Leitsatz
[1] Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
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Instanzenzug: LG Chemnitz vom
Gründe
Das Landgericht hat den Angeklagten von dem Vorwurf freigesprochen, seinen Schwager E am gegen 23.25 Uhr in dessen Pizzeria in Schlettau mit einem Pistolenschuß in den Kopf heimtückisch getötet zu haben. Die dagegen gerichtete Revision der Staatsanwaltschaft, die vom Generalbundesanwalt vertreten wird, und die Revisionen der Witwe sowie der Schwester des Getöteten, die sich als Nebenklägerinnen dem Verfahren angeschlossen haben, führen mit der Sachrüge zur Aufhebung des Freispruchs. Auf die von den Nebenklägerinnen erhobenen formellen Rügen kommt es nicht an.
I.
1. Das Landgericht hat im wesentlichen folgende Feststellungen getroffen:
Der seit 1979 in Deutschland lebende Angeklagte heiratete 1985 die Schwester des Getöteten E . Nachdem der Angeklagte gegen seine Ehefrau tätlich geworden war und er die Ehe durch große Eifersucht belastet hatte, zog seine Ehefrau im September 1999 mit den damals elf und neun Jahre alten ehelichen Kindern mit Hilfe des E von Rheinstetten nach Lüdenscheid zu einem Onkel und betrieb das Scheidungsverfahren. Der Angeklagte, dem lediglich ein monatliches Besuchsrecht eingeräumt war, litt stark unter der Trennung von seiner Familie. Er gab seinem Schwager eine erhebliche Mitschuld, wenn nicht die Hauptschuld am Scheitern seiner Ehe. Dies begründete seine besondere Motivationslage zur Abreaktion von Wut und Haß durch entsprechende verbale Äußerungen im Familien- und Bekanntenkreis, die Familie des Schwagers zu zerstören, weil dieser die eigene Familie zerstört habe, bis hin zu Androhungen, den Bruder seiner Frau töten zu wollen.
E übernahm im Februar 2002 die in der Buchholzstraße 9 in Schlettau (Vogtland) gelegene Pizzeria "A ". Der Angeklagte beauftragte im August 2002 seinen Freund At , den E wegen einer Forderung über 15.000 DM anzusprechen. At wandte sich ungefähr am telefonisch an seinen Freund Ö , der auch mit E befreundet war und erkundigte sich nach Telefonnummer und Adresse des E . Ö teilte At aber lediglich mit, daß E ein Lokal in Schlettau betreibe. Über den Inhalt dieses Anrufs informierte At den Angeklagten.
Am sprach auf dem Marktplatz in Schlettau gegen 21.15 Uhr ein 1,65 m bis 1,70 m großer Mann, ca. 40 bis 45 Jahre alt, von normaler Figur, in sehr gebrochenem Deutsch die Zeuginnen G und L an und fragte nach einem Lokal und danach, ob er sich in Schlettau befinde. Die Zeuginnen hielten den Mann für einen Türken, und wiesen ihn, nachdem er bestätigt hatte, eine Pizzeria zu suchen, den Weg zum Lokal des E . Gegen 22.45 Uhr traf der Zeuge Ki an der Ecke Buchholz/Breitscheidstraße auf einen ca. 1,75 m großen Mann südländischen Aussehens, der durch den Blick des Zeugen merklich irritiert wurde und leicht zuckte. Der Zeuge S beobachtete von seiner Wohnung aus gegen 23.20 Uhr einen ca. 1,70 bis 1,75 m großen Mann, der mit einer Schirmmütze und einem grauen T-Shirt bekleidet in die Pizzeria ging. Die im Lokal beschäftigten Zeugen I und D nahmen einen 1,65 bis 1,70 m großen Mann von schlanker Gestalt wahr, der eine Schirmmütze trug und etwa 35 Jahre alt war. Diese Person schoß mit einer Pistole FN Kaliber 7,65 mm dem auf einem Barhocker am Kassentresen sitzenden E in Höhe des rechten oberen Ohrmuschelansatzes aus geringer Entfernung in den Kopf, wodurch eine Hirnverletzung entstand, die um 3.43 Uhr trotz ärztlicher Bemühungen zum Tod führte. Der Zeuge S sah unmittelbar nach der Schußabgabe den gleichen Mann, der kurz zuvor die Pizzeria betreten hatte, aus dem Lokal kommen, die Buchholzstraße überqueren und in die Breitscheidstraße einbiegen. Letzteres wurde von dem Augenzeugen Sü bestätigt. Die Zeugin Se sah unmittelbar nach der Schußabgabe einen 1,60 m bis 1,70 m großen Mann von normaler Gestalt ca. 50 m in die Breitscheidstraße rennen. Diese Person stieg in ein am rechten Fahrbahnrand abgestelltes Fahrzeug ein und fuhr sehr schnell davon.
