BGH Urteil v. - VIII ZR 246/06

Leitsatz

[1] Ein unberechtigtes Mangelbeseitigungsverlangen des Käufers nach § 439 Abs. 1 BGB stellt eine zum Schadensersatz verpflichtende schuldhafte Vertragsverletzung dar, wenn der Käufer erkannt oder fahrlässig nicht erkannt hat, dass ein Mangel der Kaufsache nicht vorliegt, sondern die Ursache für das Symptom, hinter dem er einen Mangel vermutet, in seinem eigenen Verantwortungsbereich liegt.

Gesetze: BGB § 280 Abs. 1; BGB § 439 Abs. 1

Instanzenzug: AG Peine 18 C 370/04 vom LG Hildesheim 7 S 136/06 vom

Tatbestand

Die Klägerin verkaufte und lieferte im Februar 2003 an die Beklagte eine Lichtrufanlage, mit der von Krankenbetten aus Rufsignale an das Pflegepersonal mittels Leuchtzeichen an der Zimmertür sowie mittels akustischer Zeichen an einzelne Pflegekräfte gesendet werden können. Die Anlage wurde von der Beklagten, die ein Elektroinstallationsunternehmen betreibt, in einen Neubautrakt eines Altenheims eingebaut, wobei auch eine Verbindung zu einer bereits bestehenden Rufanlage im Altbau herzustellen war. Auf eine Störungsmeldung des Altenheims hin überprüfte der Mitarbeiter R. der Beklagten am die Installation der Anlage, konnte aber die Störung nicht beseitigen. Daraufhin forderte die Beklagte die Klägerin auf, den von ihr als Ursache der Störung vermuteten Mangel an der gelieferten Lichtrufanlage zu beheben. Der Servicetechniker K. der Klägerin, der die Anlage am an Ort und Stelle überprüfte, bezeichnete als maßgebliche Ursache der Störung die Unterbrechung einer Kabelverbindung zwischen der alten und der neuen Rufanlage, die er behob. Für die Überprüfung der Anlage und die Fehlerbeseitigung benötigte er einschließlich der Zeit für die Hin- und Rückfahrt, bei der er insgesamt 424 km mit dem PKW zurücklegte, sechs Arbeitsstunden.

Mit ihrer Klage verlangt die Klägerin von der Beklagten Ersatz der ihr zur Beseitigung des vermeintlichen Mangels entstandenen Kosten nebst Zinsen. Das Amtsgericht hat der Klage in Höhe eines Teilbetrags von 773,95 € nebst Zinsen stattgegeben. Die Berufung der Beklagten ist erfolglos geblieben. Mit ihrer vom Berufungsgericht zugelassenen Revision erstrebt die Beklagte weiterhin die vollständige Abweisung der Klage.

Gründe

Die Revision hat keinen Erfolg.

I.

Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt:

Der Klägerin stehe gegenüber der Beklagten ein Anspruch auf Schadensersatz aus § 280 Abs. 1, §§ 249 ff. BGB in Höhe von 773,95 € nebst Zinsen zu. Die Beklagte habe als Käuferin ihre nachvertragliche Pflicht verletzt, die Klägerin durch ungerechtfertigte Mangelbeseitigungsaufforderungen nicht in ihrem Vermögen zu schädigen. Ein Mangel der von der Klägerin gelieferten Anlage im Sinne von § 434 BGB habe nicht vorgelegen. Die Beklagte habe die ungerechtfertigte Inanspruchnahme der Klägerin auch zu vertreten. Selbst wenn entgegen den Feststellungen des Amtsgerichts die Störung ursprünglich nicht auf das Fehlen einer Kabelverbindung zwischen der alten und der neuen Rufanlage, sondern - wie die Beklagte geltend mache - darauf zurückzuführen gewesen sei, dass die Schwestern des Pflegeheims Veränderungen an der Einstellung der Anlage vorgenommen hätten, und der Mitarbeiter R. der Beklagten die Verbindung erst bei Überprüfung der Anlage gelöst sowie danach vergessen habe, den Draht wieder anzuschließen, sei es fahrlässig, dass die Beklagte als Fachfirma für Elektroanlagenbau sowie für Alarm- und Brandmeldetechnik vor Inanspruchnahme der Klägerin die nahe liegende Möglichkeit einer Fehlfunktion infolge der Vornahme von Einstellungen durch das Pflegepersonal nicht überprüft habe. Die Klägerin habe deshalb Anspruch auf Erstattung der entstandenen Kosten in Höhe von 6 Arbeitsstunden à 90 €, weil die Beklagte ihr die Möglichkeit genommen habe, den Zeugen zu diesen Stundensätzen anderweitig einzusetzen (§§ 249, 252 BGB), und auf Ersatz von Fahrtkosten in Höhe von 0,30 € x 424 km zuzüglich 16 % Umsatzsteuer, insgesamt 773,95 €.

