Leitsatz
Für eine Versicherung als "Wie-Beschäftigter" nach § 2 Abs 2 S 1 SGB 7 reicht es nicht aus, dass die unfallbringende Tätigkeit einer anderen Person oder einem anderen Unternehmen objektiv nützlich war. Notwendig ist, dass der Handelnde auch subjektiv ein Geschäft des anderen besorgen, also fremdnützig tätig sein wollte.
Gesetze: SGB VII § 2 Abs 2 S 1; SGB VII § 2 Abs 1 Nr 1
Instanzenzug: SG Lübeck S 3 U 346/01 vom
Gründe
I
Die Beteiligten streiten darum, ob der Unfall des Klägers am ein Arbeitsunfall ist.
Der im Jahre 1954 geborene Kläger ist Eigentümer des Reihenhauses E. , M. 14d. Dieses Haus steht in einer Reihe von fünf Häusern (M. 14 bis 14d), die auf der Vorder- und Rückseite mit einer durchgehenden Regenrinne verbunden sind. In jedem Frühjahr und Herbst reinigen die fünf Nachbarn die gemeinsame Auffahrt, den Spielplatz, Hecken und Gullys und auch die Regenrinne. Bei diesen Arbeiten helfen die Ehefrauen bzw Familienangehörigen mit. Nach jedem Arbeitstag findet ein gemeinsames Grillen statt. Abwechselnd ist einer der Eigentümer für die Terminplanung und für die Strauchgut- und Müllentsorgung verantwortlich. Das benötigte Handwerkszeug bringt jeder selbst mit. Jeder Nachbar arbeitet dort, wo Arbeiten anfallen. Am Vormittag des , einem Samstag, schnitt der Kläger die Hecke. Die Eigentümer B. -- (B) und N. (N) reinigten die Dachrinne vorne und hinten. Nach einer gemeinsamen Pause am Vormittag waren die Arbeiten kurz vor Mittag im Wesentlichen beendet. Es sollten nur noch die Gitter der Regenrinne aufgesetzt werden. Zudem waren noch nicht alle Werkzeuge und Geräte weggeräumt. Zu diesem Zeitpunkt entschloss sich der Eigentümer N zu dem Versuch, das Moos von seinem Dach zu entfernen. Einen Beschluss darüber hatten die Nachbarn nicht gefasst, jedoch hätten sie das Moos von allen Dächern entfernt, wenn der Versuch des N erfolgreich gewesen wäre. Nachdem dieser von der Gartenterrasse aus auf sein Dach gestiegen war, kam ihm der Kläger auf der Leiter nach, um ihm zwei Drahtbürsten zuzuwerfen. Dabei stürzte der Kläger von der Leiter auf die mit Steinplatten belegte Terrasse und erlitt schwere Kopfverletzungen. Er ist seitdem nicht mehr ansprechbar.
Die beklagte Unfallkasse lehnte mit Bescheid vom in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom die Gewährung von Entschädigungsleistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung aus Anlass dieses Unfalles ab, weil der Kläger im Unfallzeitpunkt weder einer abhängigen Beschäftigung iS des § 2 Abs 1 Nr 1 des Siebten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VII) noch einer beschäftigtenähnlichen Tätigkeit iS des § 2 Abs 2 iVm § 2 Abs 1 Nr 1 SGB VII nachgegangen sei. Letzteres scheitere insbesondere daran, dass der Kläger eine im eigenen Interesse liegende, nicht aber auf ein fremdes Unternehmen gerichtete Tätigkeit verrichtet habe.
