Leitsatz
Das Geständnis eines Beamten, bestimmte Dienstpflichtverletzungen begangen zu haben, unterfällt nicht den Regeln über rechtsgeschäftliche Willenserklärungen gemäß §§ 104 ff. BGB. Vielmehr ist die Richtigkeit der zugestandenen Angaben nach dem Gebot der freien Beweiswürdigung gemäß § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO zu beurteilen.
Gemäß § 13 Abs. 1 Satz 2 bis 4 BDG haben die Verwaltungsgerichte auch bei Zugriffsdelikten die Disziplinarmaßnahme aufgrund einer prognostischen Gesamtwürdigung aller im Einzelfall bedeutsamen be- und entlastenden Gesichtspunkte zu bestimmen (vgl. BVerwGE 124, 252 <258 ff.>). Dabei ist auch erheblich verminderte Schuldfähigkeit im Sinne von §§ 20, 21 StGB einzubeziehen (wie BVerwG 2 C 9.06 -).
Gesetze: BDG § 5; BDG § 13 Abs. 1; BDG § 13 Abs. 2; BDG § 58; BDG § 70 Abs. 2; VwGO § 108 Abs. 1 Satz 1; StGB § 20; StGB § 21
Instanzenzug: VG Wiesbaden VG 25 BK 69/03 (V) vom VGH Kassel VGH 26 BD 1109/04 vom Fachpresse: ja BVerwGE: nein
Gründe
I
Die im Jahre 1969 geborene Beklagte trat am als auszubildende "Dienstleistungsfachkraft im Postbetrieb" in den Dienst der Deutschen Bundespost. Nach erfolgreichem Abschluss der Berufsausbildung im Jahre 1994 wurde sie von der Klägerin unter gleichzeitiger Ernennung zur Postassistentin z.A. in das Beamtenverhältnis auf Probe übernommen. Im Jahre 1996 wurde der Beklagten die Eigenschaft einer Beamtin auf Lebenszeit verliehen. Im Jahre 1997 wurde sie zur Postsekretärin befördert.
Im Januar 2003 hat die Klägerin Disziplinarklage gegen die Beklagte erhoben und ihr zur Last gelegt, sie habe während ihrer dienstlichen Tätigkeit als Schalterkraft in einer Postfiliale in W. in der Zeit vom 8. März bis in 44 Fällen Entgelterstattungen in Höhe von insgesamt rund 1 600 DM vorgetäuscht. Sie habe die Erstattungsbeträge jeweils in der Kasse gebucht und in den dazugehörigen Buchungsbelegen die Rubrik "Betrag erhalten" mit erfundenen Namen unterschrieben. In zwölf Fällen habe sie in Höhe des Erstattungsbetrages von jeweils 38,90 DM Bargeld oder Postwertzeichen für den eigenen Verbrauch aus der Kasse genommen. In den übrigen Fällen habe sie durch die Manipulationen Kassenfehlbeträge verdecken wollen.
Die Beklagte räumte die Entnahmen von Bargeld oder Postwertzeichen in Höhe von jeweils 38,90 DM in zehn Fällen bei ihrer Vernehmung durch zwei Beamte des Postermittlungsdienstes am ein. Diese Angaben widerrief sie durch Schriftsatz ihres damaligen Bevollmächtigten vom . Seitdem bestreitet sie die Richtigkeit der zugestandenen Angaben. Sie macht geltend, sie habe sich bei der Vernehmung unter psychischem Druck gefühlt, man habe ihr Aussagen in den Mund geschoben und sie habe sich nicht adäquat wehren können.
