Leitsatz
[1] Der Berufungskläger hat nach Rücknahme seiner Berufung regelmäßig auch dann die Kosten einer unselbständigen Anschlussberufung zu tragen, wenn diese innerhalb der Berufungsfrist des § 517 ZPO eingelegt und nur wegen der verspätet eingegangenen Begründung als unselbständige Anschlussberufung zu behandeln war (Fortführung des Senatsbeschlusses vom - XII ZB 163/04 - FamRZ 2005, 513).
Gesetze: ZPO § 516 Abs. 3; ZPO § 524 Abs. 4
Instanzenzug: LG Stuttgart 25 O 113/05 vom OLG Stuttgart 5 U 29/06 vom
Gründe
I.
Die Parteien stritten um restlichen Mietzins, Schadenersatz und Nebenkosten aus einem beendeten gewerblichen Mietvertrag. Das Landgericht hatte der Klage - nach teilweise übereinstimmender Erledigung des Rechtsstreits - teilweise stattgegeben und sie im Übrigen, ebenso wie die Widerklage, abgewiesen. Die Kosten hatte das Landgericht dem Kläger zu 9/10 und der Beklagten zu 1/10 auferlegt.
Gegen dieses Urteil haben beide Parteien rechtzeitig Berufung eingelegt. Die Beklagte begründete ihre Berufung während verlängerter Frist rechtzeitig. Die Berufungsbegründung des Klägers ging erst nach Ablauf der Begründungsfrist ein. Auf Hinweis des Gerichts erklärte der Kläger, die Berufung solle als Anschlussberufung zur Berufung der Beklagten behandelt werden. Später nahm die Beklagte ihre Berufung zurück.
Mit dem angefochtenen Beschluss hat das Oberlandesgericht die Kosten der Berufung zu 85 % dem Kläger und zu 15 % der Beklagten auferlegt. Dagegen richtet sich die - vom Oberlandesgericht zugelassene - Rechtsbeschwerde des Klägers.
II.
Die Rechtsbeschwerde ist statthaft (§ 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, Abs. 3 Satz 2 ZPO) und auch sonst zulässig. Sie hat auch in der Sache Erfolg.
1. Das Berufungsgericht, dessen Entscheidung in OLGR Stuttgart 2006, 951 veröffentlicht ist, geht von der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs aus, wonach der Berufungsführer im Falle der Berufungsrücknahme auch die Kosten einer unselbständigen Anschlussberufung zu tragen hat. Dies gelte aber dann nicht, wenn eine ursprünglich selbständige Berufung wegen der versäumten Berufungsbegründungsfrist als unselbständige Anschlussberufung behandelt werde. Denn die selbständige Berufung habe ursprünglich unabhängig von der gegnerischen Berufung fortgesetzt werden können. Durch die (ursprünglich) selbständige Berufung seien auch bereits Kosten ausgelöst worden. Wenn diese eigenständige Berufung lediglich wegen Versäumung der Begründungsfrist in eine unselbständige Anschlussberufung übergegangen sei, sei es nicht sachgerecht, den Gegner, der seine Berufung zurücknehme, mit den gesamten Kosten des Berufungsverfahrens zu belasten. In solchen Fällen sei über die Kosten im Verhältnis des Wertes der beiderseitigen Berufungen zu entscheiden.
2. Diese Ausführungen halten den Angriffen der Rechtsbeschwerde nicht stand.
a) Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs sind einem Berufungskläger grundsätzlich auch die Kosten einer zulässig erhobenen Anschlussberufung aufzuerlegen, wenn diese nach § 524 Abs. 4 ZPO ihre Wirkung durch die Rücknahme der Berufung verliert. Die Anschlussberufung ist kein eigenes Rechtsmittel, sondern nur ein Angriff innerhalb des vom Berufungskläger eingelegten Rechtsmittels. Wird die Anschlussberufung durch die im Belieben des Berufungsklägers stehende Rücknahme der Berufung ohne gerichtliche Sachentscheidung hinfällig, können die diesbezüglichen Kosten dem Anschlussberufungskläger deswegen weder in unmittelbarer noch in entsprechender Anwendung der §§ 97 Abs. 1, 516 Abs. 3 Satz 1 ZPO auferlegt werden (Senatsbeschluss vom - XII ZB 163/04 - FamRZ 2005, 513 m.w.N.; - FamRZ 2006, 619).
