OFD Hannover - S 0625 - 40 - StO 141

Einspruchsverfahren in Insolvenzfällen [1]

1. Unterbrechung durch Eröffnung des Insolvenzverfahrens bzw. die Anordnung des allgemeinen Verfügungsverbots bei Einsetzung eines vorläufigen Insolvenzverwalters

Durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens bzw. die Anordnung des allgemeinen Verfügungsverbots bei Einsetzung eines vorläufigen Insolvenzverwalters wird das anhängige Einspruchsverfahren – analog § 240 Satz 1 bzw. § 240 Satz 2 ZPO – unterbrochen. Die Unterbrechung dauert solange fort, bis das Rechtsbehelfsverfahren nach den für das eröffnete Insolvenzverfahren geltenden Vorschriften aufgenommen (§ 180 Abs. 2 InsO) oder das (ggf. vorläufige) Insolvenzverfahren aufgehoben wird. [2]

Durch die Anordnung des allgemeinen Verfügungsverbots bei Einsetzung eines vorläufigen Insolvenzverwalters unterbrochene Rechtsbehelfsverfahren wegen Insolvenzforderungen können weder vom starken vorläufigen Insolvenzverwalter noch vom Finanzamt aufgenommen werden. Insolvenzforderungen können nach § 87 InsO nur durch Anmeldung zur Insolvenztabelle geltend gemacht werden. Da dies die Eröffnung des Insolvenzverfahrens voraussetzt, gibt es während der Zeit der vorläufigen Insolvenzverwaltung keine Möglichkeit, die Insolvenzforderung zu verfolgen, d. h. der Erlass einer Einspruchsentscheidung ist unzulässig. [3]

2. Anmeldung der Steuerforderungen zur Insolvenztabelle

Es ist jedoch zu beachten, dass das Finanzamt die Steuerforderung daneben, parallel zu den abgabenrechtlichen Vorschriften über die Steuerfestsetzung, im Insolvenzverfahren durch Anmeldung zur Tabelle gem. §§ 174 ff. InsO geltend machen muss. Je nachdem, wie sich der Insolvenzverwalter bzw. der Insolvenzschuldner im Insolvenzverfahren bzw. der sogenannte starke vorläufige Insolvenzverwalter im Insolvenzeröffnungsverfahren auf die vom Finanzamt zur Tabelle angemeldeten Steuerforderungen einlassen, ergeben sich hieraus Rückwirkungen auf das Steuerfestsetzungs- bzw. Einspruchsverfahren.

2.1 Anmeldung zur Insolvenztabelle wird bestritten

2.1.1 Wird dem noch nicht bestandskräftigen Steuerbescheid im Prüfungstermin vom Insolvenzverwalter widersprochen, wurde aber vom Schuldner bzw. einem sogenannten starken vorläufigen Insolvenzverwalter noch kein Einspruch eingelegt, erklärt das Finanzamt gegenüber dem Insolvenzverwalter die Aufnahme des Steuerrechtsstreits. [4] Das hat zur Folge, dass eine neue Rechtsbehelfsfrist in Gang gesetzt wird, innerhalb derer der Insolvenzverwalter Einspruch erheben kann. Liegt nach Ablauf der Frist kein Einspruch vor, gilt die angemeldete Forderung mit Ablauf der Rechtsbehelfsfrist als festgestellt.

2.1.2 War vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens vom Schuldner bzw. dem sogenannten starken vorläufigen Insolvenzverwalter Einspruch eingelegt worden, ist das Einspruchsverfahren durch den Insolvenzverwalter aufzunehmen und fortzuführen (§ 85 InsO). [5] Das vom Insolvenzverwalter aufgenommene Einspruchsverfahren ist vom Finanzamt weiter zu betreiben. Das Gleiche gilt, wenn die Anmeldung zur Insolvenztabelle vom Insolvenzverwalter bestritten wird, dieser aber seinen Widerspruch gegen die Forderungsanmeldung trotz Aufforderung durch das Finanzamt, innerhalb einer angemessenen Frist nicht zurücknimmt und den Rechtsstreit von sich aus auch nicht aufnimmt. [6]

Das Einspruchsverfahren wird in der Lage bzw. in dem Verfahrensstand fortgesetzt, in dem es bei seiner Unterbrechung durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens bzw. durch die Anordnung eines allgemeinen Verfügungsverbotes im Eröffnungsverfahren zum Stillstand gekommen ist. [7] Gegenstand des Einspruchsverfahrens bleibt der vom Insolvenzschuldner bzw. der vom sogenannten starken vorläufigen Insolvenzverwalter angefochtene Steuerbescheid. Der Insolvenzverwalter ist befugt, die Änderung oder Aufhebung des Steuerbescheids zu beantragen. [8]

