BSG Urteil v. - B 12 AL 2/04 R

Leitsatz

Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.

Gesetze: SGG § 75

Instanzenzug: LSG Niedersachsen-Bremen vom

Gründe

I

Die Beteiligten streiten zuletzt um die Höhe der Rentenversicherungsbeiträge, die die beklagte Bundesagentur für Arbeit (BA) der beigeladenen Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA) im Rahmen der Gewährung von Arbeitslosenhilfe (Alhi) für die Zeit vom 1. Januar bis zu zahlen hat.

Der Kläger bezog bis zur Erschöpfung des Anspruchs am Arbeitslosengeld und auf Grund des Bescheides der Beklagten vom ab dem Alhi nach einem Bemessungsentgelt von 1.180,00 DM in Höhe von 65,03 DM täglich. Ab dem änderte sich der Leistungssatz bei unverändertem Bemessungsentgelt auf 66,50 DM täglich (Bescheid vom ). Nach Ablauf des Bewilligungsabschnitts erhielt der Kläger ab dem Alhi nach einem Bemessungsentgelt von nunmehr 1.150,00 DM in Höhe von 65,29 DM täglich.

Nachdem ihn die Beklagte mit Schreiben vom über die ab dem geltenden Regelungen des § 166 Abs 1 Nr 2a des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VI) informiert hatte, wandte sich der Kläger mit Schreiben vom gegen die Herabsetzung des Rentenbeitrags und beantragte gemäß § 44 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch (SGB X) die Rücknahme der Alhi-Bewilligung vom . Er sei über die Herabsetzung des Rentenbeitrags nicht informiert worden, sodass er nicht rechtzeitig habe Widerspruch einlegen können. Es verstoße gegen Art 3 des Grundgesetzes, wenn bei Alhi-Empfängern anders als bei Arbeitnehmern der gewöhnlich anfallende Abzug für die Rentenversicherung nicht vollständig an den Rentenversicherungsträger abgeführt werde. Außerdem verstoße die Regelung gegen das Rückwirkungsverbot und das Grundrecht auf Eigentum.

Mit Bescheid vom lehnte die Beklagte die Aufhebung ihres Bescheides vom ab, weil die ab dem geltenden geänderten Vorschriften richtig angewandt worden seien. Widerspruch, Klage und Berufung des Klägers sind erfolglos geblieben (Widerspruchsbescheid der Beklagten vom , Urteile des Sozialgerichts <SG> Braunschweig vom und des Landessozialgerichts <LSG> Niedersachsen-Bremen vom ). Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung im Wesentlichen ausgeführt: Der Bewilligungsbescheid der Beklagten vom enthalte keine Regelung über die Art und Höhe der Abführung von Rentenversicherungsbeiträgen. Der Kläger könne daher sein Ziel, die Zahlung höherer Rentenversicherungsbeiträge an den Rentenversicherungsträger durch die Beklagte, auch nicht durch eine Änderung dieses Bescheides erreichen. Mit seinem Schreiben vom habe der Kläger jedoch gleichzeitig begehrt, dass die Beklagte für ihn Rentenversicherungsbeiträge in der bisherigen Höhe abführt. Auch dies habe die Beklagte mit den angegriffenen Bescheiden abgelehnt, sodass sie auch mit diesem Regelungsgehalt zu überprüfen seien. Die Ausführungen der Beklagten zu § 166 Abs 1 Nr 2a SGB VI seien nicht zu beanstanden. Ein Verstoß gegen Verfassungsbestimmungen liege nicht vor.

