BGH Beschluss v. - 1 StR 71/04

Leitsatz

[1] Wird eine Verurteilung zu Jugendstrafe mit Bewährung nachträglich in eine Verurteilung zu Jugendstrafe ohne Bewährung einbezogen, ist für einen die Strafvollstreckung verkürzenden Ausspruch über die Anrechnung von Bewährungsleistungen - anders als bei einer nachträglich gebildeten Gesamtfreiheitsstrafe (vgl. BGHSt 36, 378) - kein Raum.

Gesetze: JGG § 31 Abs. 2

Instanzenzug:

Gründe

1. Der zur Tatzeit 20 Jahre und elf Monate alte Angeklagte hatte aus Eigennutz im April 2003 insgesamt fast 700 Gramm verpacktes Kokain geschluckt und von Venezuela nach Deutschland gebracht. Deshalb wurde er unter Einbeziehung eines Urteils vom (§ 31 Abs. 2 JGG) zu einer Jugendstrafe von drei Jahren und zwei Monaten verurteilt. Damals war gegen ihn wegen mehrerer Verstöße gegen das BtMG eine Jugendstrafe von zehn Monaten verhängt und schließlich (vgl. § 57 JGG) zur Bewährung ausgesetzt worden.

2. Die auf die nicht näher ausgeführte Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten bleibt erfolglos (§ 349 Abs. 2 StPO). Der näheren Ausführung bedarf nur folgendes:

Ausweislich der Urteilsgründe hat der Angeklagte im Rahmen der einbezogenen Sache 90 Stunden Arbeit als Bewährungsleistung erbracht. Eine Anrechnung dieser Leistungen auf die jetzige Strafe durch einen deren Vollstreckung verkürzenden Ausspruch hat die Jugendkammer nicht vorgenommen. Dies gefährdet den Bestand des Strafausspruchs jedoch nicht.

a) Wird in eine nachträglich gebildete Gesamtfreiheitsstrafe ohne Bewährung eine zur Bewährung ausgesetzte Strafe einbezogen und ist für Bewährungsleistungen (z.B. Geldzahlung oder Arbeitsleistung) ein Ausgleich geboten (§ 58 Abs. 2 Satz 2 i.V.m. § 56 f Abs. 3 StGB), so hat dies durch eine die Strafvollstreckung verkürzende Anrechnung auf die Gesamtfreiheitsstrafe zu erfolgen (st. Rspr. seit BGHSt 36, 378). Die Auffassung, dies gelte auch bei einer nachträglich gebildeten Einheitsjugendstrafe (so OLG Köln VRS 100, 64 ff.; Brunner/Dölling JGG 11. Aufl. § 31 Rdn. 15; Eisenberg JGG 10. Aufl. § 31 Rdn. 51: Schoreit in Diemer/Schoreit/Sonnen JGG 4. Aufl. § 31 Rdn. 36; Ostendorf JGG 6. Aufl. § 31 Rdn. 23), teilt der Senat nicht.

b) Während § 58 Abs. 2 Satz 2 StGB ausdrücklich auf § 56 f Abs. 3 StGB verweist, verweist § 31 Abs. 2 JGG nicht auf die § 56 f Abs. 3 StGB entsprechende Anrechnungsregelung des § 26 Abs. 3 Satz 2 JGG. Berücksichtigt man weiter, daß § 31 Abs. 2 Satz 2 JGG eine anderweitige Anrechnungsfrage ausdrücklich behandelt, so spricht insgesamt daher schon die Gesetzessystematik gegen eine Übertragbarkeit der genannten Grundsätze des allgemeinen Strafrechts auf das Jugendrecht.