Das Verwaltungsgericht hat die Beklagte aus dem Beamtenverhältnis entfernt. Ihre Berufung hat der Verwaltungsgerichtshof im Wesentlichen aus folgenden Gründen zurückgewiesen:
Das Geständnis der Beklagten vom sei bindend, weil es nicht nach den Regeln über die Wirksamkeit rechtsgeschäftlicher Willenserklärungen nichtig sei. Weder seien Anhaltspunkte für einen Anfechtungsgrund gemäß §§ 119, 123 BGB ersichtlich, noch lägen die Voraussetzungen für die Nichtigkeit entsprechend § 105 Abs. 2 BGB vor. Die Beklagte habe das Geständnis nicht im Zustand der Bewusstlosigkeit oder vorübergehender Störung der Geistestätigkeit abgegeben. Hierfür gebe auch das im Berufungsverfahren vorgelegte privatärztliche Gutachten nichts her.
Danach stehe fest, dass die Beklagte ein Zugriffsdelikt begangen habe. Dies mache ihre Entfernung aus dem Beamtenverhältnis unumgänglich, weil kein in der Rechtsprechung anerkannter Milderungsgrund eingreife. Der Schaden liege deutlich über der Geringwertigkeitsgrenze von 50 €. Der Milderungsgrund des Handelns in einer schockartig ausgelösten Ausnahmesituation komme der Beklagten nicht zugute, weil sie stets planmäßig gehandelt habe. Die Frage nach einer erheblichen Verminderung ihrer Schuldfähigkeit im Tatzeitraum könne offen bleiben, weil sie bei einem Zugriffsdelikt nicht mildernd zu berücksichtigen sei. Den Dienstvorgesetzten treffe kein Mitverschulden an den Pflichtenverstößen. Er habe keinen Anlass gehabt, die Beklagte aufgrund ihrer psychischen Probleme aus dem Schalterdienst zu nehmen.
Mit der vom Senat zugelassenen Revision rügt die Beklagte die Verletzung formellen und materiellen Rechts und beantragt,
die Urteile des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs vom und des Verwaltungsgerichts Wiesbaden vom aufzuheben und die Disziplinarklage abzuweisen,
hilfsweise,
auf eine mildere Disziplinarmaßnahme zu erkennen.
Die Klägerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
II
Der Senat entscheidet im Einverständnis der Verfahrensbeteiligten ohne mündliche Verhandlung (§ 70 Abs. 1, § 66 Satz 1 BDG, § 101 Abs. 2 VwGO, § 3 BDG).
Die Revision der Beklagten ist begründet. Das Berufungsurteil verletzt Bundesrecht, weil es auf einem Verstoß gegen den Grundsatz der freien Beweiswürdigung gemäß § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO, § 3 BDG beruht. Daher ist es aufzuheben und die Sache an den Verwaltungsgerichtshof zurückzuverweisen (§ 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO, § 70 Abs. 2 BDG).
1. Die bei der Deutschen Post AG beschäftigten Bundesbeamten unterliegen hinsichtlich ihrer beruflichen Tätigkeit den Regeln über den beamtenrechtlichen Dienst und damit dem Disziplinarrecht ( BVerwG 1 D 80.95 - BVerwGE 103, 375 <377 f.>).
2. Der Verwaltungsgerichtshof hat den Nachweis, dass die Beklagte in zehn Fällen Geld oder Postwertzeichen im Wert von jeweils 38,90 DM für den eigenen Verbrauch aus der Schalterkasse genommen habe, ausschließlich wegen ihres Geständnisses in der Befragung vom als erbracht angesehen. Die weiteren im Berufungsurteil angeführten Beweismittel und Indizien betreffen allein den Nachweis, dass die Beklagte in 44 Fällen Entgelterstattungen fingiert hat. Der Verwaltungsgerichtshof hat das Geständnis als bindend behandelt, weil bei seiner Abgabe kein Nichtigkeitsgrund gemäß §§ 104 ff. BGB vorgelegen habe. Danach soll der eines Dienstvergehens beschuldigte Beamte an ein Geständnis wie an eine rechtsgeschäftliche Willenserklärung gebunden sein, so dass die Verwaltungsgerichte die zugestandenen Tatsachen ihrer Entscheidungsfindung ungeprüft zugrunde zu legen haben.
