BVerwG Urteil v. - 5 C 18.06

Leitsatz

Auch wenn die deutsche Staatsangehörigkeit der Mutter eines Erklärungsberechtigten i.S.d. Art. 3 Abs. 1 Satz 1 RuStAÄndG 1974 zum Zeitpunkt der Erwerbserklärung (noch) nicht abschließend behördlich geklärt war oder ansonsten festgestanden hat, kann die Frist i.S.v. Art. 3 Abs. 7 RuStAÄndG 1974 verstrichen sein, wenn bereits zuvor die Kenntnis oder das Kennenmüssen von Umständen vorgelegen hat, die auf eine mögliche deutsche Staatsangehörigkeit der Mutter hindeuten (Bestätigung des BVerwG 1 C 6.96 - Buchholz 130.0 RuStAÄndG Nr. 2).

Das Wissen um die deutsche Volkszugehörigkeit der Mutter kann in Verbindung mit der Kenntnis von Umständen, unter denen es auch möglich ist, dass sie die deutsche Staatsangehörigkeit erworben hat, die Obliegenheit eines Erklärungsberechtigten hervorrufen, sich um das staatsangehörigkeitsrechtliche Schicksal des Kindes zu kümmern und eine "vorsorgliche" Erwerbserklärung abzugeben.

Zum Ausmaß von Auskunfts- und Beratungspflichten deutscher Behörden in solchen Fällen.

Gesetze: RuStAÄndG 1974 Art. 3 Abs. 1; RuStAÄndG 1974 Art. 3 Abs. 6; RuStAÄndG 1974 Art. 3 Abs. 7

Instanzenzug: VG Köln VG 10 K 2461/03 vom OVG Münster OVG 19 A 2464/04 vom Fachpresse: ja BVerwGE: nein

Gründe

I

Der im Jahre 1964 geborene Kläger und die 1988 bzw. 1990 als seine Töchter geborenen Klägerinnen sind russische Staatsangehörige mit russischem Wohnsitz. Sie verfolgen auch im Revisionsverfahren das Ziel, ihnen Urkunden über den Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit nach dem Gesetz zur Änderung des Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetzes vom (BGBl I S. 3714) - RuStAÄndG 1974 - zu erteilen. Die Beteiligten streiten insbesondere um die Frage, ob die Erwerbserklärung innerhalb der Frist des Art. 3 Abs. 6, 7 RuStAÄndG 1974 gestellt worden ist.

Nachdem der Bescheid vom , der Widerspruchsbescheid vom und das Urteil des Verwaltungsgerichts vom zu Ungunsten der Kläger ausschließlich bzw. im Schwerpunkt darauf abgestellt hatten, dass die 1942 in der Ukraine geborene Mutter des Klägers keine deutsche Staatsangehörigkeit nach den Regeln der Volkslistenverordnung Ukraine erworben habe, hat das Oberverwaltungsgericht durch Beschluss vom die Berufung der Kläger mit der Begründung zurückgewiesen, in der Person des Klägers lägen weder die Voraussetzungen von Art. 3 Abs. 6 noch von Art. 3 Abs. 7 RuStAÄndG 1974 vor und für die Klägerinnen seien die vorbezeichneten Vorschriften von vornherein nicht anwendbar, weil sie erst nach deren Inkrafttreten geboren worden seien.