Der Zeuge Ki erkannte am unter 13 vorgelegten Wahllichtbildern, die allesamt Männer südländischen Aussehens darstellten und worunter sich zwei Bilder des Angeklagten befanden, den Angeklagten auf beiden Bildern "zu 80 %" als die Person, auf die er um 22.45 Uhr in Schlettau getroffen war. Auch die Zeuginnen G und L bezeichneten die Bilder, die den Angeklagten zeigten als demjenigen Mann ähnlich, der sie auf dem Marktplatz um 21.15 Uhr angesprochen hatte. Der Zeuge D erkannte eine solche Ähnlichkeit mit dem Täter lediglich auf einem Bild.
Der Angeklagte bestreitet, seine Ehefrau jemals bedroht oder geschlagen zu haben. Seinen Schwager habe er nicht getötet. Er sei am Tattag nach einem Spaziergang im Karlsruher Schloßpark um 21.00 Uhr zu Hause mit dem Pkw in Rheinstetten angekommen und habe seine Wohnung bis zum Mittag des nächsten Tages nicht mehr verlassen.
2. Das Landgericht hält die Einlassung des Angeklagten für widerlegt. Sein Pkw Honda Concerto sei in der Tatnacht nicht in der Tiefgarage gesehen worden. Ferner hätten sich die Angaben des Angeklagten über das von ihm verfolgte türkische Fernsehprogramm als unzutreffend herausgestellt. Von einer Täterschaft des Angeklagten hat es sich aber nicht überzeugen können. Die Ergebnisse der Wahllichtbildvorlagen seien hinsichtlich der Wiedererkennungsmerkmale Oberlippenbart, Haarkranz und männliche Person mit südländischem Aussehen nicht ausreichend, um eine Verwechslung auszuschließen. In der Hauptverhandlung hätten die Zeugen nur eine Ähnlichkeit des Angeklagten - der freilich sein Aussehen durch Tragen eines Vollbartes verändert hatte - mit der von ihnen in Schlettau jeweils beobachteten Person feststellen können. Die beim Angeklagten erkennbare besondere Motivationslage werde durch das Fehlen objektiver Beweismittel relativiert.
II.
Die Sachrüge führt zur Aufhebung des Freispruchs, weil die Beweiswürdigung des Landgerichts sachlichrechtlicher Nachprüfung nicht standhält.
Zwar muß das Revisionsgericht es grundsätzlich hinnehmen, daß der Tatrichter einen Angeklagten deshalb freispricht, weil der Tatrichter Zweifel an seiner Täterschaft nicht zu überwinden vermag. Die Beweiswürdigung ist Sache des Tatrichters; die revisionsgerichtliche Prüfung beschränkt sich darauf, ob diesem Rechtsfehler unterlaufen sind. Das ist in sachlichrechtlicher Hinsicht der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist oder gegen Denkgesetze und gesicherte Erfahrungssätze verstößt (st. Rspr.; BGH NStZ 2002, 48; BGH NStZ-RR 2000, 171; BGHR StPO § 261 Überzeugungsbildung 33 m.w.N.).
1. Hier erweist sich die Beweiswürdigung des Landgerichts als lückenhaft. Freilich können und müssen die Gründe auch eines freisprechenden Urteils nicht jeden irgendwie beweiserheblichen Umstand ausdrücklich würdigen. Das Maß der gebotenen Darlegung hängt von der jeweiligen Beweislage und insoweit von den Umständen des Einzelfalles ab; dieser kann so beschaffen sein, daß sich die Erörterung bestimmter einzelner Beweisumstände erübrigt. Insbesondere wenn das Tatgericht auf Freispruch erkennt, obwohl - wie hier - nach dem Ergebnis der Hauptverhandlung gegen einen Angeklagten ein ganz erheblicher Tatverdacht besteht, muß es allerdings in seiner Beweiswürdigung und deren Darlegung die ersichtlich möglicherweise wesentlichen gegen den Angeklagten sprechenden Umstände und Erwägungen einbeziehen (BGH wistra 2002, 430; 260, 261; BGH NStZ-RR 2000, 171) und in einer Gesamtwürdigung betrachten (BGH NJW 2002, 2188, 2189; 2002, 1811, 1812; BGH NStZ 2002, 48). Dem wird das angefochtene Urteil hinsichtlich der Identifizierung des Tatverdächtigen durch Zeugen im Ermittlungsverfahren nicht gerecht. Das Landgericht hat naheliegende Umstände, die auf den Angeklagten hindeuten, nicht in seine Abwägung mit einbezogen.
