BSG Urteil v. - B 13 RJ 44/03

Leitsatz

Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.

Gesetze: FRG § 22b Abs 1

Instanzenzug:

Gründe

I

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Klägerin Zahlungen aus dem ihr dem Grunde nach zuerkannten Anspruch auf Hinterbliebenenrente - begrenzt auf 25 Entgeltpunkte (EP) - verlangen kann.

Die am geborene Klägerin ist die Ehefrau des am verstorbenen R F (Versicherter). Die Eheleute lebten von Geburt an in der ehemaligen Sowjetunion. Nach dem Tod des Versicherten siedelte die Klägerin am nach Deutschland über und wurde als Spätaussiedlerin gemäß § 4 des Bundesvertriebenengesetzes anerkannt. Sie bezieht ab dem Tag ihrer Einreise Rente aus eigener Versicherung nach dem Fremdrentengesetz (FRG), für deren Berechnung 25 EP zugrunde gelegt wurden.

Mit Bescheid vom bewilligte die Beklagte der Klägerin antragsgemäß große Witwenrente ab dem , wobei sie aufgrund der für den Versicherten nach dem FRG zu berücksichtigenden Beitragszeiten 26,8749 EP ermittelte. Die Auszahlung der Rente lehnte sie mit der Begründung ab, dass der Rentenfeststellung für einen Berechtigten nach dem FRG höchstens 25 EP zugrunde zu legen seien, die Klägerin aber bereits eine eigene Rente auf der Basis von 25 EP beziehe.

Den im Dezember 2001 unter Hinweis auf das - BSGE 88, 288 = SozR 3-5050 § 22b Nr 2) gestellten Antrag auf Neufeststellung der Witwenrente lehnte die Beklagte durch Bescheid vom in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom ab, weil sie der Entscheidung des 4. Senats des BSG, wonach neben einer Rente aus eigener Versicherung Anspruch auf eine - wenngleich ebenfalls auf 25 EP begrenzte - Hinterbliebenenrente bestehe, über den Einzelfall hinaus nicht folge.

Das Sozialgericht Köln (SG) hat die Beklagte unter Aufhebung der vorgenannten Bescheide verurteilt, den Bescheid vom zurückzunehmen und der Klägerin große Witwenrente aus der Versicherung des verstorbenen Ehegatten unter Berücksichtigung von 25 persönlichen Entgeltpunkten nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren (Urteil vom ). Auf die Berufung der Beklagten hat das Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen (LSG) das Urteil des SG aufgehoben und die Klage abgewiesen (Urteil vom ). Zur Begründung hat es ausgeführt:

Der Klägerin stehe kein Anspruch auf Rücknahme des Bescheides vom zu, weil die Beklagte die Zahlung der Witwenrente zu Recht unter Berufung auf § 22b Abs 1 Satz 1 FRG verweigert habe. Nach dieser Vorschrift seien für einen Berechtigten für anrechenbare Zeiten nach dem FRG höchstens 25 EP zugrunde zu legen. Der Wortlaut der Vorschrift sei nicht eindeutig und gebiete daher nicht zwingend die vom 4. Senat des BSG vorgenommene Auslegung. Der Begriff "Berechtigter" werde im FRG nicht ausschließlich für Berechtigte mit eigenem Rentenstammrecht verwendet, wie § 14a FRG zeige. Auch die Begriffe "anrechenbare Zeiten" und "Entgeltpunkte" würden in unterschiedlichem Sachzusammenhang verwendet. Soweit der Wortlaut keine eindeutige Auslegung zulasse, sei eine Auslegung anhand der Gesetzessystematik und des Gesetzeszwecks vorzunehmen.

