Beginn der Festsetzungsfrist bei Kenntniserlangung des Finanzamts von vollzogener Schenkung
Gesetze: AO § 170, ErbStG § 31
Instanzenzug: (Verfahrensverlauf),
Gründe
I. Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) und dessen Bruder waren in den Jahren 1994 und 1995 zu jeweils 50 v.H. an der B-GmbH und an der C-GmbH beteiligt. Der Vater des Klägers (V) war in diesen Jahren Gesellschafter der D-GmbH. Im Rahmen einer Betriebsprüfung bei der D-GmbH wurde dem Finanzamt für Großbetriebsprüfung (FA für Groß-BP) bekannt, dass die D-GmbH in den Jahren 1994 und 1995 Personalkosten an die B-GmbH erstattet hatte. Von diesem Sachverhalt und der rechtlichen Beurteilung des FA für Groß-BP, dass diese Personalkostenerstattungen teilweise als verdeckte Gewinnausschüttungen (vGA) an V zu behandeln seien und in Höhe der vGA jeweils zur Hälfte Schenkungen an den Kläger und dessen Bruder vorlägen, erhielt der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt —FA—) durch eine am eingegangene Mitteilung des FA für Groß-BP Kenntnis. Das FA wurde ferner durch eine am eingegangene Mitteilung des FA für Groß-BP davon unterrichtet, dass V weitere Beträge als vGA zugerechnet worden seien, die V wiederum dem Kläger schenkweise überlassen habe. Das FA forderte den Kläger Anfang 1998 zur Abgabe einer Schenkungsteuererklärung auf, die am beim FA einging.
Durch Bescheid vom setzte das FA die Schenkungsteuer aus der Schenkung des V gemäß § 165 Abs. 1 Satz 4 der Abgabenordnung (AO) für die Vorgänge aus den Jahren 1994 und 1995 in vollem Umfang aus. Der Einspruch, mit dem der Kläger die Festsetzungsverjährung etwaiger Steueransprüche geltend machte, blieb erfolglos.
Das Finanzgericht (FG) gab der Klage statt. Die Festsetzungsfrist sei, da der Kläger vor Ablauf der regelmäßigen Festsetzungsfrist zur Abgabe einer Steuererklärung aufgefordert worden sei, nach Maßgabe des § 170 Abs. 2 Nr. 1 AO mit Ablauf des bzw. 2002 abgelaufen gewesen. Einer weiteren Anlaufhemmung nach § 170 Abs. 2 Nr. 1 AO unter Berücksichtigung des § 170 Abs. 5 Nr. 2 AO stehe entgegen, dass das FA aufgrund der 1997 und 1998 eingegangenen Mitteilungen des Betriebsprüfungs-FA ohne weitere Sachverhaltsermittlungen in der Lage gewesen sei, den schenkungsteuerlich relevanten Sachverhalt zu überprüfen und Schenkungsteuer festzusetzen.
Mit seiner Revision rügt das FA fehlerhafte Anwendung des § 170 Abs. 5 Nr. 2 AO. Diese Vorschrift stehe nicht in einem Alternativverhältnis zu § 170 Abs. 2 Nr. 1 AO, sondern bestimme lediglich den frühestmöglichen Zeitpunkt, zu dem die Festsetzungsfrist nach § 170 Abs. 1 und 2 AO überhaupt beginnen könne. Daraus leitet es ab, nach Ablauf des Jahres der Kenntniserlangung weitere sieben Jahre Zeit gehabt zu haben, die Steuer festzusetzen.
Das FA beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.
II. Die Revision ist unbegründet und deshalb zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung —FGO—). Das FG hat zutreffend erkannt, dass der mit dem Erlass des angefochtenen Bescheids geltend gemachte Steueranspruch wegen Eintritts der Festsetzungsverjährung erloschen ist und seine Festsetzung deshalb unzulässig war.
1. Nach § 47 AO erlöschen Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis u.a. durch Verjährung. Eine Steuerfestsetzung sowie ihre Aufhebung und Änderung sind nicht mehr zulässig, wenn die Festsetzungsfrist abgelaufen ist (§ 169 Abs. 1 Satz 1 AO). Die Festsetzungsfrist beträgt für die Schenkungsteuer regelmäßig vier Jahre (§ 169 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO). Sie beginnt mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Steuer entstanden oder eine bedingt entstandene Steuer unbedingt geworden ist (§ 170 Abs. 1 AO).
