 Abs. 10 Satz 1 AO in Lauf. Wird allerdings durch eine Einspruchs- oder Gerichtsentscheidung der Grundlagenbescheid lediglich bestätigt, beginnt keine neue Zwei-Jahresfrist (vgl. , BStBl 2000 II S. 173).
2.2. Das für den Grundlagenbescheid zuständige Finanzamt hat deshalb dafür Sorge zu tragen, dass die Mitteilungen über die festgestellten Besteuerungsgrundlagen möglichst gleichzeitig mit der Bekanntgabe des Grundlagenbescheids oder eines/einer die Feststellung ändernden Bescheids oder Einspruchsentscheidung an die für den Erlass der Folgebescheide zuständigen Finanzämter abgesandt werden.
Die Auswertung der eingehenden Mitteilungen ist von den für die Folgebescheide zuständigen Finanzämtern grundsätzlich unverzüglich vorzunehmen. Zuständig hierfür sind die Veranlagungsstellen.
Ist ersichtlich, dass der Steuerpflichtige an mehreren Personengesellschaften und/oder Gemeinschaften beteiligt ist, kann es aus arbeitsökonomischen Gründen sinnvoll sein, Mitteilungen mit steuerlich nicht erheblichen Auswirkungen zurückzustellen und zur gemeinsamen Auswertung zu sammeln. In diesen Fällen ist jedoch durch geeignete Überwachungsmaßnahmen sicherzustellen, dass die Mitteilungen noch innerhalb der „normalen” Festsetzungsfrist ausgewertet werden (z.B. augenfälliger Vermerk auf der Mitteilung bzw. in der Steuerakte, Wiedervorlage).
Ist die „normale” Festsetzungsfrist bereits abgelaufen, sind die Mitteilungen stets unverzüglich auszuwerten.
2.3. Durch § 171 Abs. 10 Satz 2 AO umfasst die Ablaufhemmung nach § 171 Abs. 4 AO infolge einer Außenprüfung auch die Festsetzungsfrist für den Teil der Steuer, für den ein Grundlagenbescheid bindend ist und dessen Besteuerungsgrundlagen nicht mitgeprüft werden.
Mitteilungen, die nach Erlass der Prüfungsanordnung beim Finanzamt eingehen, sind von der Veranlagungs- bzw. Rechtsbehelfsstelle grundsätzlich ohne vorherige Auswertung der Außenprüfung zuzuleiten. Diese berücksichtigt die mitgeteilten Besteuerungsgrundlagen bei Erstellung des Prüfungsberichts und macht dies auf den Mitteilungen durch einen Vermerk (z.B. „im BP-Bericht berücksichtigt”) kenntlich. Die Mitteilung ist nach Abschluss der Außenprüfung in den Steuerakten abzulegen. Die Berücksichtigung der Mitteilungen in den Steuerbescheiden erfolgt im Anschluss daran bei der Auswertung des Prüfungsberichts durch die Veranlagungsstellen. Es ist darauf zu achten, dass jede Mitteilung nur einmal Folgebescheid berücksichtigt wird. Führt die Außenprüfung zu keiner Änderung der Besteuerungsgrundlagen, sind die Mitteilungen zur Auswertung an die Veranlagungsstellen zurückzugeben.
In Ausnahmefällen (z.B. hohe Erstattung bzw. Nachzahlung) soll jedoch weiterhin die Auswertung vom Innendienst durch Erteilung von Änderungsbescheiden vorgenommen werden. Ein sich aus der Auswertung eventuell ergebender erstmaliger Verlustrücktrag bzw. -vortrag oder dessen Änderung ist in diesen Fällen ebenfalls noch durch den Innendienst zu erledigen.
Bei Auswertung durch die Veranlagungs- bzw. Rechtsbehelfsstelle ist die Mitteilung zusammen mit der Aktenausfertigung des Änderungsbescheids der Außenprüfung zuzuleiten.
Bei der uneingeschränkten Anfechtung eines erstmaligen Steuerbescheids umfasst die Ablaufhemmung des § 171 Abs. 3a AO den gesamten Steueranspruch, so dass diese auch die gesondert festgestellten Besteuerungsgrundlagen umfasst. Soweit die Ablaufhemmung nach § 171 Abs. 3a AO zeitlich weiter reicht als die Ablaufhemmung nach § 171 Abs. 10 AO, ist die Ablaufhemmung nach § 171 Abs. 3a AO maßgebend.