Daher sei zu berücksichtigen, dass gemäß § 22b Abs 3 FRG bei Ehegatten bzw in eheähnlicher Gemeinschaft lebenden Berechtigten für beide Berechtigte zusammen maximal 40 EP der Rentenberechnung zugrunde zu legen seien. Daraus werde deutlich, dass durch die Regelung des § 22b Abs 1 FRG Alleinstehende in jedem Fall nur Leistungen auf der Basis von 25 EP bekommen sollten; denn wenn von beiden Berechtigten schon zu Lebzeiten eine Beschränkung auf zusammen 40 EP hingenommen werden müsse, seien die Leistungen nach dem Tod eines Berechtigten erst recht auf 25 EP zu begrenzen.

Hierfür spreche auch der Sinn und Zweck der Regelung, weil mit der durch das "Gesetz zur Umsetzung des Programms für mehr Wachstum und Beschäftigung in den Bereichen der Rentenversicherung und Arbeitsförderung" vom (Wachstums- und Beschäftigungsförderungsgesetz) eingefügten Vorschrift des § 22b FRG eine Umstellung vom Eingliederungsprinzip zum Bedürftigkeitsprinzip erfolgt sei. Der an der Bedürftigkeit orientierten Leistungsgewährung widerspreche es, wenn der Hinterbliebene ohne die Begrenzung auf 25 EP für Versicherten- und Hinterbliebenenrente besser gestellt werde als der Alleinstehende. Auch führe diese Auslegung nicht dazu, dass der Hinterbliebene nur Inhaber eines "leeren Rechts" sei, weil dies jedenfalls dann nicht zutreffe, wenn der Hinterbliebene bei seiner eigenen Rente weniger als 25 EP angerechnet bekomme.

Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt die Klägerin die Verletzung des § 22b Abs 1 FRG. Die Vorschrift sei entsprechend dem Urteil des 4. Senats des BSG nicht anzuwenden, wenn neben einem Recht auf eigene Rente auch ein abgeleitetes Recht auf Hinterbliebenenrente bestehe. Bei § 22b Abs 1 FRG handele es sich um eine Eingriffsnorm, deren Anwendungsbereich auf den vom BSG bereits interpretierten Gesetzeswortlaut beschränkt sei. Selbst wenn der Wortlaut nicht eindeutig sei, so ergebe die verfassungskonforme Auslegung, dass ein Zusammentreffen von eigener Rente und Hinterbliebenenrente nicht erfasst sei, weil anderenfalls Spätaussiedler, die bereits bei der eigenen Altersrente 25 EP angerechnet bekämen, zum Inhaber eines leeren Rechts auf Hinterbliebenenrente würden, worin ein Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz liege.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Köln vom zurückzuweisen.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.

II

Die zulässige Revision ist begründet. Wie das SG zutreffend entschieden hat, hat die Klägerin unter Aufhebung des Bescheids der Beklagten vom in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom sowie unter Änderung (= teilweiser Rücknahme) des Bescheids vom Anspruch auf Auszahlung der von der Beklagten dem Grunde nach bewilligten Witwenrente neben ihrer Rente aus eigener Versicherung, die gemäß § 22b Abs 1 Satz 1 FRG auf 25 EP begrenzt ist. Sinngemäß hat das SG die Beklagte damit zur Zahlung auch der Hinterbliebenenrente - ebenfalls begrenzt auf 25 EP - verurteilt. Auf die Revision der Klägerin war das erstinstanzliche Urteil wieder herzustellen.