2. Abweichend von § 170 Abs. 1 AO beginnt gemäß § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO die Festsetzungsfrist u.a. dann, wenn eine Steuererklärung einzureichen oder eine Anzeige zu erstatten ist, mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Erklärung oder Anzeige eingereicht wird, spätestens jedoch mit Ablauf des dritten Kalenderjahres, das auf das Kalenderjahr folgt, in dem die Steuer entstanden ist.
Im Streitfall ist die Schenkungsteuer —auf der Grundlage der vom FA angenommenen Schenkung des V an den Kläger— mit Ablauf des bzw. entstanden. Da der Kläger seinen Erwerb entgegen der ihm durch § 30 Abs. 1 des Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetzes (ErbStG) auferlegten Verpflichtung nicht angezeigt hat und vom FA im Jahr 1998 zur Abgabe einer Schenkungsteuererklärung aufgefordert worden war, hätte die Festsetzungsfrist nach Maßgabe des § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO mit Ablauf des Jahres 1997 bzw. 1998 begonnen und mit Ablauf des bzw. 2002 geendet.
3. Auch unter Berücksichtigung der für die Schenkungsteuer getroffenen Sonderregelung des § 170 Abs. 5 Nr. 2 Alternative 2 AO ist die Festsetzungsfrist im Streitfall nicht gewahrt. Nach dieser Vorschrift begann die Festsetzungsfrist ebenfalls erst mit Ablauf des Kalenderjahres 1997 bzw. 1998, weil das FA bereits im Verlauf dieser beiden Jahre Kenntnis von den vollzogenen Schenkungen erlangt hat. Das FG hat zutreffend erkannt, dass keine (nochmalige) Hemmung des Anlaufs der Festsetzungsfrist nach Maßgabe des § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO eintritt, wenn das FA nach erlangter Kenntnis von der vollzogenen Schenkung den Erwerber gemäß § 31 ErbStG zur Abgabe einer Steuererklärung auffordert. Im Streitfall endete die vierjährige Festsetzungsfrist daher mit Ablauf des bzw. 2002. Der angefochtene Steuerbescheid wurde jedoch vom FA erst 2003 erlassen.
a) Nach § 170 Abs. 5 Nr. 2 AO beginnt für die Schenkungsteuer die Festsetzungsfrist nach § 170 Abs. 1 oder 2 AO nicht vor Ablauf des Kalenderjahres, in dem der Schenker gestorben ist oder die Finanzbehörde von der vollzogenen Schenkung Kenntnis erlangt hat. Der Fristbeginn nach § 170 Abs. 5 Nr. 2 Alternative 2 AO wird durch den Zeitpunkt der Kenntniserlangung nicht vorverlegt, sondern allenfalls auf einen späteren Zeitpunkt verschoben (, BFH/NV 2007, 852).
aa) § 170 Abs. 5 Nr. 2 Alternative 2 AO enthält einen auf die Schenkungsteuer beschränkten selbständigen Hemmungstatbestand, der den Beginn der Festsetzungsfrist (§ 169 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 i.V.m. § 170 Abs. 1 und 2 AO) auf den Abschluss des Jahres der Kenntniserlangung des FA von der vollzogenen Schenkung festlegt. Durch diese Vorschrift wird bei einer nach § 30 ErbStG bestehenden Anzeigepflicht die in § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO enthaltene Drei-Jahres-Grenze, bis zu der der Anlauf der Festsetzungsfrist längstens gehemmt ist, außer Kraft gesetzt und bei einer lediglich für Gerichte und Notare bestehenden Anzeigepflicht nach § 34 ErbStG der Anlauf der sonst nach § 170 Abs. 1 AO beginnenden Festsetzungsfrist gehemmt (, BFHE 201, 403, BStBl II 2003, 502). Entgegen der Revision ergibt sich jedoch aus § 170 Abs. 5 Nr. 2 AO keine Rechtsgrundlage für eine weitere Anlaufhemmung nach Maßgabe des § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO, sofern das FA den Erwerber nach Kenntniserlangung gemäß § 31 ErbStG zur Abgabe einer Steuererklärung auffordert.