Der Kläger habe erstmals am erklärt, deutscher Staatsangehöriger werden zu wollen, und zu diesem Zeitpunkt sei die Nacherklärungsfrist gemäß Art. 3 Abs. 7 RuStAÄndG 1974 bereits abgelaufen gewesen. Der Kläger stamme aus einer gemischt-nationalen Ehe mit einem deutschen Elternteil, was jedenfalls zum Zeitpunkt der Stellung seines Aufnahmeantrags im Dezember 1996 hätte Anlass sein müssen, sich Kenntnis über Möglichkeiten des Erwerbs der deutschen Staatsangehörigkeit zu verschaffen. Nach seinen Angaben im Aufnahmeantrag hätten ihm seine Mutter und seine Großmutter (mütterlicherseits) das deutsche Volkstum vermittelt, in der Familie seien deutsche Gebräuche und Sitten gepflegt sowie kirchliche Feste nach deutscher Art gefeiert worden, was ein Bewusstsein des Klägers zur Folge gehabt habe, dass er aus einer gemischt-nationalen Familie stamme. Es komme hinzu, dass die Eltern des Klägers und seine Schwester im Dezember 1994 in die Bundesrepublik Deutschland hätten einreisen können, woraus abzuleiten sei, dass der Kläger nicht von vornherein gehindert gewesen sei, Aufenthalt im Bundesgebiet zu nehmen. Es gebe auch keinen Anlass zu zweifeln, dass sich der Kläger durch Rücksprache bei der deutschen Botschaft über sein Erklärungsrecht informieren konnte.

Der Antrag des Klägers auf Aufnahme als Aussiedler habe keine staatsangehörigkeitsrechtliche Relevanz gehabt; es habe auch keine Pflicht des Bundesverwaltungsamts bestanden, den Kläger auf staatsangehörigkeitsrechtliche Möglichkeiten hinzuweisen.

Mit der Revision rügen die Kläger eine Verletzung des Art. 3 Abs. 7 RuStAÄndG 1974 und heben hervor, allein das Wissen um eine deutsche Volkszugehörigkeit gebe keinen Anlass zur Klärung auch der staatsangehörigkeitsrechtlichen Verhältnisse.

Die Beklagte und die Vertreterin des Bundesinteresses verteidigen die oberverwaltungsgerichtliche Entscheidung.

II

Die Revision der Kläger ist unbegründet. Das Berufungsgericht hat im Ergebnis im Einklang mit Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 VwGO) dahin erkannt, dass der Kläger sein Erklärungsrecht nicht rechtzeitig i.S.v. Art. 3 Abs. 6 und 7 i.V.m. Art. 6 des Gesetzes zur Änderung des Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetzes vom (BGBI I S. 3714) - RuStAÄndG 1974 - ausgeübt hat, weil er nicht ohne sein Verschulden außerstande gewesen ist, die Nacherklärungsfrist einzuhalten (1., 2.), und dass zudem die nach dem Inkrafttreten von Art. 3 RuStAÄndG 1974 geborenen Klägerinnen von diesen Vorschriften nicht erfasst werden ( BVerwG 5 C 21.05 - DÖV 2006, 876 = NVwZ-RR 2006, 730) (3.).

1. Das Begehren der Kläger beurteilt sich nach Art. 3 RuStAÄndG 1974. Zwischen den Beteiligten steht nicht im Streit, dass eine Erklärung zum Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit jedenfalls nicht bis zum Ablauf von drei Jahren nach Inkrafttreten des Gesetzes zur Änderung des Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetzes vom zum (Art. 6 RuStAÄndG 1974) abgegeben worden ist. Diese Fristbestimmung zur Ausübung des Erklärungsrechts i.S.v. Art. 3 Abs. 6 i.V.m. Art. 6 RuStAÄndG 1974 ist verfassungsrechtlich unbedenklich, wobei für einen zu diesem Zeitpunkt noch nicht 18 Jahre alten Erwerbsberechtigten die Erklärung durch den nach Art. 3 Abs. 5 RuStAÄndG 1974 Erklärungsberechtigten abgegeben werden musste und die Erklärungsfrist mit Erreichen der Volljährigkeit durch den Erwerbsberechtigten nicht neu in Lauf gesetzt wird ( BVerwG 1 C 29.94 - BVerwGE 99, 341; vgl. auch BVerwG 1 C 6.96 - Buchholz 130.0 RuStAÄndG Nr. 2).