Die Beklagte hat den Anspruch der Klägerin auf Gewährung großer Witwenrente dem Grunde nach bindend festgestellt. Aus dem Rentenanspruch dem Grunde nach folgt grundsätzlich der Anspruch auf Auszahlung der Leistung. Für ihre Entscheidung, in diese Rechtsposition der Klägerin einzugreifen und die (den Wert von 25 EP aus eigener Versicherung überschreitende) große Witwenrente aus der Versicherung ihres Ehemanns nicht auszuzahlen, steht der Beklagten eine Rechtsgrundlage (Eingriffsermächtigung) nicht zur Seite; sie kann sich insbesondere nicht auf § 22b Abs 1 Satz 1 FRG stützen. Die dort geregelte Begrenzung der Rentenhöhe, wonach "für anrechenbare Zeiten nach diesem Gesetz ... höchstens 25 EP der Rentenversicherung der Arbeiter und der Angestellten zugrunde gelegt" werden, rechtfertigt ein derartiges Vorgehen allein beim Zusammentreffen mehrerer Renten des Berechtigten aus eigener Versicherung. Der Vorschrift lässt sich - wie der 4. Senat des BSG bereits in seinem Urteil vom (B 4 RA 118/00 R - BSGE 88, 288 = SozR 3-5050 § 22b Nr 2) entschieden hat - kein Obersatz des Inhalts entnehmen, ein Berechtigter könne als Inhaber mehrerer Ansprüche auf Rente ausnahmslos nur die Berücksichtigung von höchstens 25 EP nach dem FRG begehren. Diese Begrenzung findet vielmehr dann keine Anwendung, wenn der Begünstigte neben dem Rentenanspruch aus eigener Versicherung auch ein abgeleitetes Recht auf Hinterbliebenenrente hat.

Offen bleiben kann, ob bereits der Wortlaut des § 22b Abs 1 Satz 1 FRG ("anrechenbare Zeiten", "Berechtigte") - wie der 4. Senat des BSG im vorbezeichneten Urteil vom ausgeführt hat - nur so verstanden werden kann, dass er einer Anwendung im Zusammenhang mit der Wertbestimmung von Hinterbliebenenrenten grundsätzlich entgegensteht. Zuzustimmen ist dem 4. Senat jedenfalls darin, dass Hinterbliebenenrenten - anders als Versichertenrenten aus eigener Versicherung, die als "Lohnersatzeinkommen" den Ersatz entfallenden Erwerbseinkommens bezwecken - die Funktion der Ersetzung von Unterhalt sicherstellen, die der Verstorbene dem Versicherten gegenüber geleistet hat. Dieser Anspruch ist sowohl unabhängig vom Nachweis des Wegfalls konkreten Unterhalts (vgl - SozR 2200 § 1265 Nr 57) als auch von besonderen Vorleistungen des Versicherten (vgl BVerfGE 48, 346 = SozR 2200 § 1268 Nr 11 und BVerfGE 97, 271 = SozR 3-2940 § 58 Nr 1).

Da sich das abgeleitete Recht auf eine Hinterbliebenenrente nach dem Versicherungsverlauf des verstorbenen Ehegatten - mithin EP, die aus dessen Beitragszeiten ermittelt werden - richtet, liegt es nahe, dass auch die Begrenzung auf 25 EP in § 22b Abs 1 Satz 1 FRG nur in der Versicherung des verstorbenen Versicherten eine Rolle spielen kann. Dafür spricht bereits der Grundsatz des § 63 Abs 1 des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VI), wonach sich die Höhe der Rente vor allem nach der Höhe der während des Versicherungslebens durch Beiträge versicherten Arbeitsentgelte und Arbeitseinkommen richtet. Bei Witwen- und Witwerrenten kann sich lediglich gemäß § 78a SGB VI ein Zuschlag an persönlichen EP aus der Dauer der Erziehung von Kindern bis zur Vollendung des dritten Lebensjahrs ergeben. Ansonsten bestimmt sich die - gegenüber dem Anspruch auf Rente aus eigener Versicherung - niedrigere Rentenhöhe der Hinterbliebenenrente maßgeblich nach dem Rentenartfaktor des § 67 SGB VI: Während der Rentenartfaktor bei eigenen Renten wegen Alters gemäß § 67 Nr 1 SGB VI 1,0 beträgt, beträgt der Rentenartfaktor für große Witwen- und Witwerrenten nach § 67 Nr 6 SGB VI (in der bis zum geltenden Fassung) 0,6.