Mit seiner hiergegen eingelegten Revision verfolgt der Kläger sein Begehren weiter. Die Beklagte sei im vorliegenden Verfahren nicht passivlegitimiert. Der Kläger mache seinen Anspruch auf Anwendung des alten Rechts im Hinblick auf die Frage der Höhe seiner Rentenversicherungsbeiträge auch gegenüber dem beizuladenden Rentenversicherungsträger geltend.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom und das Urteil des Sozialgerichts Braunschweig vom aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom zu verurteilen, für den Kläger für die Zeit vom 1. Januar bis Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung auf der Grundlage beitragspflichtiger Einnahmen in Höhe von 80 vH des der Arbeitslosenhilfe zu Grunde liegenden Arbeitsentgelts zu entrichten,

hilfsweise, die Beigeladene zu verurteilen, beim Kläger für die Zeit des Arbeitslosenhilfebezuges vom 1. Januar bis weiterhin 80 vH des Bemessungsentgelts für die Arbeitslosenhilfe als rentenversicherungspflichtiges Entgelt festzustellen und bei der Altersrente zu berücksichtigen,

hilfsweise das angefochtene Urteil aufzuheben und den Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Der Kläger sei mit der Rüge der fehlenden Beiladung des Rentenversicherungsträgers als Verfahrensmangel präkludiert. Die Voraussetzungen einer Beiladung nach § 75 Sozialgerichtsgesetz (SGG) seien darüber hinaus auch nicht erfüllt. SG und LSG hätten nach der Rechtsprechung des , und vom , B 12 AL 4/03 R) auch im Fall der Beiladung nicht nach § 75 Abs 5 SGG gegenüber dem Rentenversicherungsträger entscheiden dürfen. § 166 Abs 1 Nr 2a SGB VI sei schließlich nach Auffassung der Beklagten auch nicht verfassungswidrig.

Der Senat hat beim Kläger eine Ablichtung des Bescheides vom angefordert und die BfA mit deren Einverständnis beigeladen.

II

Die Revision des Klägers bleibt in der Sache ohne Erfolg. Im Ergebnis zutreffend hat das LSG seine Berufung gegen das klageabweisende Urteil des SG abgewiesen. Die Anfechtungsklage gegen den Bescheid der beklagten BA vom in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom ist teils unzulässig, teils unbegründet. Eine Verurteilung der beigeladenen BfA kommt im vorliegenden Verfahren nicht in Betracht.

1. Die Klage ist nach dem allein auf Bescheide der Beklagten bezogenen maßgeblichen Begehren des Klägers (§ 123 SGG), der Sache nach, von Anfang an sowie nach der noch innerhalb der Klagefrist vorgenommenen Richtigstellung auch ausdrücklich gegen die BA und nicht gegen die beigeladene BfA gerichtet. Ein Parteiwechsel hat nicht stattgefunden.

Entgegen der Revision ist eine Aufhebung und Zurückverweisung wegen eines Verfahrensfehlers nach § 170 Abs 2 Satz 2 SGG ausgeschlossen. Zwar handelt es sich bei der von den Vorinstanzen unterlassenen notwendigen Beiladung der BfA um einen in der Revisionsinstanz von Amts wegen zu beachtenden Mangel des gerichtlichen Verfahrens (BSG SozR 1500 § 75 Nr 1 und 20). Ihre Beiladung war nämlich durch § 75 Abs 2 Regelung 1 SGG geboten, da jede denkbare Sachentscheidung des vorliegenden Rechtsstreits zugleich unmittelbar in die Rechtssphäre des Rentenversicherungsträgers eingreift, der als Gläubiger der streitigen Beitragsforderung allein sachentscheidungsbefugt ist. Indes konnte dieser Verfahrensfehler mit Zustimmung der Beigeladenen auch noch während des Revisionsverfahrens behoben werden (§ 168 Satz 2 Regelung 2 SGG idF des Gesetzes zur Entlastung der Rechtspflege vom <BGBl I 50>), sodass er im Blick auf die eingetretene Heilung unbeachtlich ist (vgl BT-Drucks 12/1217 S 54 zu Art 7 Nr 13). Ob daneben auch eine Verurteilung nach § 75 Abs 5 SGG in Betracht kommt (vgl hierzu nachfolgend unter 6.), ist entgegen der Ansicht der Beklagten ggf Folge einer notwendigen Beiladung der dort Genannten, nicht aber ihre Voraussetzung.