2. Streitentscheidend ist mithin, ob der Kläger bis sechs Monate vor der Abgabe seiner Erklärung aus dem Jahr 2001, die deutsche Staatsangehörigkeit erwerben zu wollen, i.S.v. Art. 3 Abs. 7 Satz 1 und 2 RuStAÄndG 1974 ohne sein Verschulden gehindert war, die Erklärung abzugeben. Dies ist nicht der Fall. Im Zeitpunkt der Abgabe der Erwerbserklärung war die geltend gemachte Unkenntnis über das Erklärungsrecht seit mehr als sechs Monaten nicht mehr unverschuldet.

2.1 Ein die Nacherklärungsfrist des Art. 3 Abs. 7 Satz 1 RuStAÄndG 1974 eröffnendes unverschuldetes Hindernis wird nicht bereits durch die Unkenntnis der Rechtslage begründet. Die Nacherklärungsfrist beginnt vielmehr zu laufen, wenn ein potentiell Erklärungsberechtigter hinreichend Anlass hat und es ihm rechtlich und tatsächlich möglich und zumutbar ist, sich (etwa durch Einholung einer Auskunft bei der deutschen Auslandsvertretung oder einer sonst rechtskundigen Stelle) Kenntnis vom Erklärungsrecht zu verschaffen. Anlass, sich über die deutsche Staatsangehörigkeit oder Möglichkeiten zu ihrem Erwerb Gedanken zu machen und soweit erforderlich Rechtsauskünfte einzuholen, besteht bereits dann, wenn der Erwerbsberechtigte aus einer gemischt-nationalen Ehe mit einem deutschen Elternteil stammt (Urteil vom a.a.O. S. 343 f., S. 344, S. 345 ff. und S. 351; vgl. auch Urteil vom a.a.O. S. 14 f.); denn Voraussetzung für das Erwerbsrecht nach Art. 3 RuStAÄndG 1974 ist die Abstammung von einer Mutter, die im Zeitpunkt der Geburt des Kindes deutsche Staatsangehörige (oder Deutsche ohne deutsche Staatsangehörigkeit i.S.d. Art. 116 Abs. 1 GG) war.

a) Diese Pflicht (bzw. Obliegenheit) zur Nachforschung und ggf. vorsorglichen Erwerbserklärung ist nicht auf die Fälle beschränkt, in denen eine zum Zeitpunkt der Geburt eines Erwerbsberechtigten vorliegende deutsche Staatsangehörigkeit seiner Mutter in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht unstrittig ist (so der dem Urteil vom a.a.O. zu Grunde liegende Sachverhalt). Vielmehr muss auch in Fällen einer ungeklärten deutschen Staatsangehörigkeit der Mutter von dem Erklärungsberechtigten grundsätzlich erwartet werden, dass er innerhalb der einschlägigen Frist eine Erwerbserklärung "vorsorglich" abgibt, soll nicht der Verlust des Erwerbsrechts zu gewärtigen sein (Urteil vom a.a.O. S. 14 sowie Leitsatz 2). Allerdings ist eine vorsorgliche Erwerbserklärung nicht stets und unabhängig davon abzuverlangen, ob Kenntnis von Umständen vorliegt, welche Anhalt für eine mögliche deutsche Staatsangehörigkeit der Mutter geben können. Eine vorsorgliche Erwerbserklärung kann zur Wahrung der Frist des Art. 3 Abs. 7 Satz 1 RuStAÄndG 1974 vielmehr erst dann erwartet werden, wenn - in Fällen einer objektiven Ungewissheit der deutschen Staatsangehörigkeit oder deren Unkenntnis - diese Ungewissheit oder Unkenntnis nicht unverschuldet ist und der Erklärungsberechtigte über hinreichende Anhaltspunkte für eine mögliche deutsche Staatsangehörigkeit der Mutter zum Zeitpunkt der Geburt des Kindes verfügt. Hinreichend sind solche Anhaltspunkte - tatsächlicher wie rechtlicher Art -, die im Ergebnis auf eine deutsche Staatsangehörigkeit der Mutter zum Zeitpunkt der Geburt des Kindes hinführen können. Denn nur unter dieser Voraussetzung ist eine aus einer (möglichen) deutschen Staatsangehörigkeit der Mutter ableitbare deutsche Staatsangehörigkeit des Kindes denkbar, und nur dann kann erwartet werden, dass sich ein Erklärungsberechtigter um die staatsangehörigkeitsrechtlichen Belange kümmert und entsprechende Erkundigungen sowohl zur weiteren Klärung der Möglichkeit, dass die Mutter die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt, als auch zu einem Erklärungsrecht einzieht sowie ggf. vorsorglich Anträge anbringt.