3. Unterbliebene Änderung beim Folgebescheid
3.1. Ist die Anpassung eines Folgebescheids an einen Grundlagenbescheid unterblieben, so kann sie, falls die Festsetzungsfrist beim Folgebescheid bzw. Grundlagenbescheid noch nicht abgelaufen oder die Frist gehemmt ist (s. Tz. 2.1), jederzeit nachgeholt werden (vgl. , BStBl 1984 II S. 86, , BStBl 1986 II S. 93 und , BStBl 1986 II S. 168).
3.2. Das (versehentliche) Übersehen eines Grundlagenbescheids (bzw. der Mitteilung über die getroffenen Feststellungen) stellt eine offenbare Unrichtigkeit dar (vgl. , BStBl 2003 II S. 867). Dem entsprechend ist bei der Überprüfung der Verjährung in einem derartigen Fall auch die Ablaufhemmung des § 171 Abs. 2 AO zu beachten.
Ist bis zum Eintritt der Festsetzungsverjährung die Auswertung der Mitteilung aufgrund innerorganisatorischer Mängel unterblieben, führt die Anwendung der Grundsätze von Treu und Glauben nicht zu einer Verpflichtung auf Bescheidänderung nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO zugunsten des Steuerpflichtigen (vgl. , BStBl 2000 II S. 330).
4. Anpassungsfehler
4.1. Wurden die in einem Grundlagenbescheid festgestellten Besteuerungsgrundlagen in einem Folgebescheid nicht zutreffend berücksichtigt (sog. Anpassungsfehler), so ist der Folgebescheid nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO zu ändern (, BStBl 1988 II S. 711). Es liegt jedoch kein Anpassungsfehler vor, wenn Besteuerungsgrundlagen, die nicht Gegenstand des Grundlagenbescheids sind, anlässlich der Auswertung einer Mitteilung irrtümlich verändert oder weggelassen werden (, BFH/NV 1998 S. 1452).
4.2. Die Verpflichtung zur – vollen – Anpassung des Folgebescheids an den Grundlagenbescheid besteht auch dann noch, wenn der zunächst nicht oder fehlerhaft ausgewertete Grundlagenbescheid später geändert wird. In diesem Fall ist die Änderung des Folgebescheids zur Herbeiführung eines materiell-rechtlich richtigen Ergebnisses selbst dann geboten, wenn sie dazu dient, eine zuvor versäumte Anpassung des Folgebescheids nachzuholen. Ein „Verbrauch” der Möglichkeit, den Folgebescheid an den geänderten Grundlagenbescheid anzupassen, ist durch die zunächst unterbliebene Berücksichtigung des Grundlagenbescheids nicht eingetreten (, BFH/NV 1994 S. 1).
5. Negativer Feststellungsbescheid
Wird eine Feststellung abgelehnt und ergeht ein negativer Feststellungsbescheid, liegt ebenfalls ein Grundlagenbescheid vor, der für den Folgebescheid bindend ist. Das für den Erlass des Folgebescheids zuständige Finanzamt hat die entsprechenden Folgerungen zu ziehen (z.B. Ermittlung des Sachverhalts, der bisher Gegenstand des Grundlagenbescheids war) und erforderlichenfalls den Folgebescheid nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO zu ändern (, BStBl 1991 II S. 821).
6. Beschränkung/Erweiterung des Gegenstands der Feststellung
Ein Tatbestand des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO ist auch gegeben, wenn einzelne Besteuerungsgrundlagen aus dem Feststellungsverfahren ausgeschieden oder in das Feststellungsverfahren aufgenommen werden (vgl. , BStBl 1994 II S. 77).
Im ersten Fall hat das für den Erlass des Folgebescheids zuständige Finanzamt den nicht oder nicht mehr in das Feststellungsverfahren einbezogenen Sachverhalt eigenständig zu ermitteln und zu werten, ohne an frühere Beurteilungen oder Berechnungen gebunden zu sein (, BFH/NV 1991 S. 143; , BFH/NV 1994 S. 547).
Beim zweiten Tatbestand sind die Besteuerungsgrundlagen, die bislang beim Folgebescheid in rechtlich unselbständiger Weise berücksichtigt worden sind, nicht mehr anzusetzen.
7. Ausgleich von Rechtsfehlern (§ 177 AO)
7.1. Bei einer nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO erforderlich werdenden Änderung eines Folgebescheids sind Rechtsfehler im Rahmen des § 177 AO zu berichtigen.
Die Verpflichtung zur Berichtigung von Amts wegen besteht sowohl bei Fehlern, die sich zugunsten als auch zuungunsten des Steuerpflichtigen ausgewirkt haben. Die Berichtigung ist auch dann vorzunehmen, wenn die Rechtsfehler selbst eine Korrekturmöglichkeit nach den §§ 172 ff. AO wegen Eintritts der Festsetzungsverjährung nicht mehr eröffnen können (, BStBl 1992 II S. 504).