Soweit nach dem Wortlaut des § 170 Abs. 5 Nr. 2 AO unter Berücksichtigung seines Eingangssatzes die Festsetzungsfrist nach Abs. 2 der Vorschrift „nicht vor” Ablauf des Kalenderjahres beginnt, in dem das FA von der vollzogenen Schenkung Kenntnis erlangt hat, erschöpft sich diese Regelung —lediglich— in der Anordnung eines späteren Beginns der Festsetzungsfrist. Erlangt das FA erst mehr als drei Jahre nach Steuerentstehung Kenntnis von einer vollzogenen Schenkung, beginnt die Festsetzungsfrist mit Ablauf des Jahres der Kenntniserlangung. Soweit daher das FA —wie im Streitfall— im vierten Jahr nach der Steuerentstehung Kenntnis von der vollzogenen Schenkung i.S. des § 170 Abs. 5 Nr. 2 Alternative 2 AO erlangt und noch im Jahr der Kenntniserlangung eine Steuererklärung beim Erwerber anfordert, ist die Fristhemmung nach § 170 Abs. 2 Nr. 1 AO mit Ablauf des dritten Jahres verbraucht (, BFHE 193, 48, BStBl II 2001, 14; vom II R 44/98, BFH/NV 2001, 574) und hat die Anordnung des § 170 Abs. 5 Nr. 2 AO, wonach die vierjährige Festsetzungsfrist „nicht vor” Ablauf des Kalenderjahres beginnt, lediglich zur Folge, dass die vierjährige Festsetzungsfrist erst mit Ablauf des Jahres der Kenntniserlangung —im Streitfall mit Ablauf des Jahres 1997 bzw. 1998— beginnt.
bb) Dieser Beurteilung steht der mit § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO verfolgte Sicherungszweck nicht entgegen. Diese Bestimmung soll verhindern, dass durch eine späte Einreichung u.a. der Steuererklärung oder Anzeige die der Finanzbehörde zur Verfügung stehende Bearbeitungszeit (ggf. gezielt) verkürzt wird (, BFHE 210, 65, BStBl II 2005, 780, m.w.N.). Dieser Sicherungszweck kann nicht beeinträchtigt sein, wenn der Fristbeginn infolge des § 170 Abs. 5 Nr. 2 AO hinausgeschoben wird. Die Finanzbehörde ist aufgrund der von § 170 Abs. 5 Nr. 2 AO vorausgesetzten Kenntnis von der vollzogenen Schenkung auch regelmäßig in der Lage, die Schenkungsteuer —ggf. im Wege der Schätzung (§ 162 AO)— festzusetzen oder von den Möglichkeiten des § 165 Abs. 1 Satz 1 und 4 AO Gebrauch zu machen. Insoweit trägt § 170 Abs. 5 Nr. 2 AO dem mit § 170 Abs. 2 Nr. 1 AO verfolgten Sicherungszweck Rechnung (vgl. , BFHE 186, 128, BStBl II 1998, 647).
b) Im Ergebnis zutreffend hat das FG auch erkannt, dass das FA erst mit den am bzw. eingegangenen Mitteilungen des FA für Groß-BP Kenntnis von der vollzogenen Schenkung i.S. des § 170 Abs. 5 Nr. 2 Alternative 2 AO erlangt hat.
aa) § 170 Abs. 5 Nr. 2 Alternative 2 AO verlangt positive Kenntnis des FA von der vollzogenen Schenkung. Diese Kenntnis ist gegeben, wenn das für die Verwaltung der Schenkungsteuer zuständige Finanzamt nicht durch eine Anzeige gemäß § 30 ErbStG, sondern anderweitig in dem erforderlichen Umfang (Name und Anschrift des Schenkers und des Bedachten; Rechtsgrund des Erwerbs) Kenntnis erlangt hat (BFH-Urteil in BFHE 201, 403, BStBl II 2003, 502).
bb) Im Streitfall hat das FA durch die am bzw. eingegangenen Mitteilungen des FA für Groß-BP im erforderlichen Umfang Kenntnis von der vollzogenen Schenkung erlangt. Diese Mitteilungen enthielten die erforderlichen Angaben sowohl zur Person des Schenkers und des Bedachten als auch zum Rechtsgrund des Erwerbs (§ 30 Abs. 4 Nr. 4 ErbStG). Als Rechtsgrund des Erwerbs war —den Anforderungen des § 30 Abs. 4 Nr. 4 ErbStG genügend— angeführt, dass V die ihm als vGA zugerechneten Beträge schenkweise u.a. dem Kläger überlassen habe.
Fundstelle(n):
HFR 2008 S. 113 Nr. 2
SAAAC-63020