Leitsatz
[1] Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gesetze: StPO § 55; StPO § 349 Abs. 2; StPO § 349 Abs. 4; StPO § 358 Abs. 2; StGB § 55 Abs. 1; StGB § 57
Instanzenzug:
Gründe
Das Landgericht hat den Angeklagten H wegen Mordes in zwei Fällen unter Einbeziehung einer vom Landgericht Rostock wegen Totschlags in einem besonders schweren Fall verhängten lebenslangen Freiheitsstrafe zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe als Gesamtstrafe verurteilt und festgestellt, daß die Schuld des Angeklagten besonders schwer ist. Das Schwurgericht hat ferner den Angeklagten S wegen erpresserischen Menschenraubes und (gemeinschaftlichen) Mordes unter Einbeziehung einer wegen Beihilfe zum Totschlag des H verhängten Freiheitsstrafe von sieben Jahren zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe als Gesamtstrafe verurteilt und festgestellt, daß die Schuld auch dieses Angeklagten besonders schwer ist.
Die mit der allgemeinen Sachrüge geführte Revision des Angeklagten H ist unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO. Das Landgericht hat fehlerfrei dargelegt, daß H den Asylbewerber Sh eigenhändig getötet hat, um vorangegangene Straftaten zu dessen Nachteil zu verdecken, und daß er die Tötung des W organisierte, um als Begünstigter dessen Lebensversicherung in Anspruch nehmen zu können. Die Revision des Angeklagten S hat dagegen mit der Sachrüge Erfolg, soweit dieser Angeklagte wegen Mordes verurteilt worden ist. Dies zieht auch die Aufhebung der Gesamtfreiheitsstrafe nach sich. Das weitergehende Rechtsmittel ist unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.
1. Das Landgericht ist überzeugt, daß der ein Alibi behauptende Angeklagte S am zwischen 22.00 Uhr und 22.30 Uhr unter der Regie von H den W in dessen Pkw auf dem Universitätsparkplatz in Bremen durch zwei Kopfschüsse getötet hat. Dies stützt das Landgericht nach umfangreicher Beweiswürdigung insbesondere auf die vom Angeklagten durchgeführte, zur Tatzeit passende Fahrt vom Alibiort Köln zum Tatort und zurück und ferner darauf, daß der sich in der Hauptverhandlung auf § 55 StPO berufende Zeuge B als Schütze ausscheide. Das Schwurgericht folgt hier einer früheren Zeugenaussage B s, S habe ihm in der Tatnacht den Geldbeutel des Opfers und die Tatwaffe auf einem Parkplatz in der Nähe von Delmenhorst zur Entsorgung übergeben.
Diese Würdigung der Verstrickung des Zeugen B enthält einen sachlichrechtlichen Fehler, weil das Landgericht nicht alle Fragwürdigkeiten der Bekundungen dieses Zeugen in seine Gesamtschau aufgenommen hat (vgl. BGH StV 1997, 513, 514; Sander StV 2000, 45, 47 m.w.N.). Zwar kann deren umfassende Würdigung zur Mittäterschaft des Angeklagten S - bei Anwesenheit am Tatort ohne gesicherte eigenhändige Tatausführung - führen. Es kann aber - auch eingedenk der Feststellungen zur Rolle S s bei den beiden anderen Kapitalverbrechen - nicht sicher ausgeschlossen werden, daß eine fehlerfreie Beweiswürdigung lediglich zu einer Mitwirkung des Angeklagten S als Gehilfe an dem Tötungsverbrechen hätte führen können.
a) Nach den Feststellungen des Landgerichts bestanden zwischen dem Zeugen B und den Angeklagten H und S jahrelange persönliche Bindungen bis hin zur gemeinsamen Begehung auch schwerster Straftaten und zu nachfolgend falschen Tatbezichtigungen.
(1) So hatten sie am unter Mitwirkung und nach Weisungen des H den jungen Asylbewerber Sh entführt, der sich in eine Freundin des H verliebt hatte. S glaubte der von H entwickelten Legende, Sh habe für H bestimmte Drogen unterschlagen und müsse nun den Schaden ersetzen. Nach Mißhandlungen, deren Entdeckung H fürchtete und zu deren Begehung B und S Hilfe geleistet hatten, tötete H den Sh , um die bisherigen Straftaten zu verdecken. B verwahrte die Leiche mehrere Tage in seinem Transporter, mit dem er regelmäßig zu seiner Arbeitsstätte fuhr, und versenkte den Leichnam kurz vor Weihnachten 1995 mit großem Aufwand gemeinsam mit H in einem Baggersee bei Delmenhorst.
