BFH Urteil v. - VIII R 46/02

Wirksamkeit des Einspruchs; Konkurs der Feststellungsbeteiligten

Gesetze: AO § 171 Abs. 4, AO § 193; KO § 141

Instanzenzug: (Verfahrensverlauf), ,

Gründe

I. An der X-KG waren HX, die Kläger, Revisionskläger und Revisionsbeklagten zu 4. und 5. (Kläger zu 4. und 5.), die Klägerin und Revisionsbeklagte zu 3. (Klägerin zu 3.), sowie der Kläger und Revisionsbeklagte zu 6. (Kläger zu 6.) als Kommanditisten beteiligt. Über das Vermögen des HX ist das Konkursverfahren eröffnet worden; Kläger, Revisionskläger und Revisionsbeklagter zu 2. (Kläger zu 2.) ist der Konkursverwalter (A).

Komplementärin der X-KG war ursprünglich die XSI-GmbH. Im Juni 1985 trat die XGE-GmbH als Komplementärin in die X-KG ein; die XSI-GmbH schied aus der X-KG aus. Danach schieden auch sämtliche Kommanditisten aus der X-KG aus. Die XGE-GmbH setzte das Unternehmen als Rechtsnachfolgerin der X-KG fort. Die Veränderungen wurden im Handelsregister eingetragen. Davon erhielt der Beklagte, Revisionskläger und Revisionsbeklagte (das Finanzamt —FA—) im Jahre 1985 Kenntnis.

Die zwischenzeitlich in XPH-GmbH umbenannte XSI-GmbH und die XGE-GmbH wurden im August 1988 auf die Y-GmbH als übernehmende Rechtsträgerin verschmolzen. Die Y-GmbH ist 1993 in Konkurs gefallen, der Kläger und Revisionsbeklagte zu 1. (Kläger zu 1.) ist der Konkursverwalter der Y-GmbH.

Im Dezember 1988 ordnete das FA für Großbetriebsprüfung eine steuerliche Außenprüfung „bei der X-KG” an und gab den Bescheid sämtlichen ehemaligen Gesellschaftern der X-KG bekannt. Nach Abschluss der Prüfung erließ das FA im März 1993 zum Nachteil der Kläger geänderte Feststellungsbescheide für 1983 bis 1985 und gab sie den ehemaligen Gesellschaftern der X-KG bekannt. Ihre Steuererklärungen hatte die X-KG für diese Jahre bereits 1985 und 1986 abgegeben.

Gegen die geänderten Feststellungsbescheide legte die Steuerberatungsgesellschaft der X-Gruppe rechtzeitig Einspruch ein im Namen der Y-GmbH „als Gesamtrechtsnachfolgerin” der XGE-GmbH, diese als Gesamtrechtsnachfolgerin der X-KG.

Das FA verwarf den Einspruch der Y-GmbH nach Hinzuziehung der ehemaligen Gesellschafter der X-KG als unzulässig.

Über die dagegen gerichtete Klage hat das Finanzgericht (FG) insoweit durch Zwischenurteil entschieden, als es den Einspruch der Y-GmbH gegen die geänderten Gewinnfeststellungsbescheide für 1983 bis 1985 für zulässig erachtet und festgestellt hat, dass die Festsetzungsfrist beim Erlass der geänderten Gewinnfeststellungsbescheide noch nicht abgelaufen gewesen sei.

Gegen das Zwischenurteil haben das FA, der Kläger zu 2. und die Kläger zu 4. und 5. Revision eingelegt. Gerügt wird die Verletzung materiellen Rechts (§§ 171 Abs. 4, 181 Abs. 1, 352 Abs. 1 Nr. 3, § 357 Abs. 1 der AbgabenordnungAO 1977—).

Das FA beantragt,

unter Aufhebung des die Klage abzuweisen.

Die Kläger zu 1., 2., 4. und 5. beantragen,

die Revision des FA zurückzuweisen.

Der Kläger zu 2. beantragt sinngemäß, die Kläger zu 4. und 5. beantragen,

unter Aufhebung des die geänderten Bescheide über die gesonderte und einheitliche Feststellung der Einkünfte aus Gewerbebetrieb der X-KG für 1983 bis 1985 vom und und die dazu ergangene Einspruchsentscheidung vom aufzuheben.

Das FA beantragt,

die Revision der Kläger zu 2., 4. und 5. zurückzuweisen.

II. Die Revisionen sind begründet. Das Urteil der Vorinstanz ist aufzuheben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an die Vorinstanz zurückzuverweisen (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der FinanzgerichtsordnungFGO—).