Diese das Berufungsurteil tragende Rechtsauffassung verstößt gegen den Grundsatz der freien Beweiswürdigung gemäß § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO, § 3 BDG.
Geständnisse können nicht nach den Regeln über die Wirksamkeit rechtsgeschäftlicher Willenserklärungen gemäß §§ 104 ff. BGB beurteilt werden, weil sie weder Willenserklärungen noch rechtsgeschäftsähnliche Handlungen sind. Bei einer Willenserklärung handelt es sich um die Äußerung eines Willens, der unmittelbar auf die Herbeiführung einer vom Erklärenden gewollten Rechtsfolge gerichtet ist. Sie bringt einen Willen des Erklärenden zum Ausdruck, der auf die Begründung, inhaltliche Änderung oder Beendigung eines Rechtsverhältnisses abzielt. Rechtsgeschäftsähnliche Handlungen, die weitgehend den Regeln über Willenserklärungen unterstellt werden, sind Erklärungen, die auf Ansprüche oder Rechtsverhältnisse Bezug nehmen und im Bewusstsein der dadurch ausgelösten Rechtsfolgen abgegeben werden ( - BGHZ 145, 343 <346 f.>; stRspr).
Demgegenüber handelt es sich bei einem Geständnis um eine Wissenserklärung. Der Gestehende stellt Tatsachenbehauptungen auf und versichert deren Richtigkeit. Als Erklärung eines Verfahrensbeteiligten gehört das Geständnis zu dem Gesamtergebnis des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens im Sinne von § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Als Bestandteil des Prozessstoffes unterliegt es der freien Beweiswürdigung der Verwaltungsgerichte ( BVerwG 4 C 26.69 - JZ 1972, 119 <120> und vom - BVerwG 1 D 4.88 - juris Rn. 10; - BGHSt 2, 269 <270>; Höfling/Rixen, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 2. Aufl., § 86 Rn. 79; Kopp/Schenke, VwGO, 14. Aufl., § 86 Rn. 16).
Der Grundsatz der freien Beweiswürdigung gemäß § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO, § 3 BDG enthält keine generellen Maßstäbe für den Aussage- und Beweiswert einzelner zum Prozessstoff gehörender Beweismittel, Erklärungen und Indizien. Insbesondere besteht keine Rangordnung der Beweismittel; diese sind grundsätzlich gleichwertig. Die Verwaltungsgerichte müssen den Aussage- und Beweiswert der verschiedenen Bestandteile des Prozessstoffes nach der inneren Überzeugungskraft der Gesamtheit der in Betracht kommenden Erwägungen bestimmen. Dabei sind sie lediglich an Logik (Denkgesetze) und Naturgesetze gebunden und müssen gedankliche Brüche und Widersprüche vermeiden ( BVerwG 4 C 40 - 45.82 - Buchholz 310 § 108 VwGO Nr. 181 und vom - BVerwG 9 C 54.88 - Buchholz 310 § 108 VwGO Nr. 213; BVerwG 6 C 17.77 - Buchholz 310 § 139 VwGO Nr. 46).
Der Grundsatz der freien Beweiswürdigung gemäß § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO, § 3 BDG kann nur durch gesetzliche Beweisregeln eingeschränkt werden (§ 286 Abs. 2 ZPO, § 173 Satz 1 VwGO). Daher wird es verletzt, wenn sich ein Gericht durch eine nicht existierende oder im zu entscheidenden Fall nicht einschlägige Beweisregel gebunden glaubt (Urteil vom a.a.O.; Höfling/Rixen, a.a.O. Rn. 63).