Dann machen aber weder die "anrechenbaren Zeiten" nach § 22b Abs 1 Satz 1 FRG bei der Bestimmung der Rentenhöhe einer Hinterbliebenenrente einen Sinn, noch ist bei FRG-Zeiten für einen "Berechtigten" insoweit eine Begrenzung auf 25 EP vorzunehmen. Daher hat auch der erkennende Senat Zweifel daran, ob der Wortlaut der Vorschrift überhaupt so interpretiert werden kann, dass die Entgeltpunktbegrenzung auf alle Renten, die ein Berechtigter erhält - Renten aus eigener Versicherung wie Hinterbliebenenrenten -, einheitlich angewendet werden kann.

Jedenfalls aber widersprechen rechtssystematische Gesichtspunkte einer solchen Interpretation. Schon nach der im Zweiten Kapitel, Zweiter Abschnitt, Vierter Unterabschnitt ("Zusammentreffen von Renten und Einkommen") des SGB VI - und dort in § 89 - getroffenen Regelung wird beim Zusammentreffen mehrerer Rentenansprüche einerseits eine Rangfolge für Rentenansprüche aus eigener Versicherung gebildet (Abs 1 Nr 1 bis 12), andererseits aber das Zusammentreffen verschiedener Hinterbliebenenrenten - besonders - geregelt (Abs 2 für das Zusammentreffen mehrerer Witwen- oder Witwerrenten; Abs 3 für das Zusammentreffen mehrerer Waisenrenten). Daraus folgt, dass der Gesetzgeber im Recht der gesetzlichen Rentenversicherung (auch) bei der Begrenzung der Leistungshöhe grundsätzlich zwischen Renten aus eigener Versicherung und (abgeleiteten) Hinterbliebenenrenten unterscheidet.

In der Rechtsprechung des BSG ist dieses Prinzip - soweit ersichtlich - zuletzt bezogen auf das Zusammentreffen einer Bergmannsaltersrente nach Art 2 § 8 des Rentenüberleitungsgesetzes (RÜG) und einer Hinterbliebenenrente nach den Vorschriften des SGB VI umgesetzt worden durch das Urteil des 8. Senats vom (B 8 KN 12/00 R - SozR 3-2600 § 319b Nr 3), wonach § 319b SGB VI (Übergangszuschlag) nur das Zusammentreffen gleichartiger Rentenansprüche erfasst. Beim Zusammentreffen einer eigenen Rentenleistung mit einer Witwen- oder Witwerrente kann es auch nach Ansicht des 8. Senats des BSG nur zu einer Anrechnung gemäß § 97 SGB VI iVm §§ 18 ff des Vierten Buches Sozialgesetzbuch kommen.

Die Ansicht der Beklagten lässt sich auch nicht aus dem Beschluss des Großen Senats (GS) des - BSGE 49, 175 = SozR 5050 § 15 Nr 13) herleiten. Danach sind zwar für den Hinterbliebenenrentenanspruch eines Berechtigten iS des § 1 Buchst a FRG, dessen verstorbener Ehegatte selbst nicht die Voraussetzungen dieser Vorschrift (Buchst a bis d) erfüllt, alle vom Versicherten bis zum Zeitpunkt der Vertreibung des Hinterbliebenen zurückgelegten Beitragszeiten nach §§ 14, 15 FRG auch dann zu berücksichtigen, wenn der Versicherte erst nach der Vertreibung des Hinterbliebenen verstorben ist. Der Hinterbliebene erhält also Versicherungszeiten des verstorbenen Versicherten auch dann angerechnet, wenn dieser selbst nicht die Voraussetzungen des § 1 Buchst a bis d FRG erfüllt.