1. Dies ergibt sich bereits daraus, dass während des Einspruchsverfahrens sowohl über das Vermögen der Y-GmbH als auch über dasjenige des HX das Konkursverfahren eröffnet worden ist und das FG keine Feststellungen dazu getroffen hat, ob die hiermit verbundene Verfahrensunterbrechung (analog § 240 der ZivilprozessordnungZPO a.F.—) im Anschluss an die Anmeldung der Steuerforderungen und deren Bestreiten seitens des Konkursverwalters oder der Konkursgläubiger im Prüfungstermin (§§ 141 ff. der Konkursordnung —KO—) durch eine Wiederaufnahme des Einspruchsverfahrens analog § 146 Abs. 3 KO beendet worden ist (vgl. —einschließlich des Erfordernisses einer personenbezogenen Prüfung— Senatsurteil vom VIII R 14/02, BFHE 207, 10, BStBl II 2005, 246). Demgemäß kann der Senat nicht beurteilen, ob dieses Verfahren durchgeführt worden und damit die Sachurteilsvoraussetzung des § 44 FGO gegeben ist (dazu , BFHE 167, 529, BStBl II 1992, 727). Unbestimmt ist des Weiteren, ob die Klage des A (Konkursverwalter über das Vermögen von HX) nach Wiederaufnahme des Einspruchsverfahrens wirksam erhoben und ob —falls dies zu bejahen sein sollte— das finanzgerichtliche Verfahren aufgrund einer Rücknahme der zunächst angemeldeten Forderungen i.V.m. einer nachträglichen Anmeldung (§ 142 KO) unterbrochen worden ist (vgl. hierzu auch Kilger/Karsten Schmidt, 17. Aufl., § 146 KO, Anm. 2 d/e; , BFHE 94, 4, BStBl II 1969, 54).

Das Revisionsgericht hat das Vorliegen der Sachurteilsvoraussetzungen des finanzgerichtlichen Verfahrens in jeder Lage des Verfahrens zu prüfen und kann hierzu auch eigene Feststellungen treffen. Es kann aber nach seinem Ermessen von Feststellungen solcher Art auch absehen und die Sache zur weiteren Aufklärung an die Vorinstanz zurückverweisen (Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 6. Aufl., § 118 Rz. 45, m.w.N.). Von letzterer Befugnis macht der erkennende Senat Gebrauch. Zum einen deshalb, weil das FG die Frage der Unterbrechung des Einspruchs- und ggf. auch des Klageverfahrens sowie die Wirksamkeit der Klageerhebung bisher nicht geprüft hat. Zum anderen hat der Senat von den Beteiligten auf Anfrage zwar Auskünfte und Unterlagen erhalten, nach denen davon ausgegangen werden kann, dass die Verfahrensunterbrechung gegenüber der Y-GmbH durch die Wiederaufnahme des Einspruchsverfahrens beendet worden ist; keine hinreichende Gewissheit konnte der Senat hingegen mit Rücksicht auf die Verfahrensunterbrechung gegenüber HX erlangen. Dem Senat erscheint es deshalb zur (beschleunigten) Ermittlung der tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse und damit aus Gründen der Sachnähe (vgl. dazu z.B. , BFHE 145, 299, BStBl II 1986, 268) angezeigt, die Sache an das FG zurückzuverweisen.

2. Im Übrigen weist der Senat zu den zwischen den Beteiligten in der Sache umstrittenen Rechtsfragen im Interesse einer möglichst raschen Beendigung des Rechtsstreits auf folgende Gesichtspunkte hin:

a) Das FG ist zutreffend davon ausgegangen, dass die geänderten Feststellungsbescheide für 1983 bis 1985 nicht bestandskräftig geworden sind, weil die Y-GmbH nach dem eindeutigen Wortlaut des Schreibens vom gegen diese Bescheide rechtzeitig Einspruch eingelegt hat. Anderes ergibt sich nicht daraus, dass die Y-GmbH im Einspruchsschreiben als Rechtsnachfolgerin der XGE-GmbH und der X-KG bezeichnet worden ist. Dieser Umstand benennt lediglich eine Eigenschaft der juristischen Person, auf die es für die Frage, welche Person den Einspruch eingelegt hat, nicht ankommt. Die Y-GmbH war als Gesamtrechtsnachfolgerin der ehemaligen Komplementärin der vollbeendeten X-KG auch befugt, gegen die geänderten und ihr bekannt gegebenen (vgl. FG-Urteil, S. 3 vorletzter Absatz) Feststellungsbescheide Einspruch einzulegen (vgl. z.B. Senatsbeschlüsse vom VIII B 61/98, BFH/NV 1999, 291; vom VIII B 128/95, BFHE 179, 239, BStBl II 1996, 426).