(2) In der Tatnacht des telefonierte B zwischen 19.02 Uhr und 23.18 Uhr achtmal mit dem Organisator dieser Tat, dem Angeklagten H . Dazu machte B in zwei polizeilichen Vernehmungen im März 1996 und Mai 1996 widersprüchliche, H entlastende Angaben. Nach dem Tod von W war H als Tatverdächtiger über seinen Verteidiger in den Besitz der kompletten Ermittlungsakte gelangt. H zeigte B Kopien von Obduktionsfotos und machte Witze über den Getöteten. Gegenüber der Zeugin P räumte er ein, für die Tötung des W "seine Leute" gehabt zu haben.
(3) Nach dem hier in Frage stehenden Tatgeschehen transportierte der Angeklagte H dann am einen von ihm konstruierten Verbrennungsofen von Bremen in eine in der Nähe von Rostock gelegene Ferienwohnungsanlage. Er hatte vor, die in ihn verliebte Prostituierte Po zu töten und ihren Leichnam in dem Ofen zu verbrennen. Der von H aus Düsseldorf herbeigerufene S half bei der Inbetriebnahme des Ofens und der Verbrennung der von H getöteten Frau.
Am traf H während seiner Flucht vor der Polizei mit B zusammen. H äußerte gegenüber B , er werde S massiv belasten, und stimmte mit B dessen Falschaussage im Fall Sh ab, mit der B den Angeklagten S zu Unrecht als Alleintäter bezichtigte. Auch für den Fall W verlangte H eine entlastende Aussage von B . Bei seiner Festnahme am bezichtigte H den Angeklagten S als Alleintäter hinsichtlich der Tötung des W . B bekundete während seiner polizeilichen Zeugenvernehmung am erst- und letztmalig, daß er am auf dem Autobahnparkplatz von S eine Plastiktüte mit dem Portemonnaie des Getöteten und eine Pistole zur Entsorgung erhalten hätte. Anschließend zeigte B der Polizei von ihm verborgene Waffenreste, darunter ein Griffstück der Tatwaffe.
b) Das Landgericht hält die polizeiliche Aussage B s, S habe ihm die Waffe zur Entsorgung übergeben, für glaubhaft, weil B für den Fall der Nichterweislichkeit einer Tatbegehung durch S mit seiner Offenbarung ein hohes Selbstbelastungsrisiko eingegangen wäre. Die Alibilücke des S , daß am eine Fahrt von Köln nach Bremen und zurück doch möglich war, sei ihm nämlich nicht bekannt gewesen. Diese Erwägung hätte bei der Besonderheit der vorliegenden Beweislage angesichts der Verstrickung des B in das kriminelle Umfeld des H und in die von H konzipierten Falschaussagen zum Nachteil des Angeklagten S aber nur nach besonders kritischer Prüfung zur Grundlage der Beweiswürdigung gemacht werden dürfen. Solches hat das Landgericht aber unterlassen, weshalb es das hier naheliegende Motiv für eine Falschaussage, ein von H konzipiertes Komplott zum Nachteil S s, nicht in den Blick genommen hat (vgl. BGHR StGB § 176 Abs. 1 Beweiswürdigung 3; ). Damit entfällt auch die Tragfähigkeit der Waffenübergabe für einen Schluß auf die unmittelbare Tatausführung des S .
Nach den Feststellungen des Landgerichts ist B ein Gefolgsmann des die jeweiligen Tatausführungen beherrschenden Angeklagten H , der, ausgestattet mit überlegener Intelligenz und Durchsetzungsvermögen, wiederholt die polizeilichen Aussagen ihm nahestehender Personen erfolgreich steuerte. Vor dem Hintergrund vollständiger Aktenkenntnis des H und der den Ermittlungsbehörden und H bekannten möglichen Alibilücke des S ist angesichts des Inhalts und der Entwicklung dieser Aussagen eine Einbindung des die Anweisungen H s stets befolgenden Zeugen B in ein Komplott zum Nachteil des Angeklagten S hinsichtlich der Übergabe der Waffe zur Entsorgung so naheliegend, daß dieser Gesichtspunkt der Erörterung bedurft hätte.