Klage und Berufung des Klägers sind ohne Erfolg geblieben (Urteil des Sozialgerichts - SG - Lübeck vom sowie des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts - LSG - vom ). Zur Begründung hat das LSG im Wesentlichen ausgeführt, die Voraussetzungen des § 2 Abs 2 SGB VII seien auch nach dem Ergebnis des zweitinstanzlichen Verfahrens nach dem Gesamtbild der Tätigkeit nicht erfüllt. Zwar habe die Aktion vom wirtschaftlichen Wert für ein unterstütztes Unternehmen gehabt. Indes sei unterstütztes Unternehmen die Gemeinschaft der Eigentümer der Häuser M. 14 bis 14d gewesen. Diese hätten sich am Unfalltag zu einem gesellschaftsähnlichen Unternehmen zusammengeschlossen. Sie hätten den gemeinsamen Zweck verfolgt, die Reihenhausanlage zu reinigen, und zwar in der Form, dass jeder Eigentümer durch eigene Arbeiten seinen Beitrag hierzu leisten sollte. Dieses Unternehmen hätten die Nachbarn mit ihren Arbeiten unterstützt. Hätten sie nicht selbst Hand angelegt, hätte die Eigentümergemeinschaft die Reinigungsarbeiten an ein oder sogar mehrere gewerbliche Unternehmen (Gärtnerei, Dachdeckerei, Grundstückspflegedienst) vergeben und die Kosten hierfür umlegen müssen. Die durchgeführten Arbeiten hätten auch dem wirklichen oder mutmaßlichen Willen der zusammengeschlossenen Hauseigentümer entsprochen. Zum Gesamtbild der am durchgeführten Arbeiten hätte auch der Versuch, das Moos von den Dächern abzukratzen, gehört. Die Eigentümer der Reihenhäuser hätten sich verabredet, gemeinschaftlich Pflegearbeiten an ihren Grundstücken und den Gemeinschaftsanlagen durchzuführen. Die Arbeiten seien noch nicht beendet gewesen und es habe das Prinzip geherrscht, dass jeder Teilnehmer der Aktion dort half, wo Arbeiten zu verrichten waren. Zwar habe sich die Verabredung ursprünglich nicht darauf erstreckt, auch das Moos von den Dächern zu entfernen. Doch habe der Eigentümer N schon vor der gemeinsamen Aktion die Nachbarn auf den Moosbewuchs auf allen Dächern aufmerksam gemacht. Wegen der gutnachbarlichen Gemeinschaft sei N davon ausgegangen, dass man bei einem erfolgreichen Versuch auch die Moosentfernung auf seinem und den anderen Dächern zu einer Gemeinschaftsarbeit gemacht hätte. Dies habe auch der Eigentümer B als Zeuge für sicher angesehen. Demnach habe die Probe, ob das Moos entfernbar gewesen sei, zum Gesamtbild der an diesem Tag zu verrichtenden Gemeinschaftsarbeiten gehört und jedenfalls dem mutmaßlichen Willen der Eigentümergemeinschaft entsprochen. Alle Arbeiten seien nicht unter arbeitnehmerähnlichen Umständen ausgeführt worden. Das Verhalten der Hauseigentümer, dort zu helfen, wo Arbeit angefallen war, ähnele nicht einer Arbeitnehmertätigkeit. Alle Teilnehmer hätten nicht fremdnützig wie Arbeitnehmer, sondern vorwiegend eigennützig ähnlich einem BGB-Gesellschafter gehandelt. Auch die Arbeiten des Klägers seien somit nicht als arbeitnehmerähnlich anzusehen.
Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt der Kläger die Verletzung des § 2 Abs 2 SGB VII. Er sei wie ein nach § 2 Abs 1 Nr 1 SGB VII Versicherter tätig gewesen. Die Dacharbeiten am Haus des Eigentümers N hätten nur diesem Eigentümer gedient, nicht aber - wie vom LSG festgestellt - der Hauseigentümergemeinschaft. Den Entschluss zu diesen Arbeiten habe N nach Abschluss der gemeinschaftlich beschlossenen Arbeiten gefasst. Entgegen der Auffassung des LSG sei nicht die Hauseigentümergemeinschaft Unternehmer der Dacharbeiten am Haus N gewesen. Diese hätten weder zu den zuvor beschlossenen Arbeiten gehört noch seien sie zuvor jemals Gegenstand der Gemeinschaftsarbeiten gewesen. Es widerspreche den allgemein anerkannten Denkgesetzen, die Aussagen der Zeugen N und B dahin zu interpretieren, dass die Dachreinigungsarbeiten zu den Gemeinschaftsarbeiten zählen sollten. Die übrigen Voraussetzungen des Versicherungsschutzes nach § 2 Abs 2 SGB VII seien unproblematisch erfüllt.
Der Kläger beantragt,
die Urteile des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom und des Sozialgerichts Lübeck vom sowie den Bescheid der Beklagten vom in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom aufzuheben und festzustellen, dass sein Unfall am ein Arbeitsunfall war.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
II
Die Revision des Klägers ist unbegründet. Die vorinstanzlichen Entscheidungen sowie der angefochtene Bescheid sind rechtmäßig. Der Kläger hat am keinen Arbeitsunfall erlitten.