Ein Insolvenzverwalter kann nicht einen gem. § 240 ZPO unterbrochenen Passivprozess über eine Insolvenzforderung (z. B. über die Rechtmäßigkeit von Steuer- oder Haftungsbescheiden) zur Aufnahme durch den Gemeinschuldner „freigeben” … [9]

2.1.3 In den Fällen eines bereits bei Eröffnung des Insolvenzverfahrens bzw. bei Anordnung eines allgemeinen Verfügungsverbotes im Eröffnungsverfahren anhängigen Einspruchsverfahrens kommt der Erlass eines (Insolvenz-)Feststellungsbescheids nach § 251 Abs. 3 AO bei bestrittenen, zur Insolvenztabelle angemeldeten Steueransprüchen nicht in Betracht. [10] Dieser ist nur erforderlich, wenn eine vom Finanzamt zur Insolvenztabelle angemeldete, jedoch noch nicht festgesetzte und wegen der Eröffnung des Insolvenzverfahrens bzw. wegen Anordnung eines allgemeinen Verfügungsverbotes im Eröffnungsverfahren auch nicht mehr festsetzbare Steuerforderung bestritten wird oder wenn bei bereits bestandskräftig festgesetzter Steuer die Anmeldung zur Insolvenztabelle bestritten wird. [11]

Kann dem Einspruch in der Sache (Höhe der festgesetzten Steuer) nicht entsprochen werden, ist er durch Einspruchsentscheidung als unbegründet zurückzuweisen. Die Begründung der Einspruchsentscheidung muss sich sowohl auf die Rechtmäßigkeit der Steuerforderung als auch auf die rechtmäßige Beanspruchung der Steuerforderung als Insolvenzforderung erstrecken. Im Tenor ist über den Einspruch gegen die Steuerfestsetzung und über den im Prüfungstermin erhobenen Widerspruch zu entscheiden. [12] Der Tenor der Einspruchsentscheidung kann wie folgt abgefasst werden:

„Der vor Insolvenzeröffnung eingelegte Einspruch vom ………… des ………… und der vom Insolvenzverwalter im Prüfungstermin am ………… erhobene Widerspruch gegen den ………… bescheid vom ………… wird als unbegründet zurückgewiesen.” Der Insolvenzverwalter ist (in seiner Eigenschaft als Insolvenzverwalter) als Einspruchsführer aufzuführen. Ihm ist die Einspruchsentscheidung bekannt zu geben.

Eine Verböserung in der Einspruchsentscheidung ist nichtig. Die ggf. höhere Steuerforderung muss durch Anmeldung zur Insolvenztabelle geltend gemacht werden. [13]

Ist dem Einspruch teilweise stattzugeben (Herabsetzung der festgesetzten Steuer), ist – bei Erlass einer Einspruchsentscheidung – die neue Steuerschuld im Tenor der Entscheidung festzustellen. Soweit wegen der streitigen Steuer eine Anmeldung zur Tabelle (§ 175 InsO) vorgenommen wurde, ist die Anmeldung im Anschluss an den Erlass der Einspruchsentscheidung entsprechend zu berichtigen. [14]

2.1.4 Dem Insolvenzschuldner steht zwar auch das Widerspruchsrecht zu. Dessen Widerspruch steht der Feststellung der Forderung jedoch nicht entgegen (§ 178 Abs. 1 Satz 2 InsO). Trotz Widerspruchs des Schuldners tritt die Rechtskraftwirkung des Tabelleneintrags ein (§ 178 Abs. 3 InsO). Soweit der Schuldner die zur Tabelle angemeldete Forderung bestreitet, hat dies lediglich die Wirkung, dass der Tabelleneintrag nach Insolvenzbeendigung nicht gegen den Schuldner wirkt (§ 201 InsO). Das Finanzamt kann daher noch während des Insolvenzverfahrens, spätestens aber nach dessen Aufhebung, ein unterbrochenes Einspruchsverfahren gegen den Insolvenzschuldner persönlich aufnehmen. Der Schuldner kann den durch die Insolvenzeröffnung unterbrochenen Rechtsstreit nicht selbst aufnehmen. Für die Aufnahme des Rechtsstreits fehlt ihm während des Insolvenzverfahrens das Rechtsschutzbedürfnis. [15] Nach Aufhebung des Insolvenzverfahrens kann er aber auch selbst den Rechtsstreit aufnehmen.

