Leitsatz
[1] Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gesetze: StGB § 21; StGB § 64; StGB § 64 Abs. 1; StPO § 246 a
Instanzenzug: LG Neubrandenburg vom
Gründe
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Totschlags zu einer Freiheitsstrafe von sieben Jahren verurteilt; eine Unterbringung nach § 64 StGB hat es abgelehnt. Die auf die Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten führt auf die Sachrüge zur Aufhebung des Urteils mit Ausnahme der Feststellungen zum äußeren Sachverhalt; eines Eingehens auf die Verfahrensrügen, die die Nichtanordnung der Unterbringung betreffen, bedarf es deshalb nicht.
1. Nach den Feststellungen nahm der Angeklagte seit Jahren regelmäßig alkoholische Getränke im Übermaß zu sich. Auch am Tattag trank er mit dem später Geschädigten Manfred W. und weiteren Personen erhebliche Mengen Alkohol, bevor er sich am späten Nachmittag schlafen legte. Etwa zwei Stunden später wurde er von dem ebenfalls hochgradig alkoholisierten Manfred W. geweckt, der lautstark weiteren Alkohol forderte. Um ihn zur Ruhe zu bringen, wollte der Angeklagte, wie er es schon öfter getan hatte, Manfred W. in dessen Wohnung einschließen; er stieß ihn hinein und schlug ihn mehrfach mit der Faust. Es entwickelte sich eine Rangelei, in deren Verlauf Manfred W. ein Messer mit feststehender Klinge zog und dem Angeklagten vor das Gesicht hielt. Der Angeklagte, der eine BAK von 3,72 ‰ hatte, nahm ihm das Messer ab, wie er dies in der Vergangenheit bereits mehrfach problemlos getan hatte. Aus Wut über das Verhalten des Geschädigten und um dafür zu sorgen, daß dieser ihn künftig nicht nochmals so bedrohen werde, stach der Angeklagte das Messer dreimal mit erheblicher Intensität in den Rücken beziehungweise die Flanke des Geschädigten. Einer der Stiche verursachte eine Lungenverletzung, die zum alsbaldigen Tod des Opfers führte. Der Angeklagte begab sich in seine eigene Wohnung und teilte der Polizei telefonisch mit, er sei von Manfred W. angegriffen worden und befürchte eine weitere Bedrohung.
2. Der Schuldspruch wegen Totschlags hat keinen Bestand, weil der Tötungsvorsatz nicht ausreichend festgestellt ist. Das Landgericht hat das Vorliegen eines bedingten Tötungsvorsatzes allein aus der besonders gefährlichen Gewaltanwendung gefolgert. Zwar ist in der Rechtsprechung anerkannt, daß bei äußerst gefährlichen Gewalthandlungen der Schluß auf einen zumindest bedingten Tötungsvorsatz nahe liegt, doch ist dieser nur dann rechtsfehlerfrei, wenn der Tatrichter alle nach Sachlage in Betracht kommenden Tatumstände in seine Erwägungen einbezogen hat, die dieses Ergebnis in Frage stellen können (vgl. BGHR StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz, bedingter 50 m.w.N.). Hier fehlt es an einer Auseinandersetzung mit der erheblichen Alkoholisierung des Angeklagten, der zur Tatzeit eine BAK von 3,72 ‰ aufwies. Wegen dieser Alkohol-intoxikation hat das Landgericht - den Ausführungen des zur Schuldfähigkeitsbeurteilung gehörten Sachverständigen folgend - eine erheblich verminderte Schuldfähigkeit im Sinne des § 21 StGB angenommen. Bei dieser Sachlage versteht es sich nicht von selbst, daß der über das Verhalten des Manfred W. in Wut geratene Angeklagte trotz seiner erheblichen Alkoholisierung erkannt hat, daß seine Gewalthandlungen zum Tode des Opfers führen könnten, und diese Folge auch billigend in Kauf genommen hat (vgl. BGHR StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz, bedingter 26, 55). Wenn ein Täter durch Alkohol oder andere Rauschmittel in seiner Wahrnehmungsfähigkeit beeinträchtigt war, bedarf es besonderer Begründung, wenn der Tatrichter das Wissenselement des bedingten Vorsatzes aus der objektiven Gefährlichkeit der Tathandlung herleiten will. Eine solche Begründung läßt das angefochtene Urteil vermissen: Das Landgericht hat sich mit der erheblichen Alkoholisierung nur bei der Schuldfähigkeitsprüfung, nicht aber bei der Erörterung des Vorsatzes auseinandergesetzt. Das Urteil ist deswegen aufzuheben.
Da die Feststellungen zum äußeren Geschehensablauf, insbesondere zum Fehlen einer Notwehrlage, von diesem Rechtsfehler nicht betroffen sind, können sie aufrechterhalten bleiben.
3. Der neu entscheidende Tatrichter wird auch über die Frage einer Unterbringung des Angeklagten nach § 64 StGB zu befinden haben, und zwar, wie § 246 a StPO vorschreibt, unter Hinzuziehung eines Sachverständigen. Eine Unterbringungsentscheidung ist - wie die Revision zu Recht gerügt hat - rechtsfehlerhaft, wenn das Gericht es unterläßt, in der Hauptverhandlung einen Sachverständigen über den Zustand des Angeklagten und die Behandlungsaussichten zu vernehmen (vgl. BGHR StPO § 246 a Satz 1 Sachverständiger 1). Sowohl bei der Feststellung eines Hanges als auch bei der erforderlichen Gefährlichkeitsprognose ist das Gericht gehalten, sich sachverständiger Hilfe zu bedienen. Dieses Verfahrenserfordernis kann nicht etwa durch die in anderen Verfahren erworbenen und andere Angeklagte betreffende "eigene Sachkunde" des Gerichts ersetzt werden (; vgl. auch Meyer-Goßner StPO 46. Aufl. § 246 a Rdn. 1).
Bezüglich der Frage, ob bei dem bisher nicht bestraften Angeklagten infolge seines Hanges die Gefahr künftiger erheblicher Straftaten besteht, wird der neu entscheidende Tatrichter zu bedenken haben, daß die von § 64 Abs. 1 StGB geforderte Gefahr allein durch die Anlaßtat begründet werden kann (vgl. BGHR StGB § 64 Abs. 1 Gefährlichkeit 2; ; vgl. auch Tröndle/Fischer StGB 51. Aufl. § 64 Rdn. 11 m.w.N.).
Fundstelle(n):
RAAAC-08461
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