Leitsatz
[1] Eine Berufung darf nicht mehr wegen Mängel bei den Formerfordernissen des § 519 Abs. 2 ZPO verworfen werden, wenn sich diese Mängel über einen Abgleich mit den erstinstanzlichen Prozessakten vor Ablauf der Berufungsfrist als unschädlich erweisen.
Gesetze: ZPO § 519 Abs. 2; ZPO § 522 Abs. 1 Satz 2
Instanzenzug: AG Köln 120 C 293/02 vom LG Köln 23 S 73/05 vom
Gründe
I. Durch das am verkündete, der Klägerin am zugestellte Urteil wies das Amtsgericht Köln die Klage auf Erstattung ärztlicher Behandlungskosten in Höhe von 4.722,33 € nebst Zinsen ab. Dagegen legte der Streithelfer - behandelnder Arzt der Klägerin - mit einem am bei der gemeinsamen Briefannahmestelle des Landgerichts und des Amtsgerichts Köln eingegangenem Telefax Berufung ein. Die Berufungsschrift enthielt lediglich ein abgekürztes Rubrum bestehend aus dem Nachnamen der Klägerin und einer Kurzform der Firmenbezeichnung der Beklagten, das Aktenzeichen des angefochtenen Urteils und einen formulierten Antrag (Aufhebung und Zurückverweisung oder - im Falle einer Sachentscheidung - Zahlung des bezifferten Klagebetrages nebst genauer Zinsforderung). Erstinstanzliches Gericht, Verkündungs- und Zustellungsdatum, Streithelfer, Parteibezeichnungen und Parteirollen im Rechtsmittelverfahren waren nicht angegeben; eine Urteilsabschrift war nicht beigefügt.
Auf Verfügung vom "U.m.A. dem Landgericht Köln - Berufung -" gingen die Vorgänge am beim Landgericht ein. Am verlängerte die Vorsitzende der zuständigen Zivilkammer die Berufungsbegründungsfrist antragsgemäß bis zum . Nach fristgerechtem Eingang der Berufungsbegründung wies sie den Streithelfer auf Bedenken gegen die Zulässigkeit der Berufung hin, da die Berufungsschrift nicht die gemäß § 519 ZPO erforderlichen Angaben enthielte.
Durch Beschluss vom hat das Landgericht die Berufung wegen Verstoßes gegen das Formerfordernis des § 519 Abs. 2 Nr. 1 ZPO und der daraus folgenden Nichteinhaltung der Berufungsfrist des § 517 ZPO als unzulässig verworfen und zur Begründung weiter ausgeführt: Infolge der fehlenden Ortsangabe des erstinstanzlichen Gerichts habe es sich aus den vorhandenen Unterlagen nicht die Gewissheit über die Identität des angefochtenen Urteils verschaffen können, zumal dem Landgericht Köln als Berufungsinstanz und damit auch der Sachgebietskammer für Personenversicherung neun Amtsgerichte zugeordnet seien. Ein weiterer Formverstoß liege in der unterbliebenen Bezeichnung des Rechtsmittelführers und der schlechterdings nicht erkennbaren Beteiligung des Streithelfers.
Hiergegen richtet sich die vom Streithelfer eingelegte Rechtsbeschwerde.
II. 1. Die Rechtsbeschwerde ist statthaft (§§ 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO) und auch im Übrigen zulässig, weil eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich ist (§§ 574 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 ZPO; vgl. BGHZ 165, 371, 372 f. m.w.N.). Sie ist auch begründet, weil sich die Mängel der Berufungsschrift im Streitfall als unschädlich erwiesen haben. Auf die von der Rechtsbeschwerde geltend gemachte Grundsatzfrage, ob ein Berufungsgericht rechtzeitig auf formelle Mängel hinzuweisen habe, kommt es nicht an.
2. Im Ausgangspunkt stellt das Berufungsgericht zutreffend fest, dass die Berufungsschrift den an eine wirksame Berufungseinlegung gemäß § 519 Abs. 2 Nr. 1 ZPO zu stellenden Formerfordernissen nicht genügt. Dazu gehört vor allem die vollständige und eindeutige Bezeichnung des Urteils und des Berufungsführers, die ihrerseits die Angaben der Parteien, des Gerichts, das das angefochtene Urteil erlassen hat, des Verkündungstermins, des Aktenzeichens, des Berufungsklägers und des Berufungsbeklagten erfordert (vgl. dazu - VersR 2004, 623 unter 2 a; Urteile vom - III ZR 113/00 - VersR 2002, 212 unter II 1 und - VI ZR 394/00 - BGHR ZPO § 518 (i.d. Fassung vom ) Abs. 2 "Parteibezeichnung 19"; jeweils m.w.N.). Gemessen daran war die Berufungsschrift, wie auch die Rechtsbeschwerde einräumt, mangelhaft. Insbesondere bleiben bei bloßer Mitteilung des Aktenzeichens ohne weitere Angaben zum Gericht des ersten Rechtszuges nicht behebbare Zweifel an der Identität des angegriffenen Urteils. Diese Unsicherheiten ergaben sich bereits aus der Zuständigkeit des Berufungsgerichts für neun Amtsgerichte (vgl. Senatsbeschluss vom - IVa ZB 12/86 - BGHR ZPO § 518 Abs. 2 Nr. 1 "Urteilsbezeichnung 1"), und wurden zusätzlich verstärkt durch die Möglichkeit, dass - wie im Streitfall auch geschehen - der Gerichtsstand der Hauptniederlassung der Beklagten durch den des Versicherungsagenten (§ 48 VVG) verdrängt werden kann.
