BGH Beschluss v. - XI ZB 14/06

Leitsatz

[1] Zur Auslegung der Berufungsschrift bei falscher Bezeichnung des Berufungsklägers.

Gesetze: ZPO § 519 Abs. 2

Instanzenzug: LG München I 29 O 1037/05 vom OLG München 19 U 5776/05 vom OLG München 19 U 2459/06 vom

Gründe

I.

Das zugestellt am , der Zahlungsklage der Klägerin gegen die beklagte Aktiengesellschaft, deren Vorstand der Rechtsbeschwerdeführer zu 1) ist, in vollem Umfang von 228.353,03 € zuzüglich Zinsen stattgegeben. Am ist eine Berufungsschrift des seinerzeitigen Prozessbevollmächtigten der Beklagten beim Berufungsgericht eingegangen; eine Ablichtung des vollständigen Urteils des Landgerichts soll beigefügt gewesen sein. Der Text der Berufungsschrift lautet auszugsweise:

"In Sachen

U. E. , ...,

Kläger und Berufungskläger, ...,

gegen

M. eG, ...,

Beklagte und Berufungsbeklagte, ...,

wegen Forderung,

Aktenzeichen erstinstanzlich Landgericht München I,

Geschäftszeichen: 29 O 1037/05

Beschwerdewert: 228.353,03 €

lege ich hiermit namens des Klägers und Berufungsklägers gegen das am verkündete und am zugestellte Endurteil des Landgerichts München I, Az.: 29 O 1037/05 Berufung ein."

Mit Schriftsatz vom beantragte der seinerzeitige Prozessbevollmächtigte der Beklagten "in Sachen E. U. gegen M. eG" die Verlängerung der Berufungsbegründungfrist. Am bat er um Berichtigung des Rubrums dahin, dass bei der Beklagtenpartei die Parteibezeichnung "D. AG, vertreten durch den Vorstand U. E. " laute. Zugleich legte er für diese vorsorglich nochmals Berufung ein, verbunden mit dem Antrag, gegen die Versäumung der Berufungsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren.

Mit Beschluss vom hat das Berufungsgericht die Berufung des Rechtsbeschwerdeführers zu 1) als unzulässig verworfen sowie den Antrag der Beklagten auf Wiedereinsetzung zurückgewiesen und ihre Berufung als unzulässig verworfen. Die Berufung des Rechtsbeschwerdeführers zu 1) könne nicht als Berufung der Beklagten ausgelegt werden. Zwar sei zu Gunsten der Beklagten davon auszugehen, dass der Berufungsschrift eine Abschrift des angefochtenen Urteils beigelegen habe. Im Hinblick auf eine beim Berufungsgericht am eingelegte Berufung des Rechtsbeschwerdeführers zu 1), mit der er sich in einem Parallelverfahren gegen die Abweisung seiner gegen die Klägerin des vorliegenden Rechtsstreits gerichteten Vollstreckungsgegenklage durch ein Urteil des Landgerichts T. vom wendete, verblieben aber Zweifel an der Person des Rechtsmittelführers, weil eine irrtümliche Wiederholung der Berufungseinlegung des Rechtsbeschwerdeführers zu 1) gegen dieses Urteil nicht ausgeschlossen werden könne. Aufgrund dessen seien die Berufung des Rechtsbeschwerdeführers zu 1) mangels Beschwer und die Berufung der Beklagten infolge Fristversäumung unzulässig. Gegen diesen Beschluss wenden sich die beiden Rechtsbeschwerdeführer.

II.

Die Rechtsbeschwerde ist zulässig und begründet.

1. Die gemäß § 522 Abs. 1 Satz 4, § 574 Abs. 1 Nr. 1 ZPO statthafte Rechtsbeschwerde des Klägers ist zulässig, weil zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erforderlich ist (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO). Der angefochtene Beschluss verletzt die Beklagte in ihrem verfassungsrechtlich gewährleisteten Anspruch auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes aus Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip. Die Verfahrensgarantien des Grundgesetzes verbieten es, den Zugang zu den in den Verfahrensordnungen eingerichteten Instanzen in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise zu erschweren (vgl. dazu BVerfGE 74, 228, 234; BVerfG NJW 2005, 814, 815; BGHZ 151, 221, 227).

Indem das Berufungsgericht zu Unrecht (dazu unter 2.) davon ausgegangen ist, dass nicht die im Verfahren vor dem Landgericht unterlegene Beklagte, sondern der durch das Urteil erster Instanz nicht beschwerte und bis dahin an dem Rechtsstreit nicht beteiligte Rechtsbeschwerdeführer zu 1) Berufungskläger sei, hat es der Beklagten den Zugang zur Berufungsinstanz ungerechtfertigt versagt.