b) Allein der Umstand, dass die Mutter des Klägers deutsche Volkszugehörige war, bot allerdings noch keinen hinreichenden Anlass zu Erkundigungen nach einer möglichen deutschen Staatsangehörigkeit seiner Mutter bzw. nach Möglichkeiten zu ihrem Erwerb und zum anderen für eine vorsorgliche Erwerbserklärung. Denn die deutsche Volkszugehörigkeit ist mit der deutschen Staatsangehörigkeit nicht identisch. Allein die Abstammung aus einem hinsichtlich der Volkszugehörigkeit gemischt-nationalen Elternhaus setzt bei objektiver Unkenntnis der (möglichen) deutschen Staatsangehörigkeit eines Vorfahrens entsprechende Nachforschungs- und Erkundigungspflichten für sich noch nicht in Lauf.

Der Kläger leitet dementsprechend das von ihm beanspruchte Erklärungsrecht zutreffend nicht aus der Volkszugehörigkeit seiner Mutter ab; vielmehr hat er geltend gemacht, dass seine Mutter deutsche Volkszugehörige gewesen sei, welche entweder selbst oder vermittelt über den deutschen Elternteil von den - auf das Jahr 1941 abstellenden - staatsangehörigkeitsrechtlichen Regelungen der Volkslistenverordnung Ukraine (1943) erfasst worden sei, weil sie selbst oder der jeweils maßgebliche Elternteil während der Kriegsjahre, insbesondere in den Jahren 1941 und gegebenenfalls auch danach, in der Ukraine als deutsche Volkszugehörige gelebt hätten. Wer indes geltend macht, seine Mutter sei bei seiner Geburt deutsche Staatsangehörige gewesen, und sich dafür auf § 1 Abs. 1 Buchst. f StAngRegG 1955 i.V.m. der "Verordnung über die Verleihung der deutschen Staatsangehörigkeit an die in die Deutsche Volksliste der Ukraine eingetragenen Personen" vom beruft, hat jedenfalls ab dem Zeitpunkt Anhaltspunkte für eine mögliche deutsche Staatsangehörigkeit seiner Mutter, ab dem er seine Mutter für eine deutsche Volkszugehörige aus der Ukraine hielt und Umstände bekannt waren, dass dies zur deutschen Staatsangehörigkeit hätte führen können; denn dies war notwendige Voraussetzung für den behaupteten Erwerb auch der deutschen Staatsangehörigkeit.