2.2 Anmeldung zur Insolvenztabelle wird nicht bestritten

2.2.1 Nach § 178 InsO gilt eine Forderung als festgestellt, soweit gegen sie im Prüfungstermin oder im schriftlichen Verfahren ein Widerspruch weder vom Insolvenzverwalter noch von einem Insolvenzgläubiger erhoben wird. Ein bereits im Zeitpunkt der Insolvenzeröffnung bzw. der Anordnung eines allgemeinen Verfügungsverbotes im Eröffnungsverfahren anhängiges Einspruchsverfahren kann mangels Widerspruchs des Insolvenzverwalters oder eines Insolvenzgläubigers nicht aufgenommen und fortgeführt werden.

2.2.2 Widerspricht auch der Schuldner der Anmeldung zur Insolvenztabelle nicht, so fehlt es an einem Rechtsschutzinteresse an der Fortsetzung des Einspruchsverfahrens. Durch die wirksame Feststellung der Forderung zur Insolvenztabelle kann in diesem Fall das Einspruchsverfahren als erledigt behandelt werden [16] (als „Entscheidung”).

3. Einspruchsverfahren ohne Forderungsanmeldung

Auch bei einem Einspruchsverfahren, in dem der Steuerpflichtige mit seinem Einspruch eine (höhere) Steuererstattung begehrt, das aber durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens bzw. die Anordnung des allgemeinen Verfügungsverbots bei Einsetzung eines vorläufigen Insolvenzverwalters – analog § 240 Satz 1 bzw. § 240 Satz 2 ZPO – unterbrochen wurde und weder vom Insolvenzverwalter bzw. vom vorläufigen „starken” Insolvenzverwalter noch von dem Insolvenzschuldner aufgenommen wird, dauert die Unterbrechung solange fort, bis das Rechtsbehelfsverfahren nach den für das eröffnete Insolvenzverfahren geltenden Vorschriften aufgenommen (§ 180 Abs. 2 InsO) wird (s. Tz. 1).

Grundsätzlich ist der Fortgang des unterbrochenen Einspruchsverfahrens vom Ergebnis der insolvenzrechtlichen Erörterungen des Steueranspruchs im Prüfungstermin abhängig [17]. Eine solche Erörterung findet jedoch nicht statt, weil vom Finanzamt keine Insolvenzforderung angemeldet und der Insolvenzverwalter auch nicht mittels Vordruck InsO 24 u. 25 (Anschreiben nach Widersprüchen) unterrichtet wurde.

Deshalb ist der Insolvenzverwalter über das anhängige Verfahren und darüber zu unterrichten, dass sich aus diesem Verfahren ein Erstattungsbetrag ergeben kann, der ggf. an die Masse auszuzahlen wäre. Dabei ist der Insolvenzverwalter darauf hinzuweisen, dass für den Fall, dass er die Aufnahme des Verfahrens ausdrücklich ablehnt, davon ausgegangen wird, dass der etwaige Erstattungsanspruch als von ihm freigegeben angesehen und das Einspruchsverfahren mit dem Schuldner selbst fortgeführt wird.

Nimmt der Insolvenzverwalter das Verfahren auf, so ist das Einspruchsverfahren mit ihm durchzuführen. Entsprechend ist zu verfahren, wenn der Insolvenzverwalter nicht reagiert.

Ohne eine ausdrückliche Erklärung des Insolvenzverwalters bleibt der Einspruch weiter anhängig.

OFD Hannover v. - S 0625 - 40 - StO 141

Fundstelle(n):
DStR 2008 S. 923 Nr. 19
EAAAC-75348

1vgl. auch Niederschrift zur AO-Tagung „März 2000” vom – S 0076 – 20/18 – StO 321/StH 551 –

2vgl. zum Recht nach der Konkursordnung BStBl 1978 II S. 472, und vom , BStBl 1998 II S. 428

3vgl. Gesamtdarstellung zum Insolvenzrecht, Abschn. B IV Nr. 2c (Verfügung, Stand vom . Unter besonderer Berücksichtigung der Tätigkeit des Finanzamts im Vollstreckungs- und Insolvenzverfahren
vgl. Frotscher, Besteuerung bei Insolvenz, 5. Auflage, S. 270:
vgl.

4Vordruck InsO 24 Abschn. B

5 a.a.O.

6Vordruck InsO 24 Abschn. C: BStBl 1998 I S. 1500, Tz. 6.2

7, und

8 a. a. O.

9; BStBl 2006 II S. 573

10 a. a. O., Tz. 6; EFG 1997, 565

11 a. a. O., Tz. 6.2

12 BStBl 2005 II S. 591

13 BStBl 2005 II S. 246

14 BStBl 1976 II S. 506

15 BStBl 1978 II S. 165; Urteil des Hessischen EFG 1982, 6

16 a.a.O.

17 a.a.O.