b) Nicht zuzustimmen vermag der Senat allerdings der Ansicht der Vorinstanz, die geänderten Feststellungsbescheide seien deshalb nicht rechtswidrig, weil aufgrund der durchgeführten Betriebsprüfung im Zeitpunkt ihres Erlasses der Ablauf der Festsetzungsfrist gehemmt gewesen sei (§ 171 Abs. 4 AO 1977). Das FG hat hierbei zwar nicht verkannt, dass eine nichtige Prüfungsanordnung eine solche Wirkung nicht zu entfalten vermag (vgl. , BFH/NV 1993, 457; Klein/Rüsken, AO, 8. Aufl., § 171 Rz. 42, m.w.N.). Die Prüfungsanordnung vom war indes fehlerhaft an die X-KG und nicht an die Y-GmbH als deren Gesamtrechtsnachfolgerin adressiert und somit, da die Adressatin nicht mehr existierte, unwirksam.

aa) Eine Personengesellschaft, die einen gewerblichen Betrieb unterhält, muss als solche die Außenprüfung nach § 193 Abs. 1 AO 1977 dulden. Richtige Adressatin der Prüfungsanordnung ist die Gesellschaft, nicht ihre Gesellschafter. Diese Duldungspflicht geht, wenn eine Personengesellschaft durch Ausscheiden ihres vorletzten Gesellschafters untergeht, auf den letzten verbliebenen Gesellschafter als Gesamtrechtsnachfolger gemäß § 45 Abs. 1 Satz 1 AO 1977 über. Die Prüfungsanordnung ist in diesem Fall folglich an den Gesamtrechtsnachfolger und nicht an die ehemaligen Gesellschafter zu richten (vgl. Senatsbeschluss vom VIII B 3/95, BFH/NV 1996, 685, m.w.N.; , BFHE 211, 387, BStBl II 2006, 404; zur Abgrenzung im Falle der Vollbeendigung durch Liquidation vgl. , BFHE 169, 294, BStBl II 1993, 82).

bb) Wem gegenüber eine Regelung ergangen ist, wer also Inhaltsadressat eines Verwaltungsakts ist, kann ggf. durch Auslegung anhand der dem Betroffenen bekannten Umstände bestimmt werden (, BFH/NV 2001, 409; Klein/Brockmeyer, a.a.O., § 119 Rz. 5). Dies setzt aber voraus, dass der Bescheid objektiv (auch für außenstehende Dritte erkennbar) mehrdeutig und daher auslegungsbedürftig ist. Nur bei insoweit mehrdeutigen Bescheiden können Zweifel über den Inhaltsadressaten gegebenenfalls durch Auslegung behoben werden (, BFH/NV 2000, 170). Daran fehlt es vorliegend, da sich die Prüfungsanordnung vom an die X-KG als Inhaltsadressatin richtete. Bei ihr sollte die Prüfung vorgenommen werden. Das FA hat sie den ehemaligen Gesellschaftern der X-KG lediglich bekannt gegeben. An die davon abweichende Würdigung des FG, wonach die ehemaligen Gesellschafter der X-KG zur Duldung der Außenprüfung verpflichtet werden sollten, wäre der Senat in einem Revisionsverfahren nicht gebunden. Die Auslegung von Willenserklärungen oder Verwaltungsakten ist zwar grundsätzlich Gegenstand der vom FG zu treffenden Feststellungen. Der Prüfung des BFH unterliegt es jedoch u.a., ob das FG —beispielsweise deshalb, weil es zu Unrecht von der Mehrdeutigkeit eines Verwaltungsakts ausgegangen ist— gegen gesetzliche Auslegungsregeln verstoßen hat (vgl. , BFH/NV 2004, 352).

cc) Die Prüfungsanordnung ist somit unwirksam. Ein nicht an den Rechtsnachfolger, sondern an einen nicht mehr existierenden Rechtsvorgänger gerichteter Verwaltungsakt entfaltet (diesem gegenüber) keine Rechtswirkungen (vgl. Beschluss des Großen Senats des , BFHE 145, 110, BStBl II 1986, 230; , BFH/NV 1993, 279, und vom V R 135/89, BFH/NV 1994, 354; Klein/Brockmeyer, a.a.O., § 122 Rz. 33; so auch: Anwendungserlass zur Abgabenordnung zu § 122 Tz. 4.1.2). Das gilt auch für eine Prüfungsanordnung, die sich gegen den Rechtsnachfolger richten müsste (Gosch in Beermann/ Gosch, AO § 196 Rz. 46; Tipke in Tipke/Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 196 AO Tz. 22).

Fundstelle(n):
BFH/NV 2006 S. 2037 Nr. 11
NWB-Eilnachricht Nr. 47/2007 S. 4189
WAAAC-16059