Wegen der grundsätzlichen Unterschiede zwischen Verwaltungs- und Zivilprozess ist es ausgeschlossen, die Beweisregel des § 288 Abs. 1 ZPO über die Bindungswirkung der im Lauf eines Rechtsstreites zugestandenen Tatsachen im Verwaltungsprozess anzuwenden (§ 173 Satz 1 VwGO). Denn diese Regel geht davon aus, dass das Gericht aufgrund derjenigen Tatsachen entscheidet, die ihm die Prozessparteien kraft ihrer Verfügungsbefugnis über den Tatsachenstoff des gerichtlichen Verfahrens unterbreiten. Im Disziplinarklageverfahren gilt jedoch wie auch sonst im Verwaltungsprozess der Untersuchungsgrundsatz (§ 58 Abs. 1 BDG, § 86 Abs. 1 und 2 VwGO). Danach obliegt die Sammlung des Tatsachenstoffes den Verwaltungsgerichten. Sie entscheiden grundsätzlich ohne Bindung an das Vorbringen der Beteiligten, welche Tatsachen sie aufklären und der Entscheidung zugrunde legen (Urteil vom a.a.O. und BVerwG 4 A 20.95 - BVerwGE 104, 27 <28>).
Nach alledem durfte der Verwaltungsgerichtshof das frei widerrufliche Geständnis der Beklagten, sie habe der Schalterkasse Bargeld und Postwertzeichen für den eigenen Verbrauch entnommen, nachdem es von der Beklagten widerrufen worden war, seiner Entscheidungsfindung nicht ungeprüft zugrunde legen. Vielmehr musste er sich eine Überzeugung von der Richtigkeit des zugestandenen Vorbringens bilden. Hierfür musste er aufklären, ob der Beklagten bei der Befragung die Einsicht in Bedeutung und Tragweite ihrer Erklärungen gefehlt hat. Dies wiederum macht die Aufklärung und Würdigung der äußeren Umstände und des Ablaufs der Befragung, des Zustandes, des Aussageverhaltens und der Reaktionen der Beklagten während der Befragung erforderlich. Weiterhin musste er den Aussagewert des schriftlichen Widerrufs einschließlich der dafür gegebenen Begründung und der schriftlichen Ausführungen des Privatarztes der Beklagten bestimmen. Diese Sachaufklärung und Beweiswürdigung wird der Verwaltungsgerichtshof nachzuholen haben.
3. Aufgrund des Verstoßes gegen den Grundsatz der freien Beweiswürdigung gemäß § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO, § 3 BDG fehlt es an tragfähigen tatsächlichen Feststellungen für die Bestimmung der erforderlichen Disziplinarmaßnahme durch den Senat (vgl. hierzu BVerwG 2 C 9.06 - zur Veröffentlichung vorgesehen -).
Für den Fall, dass der Verwaltungsgerichtshof zu der Überzeugung gelangt, die Beklagte habe die ihr zur Last gelegten Zugriffshandlungen begangen, weist der Senat darauf hin, dass die Rechtsauffassung, die Entfernung der Beklagten aus dem Beamtenverhältnis sei bereits deshalb geboten, weil kein anerkannter Milderungsgrund gegeben sei, nicht mit den Bemessungsvorgaben gemäß § 13 Abs. 1 Satz 2 bis 4 BDG vereinbar ist. Nach diesen Vorschriften ist die Disziplinarmaßnahme nach der Schwere des Dienstvergehens unter angemessener Berücksichtigung der Persönlichkeit des Beamten und des Umfangs der durch das Dienstvergehen herbeigeführten Vertrauensbeeinträchtigung zu bestimmen.
Den Bedeutungsgehalt dieser gesetzlichen Begriffe hat der Senat in dem BVerwG 2 C 12.04 - BVerwGE 124, 252 <258 ff.> näher bestimmt. Danach ist maßgebendes Bemessungskriterium für die Bestimmung der Disziplinarmaßnahme gemäß § 13 Abs. 1 Satz 2 BDG die Schwere des Dienstvergehens. Sie beurteilt sich zum einen nach Eigenart und Bedeutung der verletzten Dienstpflichten, Dauer und Häufigkeit der Pflichtenverstöße und den Umständen der Tatbegehung (objektive Handlungsmerkmale), zum anderen nach Form und Gewicht des Verschuldens und den Beweggründen des Beamten für sein pflichtwidriges Verhalten (subjektive Handlungsmerkmale) sowie nach den unmittelbaren Folgen für den dienstlichen Bereich und für Dritte, insbesondere nach der Höhe des entstandenen Schadens.
