BVerwG Beschluss v. - 9 KSt 5.07

Leitsatz

Erhebt ein Rechtsanwalt als "Hausanwalt" eines Naturschutzverbandes für dessen Regionalverband beim Bundesverwaltungsgericht eine naturschutzrechtliche Verbandsklage, sind seine Reisekosten zur Wahrnehmung gerichtlicher Termine auch dann voll erstattungsfähig, wenn sein Kanzleisitz weiter von Leipzig entfernt liegt als der Sitz des Regionalverbandes.

Gesetze: VwGO § 151; VwGO § 152 Abs. 2; VwGO § 162 Abs. 1; VwGO § 162 Abs. 2 Satz 1; VwGO § 165; VwGO § 173; ZPO § 91 Abs. 2 Satz 1; RVG Nr. 7003 Anlage zu § 2 Abs. 2

Gründe

Der Beklagte begehrt mit seiner Erinnerung gegen den Kostenfeststellungsbeschluss, die vom klägerischen Anwalt in Höhe von 115,20 € geltend gemachten Reisekosten abzusetzen, soweit sie 27 € übersteigen. Mehrkosten, die dadurch entstünden, dass der Anwalt seine Kanzlei nicht am Sitz oder im Bezirk des angerufenen Gerichts und auch nicht am Wohnsitz oder Sitz seines Mandanten oder in dessen Nähe habe, seien nur ausnahmsweise erstattungsfähig, sofern nämlich gerade dieser Anwalt für den konkreten Fall über besondere Fachkenntnisse verfüge oder der Mandant zu ihm aufgrund besonderer Umstände, die mit der Streitsache im Zusammenhang stünden, in einem besonderen Vertrauensverhältnis stehe. Es sei nicht ersichtlich, dass die genannten Ausnahmen hier zum Zuge kommen könnten. Als Rechtfertigung für die Hinzuziehung eines Anwalts mit Kanzleisitz in Berlin zu der vom Kläger beim Bundesverwaltungsgericht in Leipzig erhobenen naturschutzrechtlichen Verbandsklage reiche es nicht aus, wenn dieser Anwalt schwerpunktmäßig für Naturschutzverbände tätig sei und für einen dieser Verbände, der sich hier durch seinen Regionalverband mit Sitz in Halle habe vertreten lassen, nahezu sämtliche umweltrechtlichen Gerichtsverfahren führe. Deswegen seien nur fiktive Reisekosten von Halle aus nach Leipzig in Höhe von 27 € anerkennungsfähig.

Die nach § 165 i.V.m. §§ 151, 152 Abs. 2 VwGO zulässige Erinnerung hat keinen Erfolg. Die Festsetzung der Fahrtkosten des klägerischen Prozessbevollmächtigten auf der Grundlage des Auslagentatbestands der Nr. 7003 der Anlage zu § 2 Abs. 2 RVG ist auch der Höhe nach nicht zu beanstanden. Die geltend gemachten Reisekosten waren nach § 162 Abs. 1 VwGO als notwendig anzuerkennen.

§ 162 Abs. 2 Satz 1 VwGO bestimmt, dass Gebühren und Auslagen eines Rechtsanwalts als Prozessbevollmächtigten stets erstattungsfähig sind. Eine Einschränkung des Inhalts, dass Reisekosten eines nicht am Sitz des Gerichts tätigen oder wohnenden Rechtsanwalts nur erstattungsfähig sind, wenn seine Zuziehung notwendig war, kennt die Verwaltungsgerichtsordnung nicht. Die für den Zivilprozess insoweit in § 91 Abs. 2 Satz 1 ZPO getroffene Regelung findet über § 173 VwGO keine Anwendung. Der Gesetzgeber wollte die Beteiligten im Verwaltungsprozess nämlich bei der Wahl eines Rechtsanwalts ihres Vertrauens freier stellen (vgl. Redeker/von Oertzen, VwGO, 14. Aufl. 2004, § 162 Rn. 10; Olbertz, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, Stand: Februar 2007, § 162 Rn. 49), um es ihnen zu erleichtern, einen im Verwaltungsrecht qualifizierten Anwalt zu finden (vgl. BTDrucks 3/55 S. 48).