Nach § 8 Abs 1 Satz 1 SGB VII sind Arbeitsunfälle Unfälle von Versicherten, infolge einer den Versicherungsschutz nach den §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit (versicherte Tätigkeit). Dass der Kläger bei den Reinigungsarbeiten an der Reihenhausanlage am Unfalltag einen Unfall (Sturz von der Leiter) erlitten und sich dabei schwere Verletzungen zugezogen hat, hat das LSG bindend (§ 163 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -) festgestellt. Bei der zum Unfall führenden Tätigkeit, dem Anreichen von zwei Drahtbürsten an den sich auf dem Dach seines Reihenhauses befindlichen N, stand der Kläger indes nicht unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung. Eine Versicherung als Beschäftigter nach § 2 Abs 1 Nr 1 SGB VII scheidet aus, da ein Arbeits- oder Beschäftigungsverhältnis zu anderen Eigentümern der Reihenhausanlage nicht bestanden hat, was auch die Revision nicht in Zweifel zieht.
Entgegen der Auffassung des Klägers bestand auch kein Versicherungsschutz nach § 2 Abs 2 Satz 1 SGB VII. Nach dieser Vorschrift sind Personen versichert, die wie nach § 2 Abs 1 Nr 1 SGB VII Versicherte tätig werden. Wie die inhaltlich übereinstimmende Vorgängerbestimmung des § 539 Abs 2 der Reichsversicherungsordnung (RVO) will § 2 Abs 2 SGB VII aus sozialpolitischen und rechtssystematischen Gründen den Versicherungsschutz auf Tätigkeiten erstrecken, die zwar nicht sämtliche Merkmale eines Arbeits- oder Beschäftigungsverhältnisses aufweisen, in ihrer Grundstruktur aber einer abhängigen Beschäftigung ähneln, indem eine ernstliche, einem fremden Unternehmen dienende, dem wirklichen oder mutmaßlichen Willen des Unternehmers entsprechende Tätigkeit von wirtschaftlichem Wert erbracht wird, die ihrer Art nach sonst von Personen verrichtet werden könnte, die in einem abhängigen Beschäftigungsverhältnis stehen (ständige Rechtsprechung, vgl zuletzt mwN: Senatsurteil vom - B 2 U 35/04 R, zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen; ferner Wiester, in: Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, Gesetzliche Unfallversicherung, Stand: 2005, § 2 SGB VII RdNr 804, 818 ff mwN).
Allerdings ist zu beachten, dass nicht jede Tätigkeit, die einem fremden Unternehmen objektiv nützlich und ihrer Art nach sonst üblicherweise dem allgemeinen Arbeitsmarkt zugänglich ist, beschäftigtenähnlich verrichtet wird. Nach der ständigen Rechtsprechung des BSG kommt nämlich der mit dem - objektiv arbeitnehmerähnlichen - Verhalten verbundenen Handlungstendenz, die vom bloßen Motiv für das Tätigwerden zu unterscheiden ist (siehe dazu - SGb 2002, 441), ausschlaggebende Bedeutung zu. Verfolgt eine Person mit einem Verhalten, das ansonsten einer Tätigkeit aufgrund eines Beschäftigungsverhältnisses ähnelt, in Wirklichkeit wesentlich allein eigene Angelegenheiten, ist sie nicht mit fremdwirtschaftlicher Zweckbestimmung und somit nicht wie im Rahmen eines Beschäftigungsverhältnisses, sondern wie ein Unternehmer eigenwirtschaftlich tätig und steht daher auch nicht nach § 2 Abs 2 SGB VII wie ein nach Abs 1 Nr 1 dieser Vorschrift Tätiger unter Versicherungsschutz (vgl zu § 539 Abs 2 RVO: - USK 92181 sowie zu § 2 Abs 2 SGB VII: - HVBG-Info 2002, 1175; Wiester, aaO, § 2 RdNr 832).