Das Bemessungskriterium "Persönlichkeitsbild des Beamten" gemäß § 13 Abs. 1 Satz 3 BDG erfasst dessen persönliche Verhältnisse und sein sonstiges dienstliches Verhalten vor, bei und nach der Tatbegehung. Es erfordert eine Prüfung, ob das festgestellte Dienstvergehen mit dem bisher gezeigten Persönlichkeitsbild des Beamten übereinstimmt oder etwa als persönlichkeitsfremdes Verhalten in einer Notlage oder einer psychischen Ausnahmesituation davon abweicht. Einen Aspekt des Persönlichkeitsbildes stellt tätige Reue dar, wie sie durch die freiwillige Wiedergutmachung des Schadens oder die Offenbarung des Fehlverhaltens jeweils noch vor der drohenden Entdeckung zum Ausdruck kommt.
Das Bemessungskriterium "Umfang der Beeinträchtigung des Vertrauens des Dienstherrn oder der Allgemeinheit" gemäß § 13 Abs. 1 Satz 4 BDG erfordert eine Würdigung des Fehlverhaltens des Beamten im Hinblick auf seinen allgemeinen Status, seinen Tätigkeitsbereich innerhalb der Verwaltung und seine konkret ausgeübte Funktion.
Aus den gesetzlichen Vorgaben gemäß § 13 Abs. 1 Satz 2 bis 4 BDG folgt die Verpflichtung der Verwaltungsgerichte, über die erforderliche Disziplinarmaßnahme aufgrund einer prognostischen Gesamtwürdigung unter Berücksichtigung aller im Einzelfall belastenden und entlastenden Gesichtspunkte zu entscheiden. Dies entspricht dem Zweck der Disziplinarbefugnis als einem Mittel der Funktionssicherung des öffentlichen Dienstes. Danach ist Gegenstand der disziplinarrechtlichen Betrachtung und Wertung die Frage, welche Disziplinarmaßnahme in Ansehung der gesamten Persönlichkeit des Beamten geboten ist, um die Funktionsfähigkeit des öffentlichen Dienstes und die Integrität des Berufsbeamtentums möglichst ungeschmälert aufrechtzuerhalten (Beschlüsse vom - BVerwG 1 DB 21.84 - BVerwGE 76, 176 <177 ff.> und vom - BVerwG 2 B 19.05 - Buchholz 235.1 § 15 BDG Nr. 2; vgl. auch - DVBl 2006, 1372 <1373>; Kammerbeschluss vom - 2 BvR 1413/01 - NVwZ 2003, 1504).
Bei der Gesamtwürdigung haben die Verwaltungsgerichte zunächst die im Einzelfall bemessungsrelevanten Tatsachen zu ermitteln und mit dem ihnen zukommenden Gewicht in die Bewertung einzubeziehen. Insbesondere bei der Bestimmung der Schwere des Dienstvergehens dürfen nur solche belastenden Tatsachen berücksichtigt werden, die zur Überzeugung des Gerichts feststehen. Demgegenüber sind entlastende Umstände nach dem Grundsatz "in dubio pro reo" schon dann beachtlich, wenn hinreichende tatsächliche Anhaltspunkte für ihr Vorliegen gegeben sind und eine weitere Sachverhaltsaufklärung nicht möglich ist.