2. Hintergrund des Rechtsstreits ist eine Änderung des Rechts der gesetzlichen Rentenversicherung im SGB VI. Bis zum waren bei Beziehern von Alhi als beitragspflichtige Einnahme 80 vH des dieser Leistung zu Grunde liegenden Arbeitsentgelts, vervielfältigt mit dem Wert, der sich ergibt, wenn die zu zahlende Alhi durch die ohne Berücksichtigung von Einkommen zu zahlende Alhi geteilt wird, höchstens jedoch der sich bei entsprechender Anwendung von Nr 2 des § 166 Abs 1 SGB VI ergebenden Einnahmen zu berücksichtigen (§ 166 Abs 1 Nr 2a SGB VI). Dagegen galt ab dem § 166 Abs 1 Nr 2a SGB VI idF von Art 22 Nr 2 Buchst b des Haushaltssanierungsgesetzes vom (BGBl I 2534). Beitragspflichtige Einnahme ist hiernach die gezahlte Alhi. Nur noch auf dieser, gegenüber dem früheren Recht geminderten Grundlage, hat für den streitigen Zeitraum auch die BA als zur Zahlung verpflichteter Leistungsträger (§ 173 Satz 2 SGB VI) für den Kläger Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung entrichtet (vgl § 191 Satz 1 Nr 2, Satz 2 SGB VI iVm § 28a Abs 1 bis 3 des Vierten Buches Sozialgesetzbuch - Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung).

3. Soweit die Revision davon ausgeht, dass "die Beklagte nicht der richtige Klagegegner ist", will sie dies erkennbar nicht auch auf ihre kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage gegen die von der Beklagten verweigerte Aufhebung bestandskräftiger Verwaltungsakte erstreckt wissen. Andernfalls wäre ihr dennoch aufrechterhaltener Hauptantrag unschlüssig. Die Klage ist insofern jedoch unbegründet. Die Beklagte hat es mit Bescheid vom in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom abgelehnt, ihren Bescheid vom nach § 44 SGB X aufzuheben. Dies erweist sich jedenfalls deshalb als im Ergebnis zutreffend, weil der sachliche Anwendungsbereich der Vorschrift nur dann eröffnet ist, wenn "objektiv" überhaupt ein wirksamer und nachträglich wieder aufzuhebender Verwaltungsakt vorliegt. § 44 SGB X nimmt insofern auf den Begriff des Verwaltungsakts in § 31 Satz 1 SGB X Bezug. Verwaltungsakt ist danach jede Verfügung, Entscheidung oder andere hoheitliche Maßnahme, die eine Behörde zur Regelung eines Einzelfalles auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts trifft und die auf unmittelbare Rechtswirkung nach außen gerichtet ist. Die Beklagte hat jedoch - wovon auch das Berufungsgericht zutreffend ausgeht - unter dem auch nicht andeutungsweise eine derartige Regelung zu den Rentenversicherungsbeiträgen des Klägers getroffen und durch Begründung, Veränderung oder Aufhebung eines subjektiven Rechts oder einer Pflicht eine Rechtsfolge gesetzt (vgl insofern zum Begriff der Regelung etwa Engelmann in von Wulffen, Kommentar zum SGB X, 4. Aufl, 2001, § 31 RdNr 24).

4. Ebenfalls als richtigen Beklagten sieht der Kläger die beklagte BA darüber hinaus an, soweit er von einem weitergehenden Regelungsgehalt der angegriffenen Bescheide ausgeht. Entgegen der Auffassung des LSG hat die Beklagte jedoch mit dem Bescheid vom in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom nicht gleichzeitig eine weitere Regelung des Inhalts getroffen, dass sie es ablehne, für den Kläger Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung in bisheriger Höhe abzuführen. Weder der Wortlaut noch Sinn und Zweck oder der Gesamt-Kontext des dort unter ausschließlicher Berufung auf § 44 SGB X und den gerade hierauf bezogenen Antrag des Klägers vom Verlautbarten lassen ein derartiges Verständnis zu. Vielmehr ergibt bereits der Umstand, dass die Beklagte in ihrem Bescheid vom zu Unrecht auch einen rechtlich zutreffenden, bindenden und daher auch nach erneuter Überprüfung aufrecht zu erhaltenden Verwaltungsakt über die Höhe der Rentenversicherungsbeiträge verkörpert sehen will, dass aus ihrer Sicht keine Notwendigkeit bestanden haben kann, mit demselben Ergebnis einen weiteren Verwaltungsakt zu erlassen. In Ermangelung des erforderlichen Verwaltungsakts ist die Klage daher insofern bereits unzulässig (§ 54 Abs 1 Satz 1 Regelung 1 und 2 SGG).