Eine solche eigenen Zwecken dienende und damit unternehmerähnliche Tätigkeit hat der Kläger im Unfallzeitpunkt ausgeübt. Das LSG hat dies rechtlich zutreffend daraus gefolgert, dass sich die Eigentümer der Reihenhausanlage zur gemeinsamen Reinigung und Pflege der Anlage verabredet hatten und insofern alle gemeinsam aber auch jeder für sich einer eigennützigen Tätigkeit nachgingen. Die Beteiligung an der Aktion und die Arbeitsbeiträge jedes Einzelnen dienten letztlich nicht den Interessen anderer Eigentümer, sondern allein dem eigenen Interesse an der Erhaltung und Pflege des Eigentums an den Reihenhäusern. Bei dieser Ausgangslage ist es unschädlich, dass die durchzuführenden Arbeiten nicht in allen Einzelheiten vorher festgelegt waren und dass der Kläger bei einer Tätigkeit verunglückt ist, die vor Beginn der Pflegeaktion nicht gemeinschaftlich beschlossen war. Wie das LSG bindend festgestellt hat, verrichtete jeder Eigentümer jede Arbeit so wie sie gerade anfiel. Es half also jeder dort, wo gerade Hilfe gebraucht wurde. In einer solchen Situation ist es geradezu typisch, dass auch Tätigkeiten spontan angegangen werden, an die im Voraus noch niemand gedacht hatte. Dabei spielt es keine Rolle, ob die Notwendigkeit dieser besonderen Tätigkeit noch nicht erkannt war oder ob sie zwar bekannt, aber ihre Verrichtung aus anderen Gründen, wie zB Zeitmangel, konkret nicht geplant war. Für die Qualifizierung der unfallbringenden Tätigkeit des Klägers als der Eigentümergemeinschaft dienlich und daher für ihn eigennützig kommt hinzu, dass, wenn sich das Moos vom Dach des Hauses N mit den zur Verfügung stehenden Mitteln hätte entfernen lassen, die Hauseigentümer es auch von allen anderen Dächern entfernt hätten. Letztlich ist dieser Aspekt aber nicht entscheidend. Da die Reinigung und Pflege der gesamten Reihenhausanlage beschlossen war, wäre die unfallbringende Tätigkeit für den Kläger sogar dann als eigennützig anzusehen, wenn sich allein auf dem Dach des Hauses N Moos befunden hätte. Ob dies anders zu beurteilen wäre, wenn die Arbeiten am Dach des Hauses N nicht während der gemeinsamen Säuberungsaktion, sondern erst nach deren Beendigung und sogar an einem anderen Tag stattgefunden hätten, muss hier nicht erörtert werden. Schließlich spricht entgegen der - bisher tatsächlich nicht festgestellten - Behauptung der Revision gegen die vom LSG vorgenommene rechtliche Bewertung auch nicht der Umstand, dass die Entfernung von Moos von den Dächern zuvor noch niemals Gegenstand der gemeinsamen Reinigungsarbeiten gewesen sein mag. Auch die Entfernung von erstmals aufgetretenem Moos ist begrifflich eine Reinigungsarbeit, die von den Eigentümern selbst durchgeführt werden konnte, so dass sie sich bei natürlicher Betrachtung im Rahmen der beschlossenen gemeinsamen Reinigungs- und Pflegeaktion an der Reihenhausanlage hielt.
Die beabsichtigte Dachreinigung am Haus N diente nach alledem nicht allein dessen Eigentümer, sondern der Gemeinschaft aller Eigentümer und damit auch dem Kläger selbst. Soweit die Revision beanstandet, es widerspreche Denkgesetzen, die Aussagen der Zeugen dahin zu interpretieren, dass die Dachreinigungsarbeiten am Haus N zu den Gemeinschaftsarbeiten zählten, geht dieser Angriff fehl. Die Behauptung, das Tatsachengericht habe gegen Denkgesetze verstoßen, zielt auf die richterliche Beweiswürdigung und damit auf die Tatsachengrundlage des angefochtenen Urteils. Die vom LSG aus der Art der Gemeinschaftsarbeiten und insbesondere aus den Zeugenaussagen, bei Erfolg der Dachreinigung am Haus N wären die gleichen Arbeiten an allen anderen Häusern ausgeführt worden, gezogene Folgerung, Unternehmer der Dachreinigung am Haus N sei die Eigentümergemeinschaft gewesen, beinhaltet indes keine tatsächliche Feststellung, sondern eine rechtliche Würdigung. Sie vollzieht die Einordnung des zuvor festgestellten Sachverhalts (bei Erfolg Reinigung auch aller anderen Dächer) unter den unbestimmten Rechtsbegriff des Unternehmers. Diese rechtliche Subsumtion ist wie dargelegt aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden.
Weitere Vorschriften, nach denen die unfallbringende Tätigkeit unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung stehen könnte, sind nicht ersichtlich. Die Revision des Klägers ist daher zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Diese Entscheidung steht in Bezug zu
Fundstelle(n):
XAAAC-15172