Auf der Grundlage des so zusammengestellten Tatsachenmaterials haben die Verwaltungsgerichte eine Prognose über das voraussichtliche dienstliche Verhalten des Beamten zu treffen und das Ausmaß der von ihm herbeigeführten Ansehensbeeinträchtigung des Berufsbeamtentums einzuschätzen. Bei schweren Dienstvergehen stellt sich vorrangig die Frage, ob der Beamte nach seiner gesamten Persönlichkeit noch im Beamtenverhältnis tragbar ist. Gemäß § 13 Abs. 2 Satz 1 BBG ist ein aktiver Beamter aus dem Beamtenverhältnis zu entfernen, wenn er das Vertrauen des Dienstherrn oder der Allgemeinheit endgültig verloren hat. Dies ist anzunehmen, wenn aufgrund der Gesamtwürdigung auf der Grundlage aller im Einzelfall bedeutsamen be- und entlastenden Gesichtspunkte der Schluss gezogen werden muss, der Beamte werde auch künftig in erheblicher Weise gegen Dienstpflichten verstoßen oder die durch sein Fehlverhalten herbeigeführte Schädigung des Ansehens des Berufsbeamtentums sei bei einer Fortsetzung des Beamtenverhältnisses nicht wieder gutzumachen. Unter diesen Voraussetzungen muss das Beamtenverhältnis im Interesse der Leistungsfähigkeit des öffentlichen Dienstes und der Integrität des Berufsbeamtentums beendet werden.
Ergibt die prognostische Gesamtwürdigung, dass ein endgültiger Vertrauensverlust noch nicht eingetreten ist, haben die Verwaltungsgerichte diejenige Disziplinarmaßnahme zu verhängen, die erforderlich ist, um den Beamten zur Beachtung der Dienstpflichten anzuhalten und der Ansehensbeeinträchtigung entgegenzuwirken.
Als maßgebendes Bemessungskriterium ist die Schwere des Dienstvergehens gemäß § 13 Abs. 1 Satz 2 BDG richtungsweisend für die Bestimmung der erforderlichen Disziplinarmaßnahme. Dies bedeutet, dass das festgestellte Dienstvergehen zunächst nach seiner Schwere einer der im Katalog des § 5 BDG aufgeführten Disziplinarmaßnahme zuzuordnen ist. Dabei können die vom Disziplinarsenat des Bundesverwaltungsgerichts für bestimmte Fallgruppen herausgearbeiteten Regeleinstufungen von Bedeutung sein (vgl. zum innerdienstlichen Betrug BVerwG 1 D 13.05 - juris Rn. 29; zum Fernbleiben vom Dienst BVerwG 1 D 2.05 - juris Rn. 51; zur Vorteilsannahme BVerwG 1 D 1.06 - ZBR 2007, 94 <95 f.>). Davon ausgehend kommt es für die Bestimmung der Disziplinarmaßnahme darauf an, ob Erkenntnisse zum Persönlichkeitsbild und zum Umfang der Vertrauensbeeinträchtigung im Einzelfall derart ins Gewicht fallen, dass eine andere als die durch die Schwere indizierte Disziplinarmaßnahme geboten ist.
Nach dem Urteil des Senats vom a.a.O. <260 ff.> gelten die Bemessungsvorgaben gemäß § 13 Abs. 1 Satz 2 bis 4 BDG auch für die Fallgruppe der Zugriffsdelikte, d.h. für die Veruntreuung dienstlich anvertrauter Gelder und Güter. Aufgrund der Schwere dieser Dienstvergehen ist hier die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis grundsätzlich Richtschnur für die Maßnahmebestimmung, wenn die veruntreuten Beträge oder Werte insgesamt die Schwelle der Geringwertigkeit deutlich übersteigen. Diese Indizwirkung entfällt jedoch, wenn sich im Einzelfall aufgrund des Persönlichkeitsbildes des Beamten Entlastungsgründe von solchem Gewicht ergeben, dass die prognostische Gesamtwürdigung den Schluss rechtfertigt, der Beamte habe das Vertrauensverhältnis noch nicht vollends zerstört.