Daran vermag die Feststellung, daß sich B zur Tatzeit im Besitz der Tatwaffe befand und diese entsorgte, nichts zu ändern. Denn das Landgericht hat seiner Bekundung zur Waffenübergabe durch S eine zu große indizielle Bedeutung - jedenfalls für eine alleinige unmittelbare Tatausführung durch S - beigemessen (vgl. für den umgekehrten Fall zur Annahme eines zu starken Gewichts eines Indizes zur Entlastung BGH wistra 2002, 260, 262; ). Zwar stellt das Landgericht zutreffend darauf ab, daß eine Fahrt des Angeklagten S von Köln nach Bremen überflüssig gewesen wäre, falls B die Tat unmittelbar allein ausgeführt hätte. Das Landgericht hat aber bei seinem hieraus und aus B s Bekundung zur Waffenübergabe gezogenen Schluß, S habe W allein erschossen, dem entgegenstehende erhebliche Bedenken außer acht gelassen. In diesem Fall wäre nämlich die Übergabe der Tatwaffe an einen unbeteiligten Dritten zur bloßen Entsorgung ein für die erstrebte Tatverschleierung unsinniger, das Entdeckungsrisiko für den Angeklagten S erheblich steigernder Vorgang gewesen. Angesichts der Verstrickung des B in das kriminelle Umfeld des Angeklagten H , seiner Einbindung in von H gesteuerte unrichtige Belastungen des S und der vom Landgericht festgestellten, auf die Telefongespräche am Tattag gestützten konspirativen Verbindung zwischen beiden und schließlich der Berufung B s auf § 55 StPO, die schon allein zu besonders vorsichtiger Beweiswürdigung nötigt (vgl. BGHSt 47, 220, 223 f.), kann die vom Landgericht ohne kritische Wertung dieser Umstände in ihrer Gesamtheit hingenommene Aussage des Zeugen B keine tragende Grundlage für den Schuldspruch wegen Mordes sein.
2. Die Sache bedarf demnach neuer Aufklärung und Bewertung, soweit der Angeklagte S wegen gemeinschaftlichen Mordes verurteilt worden ist. Der Senat kann die für sich fehlerfrei getroffenen Feststellungen, mit denen das Landgericht das Alibi S s widerlegt hat, nicht aufrechterhalten.
3. Zur Anwendung des § 55 Abs. 1 StGB weist der Senat auf folgendes hin: Für den Fall, daß die gegen den Angeklagten durch verhängte und zur Bewährung ausgesetzte Freiheitsstrafe von sechs Monaten am Tag der Verkündung des angefochtenen Urteils () noch nicht erlassen war, begründet die Verurteilung durch das Amtsgericht eine Zäsur. Es ist dann eine Gesamtfreiheitsstrafe aus der rechtskräftigen Einzelfreiheitsstrafe von zehn Jahren (erpresserischer Menschenraub im Fall Sh ), der sechsmonatigen Freiheitsstrafe und einer (möglichen) Strafe wegen des Verbrechens zum Nachteil des W zu bilden. Die vom Landgericht Rostock am verhängte Freiheitsstrafe von sieben Jahren würde bestehen bleiben. Allerdings würde § 358 Abs. 2 StPO einen Nachteil in Gestalt einer härteren Bestrafung verbieten (BGHSt 45, 308, 310 m.w.N.). Ein solcher würde nicht vorliegen, falls der Angeklagte S in dem aufgehobenen Fall zu zeitiger Freiheitsstrafe verurteilt und folglich auf eine Gesamtfreiheitsstrafe bis zu 15 Jahren erkannt würde; dann stünde er angesichts insgesamt zeitiger Strafen und niedrigerer Mindestverbüßungszeiten nach § 57 StGB jedenfalls günstiger als durch die bisher verhängte lebenslange Freiheitsstrafe als Gesamtstrafe. Wird jedoch in dem aufgehobenen Fall wiederum auf eine lebenslange Freiheitsstrafe erkannt, gebietet § 358 Abs. 2 StPO allerdings die erneute Einbeziehung der siebenjährigen Freiheitsstrafe in eine dann wieder zu verhängende lebenslange Freiheitsstrafe als Gesamtstrafe, damit der Angeklagte durch seine Revision nicht schlechter als bislang gestellt wird.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
XAAAC-07393
1Nachschlagewerk: nein