Änderung eines Kindergeldbescheids nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO
Gesetze: AO § 173 Abs. 1 Nr. 2, FGO § 115 Abs. 2 Nr. 1
Instanzenzug:
Gründe
I. Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) hat einen Sohn, welcher sich vom bis in Ausbildung zum Industriekaufmann befand.
Die Beklagte und Beschwerdegegnerin (Familienkasse) hob mit Bescheiden vom die Festsetzung des Kindergeldes für den Sohn ab Januar 2003 sowie ab Januar 2004 auf, weil die Einkünfte und Bezüge des Sohnes im Jahr 2003 den maßgeblichen Jahresgrenzbetrag in Höhe von 7 188 € (§ 32 Abs. 4 Satz 2 des Einkommensteuergesetzes —EStG— in der für das Jahr 2003 geltenden Fassung) bzw. in den Monaten Januar bis Juni 2004 den anteiligen Grenzbetrag in Höhe von (7 680 € x 6/12 =) 3 840 € (§ 32 Abs. 4 Sätze 2 und 7 EStG in der für das Jahr 2004 geltenden Fassung) überschritten.
Mit Schreiben vom beantragte der Kläger unter Hinweis auf den (BVerfGE 112, 164, BFH/NV 2005, Beilage 3, 260) erneut Kindergeld ab Januar 2003. Das BVerfG hatte dort entschieden, die Einbeziehung von Sozialversicherungsbeiträgen des Kindes in die Bemessungsgröße für den Jahresgrenzbetrag gemäß § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG verstoße gegen den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG). Die Familienkasse lehnte den Antrag mit Bescheid vom ab, da die Kindergeldfestsetzung für den fraglichen Zeitraum bestandskräftig aufgehoben worden sei. Einspruch und Klage blieben ohne Erfolg.
Mit seiner Nichtzulassungsbeschwerde beruft sich der Kläger auf die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung —FGO—). Zu klären sei die Rechtsfrage, ob ein bestandskräftiger Kindergeldbescheid nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 der Abgabenordung (AO) aufgehoben oder geändert werden könne, wenn die Familienkasse bei ursprünglicher Kenntnis der Tatsachen gleichwohl nicht anders entschieden hätte, weil sie einer verfassungswidrigen Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) gefolgt wäre. Außerdem habe das Finanzgericht (FG) den Anspruch des Klägers auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG, § 96 Abs. 2 FGO) verletzt, weil es in seiner Entscheidung nicht darauf eingegangen sei, dass der Kläger hilfsweise eine Änderung der Bescheide vom gemäß § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO beantragt habe.
II. Die Beschwerde ist unbegründet und wird durch Beschluss (§ 132 FGO) zurückgewiesen.
1. Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO).
Durch die Rechtsprechung des BFH ist geklärt, dass ein Steuerbescheid wegen nachträglich bekannt gewordener Tatsachen oder Beweismittel zu Gunsten des Steuerpflichtigen nicht nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO aufgehoben oder geändert werden darf, wenn die Finanzbehörde bei ursprünglicher Kenntnis der Tatsachen oder Beweismittel nicht anders entschieden hätte (, BFHE 151, 495, BStBl II 1988, 180). Ein Kindergeldbescheid kann demgemäß —die Vorschriften für die Steuerfestsetzung gelten gemäß § 155 Abs. 4 AO sinngemäß, da das Kindergeld als Steuervergütung (§ 31 Satz 3 EStG) gezahlt wird— nicht aufgrund des nachträglichen Bekanntwerdens der tatsächlichen Höhe des Arbeitnehmeranteils des Kindes am Gesamtsozialversicherungsbeitrag nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO korrigiert werden, wenn —wie im Streitfall— die gesetzlichen Sozialversicherungsbeiträge im Zeitpunkt des Bescheiderlasses sowohl nach der Rechtsprechung des , BFHE 192, 316, BStBl II 2000, 566) als auch nach den die Familienkassen bindenden Verwaltungsanweisungen (Abschn. 63.4.2.1 Abs. 2 Satz 6 der Dienstanweisung zur Durchführung des steuerlichen Familienleistungsausgleichs nach dem X. Abschnitt des Einkommensteuergesetzes, Stand Januar 2002, BStBl I 2002, 369) die Einkünfte des Kindes nicht minderten (vgl. Senatsurteil vom III R 31/06, BFH/NV 2007, 392).