2. Die Rechtsbeschwerde ist begründet.

a) Zutreffend geht das Berufungsgericht allerdings davon aus, dass an die eindeutige Bezeichnung des Rechtsmittelführers strenge Anforderungen zu stellen sind. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist der Formvorschrift des § 519 Abs. 2 ZPO (früher: § 518 Abs. 2 ZPO a.F.) nur entsprochen, wenn bis zum Ablauf der Rechtsmittelfrist zweifelsfrei angegeben wird, für wen und gegen wen das Rechtsmittel eingelegt werden soll (Senat, Beschluss vom - XI ZB 43/04, NJW-RR 2006, 284 m.w.Nachw.). Da mit der Berufung ein neuer Verfahrensabschnitt vor einem anderen Gericht eröffnet wird, müssen aus Gründen der Rechtssicherheit zur Erzielung eines geordneten Verfahrenablaufs die Parteien des Rechtsmittelverfahrens und insbesondere die Person des Rechtsmittelführers bei verständiger Würdigung des gesamten Vorgangs der Rechtsmitteleinlegung bis zum Ablauf der Berufungsfrist für das Berufungsgericht und den Gegner in einer jeden Zweifel ausschließenden Weise erkennbar sein (, BGHReport 2002, 655 m.w.Nachw.). Dabei ist die erforderliche Klarheit über den Rechtsmittelführer nicht allein aus dessen ausdrücklicher Bezeichnung zu erzielen. Sie kann vielmehr - wie das Berufungsgericht zu Recht angenommen hat - auch im Wege der Auslegung der Berufungsschrift und der etwa sonst im Zeitpunkt des Ablaufs der Berufungsfrist vorliegenden Unterlagen gewonnen werden (Senat, Beschluss vom , aaO).

b) Gemessen an diesen Grundsätzen ist das Berufungsgericht zu Unrecht davon ausgegangen, dass die fristgerecht eingegangene Berufung nicht von der Beklagten eingelegt worden ist.

Das Berufungsgericht hat rechtsfehlerfrei zugrunde gelegt, dass der am eingegangenen Berufungsschrift eine Abschrift des angefochtenen Urteils beigefügt war. Dann bestand aber kein Anlass zu Zweifeln, dass die Beklagte Berufungsklägerin sein sollte. Dem steht nicht entgegen, dass als solche in der Berufungsschrift der Rechtsbeschwerdeführer zu 1) bezeichnet war und zusätzlich die Parteirollen in erster Instanz vertauscht waren. Unter Berücksichtigung dessen, dass die Berufungsschrift das erstinstanzliche Urteil mit den zutreffenden Angaben des Aktenzeichens, des Verkündungsdatums und des Beschwerdewertes sowie mit derselben Kurzbezeichnung "wegen Forderung" anführte und im beigefügten Urteil des Landgerichts die D. AG als einzige und voll verurteilte Beklagte ausgewiesen war, während der Rechtsbeschwerdeführer zu 1) - bis auf seine Stellung als Vorstand der Beklagten - an dem Rechtsstreit nicht beteiligt war, konnten für das Berufungsgericht und die Klägerin aus damaliger Sicht keine vernünftigen Zweifel daran bestehen, dass der Rechtsbeschwerdeführer zu 1) bei der Berufungseinlegung versehentlich anstelle der Beklagten als Berufungskläger benannt worden war. Dass auch der innerhalb der Berufungsfrist eingegangene Antrag auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist vom die falsche Rubrumsbezeichnung enthielt, ist unschädlich, weil es sich hierbei - wie sich auch an der Beifügung der Berufungsschrift zeigt - um einen offensichtlichen Folgefehler handelt.

Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts ergeben sich auch keine vernünftigen Zweifel an der Person des Rechtsmittelführers daraus, dass vor demselben Senat ein Rechtsmittelverfahren zwischen dem Rechtsbeschwerdeführer zu 1) als Kläger und Berufungskläger und der Klägerin des vorliegenden Rechtsstreits als Beklagter und Berufungsbeklagter anhängig war. Bis auf die - allerdings einen gewichtigen, aber eben nicht ausschlaggebenden Umstand darstellende - Parteibezeichnung wies die Berufungsschrift keinen Bezug zu diesem Verfahren auf; die dortige Berufung richtete sich gegen das Urteil eines anderen Landgerichts mit einem anderen Aktenzeichen, einem anderen Beschwerdewert und einer anderen Kurzbezeichnung des Streitgegen-stands ("wegen Vollstreckungsgegenklage" statt "wegen Forderung"). Zudem waren die Berufung bereits am eingelegt worden und anhand der Aktenlage - eigene Feststellungen hat das Berufungsgericht nicht getroffen - keine Gründe ersichtlich, weshalb der Rechtsbeschwerdeführer zu 1) seine Berufung ca. 6 Wochen später, d.h. deutlich nach Ablauf der Berufungsfrist, wiederholen sollte.

c) Deshalb musste die Auslegung der am fristgerecht eingegangenen Berufungsschrift zum Ergebnis führen, dass die Beklagte als Berufungsklägerin anzusehen war. Das Berufungsgericht durfte die mit Schriftsatz vom vorsorglich eingelegte nochmalige Berufung deshalb nicht als unzulässig verwerfen, sondern musste sie als gegenstandslos ansehen (vgl. , NJW-RR 2000, 1661, 1662). Daraus folgt zugleich, dass der Rechtsbeschwerdeführer zu 1) keine Berufung eingelegt hat, so dass eine solche auch nicht auf seine Kosten als unzulässig verworfen werden durfte.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:




Fundstelle(n):
NJW-RR 2007 S. 413 Nr. 6
WM 2007 S. 233 Nr. 5
NAAAC-27412

1Nachschlagewerk: ja; BGHZ: nein; BGHR: ja