Dessen ungeachtet ist in Rechtsprechung und Literatur die Auffassung vorherrschend, dass die Anwendung des § 162 Abs. 2 Satz 1 VwGO, was die Erstattungsfähigkeit von Reisekosten eines Anwalts zur Wahrnehmung gerichtlicher Termine angeht, unter dem Vorbehalt des § 162 Abs. 1 VwGO steht, wonach es sich um zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendige Aufwendungen handeln muss. Der daraus herzuleitende Grundsatz der Kostenminimierung sei bei der Anwaltswahl mit der Folge zu beachten, dass ohne nähere Prüfung Reisekosten eines Rechtsanwalts nur dann voll zu erstatten seien, wenn er seine Kanzlei am Sitz oder im Bezirk des angerufenen Gerichts oder am Wohnsitz bzw. Geschäftssitz seines Mandanten oder in dessen Nähe habe (vgl. z.B. 2 N 04.2476 - juris Rn. 2; OVG Magdeburg, Beschluss vom - 4 O 327/05 - juris Rn. 3; Olbertz, a.a.O. § 162 Rn. 50; Neumann, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 2. Aufl. 2006, § 162 Rn. 66 f.; Just, in: Fehling/Kastner/Wahrendorf, Handkommentar VwVfG-VwGO, 1. Aufl. 2006, § 162 VwGO Rn. 25; Kopp/Schenke, VwGO, 14. Aufl. 2005, § 162 Rn. 11). Anderenfalls müsse der Nachweis geführt werden, dass es zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendig gewesen sei, gerade diesen Anwalt zu beauftragen (vgl. Neumann, in: Sodan/ Ziekow, a.a.O. § 162 Rn. 66). Unabhängig von der Entfernung zum Wohnort bzw. Geschäftssitz des Mandanten oder zum Sitz oder Bezirk des angerufenen Gerichts müsse dieser Nachweis jedenfalls dann gelingen, wenn der beauftragte Anwalt über Spezialkenntnisse verfüge und der Fall Fragen aus dem Fachgebiet von solcher Schwierigkeit aufgeworfen habe, dass ein verständiger Beteiligter die Hinzuziehung eines solchen Anwalts für ratsam erachten konnte (vgl. Neumann, in: Sodan/Ziekow, a.a.O. § 162 Rn. 69 m.w.N.). Dies sei aber nicht schon dann anzunehmen, wenn der Anwalt die Fachanwaltsbezeichnung für das Verwaltungsrecht führen dürfe (vgl. a.a.O. Rn. 3). Überwiegend wird es außerdem als unzumutbar angesehen, bloß zum Zweck der Kostenersparnis einen Anwaltswechsel zu vollziehen, wenn zwischen dem Mandanten und dem auswärtigen Rechtsanwalt bereits ein Vertrauensverhältnis besteht (vgl. OVG Magdeburg, Beschluss vom a.a.O. Rn. 3 m.w.N.; Redeker/von Oertzen, a.a.O. § 162 Rn. 11). Unter Hinweis auf die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zu § 91 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 2 ZPO ( - NJW 2003, 901 <902 f.>) werden allerdings an ein erhaltenswertes besonderes Vertrauensverhältnis teilweise strenge Maßstäbe angelegt (vgl. - NVwZ-RR 2007, 565; Just, a.a.O.; a.A. Neumann, a.a.O. § 162 Rn. 69).

Es mag dahinstehen, ob diese Erwägungen zur Auslegung des § 162 Abs. 1 VwGO - wenn überhaupt - nur dann tragen, wenn es um Reisekosten eines Anwalts geht, der ein Verfahren bei einem Verwaltungsgericht als erstinstanzlichem Gericht anhängig machen will. Bei der Anrufung des Bundesverwaltungsgerichts könnte der erwähnte Grundsatz der Kostenminimierung möglicherweise schon deshalb zu abweichenden Ergebnissen führen, weil sich jede inländische Anwaltskanzlei im "Gerichtsbezirk" befindet, der die gesamte Bundesrepublik umfasst, und es den Beteiligten nicht zumutbar sein dürfte, zwecks Ersparnis von Reisekosten nur einen Anwalt zu beauftragen, der sich in Leipzig niedergelassen hat (vgl. Redeker/von Oertzen, a.a.O. § 162 Rn. 11). Die Frage, ob die Beteiligten nicht sogar - ohne kostenrechtliche Nachteile in Kauf zu nehmen - jeden beliebigen Anwalt in Deutschland für ihre Prozessvertretung wählen können, und zwar ohne Nachweis eines irgendwie gearteten Vertrauensverhältnisses, braucht im vorliegenden Fall nicht erörtert und entschieden zu werden. Denn der Prozessbevollmächtigte des Klägers hat - insofern unwidersprochen - für sich in Anspruch genommen, bereits seit einiger Zeit gewissermaßen als "Hausanwalt" desjenigen Naturschutzverbands tätig zu sein, dessen Regionalverband die naturschutzrechtliche Verbandsklage erhoben hat. Diesen Umstand wertet der Senat als hinreichend gewichtigen Grund, bei Klageerhebung auf die Wahl eines anderen Anwalts zu verzichten (vgl. auch - NJW-RR 2004, 858; anders noch a.a.O.). War die Wahl des Prozessbevollmächtigten des Klägers aber gerechtfertigt, besteht kein Anlass, die Erstattungsfähigkeit seiner Reisekosten auf diejenigen eines Prozessbevollmächtigten mit Sitz am Gerichtsort oder am Sitz des Klägers zu beschränken.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, die Streitwertfestsetzung auf § 52 Abs. 3 GKG.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:

Fundstelle(n):
NJW 2007 S. 3656 Nr. 50
YAAAC-61424