7.2. Sind die steuerlichen Auswirkungen eines „gegenläufigen” Rechtsfehlers gleich groß wie oder größer als diejenigen, die sich bei der Änderung nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO ergeben, unterbleibt eine Änderung des Folgebescheids (Saldierung nach § 177 AO: „soweit die Änderung reicht”). In diesem Fall ist aktenkundig zu machen, weshalb trotz Vorliegens der Mitteilung über Feststellungen in einem Grundlagenbescheid die Anpassung des Folgebescheids unterbleibt.
Beantragt der Steuerpflichtige die Änderung des Folgebescheides, muss sie aber aus den vorstehenden Gründen unterbleiben, so ist sie mit Bescheid abzulehnen. Damit wird dem Steuerpflichtigen die Möglichkeit eröffnet, die Anwendung der Vorschrift des § 177 AO im Einspruchsverfahren überprüfen zu lassen.
8. Änderung von Folgebescheiden für weit zurückliegende Veranlagungszeiträume
Da Verwaltungsakte ressortfremder Behörden (z.B. Feststellungsbescheid der Versorgungsämter nach § 69 Abs. 1 SGB IX) häufig ohne Einhaltung von Festsetzungsfristen ergehen können, können auch Steuerbescheide länger zurückliegender Veranlagungszeiträume von einer Änderung betroffen sein. Ebenso ist es denkbar, dass Rechtsbehelfe auf Feststellungsebene erst nach (sehr) langer Zeit rechtskräftig abgeschlossen werden. Ist dem Folge-Finanzamt bekannt, dass zu dem Feststellungsverfahren ein Einspruchsverfahren bzw. ein Klageverfahren anhängig ist, sind die für eine mögliche Änderung nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO relevanten Aktenteile nicht nach den Bestimmungen zur Aufbewahrung und Aussonderung von Schriftgut bei den Finanzämtern (Aufbew-Best-FÄ,) auszusondern, sondern weiterhin vorzuhalten (vgl. Abschnitt I Tz, 4 der Aufbew-Best-FÄ).
Liegen dem Finanzamt keine Unterlagen mehr vor, kann es nach dem [1], BFH/NV 2008 S. 633 die Änderung nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO nicht mit der Begründung ablehnen, wegen Fehlens der Steuerakten bestünden Unklarheiten über die im ursprünglichen Folgebescheid angesetzten Besteuerungsgrundlagen, wenn die Ursachen für die Unklarheiten dem Grundlagen- oder dem Folge-Finanzamt zuzurechnen sind. Dies ist immer dann der Fall, wenn das Folge-Finanzamt nicht über das Rechtsmittelverfahren unterrichtet wurde oder trotz Kenntnis des noch anhängigen Rechtsmittelverfahrens die relevanten Aktenteile aussondert.
Enthalten die Feststellungen des Versorgungsamts eine rückwirkende Feststellung des Grads der Behinderung, kommt eine Änderung der von der Rückwirkung betroffenen Steuerfestsetzung(en) nur dann in Betracht, wenn die Regelfestsetzungsfrist bzw. die Frist nach § 171 Abs. 10 AO noch nicht abgelaufen ist. Dabei ist ausreichend, wenn der Steuerpflichtige seinen Änderungsantrag innerhalb der Festsetzungsfrist (§§ 169, 170, 171 AO) bzw. innerhalb der 2-Jahresfrist des § 171 Abs. 10 AO stellt (§ 171 Abs. 3 AO) und den Feststellungsbescheid nachreicht. Die Änderung ist für alle Kalenderjahre vorzunehmen, auf die sich der Grundlagenbescheid erstreckt (BStBl 1991 II S. 717). Dies gilt unabhängig davon, ob für diese Veranlagungszeiträume ein Antrag nach § 33b Abs. 1 EStG dem Grunde nach bereits gestellt worden ist. Der Ablauf der Festsetzungsfrist für die zu ändernden Einkommensteuerbescheide steht also einer Änderung nicht entgegen, wenn der Steuerpflichtige die Änderung innerhalb von 2 Jahren nach Ausstellung der entsprechenden Bescheinigung beantragt.
Bayerisches Landesamt für Steuern v. - S 0353 - 10 St 41M
Auf diese Anweisung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
YAAAC-79303
11 Im Zeitpunkt der Veröffentlichung dieser Kartei war das Urteil vom BMF bereits zur Anwendung über den Einzelfall hinaus freigegeben.