Als durchgreifende Entlastungsgründe kommen vor allem die Milderungsgründe in Betracht, die in der Rechtsprechung des Disziplinarsenats des Bundesverwaltungsgerichts zu den Zugriffsdelikten entwickelt worden sind. Diese Milderungsgründe erfassen typisierend Beweggründe oder Verhaltensweisen des Beamten, die regelmäßig Anlass für eine noch positive Persönlichkeitsprognose geben. Zum einen tragen sie existenziellen wirtschaftlichen Notlagen sowie körperlichen oder psychischen Ausnahmesituationen Rechnung, in denen ein an normalen Maßstäben orientiertes Verhalten nicht mehr erwartet und daher nicht mehr vorausgesetzt werden kann. Zum anderen erfassen sie ein tätiges Abrücken von der Tat, insbesondere durch die freiwillige Wiedergutmachung des Schadens oder die Offenbarung des Fehlverhaltens jeweils vor drohender Entdeckung.
Unter Geltung der Bemessungsvorgaben gemäß § 13 Abs. 1 Satz 2 bis 4 BDG ist es nicht mehr möglich, diese Milderungsgründe als abschließenden Kanon der bei Zugriffsdelikten allein beachtlichen Entlastungsgründe anzusehen (vgl. Urteil vom a.a.O.). Vielmehr gelten auch hier die dargestellten Anforderungen an die prognostische Gesamtwürdigung. Demnach dürfen entlastende Gesichtspunkte bei Zugriffsdelikten nicht deshalb unberücksichtigt bleiben, weil sie für das Vorliegen eines solchen Milderungsgrundes ohne Bedeutung sind oder nicht ausreichen, um dessen Voraussetzungen - im Zusammenwirken mit anderen Umständen - zu erfüllen. Die Milderungsgründe bieten jedoch Vergleichsmaßstäbe für die Bewertung, welches Gewicht entlastenden Gesichtspunkten in der Summe zukommen muss, um eine Fortsetzung des Beamtenverhältnisses in Betracht ziehen zu können. Generell gilt, dass deren Gewicht umso größer sein muss, je schwerer das Zugriffsdelikt aufgrund der Höhe des Schadens, der Anzahl und Häufigkeit der Zugriffshandlungen, der Begehung von "Begleitdelikten" und anderer belastender Gesichtspunkte im Einzelfall wiegt.
Wegen der von den Bemessungsvorgaben gemäß § 13 Abs. 1 Satz 2 bis 4 BDG geforderten prognostischen Gesamtwürdigung kann auch die Frage, ob der Beamte im Zustand erheblich verminderter Schuldfähigkeit im Sinne von §§ 20, 21 StGB gehandelt hat, bei Zugriffsdelikten nicht schematisch als unbeachtlich behandelt werden. Vielmehr haben die Verwaltungsgerichte dieser Frage nachzugehen, wenn der Sachverhalt hinreichenden Anlass bietet. Lässt sich nach erschöpfender Sachaufklärung ein Sachverhalt nicht ohne vernünftigen Zweifel ausschließen, dessen rechtliche Würdigung eine erheblich verminderte Schuldfähigkeit des Beamten ergibt, so ist dieser Gesichtspunkt nach dem Grundsatz "in dubio pro reo" in die Gesamtwürdigung einzustellen. Dies trägt auch der disziplinarrechtlichen Geltung des Schuldprinzips und dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit Rechnung (vgl. a.a.O.).
Erheblich verminderte Schuldfähigkeit gemäß §§ 20, 21 StGB setzt voraus, dass die Fähigkeit, das Unrecht einer Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, wegen einer Störung im Sinne von § 20 StGB bei Tatbegehung erheblich eingeschränkt war. Für die Steuerungsfähigkeit kommt es darauf an, ob das Hemmungsvermögen so stark herabgesetzt war, dass der Betroffene den Tatanreizen erheblich weniger Widerstand als gewöhnlich entgegenzusetzen vermochte ( - BGHSt 14, 30 <32> und vom - 3 StR 249/68 - BGHSt 23, 176 <190>; stRspr).