Dies könnte den Schluss zulassen, dass der Gesetzgeber - zumindest im Bereich des Fremdrentenrechts - keine strikte Trennung der "Berechtigten" und der Versicherungszeiten ("Entgeltpunkte" iS des SGB VI) nach eigener Versicherung und einem abgeleiteten Hinterbliebenenrentenanspruch vornimmt, zumal der GS im Beschluss vom ausführt, aus der für erforderlich gehaltenen Eingliederung der Flüchtlinge und Vertriebenen ergebe sich das Bedürfnis, Hinterbliebenen in ihrer Rechtsposition zur Rentenversicherung eine dem "Versicherten" selbst zustehende Gleichrangigkeit einzuräumen, wenn sie selbst jenem Personenkreis zuzurechnen seien. Danach sollen diese Hinterbliebenen ein eigenes Guthaben von Versicherungszeiten erhalten, das auch als "originäres Leistungsrecht" bezeichnet werde. Damit werde zugleich der im Rentenrecht sonst vorherrschende Grundsatz, dass das Hinterbliebenenrentenrecht grundsätzlich (nur) ein vom Versichertenrecht abgeleiteter Anspruch sein könne, zumindest partiell verlassen.

Das bedeutet jedoch nicht, dass im Bereich des Fremdrentenrechts (zumindest seit dem Beschluss des GS des ) - in Abgrenzung zum sonstigen Rentenversicherungsrecht - keine Differenzierung zwischen einem Rentenanspruch aus eigenem Recht und einem Hinterbliebenenrentenanspruch aus abgeleitetem Recht vorzunehmen wäre. Der GS betont nur, dass aufgrund des - damals vorherrschenden - Eingliederungsgedankens des Fremdrentenrechts der Hinterbliebene so gestellt werden solle, wie er stehen würde, wenn er (und der verstorbene Versicherte, sein Ehepartner) sein (ihr) gesamtes Versicherungsleben in der Bundesrepublik Deutschland zurückgelegt hätte(n).

Aus dem Eingliederungsgedanken des Fremdrentenrechts (damaliger Zeit) sollen also keine Unterscheidungen danach getroffen werden, ob auch der verstorbene Versicherte dem Personenkreis des § 1 Buchst a bis d FRG zuzurechnen war, wann er verstorben ist und ob er in der Hinterbliebenenrente anrechenbare Versicherungszeiten vor oder nach der Vertreibung des Berechtigten zurückgelegt hat. Damit werden alle Voraussetzungen dafür erfüllt, dass der Hinterbliebene auch dann aus der Versicherung des Verstorbenen ein Hinterbliebenenrentenanspruch herleiten kann, wenn die spezifischen Voraussetzungen des Fremdrentenrechts in der Person des verstorbenen Versicherten nicht erfüllt waren.

Der GS hat im Beschluss vom lediglich verdeutlicht, dass der im alten Fremd- und Auslandsrentengesetz verankerte Gedanke der Entschädigung bzw Ersatzleistung mit Schaffung des FRG zugunsten des Gedankens der Eingliederung der Vertriebenen und Flüchtlinge in ihre neue Heimat verlassen worden ist. Das bedeutet jedoch nicht, dass mit diesem Systemwechsel zugunsten einer Eingliederung in das vorhandene Rentensystem der Bundesrepublik Deutschland eine Besserstellung der Hinterbliebenen hinsichtlich der Beanspruchung von Hinterbliebenenrente einhergehen sollte.

Der im Beschluss des GS vom betonte Eingliederungsgedanke liegt dem aktuellen Fremdrentenrecht in dieser Form nicht mehr zugrunde. Wie der 5. Senat des BSG in seinem Urteil vom (B 5 RJ 26/98 R - BSGE 85, 161 = SozR 3-5050 § 22 Nr 7) ausgeführt hat, hat der Gesetzgeber mit dem RÜG einen Prozess der Ersetzung des Eingliederungsprinzips durch ein Prinzip der "Grundsicherung" oder des "sozialen Ausgleichs" eingeleitet (vgl auch Podlech/Azzola/Dieners, RV 1998, 177, 195 f; Moser, Kompaß 1996, 499, 501 f; Wilmerstadt, DAngVers 1989, 164, 168). Als Konsequenz hieraus hat der 5. Senat des BSG abgeleitet, die Befugnis des Gesetzgebers zu (Renten-)Kürzungen gehe umso weiter, je mehr das Schutzobjekt (Rentenansprüche und Rentenanwartschaften) in einem sozialen Bezug stehe.