c) Insbesondere folgt dies aber aus den unterschiedlichen Grundsätzen, die bei der Anwendung von § 31 Abs. 2 JGG einerseits und der Anwendung von § 55 StGB andererseits zu beachten sind. Bei der Anwendung von § 31 Abs. 2 JGG ist - anders als bei der Anwendung von § 55 StGB - nicht lediglich die frühere Strafe einzubeziehen, sondern eine neue, von der früheren Beurteilung unabhängige einheitliche Rechtsfolgenbemessung für sämtliche Taten vorzunehmen, also für die früheren ebenso wie für die jetzt abzuurteilenden, wobei eine rein rechnerische Berücksichtigung der einzubeziehenden Entscheidung rechtsfehlerhaft wäre (st. Rspr. seit BGHSt 16, 335 ff.). Die Unabhängigkeit der neuen von der früheren Strafbemessung zeigt sich besonders deutlich daran, daß die neue Strafe sogar niedriger sein kann als die Strafe in dem einbezogenen Urteil (BGHSt 37, 34, 40). Bei der Bildung einer nachträglichen Gesamtfreiheitsstrafe ist dagegen von der bereits festgesetzten Höhe der einzubeziehenden Strafe auszugehen, für jede weitere einzelne Tat eine eigene Strafe festzusetzen und sodann die höchste Einzelstrafe zu erhöhen, ohne daß jedoch die Summe der Einzelstrafen erreicht werden dürfte (§ 55 Abs. 1 i.V.m. § 54 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 2 Satz 1 StGB). Insgesamt haben demnach "rechnerische" Elemente im Rahmen von § 55 StGB eine erhebliche, im Rahmen von § 31 Abs. 2 JGG dagegen praktisch keine Bedeutung. Hat aber sogar die in dem einbezogenen Verfahren verhängte Jugendstrafe keine rechnerische Bedeutung, kann bei der Berücksichtigung von Bewährungsleistungen, die in diesem Zusammenhang erbracht worden sind, nichts anderes gelten.

d) Dieses Ergebnis wird auch nicht durch die Überlegung in Frage gestellt, daß es ein Gebot der Gerechtigkeit sei, den Widerruf einer Bewährung gemäß § 26 JGG und den Wegfall einer Bewährung im Hinblick auf § 31 Abs. 2 JGG gleich zu behandeln, da sonst derjenige, der sich um die Bewährungsauflagen nicht gekümmert hat, unangemessen bevorzugt würde (so OLG Köln aaO 66). Im Fall des § 26 JGG steht die nach einem Widerruf zu vollstreckende Strafe ihrer Höhe nach fest. Ein etwa gebotener Ausgleich für Bewährungsleistungen kann nur durch Anrechnung, also eine konkret ("rechnerisch") zu bestimmende Verkürzung der Dauer der zu vollstreckenden Strafe erfolgen. Im Falle des § 31 Abs. 2 JGG ist dagegen, wie dargelegt, eine umfassende Neubestimmung der Strafe vorzunehmen. In diesem Rahmen ist in jeder Richtung Raum für die Berücksichtigung der Erfüllung oder der Nichterfüllung von Bewährungsauflagen.

3. Ob, insbesondere im Hinblick auf den vorrangigen Erziehungsgedanken, im Falle des § 31 Abs. 2 JGG unabhängig etwa vom Gewicht sämtlicher Taten einerseits, dem Umfang der erbrachten Bewährungsleistungen andererseits und den übrigen Umständen des Einzelfalles die Berücksichtigung von Bewährungsleistungen stets ein im Sinne des § 54 JGG bestimmender und daher erörterungsbedürftiger Strafzumessungsgesichtspunkt ist, braucht der Senat hier nicht zu entscheiden. Die Jugendkammer hat ausdrücklich die für den Angeklagten sprechenden Umstände, "auch soweit sie die Entscheidung ... vom betreffen", in ihre Erwägungen einbezogen. Dem kann der Senat mit hinlänglicher Klarheit entnehmen, daß sie auch die vom Angeklagten im Rahmen dieses Verfahrens erbrachten Bewährungsleistungen bedacht hat.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:


Fundstelle(n):
XAAAC-10665

1Nachschlagewerk: nein