BSG Urteil v. - B 8/9b SO 14/06 R

Leitsatz

Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.

Gesetze: SGB X § 44; SGB X § 44 Abs 1 Satz 1; SGG § 164 Abs 2 Satz 1; SGG § 164 Abs 2 Satz 3

Instanzenzug: SG Aachen S 19 SO 14/06 vom

Gründe

I

Der Rechtsstreit betrifft die Zahlung höherer Leistungen (154,- € pro Monat) nach dem Grundsicherungsgesetz (GSiG) bzw dem Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch - Sozialhilfe - (SGB XII) für den Zeitraum vom bis unter Korrektur bestandskräftiger Bewilligungsbescheide.

Die 1978 geborene, schwerbehinderte Klägerin bezog Leistungen zur Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem GSiG bis bzw dem SGB XII ab , bei denen der Beklagte das an die Mutter ausgezahlte Kindergeld als Einkommen im streitigen Zeitraum in Höhe von 154 € monatlich berücksichtigte (bestandskräftige Bewilligungsbescheide vom , , , , , , , , , , , und ). Der Beklagte lehnte den Antrag der Klägerin auf Korrektur dieser Bescheide und Gewährung höherer Leistungen für den streitigen Zeitraum ab (Bescheid vom ; Widerspruchsbescheid vom ).

Das Sozialgericht (SG) hat den Beklagten unter "Aufhebung des Bescheides vom in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom verurteilt, der Klägerin unter entsprechender Rücknahme der Bewilligungsbescheide vom , , , , , , , , , , , und für die Zeit vom bis zum weitere Leistungen der Grundsicherung bei Erwerbsminderung in Höhe von 4.466 EUR zu zahlen" (Urteil vom ). Zur Begründung hat es ausgeführt, der Beklagte habe das an die Mutter der Klägerin gezahlte Kindergeld zu Unrecht als Einkommen der Klägerin berücksichtigt. Die Klägerin habe daher einen Anspruch auf Nachzahlung von Grundsicherungsleistungen in Höhe von monatlich 154,00 €. Im streitigen Zeitraum seien die ursprünglichen Bewilligungsbescheide gemäß § 44 Abs 1 Satz 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - (SGB X) abzuändern. Soweit das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) § 44 SGB X auf die Sozialhilfe für nicht anwendbar gehalten und dies mit der Eigenart der Sozialhilfe begründet habe, sei diese Rechtsprechung auf die Grundsicherung nicht übertragbar.

Mit der Sprungrevision rügt der Beklagte die Verletzung von Bundesrecht. Zur Begründung bezieht er sich auf den Vortrag im Parallelverfahren B 8/9b SO 8/06 R.

Der Beklagte beantragt,

das Urteil des SG aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie ist der Ansicht, die Entscheidung des SG sei nicht zu beanstanden.

II

Die Revision ist unzulässig (§ 169 Sozialgerichtsgesetz <SGG>). Der Beklagte hat sein Rechtsmittel nicht ausreichend begründet (§ 164 SGG).

Gemäß § 164 Abs 2 Satz 1 und 3 SGG ist die Revision fristgerecht und unter Einhaltung bestimmter Mindesterfordernisse zu begründen. Die Begründung muss danach einen bestimmten Antrag enthalten, die verletzte Rechtsnorm und, soweit Verfahrensmängel gerügt werden, die Tatsachen bezeichnen, die den Mangel ergeben. Diese gesetzlichen Anforderungen hat das Bundessozialgericht (BSG) in ständiger Rechtsprechung dahin präzisiert (vgl nur: -, juris RdNr 10, BSG SozR 3-1500 § 164 Nr 12 S 22 und BSG SozR 1500 § 164 Nr 12, jeweils mwN), dass in der Begründung sorgfältig sowie nach Umfang und Zweck zweifelsfrei dargelegt wird, weshalb eine Vorschrift des materiellen Rechts im angefochtenen Urteil nicht oder nicht richtig angewendet worden ist. Die Revisionsbegründung muss insbesondere erkennen lassen, dass sich der Revisionsführer mit der angefochtenen Entscheidung befasst hat und inwieweit er bei der Auslegung der vom Gericht angewandten Rechtsvorschriften anderer Auffassung ist.

Dafür bedarf es der Darlegung, in welchen Punkten und aus welchen Gründen die angefochtene Entscheidung angegriffen wird ( -, DBlR Nr 4086a zu § 117 AFG = juris RdNr 15 mwN; BSGE 70, 186, 187 f = SozR 3-1200 § 53 Nr 4 S 17; BSG SozR 1500 § 164 Nr 5, 12, 22 und 28). Betrifft die Revision mehrere Ansprüche, ist für jeden von ihnen die gesetzlich vorgeschriebene Begründung erforderlich ( B 7a AL 66/05 R -, juris RdNr 14 mwN; aaO; BSGE 65, 8, 11 = SozR 1300 § 48 Nr 55 S 159). Entsprechendes gilt bei einem nur teilbaren Streitgegenstand: Wenn sich die Begründung nicht auf alle Teile des angefochtenen Urteils erstreckt, deren Abänderung verlangt wird, ist die Revision für den nicht begründeten Teil unzulässig (vgl aaO, und BSG SozR 3-1500 § 164 Nr 12 S 23, jeweils mwN).