Anderes gilt nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nur dann, wenn das Anschlussrechtsmittel von vornherein unzulässig war, der Anschlussrechtsmittelkläger in die Rücknahme des Rechtsmittels eingewilligt hat (vgl. § 516 Abs. 1 ZPO) oder er das unselbständige Anschlussrechtsmittel trotz Rücknahme der Berufung eigenständig weiterführt, sodass darüber gesondert entschieden werden muss. Dann fehlt es an der aus § 524 Abs. 4 ZPO folgenden Abhängigkeit von der im Belieben des Gegners stehenden Rücknahme des Rechtsmittels (Senatsbeschluss vom - XII ZB 163/04 - FamRZ 2005, 513). Nur in solchen Fällen ist eine Kostenquotelung nach dem Wert der Berufung und der unselbständigen Anschlussberufung gerechtfertigt.
b) In Rechtsprechung und Literatur ist allerdings streitig, ob dies auch dann gilt, wenn die unselbständige Anschlussberufung aus einer rechtzeitig eingelegten eigenen Berufung hervorgegangen ist, die lediglich wegen Versäumung der Begründungsfrist in eine unselbständige Anschlussberufung umgedeutet wurde (zur Umdeutung vgl. - NJW 2000, 2315).
aa) Teilweise wird vertreten, dass auch in solchen Fällen eine Quotierung der Kosten nach dem Wert der Berufung und der Anschlussberufung geboten sei. Ein unzulässig gewordenes selbständiges Rechtsmittel könne nicht ebenso behandelt werden wie eine von vornherein zulässige Anschlussberufung. Das Anschlussrechtsmittel sei in solchen Fällen nicht im Vertrauen auf die Durchführung des gegnerischen Rechtsmittels, sondern als eigenes Rechtsmittel eingelegt worden und habe als solches bereits Kosten ausgelöst (wie das Berufungsgericht: OLGR Frankfurt 2003, 163; OLGR Stuttgart 2000, 58; OLG Düsseldorf FamRZ 1999, 1674; Zöller/Gummer/Heßler ZPO 26. Aufl. § 524 Rdn. 43; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann ZPO 65. Aufl. § 516 Rdn. 21).
bb) Die Gegenmeinung stellt darauf ab, dass der Berufungskläger auch dann die Kosten der unselbständigen Anschlussberufung tragen müsste, wenn sie erfolgreich wäre. Durch die - allein von seinem Willen abhängige - Rücknahme der Berufung werde der Anschlussberufung unabhängig von der Umdeutung der Boden entzogen (§ 524 Abs. 4 ZPO). Durch die Rücknahme der Berufung unterliege nur der Berufungsführer i.S. der §§ 516 Abs. 3 Satz 1, 97 Abs. 1 ZPO, nicht aber der Anschlussberufungsführer (OLG München NJW-RR 1996, 1280 und OLG Oldenburg NJW 2002, 3555).
cc) Der Senat schließt sich der zuletzt genannten Auffassung an.