Ebenso wenig war in der Berufungsschrift mit der gebotenen Deutlichkeit angegeben, für wen die Berufung eingelegt werden sollte (vgl. - BGHR ZPO () § 519 Abs. 2 "Parteibezeichnung 1"); die Antragsformulierung sprach insoweit lediglich gegen die Beklagte. Für die Stellung des Streithelfers als alleinigen Rechtsmittelführer (vgl. RGZ 147, 125; Thomas/Putzo/Hüßtege, ZPO 27. Aufl. § 67 Rdn. 4) fehlte indes jeder Anhalt.
3. Richtig ist ferner der Hinweis des Berufungsgerichts, dass die danach bestehenden Unklarheiten behoben wären, wenn der Berufungsschrift entsprechend der Sollvorschrift des § 519 Abs. 3 ZPO eine Abschrift der angefochtenen Entscheidung beigefügt worden wäre (BGHZ 165, 371, 373). Dies ist aber nicht die einzige Möglichkeit, über die Mängel einer Berufungsschrift ausgeglichen werden können.
Anerkannt ist insbesondere, dass - gemessen an den formalen Anforderungen des § 519 Abs. 2 ZPO - an sich unzureichende Angaben unschädlich sein können, wenn sich vor Ablauf der Berufungsfrist im Zusammenhang mit den Prozessakten für das Berufungsgericht zweifelsfrei ergibt, welches Urteil von wem angegriffen wird (BGH, Beschlüsse vom aaO unter 2 b und vom - VII ZB 22/92 - BGHR ZPO § 518 Abs. 2 Nr. 1 "Urteilsbezeichnung 7" unter 2; Musielak/Ball, ZPO 5. Aufl. § 519 Rdn. 4; Zöller/Gummer/Heßler, ZPO 26. Aufl. § 519 Rdn. 33; jeweils m.w.N.). Denn die prozessualen Formvorschriften sind kein Selbstzweck. Sie sollen insbesondere dem Rechtsmittelgericht eine rasche und unkomplizierte Anforderung der erstinstanzlichen Akten ermöglichen und damit den Geschäftsgang erleichtern und ihm zu einer eindeutigen Identifizierung des angefochtenen Urteils und Klärung des Rechtsmittelführers verhelfen (vgl. BGHZ 165, 371, 375; aaO).
Dem hat das Berufungsgericht nicht Rechnung getragen. Ihm lagen ab dem die Berufungsschrift und die vollständigen erstinstanzlichen Akten vor; diese waren nach Eingang der Berufung bei der Briefannahmestelle bereits beigezogen und ihre Übersendung zusammen mit der Berufungsschrift am verfügt worden. Die Berufungsfrist lief erst am ab. Das Berufungsgericht war daher trotz der unvollständigen Berufungsschrift seit Beginn seiner Befassung mit der Sache nicht gehindert, seine prozessvorbereitende Tätigkeit aufzunehmen (vgl. BGHZ 165, 371, 374). Über einen Abgleich der Berufungsschrift mit dem in den Prozessakten befindlichen erstinstanzlichen Urteil waren zudem unschwer jedwede bestehenden Zweifel mit völliger Sicherheit auszuräumen. Das Aktenzeichen, die Namen der Parteien, der Prozessbevollmächtigte des Streithelfers und die formulierten Anträge mit den genauen Angaben zum Zahlungsbegehren einschließlich Zinsforderung ergaben nunmehr eindeutig, dass der Streithelfer auf Klägerseite das vorliegende Urteil des Amtsgerichts Köln überprüft wissen wollte. Selbst die anfangs bestehende theoretische Möglichkeit mehrerer Verfahren der Parteien bei verschiedenen Amtsgerichten des Bezirks des Berufungsgerichts war damit lange vor Ablauf der Berufungsfrist ausgeschlossen.
Eine Verwerfung der Berufung wegen formunwirksamer Einlegung kam danach nicht mehr in Betracht.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
BB 2007 S. 630 Nr. 12
NJW-RR 2007 S. 935 Nr. 13
JAAAC-38889
1Nachschlagewerk: ja; BGHZ: nein; BGHR: nein