II.

Diese Beurteilung hält der rechtlichen Nachprüfung stand. Das Berufungsgericht hat zu Recht angenommen, dass die Klägerin von der Beklagten Schadensersatz wegen ihrer Aufwendungen für die Beseitigung der Störung der Rufanlage in Höhe von 773,95 € verlangen kann; denn die Beklagte hat mit ihrer Aufforderung zur Mangelbeseitigung gegenüber der Klägerin schuldhaft eine vertragliche Pflicht verletzt (§ 280 Abs. 1 BGB).

1. Der Beklagten stand ein Anspruch auf Nacherfüllung in Form der Mangelbeseitigung gemäß § 437 Nr. 1, § 439 BGB gegenüber der Klägerin nicht zu. Nach den rechtsfehlerfrei getroffenen und in der Revisionsinstanz nicht angegriffenen Feststellungen des Berufungsgerichts wies die von der Klägerin gelieferte Rufanlage keinen Sachmangel im Sinne von § 434 BGB auf.

2. In der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist, wie die Revision zu Recht geltend macht, anerkannt, dass allein in der Erhebung einer Klage oder in der sonstigen Inanspruchnahme eines staatlichen, gesetzlich geregelten Rechtspflegeverfahrens zur Durchsetzung vermeintlicher Rechte weder eine unerlaubte Handlung im Sinne der §§ 823 ff. BGB (BGHZ 74, 9, 16; 95, 10, 18 f.; 118, 201, 206; 154, 269, 271 f.; 164, 1, 6) noch ein Verstoß gegen Treu und Glauben und damit eine zum Schadensersatz verpflichtende Vertragsverletzung gesehen werden kann (BGHZ 20, 169, 172; , WM 1979, 1288 = NJW 1980, 189, unter I 2, insoweit in BGHZ 75, 1 nicht abgedruckt; Urteil vom - V ZR 322/03, NJW-RR 2005, 315 unter II 2). Für die Folgen einer nur fahrlässigen Fehleinschätzung der Rechtslage haftet der ein solches Verfahren Betreibende außerhalb der schon im Verfahrensrecht vorgesehenen Sanktionen grundsätzlich nicht, weil der Schutz des Prozessgegners regelmäßig durch das gerichtliche Verfahren nach Maßgabe seiner gesetzlichen Ausgestaltung gewährleistet wird. Eine andere Beurteilung würde die freie Zugängigkeit der staatlichen Rechtspflegeverfahren, an der auch ein erhebliches öffentliches Interesse besteht, in verfassungsrechtlich bedenklicher Weise einengen.

Die Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen sich diese Rechtsprechung auf die außerprozessuale Geltendmachung vermeintlicher Rechte übertragen lässt, wird jedoch nicht einheitlich beantwortet.

a) Nach der Entscheidung des Großen Senats für Zivilsachen vom (BGHZ 164, 1, 6) bleibt es beim uneingeschränkten deliktischen Rechtsgüterschutz nach § 823 Abs. 1 BGB und § 826 BGB, wenn es an der Rechtfertigungswirkung eines gerichtlichen Verfahrens fehlt. Im Rahmen einer (vor-)vertraglichen Beziehung der Parteien kommt nach einem , NJW 2007, 1458, unter II 1 und 2) auch ein Schadensersatzanspruch aus § 280 Abs. 1, § 311 BGB in Betracht, wenn jemand unberechtigt als angeblicher Schuldner außergerichtlich mit einer Forderung konfrontiert wird und ihm bei der Abwehr dieser Forderung Kosten entstehen (ebenso LG Zweibrücken, NJW-RR 1998, 1105 f.; AG Münster, NJW-RR 1994, 1261 f.; Palandt/Heinrichs, BGB, 67. Aufl., § 280 Rdnr. 27).

b) Dagegen wird teilweise die Auffassung vertreten, die außergerichtliche Geltendmachung einer nicht bestehenden Forderung könne nicht anders behandelt werden als die gerichtliche (, juris, Tz. 142; Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision zurückgewiesen durch , www.bundesgerichtshof.de, unter 1; OLG Düsseldorf, NJW-RR 1999, 746, unter 2; OLG Braunschweig, OLGR 2001, 196, 198; Grüneberg/Sutschet in: Bamberger/Roth, BGB, 2. Aufl., § 241 Rdnr. 54). In bestehenden Schuldverhältnissen gebe es ein Recht, in subjektiv redlicher Weise - wenn auch unter fahrlässiger Verkennung der Rechtslage - Ansprüche geltend zu machen, die sich als unberechtigt erwiesen.