a) Das Schwurgericht hat das Alibi des Angeklagten mit fehlerfreier Beweiswürdigung widerlegt. Es hat allerdings die Prüfung der naheliegenden Frage unterlassen, ob der Angeklagte entgegen seiner Einlassung eine weitere Reise unternommen hat, die es ihm ermöglicht hätte, mit seinem Pkw bis 21.15 Uhr am Tatort einzutreffen und nach der Tatausführung gegen 23.25 Uhr wieder nach Rheinstetten zurückzukehren. Dafür hätte auf den von der Zeugin B bekundeten Umstand abgestellt werden können, daß der Angeklagte am Tattag gegen 15.30 Uhr in Rheinstetten eine Reisetasche in seinen Pkw verbrachte, anschließend wegfuhr und daß der Pkw nach den Angaben der Zeugin Sc am 29. August nicht mehr, sondern vielmehr erst gegen 11.00 Uhr des Folgetages auf dem Parkplatz des Angeklagten gesehen wurde.
b) Bei einer - ersichtlich möglichen - Anwesenheit des Angeklagten in Schlettau gegen 21.15 Uhr hätten die von den Zeuginnen G und L bekundeten Äußerungen des von ihnen angetroffenen Ausländers (Frage in gebrochenem Deutsch nach einem Lokal oder Pizzeria und der Nachfrage, ob er sich in Schlettau befinde) zu den Sprachkenntnissen und dem Sprechverhalten des Angeklagten in Beziehung gesetzt werden müssen. Das Landgericht hätte ferner mit in die Bewertung einbeziehen müssen, daß durch die Aussagen der Zeugen Ö und At der Angeklagte über den Aufenthaltsort seines Schwagers nur unzureichend informiert war.
c) Das Schwurgericht hat es ferner unterlassen, eine ausreichende Verbindung der Aussagen der Zeugen G , L , Ki und D , die eine Ähnlichkeit der von ihnen wahrgenommenen Person mit den in der Wahllichtbildvorlage enthaltenen Bildern des Angeklagten bekundeten, mit den Personenbeschreibungen der Zeugen herzustellen, die einen unbekannten Mann vor und in der Pizzeria sowie auf der Flucht gesehen haben (S UA 13, I UA 9, Sü UA 13, Se UA 12). Dazu hätte nahegelegen, das Erscheinungsbild des Angeklagten zur Tatzeit zu ermitteln und mit dem jeweiligen Erscheinungsbild der von den Zeugen in den verschiedenen Beweisstationen (Vorbereitung 21.15 Uhr bis 22.45 Uhr; Betreten der und Agieren in der Pizzeria; Flucht aus der Pizzeria) geschilderten Person zu vergleichen. Die Wahrnehmungen der Zeugin Se zur Beschaffenheit des Fluchtautos hätten dann in Beziehung gesetzt werden können zum äußeren Erscheinungsbild des Fahrzeugs des Angeklagten.
2. Es besteht auch die Besorgnis, daß das Landgericht insoweit überspannte Anforderungen an die zur Verurteilung erforderliche Überzeugungsbildung gestellt hat (vgl. BGH wistra 2002, 260, 262 m.w.N.), als es die besondere, den Angeklagten belastende Motivationslage durch das Fehlen objektiver Beweismittel relativiert hat. Es besteht Anlaß anzunehmen, das Landgericht könnte das Mißlingen der Gewinnung objektiver Beweise zugunsten des Angeklagten überbewertet haben. Die Schwurgerichtskammer würdigt als den Angeklagten erheblich entlastend, daß weder Schmauchspuren an den Händen des Angeklagten festgestellt wurden noch an der aufgefundenen Patronenhülse festgestelltes DNA-Material auf den Angeklagten hindeutete. Bei dieser Wertung wird übersehen, daß wegen der erfolgten fehlerhaften Anwendung der Schmauchprobenträger durch die ermittelnden Polizeibeamten ein solcher Sachbeweis überhaupt nicht erhoben werden konnte. Das an der Patrone festgestellte DNA-Material ergab zwar eine auf drei Personen - darunter nicht der Angeklagte - hindeutende Mischspur. Für den Angeklagten wesentlich entlastend wäre dieser Befund aber nur zu werten, falls der Pistolenschütze die Patrone mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit hätte berühren müssen. Dazu wären die waffentechnischen Besonderheiten der verwendeten Pistole zu betrachten gewesen. Wäre - wie üblich - die Ladung der Waffe mittels eines Magazins erfolgt, hätte der Schütze bei Vorhandensein eines aufmunitionierten Magazins die Patrone nicht berühren müssen. Fehlende Täterspuren an der Patrone hätten dann nur ein geringes entlastendes Gewicht.
III.
Die Sache bedarf insgesamt neuer Aufklärung und Bewertung. Sollte sich der neue Tatrichter von einer Täterschaft des Angeklagten überzeugen können, wird eine Prüfung des aktuellen seelischen Zustandes des Angeklagten bei Begehung der Tat naheliegen (vgl. BGHR StGB § 21 seelische Abartigkeit 4).
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
NAAAC-07392
1Nachschlagewerk: nein