Das Rechtsmittel einer Partei kann nur einheitlich als selbständiges Rechtsmittel oder als unselbständiges Anschlussrechtsmittel geführt werden. Dabei kann es nicht entscheidend darauf ankommen, ob das Rechtsmittel ursprünglich schon innerhalb der Rechtsmittelfrist (§ 517 ZPO) oder erst danach bis zum Ablauf der Frist für ein zulässiges Anschlussrechtsmittel (§ 524 Abs. 2 Satz 2 ZPO) eingegangen ist. Denn auch ein unselbständiges Anschlussrechtsmittel kann grundsätzlich schon innerhalb der Rechtsmittelfrist erhoben werden. Auch insoweit ist - wie bei der Bemessung des Umfangs eines eingelegten Rechtsmittels - entscheidend auf den Rechtsmittelantrag und dessen Begründung abzustellen. Nur wenn danach ein selbständiges Rechtsmittel vorliegt, muss über dessen Streitgegenstand unabhängig von dem gegnerischen Rechtsmittel entschieden werden, wenn nicht auch insoweit eine Erledigung oder Rücknahme erklärt wird. Ob dies allerdings der Fall ist, muss eine Auslegung unter Berücksichtigung der gesetzlichen Vorgaben ergeben, zumal im Zweifel ein prozessual zulässiges Prozessverhalten zu unterstellen ist (Senatsbeschluss vom - XII ZB 33/05 - FamRZ 2006, 400, 401; - NJW 2000, 2315). Weil die Frist für die Begründung einer selbständigen Berufung nach § 520 Abs. 2 ZPO bei Eingang der Berufungsbegründung schon abgelaufen war, ist das Rechtsmittel des Klägers deswegen insgesamt als unselbständige Anschlussberufung auszulegen, wie es der Kläger auf Hinweis des Gerichts später auch ausdrücklich erklärt hat.
Ist das Rechtsmittel des Klägers danach als unselbständige Anschlussberufung zu qualifizieren, kommt es nicht mehr darauf an, wann es eingelegt wurde. Kosten entstehen für die unselbständige Anschlussberufung ohnehin nur im Rahmen der gegnerischen Berufung; die Anschlussberufung führt dann allenfalls zu einer Erhöhung des Streitwerts. Mit einer unselbständigen Anschlussberufung und den durch deren Wert erhöhten Kosten des Berufungsverfahrens muss der Berufungskläger aber auch sonst rechnen. Die durch eine unselbständige Anschlussberufung ausgelösten höheren Kosten müsste er jedenfalls bei Erfolg der Anschlussberufung tragen, ohne dass es darauf ankommt, ob eine selbständige Berufung verspätet begründet wurde. Weil es somit auch im Falle einer gerichtlichen Entscheidung allein auf die Erfolgsaussicht der Berufung und der unselbständigen Anschlussberufung ankäme, erscheint es sachgerecht, dem Berufungskläger nach Rücknahme seines Rechtsmittels auch die Kosten der Anschlussberufung aufzuerlegen. Denn er nimmt dem Gericht durch die in seinem Belieben stehende Rücknahme jede Möglichkeit, über die Erfolgsaussicht der Anschlussberufung zu entscheiden, zumal sie nicht frei von der gegnerischen Berufung weiterverfolgt werden kann (§ 524 Abs. 4 ZPO). Durch die Rücknahme der Berufung unterliegt somit nur der Berufungsführer, während dies zur Erfolgsaussicht der unselbständigen Anschlussberufung nichts aussagt. Unter Umständen wird der Berufungskläger sein Rechtsmittel gerade deswegen zurücknehmen, weil er einer Erfolg versprechenden unselbständigen Anschlussberufung damit die Grundlage entziehen kann.
c) Die Kostenentscheidung des Oberlandesgerichts ist demnach, soweit sie angefochten ist, aufzuheben (§ 577 Abs. 4 Satz 1 Halbs. 1 ZPO). Da die Sache zur Endentscheidung reif ist, kann der Senat selbst entscheiden (§ 577 Abs. 5 Satz 1 ZPO) und der Beklagten die im Berufungsverfahren angefallenen Kosten insgesamt auferlegen.
Fundstelle(n):
VAAAC-39416
1Nachschlagewerk: ja; BGHZ: nein; BGHR: ja