Bis zum Eintritt seiner Volljährigkeit ist dem Kläger das Wissen seiner bis dahin erklärungsberechtigten Mutter zuzurechnen. Danach hätte ihn das Wissen um das Schicksal seiner Vorfahren zum einen zu Erkundigungen nach einer möglichen deutschen Staatsangehörigkeit seiner Mutter bzw. nach Möglichkeiten zu ihrem Erwerb und zum anderen zu einer vorsorglichen Erwerbserklärung veranlassen müssen. Nicht erforderlich ist eine Kenntnis von einer Eintragung in die Deutsche Volksliste. Zwar ist nach dem BVerwG 5 C 3.05 - ein Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit infolge der Volkslistenverordnung Ukraine nur dann in Betracht zu ziehen, wenn eine Eintragung in die Deutsche Volksliste erfolgt war. Die mit Blick auf Art. 3 Abs. 7 RuStAÄndG 1974 maßgebliche Annahme einer möglichen deutschen Staatsangehörigkeit der Mutter wird indes nicht erst dann hervorgerufen, wenn im Einzelnen die Eintragungsvoraussetzungen bekannt waren oder ermittelt worden sind, sondern bereits dann, wenn in Laiensicht deren deutsche Volkszugehörigkeit und deren Zugehörigkeit zur Gruppe der in der Kriegszeit in der Ukraine ansässigen Bevölkerung bekannt war oder bekannt sein musste; dies gilt um so mehr, als bis zu dem genannten Urteil vom auch die Ansicht vertreten wurde, bereits die Zugehörigkeit zur deutschen Volksgruppe der Ukraine bewirke einen - vom konkreten Eintrag unabhängigen - Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit. Zumindest kam bei bestehender Volkszugehörigkeit eine Eintragung in die Volksliste Ukraine in Betracht, die nach der Volkslistenverordnung Ukraine (1943) Voraussetzung für den Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit war. Folglich besteht bei einer Abstammung von einer Mutter, die entweder selbst sich 1941 in der Ukraine als Volksdeutsche aufgehalten hat oder deren volksdeutscher Elternteil, der eine deutsche Staatsangehörigkeit erworben und der Mutter vermittelt haben könnte, sich zu dieser Zeit dort aufgehalten hat, Anlass, die deutsche Staatsangehörigkeit der Mutter zu klären und weiter zu klären, ob die deutsche Staatsangehörigkeit nach der Mutter bereits durch Geburt erworben wurde oder es Möglichkeiten für den Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit nach der Mutter gibt.

Die Erklärungen sind einem Erklärungsberechtigten ab dem Zeitpunkt abzuverlangen, ab dem Umstände bekannt waren, die einen an die deutsche Volkszugehörigkeit in der Ukraine anknüpfenden Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit der Mutter möglich erscheinen ließen.

c) Bei einer bis zur Erwerbserklärung andauernden objektiven Ungewissheit einer deutschen Staatsangehörigkeit der Mutter kann ein fortdauerndes unverschuldetes Hindernis i.S.v. Art. 3 Abs. 7 RuStAÄndG 1974 auch dann vorliegen, wenn die Nichtabgabe einer (vorsorglichen) Erklärung auf das Verhalten deutscher Stellen (im Inland wie im Ausland) zurückzuführen ist.

Bei einer - bezogen auf den Zeitpunkt der Geburt des Kindes - feststehenden und ohne weiteres (etwa aufgrund von Dokumenten) ermittelbaren deutschen Staatsangehörigkeit der Mutter kommt dies in Betracht, wenn eine deutsche Behörde eine falsche Auskunft erteilt (Urteile vom a.a.O. S. 350 und vom a.a.O. S. 17) und dadurch den Rechtsirrtum hervorgerufen oder bestärkt hat, dass eine Möglichkeit eines Erklärungserwerbs nicht besteht. Ist bereits die (Möglichkeit einer) deutsche(n) Staatsangehörigkeit der Mutter objektiv ungewiss oder ohne dessen Verschulden dem Erklärungsberechtigten nicht bekannt, obwohl sie nach den ihm bekannten Tatsachen in Betracht kommt, kann dies die Beratungs- und Aufklärungspflichten von deutschen Behörden (dazu allgemein § 25 VwVfG) dahin erweitern, dass nicht nur eine objektiv fehlerhafte Auskunft über die Möglichkeit eines Staatsangehörigkeitserwerbs durch Erklärung ein bis zur Anfrage i.S.d. Art. 3 Abs. 7 RuStAÄndG 1974 unverschuldetes Hindernis begründen oder fortdauern lassen kann, sondern auch eine unklare, irreführende oder unvollständige Auskunft auf ein erkennbar auch staatsangehörigkeitsrechtliche Fragen erfassendes Auskunftsbegehren hin. Zeitlich sind dabei nur solche Auskünfte deutscher Behörden beachtlich, die noch innerhalb der Frist des Art. 3 Abs. 6 oder 7 RuStAÄndG 1974 erteilt bzw. unterlassen worden sind.