Dieser Prozess der Ersetzung des Eingliederungsprinzips durch ein Prinzip der "Grundsicherung" oder des "sozialen Ausgleichs" ist mit den Rechtsänderungen in § 22 Abs 4 FRG und der Einführung des § 22b Abs 1 Satz 1 FRG fortgeführt worden. Der Gesetzgeber hat jedoch - wie oben ausgeführt - eine Begrenzung des Werts der Rente eines Berechtigten auf höchstens 25 EP bisher ausdrücklich auf "anrechenbare Zeiten" nach diesem Gesetz sowie auf den "Berechtigten" an diesen Zeiten begrenzt. Der "eingeleitete" Prozess der Ersetzung des Eingliederungsprinzips durch ein Prinzip der Grundsicherung oder des sozialen Ausgleichs ist insoweit - offenbar - noch nicht abgeschlossen, als der Gesetzgeber die Begrenzung auf höchstens 25 EP auf alle Ansprüche eines Berechtigen - sei es aus eigener Rente, sei es aus abgeleitetem Recht - erreichen möchte.

Inhaltlich vom Beschluss des GS des - BSGE 49, 175 = SozR 5050 § 15 Nr 13) abgerückt ist der Gesetzgeber jedenfalls mit Einfügung des § 14a in das FRG. Hiernach werden ab bei Renten wegen Todes an Witwen und Witwer von Personen, die nicht zum Personenkreis des § 1 FRG gehören, Zeiten nach diesem Gesetz nicht (mehr) angerechnet. Für § 22b FRG - und damit die grundsätzliche Möglichkeit, neben der Rente aus eigener Versicherung (mit mindestens 25 EP) eine Hinterbliebenenrente aus abgeleitetem Recht zu beziehen - ist eine Abkehr vom Eingliederungsgedanken bisher nicht in gleicher Weise zum Ausdruck gekommen: Eine dem § 14a Satz 1 FRG mit der Übergangsregelung des § 14a Satz 2 FRG korrespondierende Regelung ist bisher nicht erlassen worden.

Im Einklang mit der Rechtsprechung des 4. und des 5. Senats des BSG geht der erkennende Senat vielmehr davon aus, dass der Prozess der Ersetzung des Eingliederungsprinzips durch das Prinzip der Grundsicherung oder des sozialen Ausgleichs ein fortlaufender ist, der mit der bisherigen Regelung des § 22b Abs 1 Satz 1 FRG keinen Abschluss gefunden hatte und der nun möglicherweise durch das beabsichtigte Rentenversicherungs-Nachhaltigkeitsgesetz (RV-Nachhaltigkeitsgesetz) fortgesetzt wird.

Nach Art 8 Nr 2 des Entwurfs zum RV-Nachhaltigkeitsgesetz soll § 22b Abs 1 Satz 1 FRG wie folgt gefasst werden (BT-Drucks 15/2149 S 15):

"Für anrechenbare Zeiten nach diesem Gesetz werden für Renten aus eigener Versicherung und wegen Todes eines Berechtigten insgesamt höchstens 25 EP der Rentenversicherung der Arbeiter und der Angestellten zugrunde gelegt."

Dies sowie die Begründung hierzu zeigen, dass der Gesetzgeber selbst erkannt hat, dass er sein möglicherweise bereits früher angestrebtes Regelungsziel bisher offenbar nicht erreicht hat; er muss zu dem Zweck der beabsichtigten umfassenden Begrenzung auf 25 EP daher "nachbessern" und geltendes Recht ändern bzw ergänzen.