c) Nach Ansicht des Senats stellt jedenfalls ein unberechtigtes Mangelbeseitigungsverlangen nach § 439 Abs. 1 BGB eine zum Schadensersatz verpflichtende schuldhafte Vertragsverletzung dar, wenn der Käufer erkannt oder fahrlässig nicht erkannt hat, dass ein Mangel nicht vorliegt, sondern die Ursache für die von ihm beanstandete Erscheinung in seinem eigenen Verantwortungsbereich liegt (vgl. zum Werkvertragsrecht LG Hamburg, NJW-RR 1992, 1301; aA OLG Düsseldorf, aaO, und LG Konstanz, NJW-RR 1997, 722, 723). Für den Käufer liegt es auf der Hand, dass von ihm geforderte Mangelbeseitigungsarbeiten auf Seiten des Verkäufers einen nicht unerheblichen Kostenaufwand verursachen können. Die innerhalb eines bestehenden Schuldverhältnisses gebotene Rücksichtnahme auf die Interessen der gegnerischen Vertragspartei erfordert deshalb, dass der Käufer vor Inanspruchnahme des Verkäufers im Rahmen seiner Möglichkeiten sorgfältig prüft, ob die in Betracht kommenden Ursachen für das Symptom, hinter dem er einen Mangel vermutet, in seiner eigenen Sphäre liegen.

Eine solche Verpflichtung hat entgegen der Auffassung der Revision nicht zur Folge, dass Käufer ihr Recht, Mangelbeseitigung zu verlangen, so vorsichtig ausüben müssten, dass ihre Mängelrechte dadurch entwertet würden. Der Käufer braucht nicht vorab zu klären und festzustellen, ob die von ihm beanstandete Erscheinung Symptom eines Sachmangels ist (vgl. Malotki, BauR 1998, 682, 688). Er muss lediglich im Rahmen seiner Möglichkeiten sorgfältig überprüfen, ob sie auf eine Ursache zurückzuführen ist, die nicht dem Verantwortungsbereich des Verkäufers zuzuordnen ist. Bleibt dabei ungewiss, ob tatsächlich ein Mangel vorliegt, darf der Käufer Mängelrechte geltend machen, ohne Schadensersatzpflichten wegen einer schuldhaften Vertragsverletzung befürchten zu müssen, auch wenn sich sein Verlangen im Ergebnis als unberechtigt herausstellt. Da es bei der den Käufer treffenden Prüfungspflicht um den Ausschluss von Ursachen in seinem eigenen Einflussbereich geht, kommt es entgegen der Auffassung der Revision auf besondere, die Kaufsache betreffende Fachkenntnisse nicht an, über die unter Umständen nur der Verkäufer verfügt. Die Annahme einer solchen Prüfungspflicht steht auch nicht im Widerspruch zu der Entscheidung des IX. Zivilsenats vom (aaO), die eine andere Sachverhaltsgestaltung (fehlerhafte Einschätzung der Rechtslage bei einer vorprozessualen Zahlungsaufforderung) betrifft.

3. Das Berufungsgericht hat danach eine schuldhafte Vertragsverletzung der Beklagten zu Recht bejaht. Es hat festgestellt, dass entweder die Beklagte die von der Klägerin gelieferte Anlage von vornherein fehlerhaft eingebaut hat, weil sie die erforderliche Kabelverbindung zwischen Alt- und Neubau nicht hergestellt hat, oder dass ihr Mitarbeiter R. bei der Überprüfung der Anlage nicht bemerkt hat, dass das Personal des Pflegeheims die Fehlfunktion durch eine Änderung der Einstellung verursacht hat, und es zudem nach der Überprüfung versäumt hat, die Verbindung zwischen Alt- und Neubau wieder anzuklemmen. Jede dieser in Betracht kommenden, im eigenen Verantwortungsbereich der Beklagten liegenden Ursachen hätte von ihr bzw. ihren Mitarbeitern (§ 278 BGB) bei Anwendung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt erkannt werden können und deshalb vor Inanspruchnahme der Klägerin berücksichtigt werden müssen.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:




Fundstelle(n):
NJW 2008 S. 1147 Nr. 16
WM 2008 S. 561 Nr. 12
ZIP 2008 S. 458 Nr. 10
HAAAC-71316

1Nachschlagewerk: ja; BGHZ: nein; BGHR: ja