Sachlich wird eine umfassende Auskunftspflicht nicht erst durch ein gezieltes Auskunftsbegehren mit Bezug auf die Möglichkeiten des Erwerbs der deutschen Staatsangehörigkeit oder durch Verlautbarungen von Erklärungsberechtigten ausgelöst, die entweder bereits für sich gesehen als staatsangehörigkeitsrechtlich beachtliche Erklärungen zu verstehen waren (vgl. Urteil vom a.a.O. S. 15 f. und BVerwG 1 B 73.98 - Buchholz 130.0 RuStAÄndG Nr. 3 S. 19 f.) oder zumindest einen Willen erkennen ließen, staatsangehörigkeitsrechtlich erhebliche Schritte zu erwägen. Sie kann auch dadurch ausgelöst werden, dass eine Person die Einreise oder die Aufnahme in das Bundesgebiet nicht nur gezielt (zeitweilig) als Tourist oder (dauerhaft) im Wege des Übernahme- oder Aufnahmeverfahrens, sondern sie erkennbar eine umfassende Aufklärung über oder die Prüfung aller Möglichkeiten anstrebt, in die Bundesrepublik Deutschland einreisen und sich dort dauerhaft - sei es aufgrund eines zumindest verfestigungsoffenen Aufenthaltsstatuts, sei es aufgrund deutscher Staatsangehörigkeit - aufhalten zu können.

Ein solches Begehren liegt allerdings nicht schon in der Stellung eines bloßen Übernahme- oder Aufnahmeantrages, und zwar auch dann nicht, wenn in diesem Antrag Tatsachen angegeben sind, aus denen sich nicht nur eine deutsche Volkszugehörigkeit, sondern objektiv die Möglichkeit einer bislang nicht erkannten deutschen Staatsangehörigkeit des Aufnahmebewerbers selbst oder eines Vorfahren bzw. Anhaltspunkte zu einer Prüfung ergeben, ob ein Staatsangehörigkeitserwerb durch Erklärung in Betracht kommt. Denn der isolierte Aufnahmeantrag, der mangels staatsangehörigkeitsrechtlichen Erklärungsgehalts weder ausdrücklich noch sinngemäß i.S.d. Art. 3 Abs. 3 Satz 1 RuStAÄndG 1974 als an eine Einbürgerungsbehörde gerichtete Erwerbserklärung gewertet werden kann (s. a.a.O.), knüpft an die deutsche Volkszugehörigkeit und eine hieran anknüpfende Einreisemöglichkeit an und ist in Zielrichtung und hierdurch bewirktem Prüfungs- und Aufklärungsumfang auf die vertriebenenrechtliche Dimension beschränkt. Allein die Stellung des Aussiedlungsantrags oder der Vortrag, deutscher Volkszugehöriger zu sein, löst mithin keine umfassende behördliche Belehrungspflicht über den Inhalt von Art. 3 RuStAÄndG 1974 aus.