Dieses Formerfordernis soll im Interesse der Entlastung des Revisionsgerichts sicherstellen, dass der Revisionsführer bzw der Prozessbevollmächtigte das angefochtene Urteil im Hinblick auf einen Erfolg des Rechtsmittels überprüft und hierzu die Rechtslage genau durchdacht hat (vgl: aaO; -, HVBG-INFO 2002, 2641 ff = juris RdNr 10 mwN), bevor er durch seine Unterschrift die volle Verantwortung für die Revision übernimmt, und so ggf von der Durchführung aussichtsloser Revisionen absieht ( -, USK 2005-95 = juris RdNr 16 mwN).

Auf der Grundlage dieser an die Revisionsbegründung gestellten Anforderungen kann es in aller Regel nicht ausreichen, wenn die Bezugnahme auf andere Schriftsätze an die Stelle der konkreten Begründung selbst tritt (vgl BSG SozR 3-2400 § 28p Nr 1 S 3; V C 378.56 -, MDR 1959, 60 f; zur Berufungsbegründung vgl Bundesgerichtshof <BGH>, Beschluss vom - IV ZR 290/64 -, MDR 1966, 665 f; Albers in Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, Zivilprozessordnung <ZPO>, 64. Aufl 2006, § 520 RdNr 28). Demgemäß hat der Bundesfinanzhof (BFH) die bloße Bezugnahme auf die Revisionsbegründung in einer parallel liegenden Revisionssache als in der Regel unzureichend angesehen (vgl -, BFH/NV 1987, 303 f mwN). Die Verweisung auf andere Schriftsätze im selben Rechtsstreit (Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde) ist nur ausnahmsweise ausreichend, wenn diese Schriftsätze selbst den inhaltlichen Anforderungen bezogen auf die konkrete Revision genügen (BSG SozR 3-1500 § 164 Nr 9 S 16; BSG SozR 1500 § 164 Nr 4). Eine Ausnahme wird auch angenommen bei einem Schriftsatz, der die Begründung für mehrere Rechtsstreitigkeiten enthält (vgl Meyer-Ladewig in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 8. Aufl 2005, § 164 RdNr 9c mwN). Entsprechendes gilt, wenn es sich in verschiedenen Verfahren um die gleiche Rechtsfrage sowie dieselben Prozessbeteiligten handelt, eine Abschrift des in Bezug genommenen Schriftsatzes eingereicht und ausdrücklich zum Gegenstand des Vortrags gemacht wird ( -, BFH/NV 1988, 306 mwN).

Die vorliegende Revisionsbegründung genügt nicht den gestellten Anforderungen. Zwar hat der Revisionskläger einen Revisionsbegründungsschriftsatz eingereicht, in dem er ausdrücklich auf die Revisionsbegründung in einem Parallelverfahren (B 8/9b SO 8/06 R) Bezug nimmt; dazu hat er auch eine Abschrift der in Bezug genommenen Revisionsbegründung beigefügt. Jedoch handelt es sich bereits nicht um Verfahren derselben Beteiligten; denn die Kläger sind nicht identisch. Hinzu kommt, dass die Streitgegenstände teils unterschiedliche Rechtsgrundlagen betreffen. Während im vorliegenden Verfahren die Anwendbarkeit von § 44 SGB X auf Verwaltungsakte (Bewilligung von Grundsicherungsleistungen) streitig ist, die sowohl auf der Grundlage des GSiG (Streitzeitraum vom bis ) als auch auf der Grundlage des SGB XII (Streitzeitraum vom bis ) ergangen sind, betrifft das in Bezug genommene Parallelverfahren allein Grundsicherungsleistungen ab auf der Grundlage des SGB XII. Die angefochtene Entscheidung des SG setzt sich ausdrücklich und eingehend damit auseinander, dass das Erste Kapitel des SGB X auch für das GSiG gelte und die Rechtsprechung des BVerwG zur Nichtanwendung des § 44 SGB X im Sozialhilferecht nicht auf die eigenständigen Regelungen im GSiG übertragbar sei. Die vom Beklagten in Bezug genommene Revisionsbegründung im Parallelverfahren hat dagegen ausschließlich die Leistungen der Grundsicherung nach dem Vierten Kapitel des SGB XII zum Gegenstand. Hinzu kommt, dass der Beklagte in zwei weiteren Revisionsverfahren (B 8/9b SO 16/06 R und B 8/9b SO 15/06 R) ebenfalls nur die Revisionsbegründung der Sache B 8/9b SO 8/06 R vorgelegt hat. All dies zeigt, dass sich der Revisionsführer nicht in der für das jeweilige Verfahren erforderlichen Weise mit dem jeweils angefochtenen Urteil auseinander gesetzt, im Hinblick auf einen Erfolg des Rechtsmittels geprüft und die Rechtslage hierzu genau durchdacht hat.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

Fundstelle(n):
GAAAC-66916