Nach der Begründung zu Art 8 Nr 2 des Entwurfs zum RV-Nachhaltigkeitsgesetz soll zwar lediglich "klargestellt" werden, dass - entgegen der Auffassung des BSG im Urteil des 4. Senats vom (B 4 RA 118/00 R - BSGE 88, 288 = SozR 3-5050 § 22b Nr 2) - auch für einen einzelnen Berechtigten mit Anspruch auf eine eigene Versichertenrente und auf eine Hinterbliebenenrente der Höchstwert für alle seine Renten insgesamt auf 25 EP begrenzt werden soll. Der Gesetzgeber geht insoweit - entsprechend der Begründung zu Art 13 Abs 3 des Entwurfs zum RV-Nachhaltigkeitsgesetz (Inkrafttretens-Regelungen) - von einer "authentischen Interpretation" seiner bisherigen Regelung aus (BT-Drucks 15/2149 S 32). Deswegen soll diese Änderung nach dem Gesetzesentwurf auch rückwirkend zum in Kraft treten.

Tatsächlich läuft die geplante Neufassung des § 22b Abs 1 Satz 1 FRG - sollte der Entwurf des RV-Nachhaltigkeitsgesetzes in seinem Art 8 Nr 2 Gesetz werden - aber auf eine inhaltliche Änderung dieser Vorschrift hinaus. Die bisherige nicht eindeutige Formulierung "für anrechenbare Zeiten ... für einen Berechtigten" wird ersetzt durch den eindeutigen Wortlaut "für anrechenbare Zeiten ... für Renten aus eigener Versicherung und wegen Todes eines Berechtigten". Diese Ergänzung des Gesetzeswortlauts geht über eine Klarstellung hinaus.

Der Regelungsgehalt einer Vorschrift bestimmt sich nach seinem objektiven Normverständnis. Dieses Verständnis wiederum wird repräsentiert durch die Rechtsprechung, wie diese die Vorschrift versteht bzw auslegt. Auch wenn der Gesetzgeber - wie aus der Gesetzesbegründung zum beabsichtigten RV-Nachhaltigkeitsgesetz hervorgeht - mit dieser Rechtsprechung und ihrer Auslegung des Gesetzes nicht einverstanden ist, kann er wegen des objektiven Normverständnisses nicht selbst bestimmen, wie eine Vorschrift "authentisch" zu interpretieren sei.

Von einer "authentischen Interpretation" des bisherigen § 22b Abs 1 Satz 1 FRG durch die beabsichtigte Neuregelung vermag der Senat im Übrigen auch deshalb nicht auszugehen, weil Abs 1 der Vorschrift bisher den Anspruch eines Berechtigten regelt, während sedes materiae für die Regelung des Zusammentreffens der Ansprüche zweier Ehegatten oder in eheähnlicher Gemeinschaft zusammenlebender Berechtigter Abs 3 ist. Dann aber hätte es nahe gelegen, eine Regelung zu den maximal berücksichtigungsfähigen EP aus einer eigenen und einer vom versicherten Ehepartner abgeleiteten (Hinterbliebenen-)Rente - auch nach dem Tode eines Berechtigten - bei diesem Normteil anzusiedeln. Von einer ergänzungsbedürftigen Unvollständigkeit des Abs 1 der Vorschrift insoweit war daher nicht ohne weiteres auszugehen.

Ob überdies das beabsichtigte rückwirkende In-Kraft-Setzen des geänderten § 22b Abs 1 Satz 1 FRG zum (Art 13 Abs 3 des Gesetzesentwurfs) den engen Grenzen einer zulässigen echten Rückwirkung gerecht wird, mag dahinstehen.

Wie das SG zutreffend entschieden hat, ist die Beklagte zur Zahlung auch der Hinterbliebenenrente - diese ebenfalls begrenzt auf 25 EP - verpflichtet. Der Rentenartfaktor von 0,6 führt dann dazu, dass die EP aus der Hinterbliebenenrente faktisch auf 15 begrenzt werden, so dass der Klägerin - wie es § 22b Abs 3 FRG auch bei Ehegatten vorsieht - insgesamt ein Anspruch auf (zwei) Renten mit einer Begrenzung auf höchstens insgesamt 40 EP zusteht. Auf die Revision der Klägerin war daher das erstinstanzliche Urteil wieder herzustellen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs 1 des Sozialgerichtsgesetzes.

Fundstelle(n):
CAAAC-15085