Ist hingegen unabhängig von einem Übernahme- oder Aufnahmeantrag oder über diesen hinaus erkennbar zum Ausdruck gebracht worden, auch unabhängig von einem an die deutsche Volkszugehörigkeit anknüpfenden vertriebenenrechtlichen Grunde Deutscher werden zu wollen, sind jedenfalls bei einem Volkstumshintergrund, der Bezug zu den kriegsbedingten Umständen in der Ukraine aufweist, die mit einem solchen Begehren befassten deutschen Behörden aufgrund solchen Vorbringens gehalten, diejenigen tatsächlichen und rechtlichen Möglichkeiten in Erwägung zu ziehen, die zur Erreichung eines deutlich erkennbaren Ziels, "Deutscher" werden zu wollen, tauglich waren. In diesen Fällen hat die Behörde die Möglichkeiten in den Blick zu nehmen, die sich aus § 1 Abs. 1 Buchst. f des StAngRegG (1955) i.V.m. der Volkslistenverordnung Ukraine (1943) ergeben haben konnten, und im Rahmen ihrer Auskunfts- und Beratungspflicht auf die Möglichkeiten und Ungewissheiten dieser Regelung aufmerksam zu machen, um es dem Betreffenden zu überlassen, welchen Gebrauch er hiervon machen wolle.

2.2 Nach den tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts, welche den Senat binden (§ 137 Abs. 2 VwGO), kann ohne weitere Sachaufklärung festgestellt werden, dass der Kläger in dem Zeitpunkt der Abgabe der Erklärung, deutscher Staatsangehöriger werden zu wollen, also im Jahre 2001, seit mehr als sechs Monaten nicht mehr ohne sein Verschulden gehindert war, eine Erklärung abzugeben.

a) Der Kläger hatte aufgrund der von dem Berufungsgericht getroffenen Feststellungen zu seinem familiären Hintergrund und den hierzu in dem im Jahre 1996 zur Stützung des Aufnahmebegehrens gemachten Angaben zur deutschen Volkszugehörigkeit spätestens zu diesem Zeitpunkt Anlass und Gelegenheit, sich um sein staatsangehörigkeitsrechtliches Schicksal zu kümmern, weil diese Abstammung Grundlage einer aus einer - infolge der Volkslistenverordnung Ukraine denkbaren - deutschen Staatsangehörigkeit der Mutter ableitbaren eigenen deutschen Staatsangehörigkeit hätte werden können. Zumindest zu diesem Zeitpunkt bestand auch kein i.S.d. Art. 3 Abs. 7 Satz 2 RuStAÄndG 1974 beachtliches Hindernis mehr; für die Entscheidung des vorliegenden Rechtsstreits bedarf es keiner Prüfung, ob Hindernisse, die den Lauf der Nacherklärungsfrist gehindert haben, bereits zuvor weggefallen waren.

b) Es ist weder tatsachengerichtlich festgestellt noch vom Kläger vorgetragen noch ansonsten ersichtlich, dass der Kläger entweder bei einer Vorsprache in einer deutschen Auslandsvertretung in der ehemaligen Sowjetunion/Russland oder in einer im Inland tätigen Behörde vor Abgabe seiner Erwerbserklärung (bewusst) unzutreffend beraten worden wäre; bereits im Verwaltungsverfahren hat der Klägerbevollmächtigte - wie später im Revisionsverfahren - vielmehr vorgetragen, dass ein Besuch einer Auslandsvertretung lediglich zu unzutreffenden Auskünften geführt haben würde, worin eingeschlossen das Zugeständnis liegt, dass entsprechende Beratung und Auskunft nicht eingeholt worden ist. Auch dem Akteninhalt sind Anhaltspunkte für ein unzureichendes Verhalten von Behörden nicht zu entnehmen.

3. Hat hiernach der Kläger die deutsche Staatsangehörigkeit nicht durch Erklärung erworben, kommt schon deshalb keine über ihn vermittelte deutsche Staatsangehörigkeit der Klägerinnen in Betracht. Aus eigenem Recht steht den Klägerinnen keine Erklärungsmöglichkeit zu ( BVerwG 5 C 21.05 - DÖV 2006, 876 = NVwZ-RR 2006, 730).

4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.

Beschluss

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Revisionsverfahren auf 30 000 € festgesetzt.

Fundstelle(n):
SAAAC-35746