5. Der Kläger geht darüber hinaus bereits selbst zutreffend davon aus, dass er gegen die Beklagte auch keinen durchsetzbaren Anspruch auf Zahlung höherer Rentenversicherungsbeiträge hat (vgl Urteil des Senats vom , B 12 AL 5/03 R, SozR 4-2600 § 191 Nr 1). Die BA hat unmittelbar an den Rentenversicherungsträger die wirtschaftlich vom Bund getragenen (§ 170 Abs 1 Nr 1 SGB VI) Beiträge zu zahlen (§ 173 Satz 2 SGB VI), ohne dass ihr hierdurch eine eigene Entscheidungskompetenz zuerkannt wäre. Allein der beigeladene Rentenversicherungsträger ist Gläubiger der entsprechenden Forderungen und hat damit gemäß § 212 Satz 1 SGB VI die öffentlich-rechtliche Pflicht, die rechtzeitige und vollständige Zahlung unmittelbar an ihn zu entrichtender Pflichtbeiträge zu überwachen. Dem Kläger steht daher weder ein im Wege der reinen Leistungsklage nach § 54 Abs 4 SGG durchsetzbares eigenes Forderungsrecht zu, noch kann er im Wege der Feststellungsklage nach § 55 Abs 1 Nr 1 SGG gegen die beklagte BA deren Beitragsschuld gegenüber der beigeladenen BfA als zwischen Dritten bestehendes Rechtsverhältnis klären lassen. Hat daher der Leistungsbezieher Zweifel an der Richtigkeit der Entrichtung von Beiträgen in zutreffender Höhe, bleibt ihm vielmehr nur, sich an den sachlich zuständigen und daher im Prozess allein passiv-legitimierten Rentenversicherungsträger zu wenden. Allein dieser hat als Ergebnis eines von ihm durchzuführenden Verwaltungsverfahrens Streitigkeiten ua über die Beitragshöhe durch Verwaltungsakt zu klären. Damit gilt grundsätzlich nichts anderes als für Arbeitnehmer, die den Streit über die Verpflichtung zur Zahlung von Rentenversicherungsbeiträgen und deren Höhe ebenfalls nicht mit ihrem Arbeitgeber, sondern zulässig allein mit der in diesen Fällen zuständigen Einzugsstelle auszutragen haben (vgl hierzu die Entscheidung des Senats vom , 12 RK 63/94, SozR 3-2400 § 28h Nr 5 mwN).

6. Der Senat konnte schließlich auch nicht gegenüber der im Revisionsverfahren beigeladenen BfA entscheiden, ob Beiträge auf der Grundlage eines höheren Bemessungsentgelts zu entrichten sind. Wie der Senat zuletzt für das Einzugsstellenverfahren entschieden hat (Urteil vom , B 12 RA 3/02 R, SozR 4-2400 § 28h Nr 1), ist in den Fällen einer gesetzlich abschließend und eindeutig bestimmten Zuständigkeit eine Verurteilung der beigeladenen Einzugsstelle auf eine im Verfahren gegen den sachlich unzuständigen Versicherungsträger hilfsweise erhobene Feststellungsklage ausgeschlossen. Die allein in Betracht kommende "entsprechende" Anwendung von § 75 Abs 5 SGG würde andernfalls zu einer Aushöhlung des Entscheidungsmonopols der Einzugsstelle und des Erfordernisses einer von ihr vor Prozessbeginn getroffenen Verwaltungsentscheidung führen. Für Verfahren, in denen zunächst der Arbeitgeber (vgl hierzu Urteil des Senats vom , 12 RK 31/93, SozR 3-2400 § 28h Nr 6 S 20) oder - wie hier - ein Leistungsträger verklagt wurde, gilt nichts anderes.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:

Fundstelle(n):
YAAAC-14836