Es sind keine neuen Gesichtspunkte erkennbar, welche eine erneute Prüfung und Entscheidung dieser Frage durch den BFH erforderlich machen. Der Kläger bezieht sich zur Begründung seiner Auffassung, es könne für die Anwendbarkeit des § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO nicht darauf ankommen, wie die Finanzbehörde bei ursprünglicher Kenntnis der Tatsachen oder Beweismittel entschieden hätte, auf den Vorlagebeschluss des VI. Senats des (BFH/NV 1988, 482) und wiederholt die dort vorgetragenen Argumente. Damit hat sich der BFH aber bereits in seinem Beschluss in BFHE 151, 495, BStBl II 1988, 180 eingehend auseinander gesetzt. Gleiches gilt für die von Loose in Tipke/Kruse (Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 173 AO Rz 55) vorgebrachten Einwände gegen die Auffassung des BFH.
Nichts anderes ergibt sich daraus, dass —wie der Kläger vorträgt— das BVerfG in seinem Beschluss in BVerfGE 112, 164, BFH/NV 2005, Beilage 3, 260 die bisherige Auslegung des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG durch den BFH, wonach der Arbeitslohn nicht um die gesetzlichen Arbeitnehmerbeiträge zur Sozialversicherung zu kürzen ist (vgl. BFH-Urteile in BFHE 192, 316, BStBl II 2000, 566, und vom VIII R 59/03, BFHE 204, 126, BStBl II 2004, 584, m.w.N.), für verfassungswidrig erklärt hat. Es ist nicht zweifelhaft, dass dieser Gesichtspunkt nicht zur Anwendbarkeit des § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO führen kann. Nach § 79 Abs. 2 des Gesetzes über das Bundesverfassungsgericht (BVerfGG) sollen bei Verfassungswidrigkeit eines Gesetzes die nicht mehr anfechtbaren Entscheidungen unberührt bleiben. Die Vorschrift gilt analog, wenn das BVerfG —wie im Streitfall— lediglich die Auslegung einer Norm für unvereinbar mit dem GG erklärt hat (vgl. , Deutsches Steuerrecht 2006, 108). Dieser Wertung widerspräche es aber, wenn man im Streitfall die Bescheide vom nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO korrigieren würde, weil der Familienkasse die erst durch den Beschluss des BVerfG in BVerfGE 112, 164, BFH/NV 2005, Beilage 3, 260 relevant gewordene Höhe des Arbeitnehmeranteils des Sohnes am Gesamtsozialversicherungsbeitrag nach Erlass dieser Bescheide bekannt geworden ist (vgl. zum Wertungswiderspruch zu § 79 Abs. 2 BVerfGG bereits BFH-Beschluss in BFHE 151, 495, BStBl II 1988, 180).
2. Der Hinweis des Klägers auf das rechtfertigt die Zulassung der Revision ebenfalls nicht. Der Fall betraf einen im Jahr 2005 erlassenen Bescheid, mit dem das Kindergeld ab aufgehoben worden war, weil die Einkünfte des Kindes im Jahr 2004 den Jahresgrenzbetrag überschritten hatten. Nach Auffassung des FG erstreckte sich die Bindungswirkung des Aufhebungsbescheids —abweichend von der Rechtsprechung des BFH (z.B. Urteil vom VIII R 12/03, BFH/NV 2004, 786, m.w.N.)— nicht bis zum Ende des Monats seiner Bekanntgabe im Jahr 2005, sondern wegen des Hinweises auf die Überschreitung des Jahresgrenzbetrags im Jahr 2004 nur auf das Jahr 2004. Ein vergleichbarer Sachverhalt liegt im Streitfall nicht vor.
3. Es liegt auch kein Verfahrensmangel (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO) vor.
Das FG hat den Anspruch des Klägers auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG, § 96 Abs. 2 FGO) nicht verletzt. Es trifft nicht zu, dass das FG —wie der Kläger meint— in seiner Entscheidung nicht darauf eingegangen sei, dass der Kläger hilfsweise eine Änderung der Bescheide vom gemäß § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO beantragt habe. Vielmehr hat das FG eine Aufhebung der Bescheide vom nach dieser Vorschrift abgelehnt, weil die Familienkasse auch bei ursprünglicher Kenntnis der von dem Kind gezahlten gesetzlichen Sozialversicherungsbeiträge nicht anders entschieden hätte.
Fundstelle(n):
BFH/NV 2008 S. 337 Nr. 3
DAAAC-68884