Die an die Feststellung einer Störung im Sinne von § 20 StGB anknüpfende Frage, ob die sich daraus ergebende Verminderung der Schuldfähigkeit "erheblich" war, ist eine Rechtsfrage, die die Gerichte ohne Bindung an die Einschätzung Sachverständiger in eigener Verantwortung zu beantworten haben. Hierfür bedarf es einer Gesamtschau der Persönlichkeitsstruktur des Betroffenen, seines Erscheinungsbildes vor, während und nach der Tat und der Berücksichtigung der Tatumstände, insbesondere der Vorgehensweise. Die Erheblichkeitsschwelle liegt umso höher, je schwerer das in Rede stehende Delikt wiegt ( - NStZ 2004, 437 und vom - 1 StR 248/04 - NStZ 2005, 329 <330>).
Dementsprechend hängt im Disziplinarrecht die Beurteilung der Erheblichkeit im Sinne von § 21 StGB von der Bedeutung und Einsehbarkeit der verletzten Dienstpflichten ab. Aufgrund dessen wird sie bei Zugriffsdelikten nur in Ausnahmefällen erreicht werden.
4. Daher wird der Verwaltungsgerichtshof zunächst zu prüfen haben, ob hinreichende Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die Beklagte im Tatzeitraum an einer krankhaften seelischen Störung im Sinne von § 20 StGB gelitten hat. Sollte eine solche Störung nach dem Grundsatz "in dubio pro reo" nicht ausgeschlossen werden können, so stellt sich die Frage nach der Erheblichkeit einer dadurch bewirkten Verminderung der Schuldfähigkeit.
Der vom Verwaltungsgerichtshof geprüfte Milderungsgrund "Handeln in einer schockartig ausgelösten psychischen Ausnahmesituation" kommt nur in Betracht, wenn der Zustand des Beamten keine erhebliche Verminderung der Schuldfähigkeit gemäß §§ 20, 21 StGB nach sich zieht. Er setzt voraus, dass bei dem Beamten durch ein plötzliches, unvorhergesehenes Ereignis ein seelischer Schock ausgelöst wird, der für die Pflichtenverstöße zumindest mitursächlich ist. Der so ausgelöste Schockzustand muss zwar vorübergehender Natur sein, kann aber durchaus Monate lang anhalten ( BVerwG 1 D 22.00 - BVerwGE 114, 240 <243 ff.>). Demnach wird der Verwaltungsgerichtshof gegebenenfalls zu prüfen haben, ob der Diebstahl von Bargeld aus der von der Beklagten verwalteten Schalterkasse während ihrer Tätigkeit in Mainz einen länger anhaltenden Schockzustand ausgelöst haben kann.
Schließlich darf bei der Gesamtwürdigung gemäß § 13 Abs. 1 Satz 2 bis 4 BDG nicht unberücksichtigt bleiben, dass der Beklagten auch zur Last gelegt wird, in 44 Fällen durch die Buchungen fingierter Erstattungsbeträge und die Fälschung entsprechender Kassenbelege nachhaltig gegen ihre Dienstpflichten verstoßen zu haben. Der Verwaltungsgerichtshof hat dargelegt, dass der Nachweis dieser Pflichtenverstöße erbracht ist. Ihre Schwere hängt allerdings entscheidend davon ab, ob ein derartiges Verhalten - wie von der Beklagten behauptet - in der Dienststelle zum Ausgleich von Kassenfehlbeträgen gang und gäbe war und von den Vorgesetzten zumindest geduldet wurde.
Unter dieser weiteren Voraussetzung kann eine Fortsetzung des Beamtenverhältnisses in Erwägung gezogen werden, wenn der Beklagten hinsichtlich der Zugriffshandlungen eine erheblich verminderte Schuldfähigkeit oder der dargestellte Milderungsgrund zugute käme.
Fundstelle(n):
BAAAC-50008