Leitsatz
[1] Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gesetze: StGB § 63; StGB § 66; StGB § 66 Abs. 1 Nr. 2; StGB § 66 Abs. 1 Nr. 3; StGB § 66 Abs. 3 Satz 1
Instanzenzug: LG Chemnitz vom
Gründe
1. Das Landgericht hat den Angeklagten wegen sexuellen Mißbrauchs widerstandsunfähiger Personen in Tateinheit mit sexuellem Mißbrauch von Schutzbefohlenen zu einer Freiheitsstrafe von sieben Jahren verurteilt, von der Anordnung der Sicherungsverwahrung jedoch abgesehen. Die Staatsanwaltschaft hat ihr lediglich zu Ungunsten des Angeklagten eingelegtes Rechtsmittel auf eine Verfahrensrüge sowie die Sachrüge gestützt und auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt. Die - vom Generalbundesanwalt vertretene - Revision hat mit der Sachrüge Erfolg.
2. Nach den Feststellungen wurde der Angeklagte im Jahre 1997 wegen sexuellen Mißbrauchs eines Kindes in Tateinheit mit sexueller Nötigung zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt, die er bis zum verbüßte. Etwa drei Monate nach seiner Haftentlassung, im Februar 2001, führte er bei der 16 Jahre alten und geistig behinderten Geschädigten den Geschlechtsverkehr durch und schwängerte sie dabei.
3. Das Landgericht hat - ohne nähere Ausführungen zu § 66 StGB zu machen - die Voraussetzungen für eine Unterbringung des Angeklagten in der Sicherungsverwahrung verneint, weil bei ihm kein Hang zu erheblichen Straftaten vorliege. Diese Darlegungen halten rechtlicher Prüfung nicht stand.
Nach den Urteilsgründen sind die formellen Voraussetzungen nach § 66 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. Abs. 1 Nr. 2 und 3 StGB gegeben.
Wie die Revision zutreffend darlegt, ist es den Urteilsgründen zufolge nicht ausgeschlossen, daß auch die in § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB genannten materiellen Voraussetzungen für die Anordnung der Sicherungsverwahrung vorliegen. Die Strafkammer führt zwar aus, daß beim Angeklagten "kein Hang zu erheblichen Straftaten" vorliege. Bei der der Vorverurteilung zugrunde liegenden Tat sei der Angeklagte alkoholisiert gewesen; er lebe aber nunmehr abstinent. Bei der jetzigen Verurteilung handele es sich um eine Tat "innerhalb seiner Familie", in die er jetzt nicht mehr zurückkehren dürfe; zudem sei es trotz weiteren Zusammenlebens in den folgenden Monaten zu keiner weiteren Straftat gekommen. Doch läßt das angefochtene Urteil nicht hinreichend erkennen, ob das Landgericht hierbei von einem zutreffenden Verständnis der erwähnten Regelung ausgegangen ist.
Möglicherweise hat die Strafkammer den Begriff des Hanges verkannt. Sie verweist zwar zu Recht auf die abhängige, asthenische Persönlichkeit des Angeklagten hin, die sich "in Introvertiertheit, Willensschwäche, Passivität, Ambivalenz, Durchsetzungsunfähigkeit, Abhängigkeitsverhalten, Selbstunsicherheit, Kontaktschwäche, schnelle Reiz- und Verletzbarkeit sowie ungenügend ausgeprägte Selbstreflexion" äußere. Indes setzt sie sich nicht ausdrücklich damit auseinander, daß einen Hang (§ 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB) auch haben kann, wer willensschwach ist, aus innerer Haltlosigkeit Tatanreizen nicht genügend widerstehen kann und so jeder neuen Versuchung zum Opfer fällt. Daß sich der Täter - wofür die Umstände des vorliegenden Falles sprechen - aus Willensschwäche zu Straftaten hinreißen läßt, steht infolgedessen der Annahme eines kriminellen Hanges im Sinne der genannten Vorschrift nicht entgegen (BGHSt 24, 160, 161 f.; , insoweit in BGHR StGB § 72 Sicherungszweck 6 nicht abgedruckt). Mit diesem Aspekt hätte sich die Strafkammer unter Berücksichtigung der hohen Rückfallgeschwindigkeit näher befassen müssen.
Zu besorgen ist ferner, die Strafkammer könne einen Hang des Angeklagten auch deshalb verneint haben, weil bei ihm "keine besondere Neigung zu jungen Mädchen" bestehe. Das wäre eine zu enge Betrachtungsweise, die dem festgestellten Sachverhalt nicht hinreichend gerecht wird. Bei der Vorverurteilung hatte er von einem 13 Jahre alten Mädchen den Oralverkehr erzwungen. Bei der jetzigen Tat war die im Juli 1984 geborene Geschädigte nicht - wie das Landgericht bei der Erörterung dieser Frage (UA 16) meint - 17 Jahre, sondern erst 16 Jahre alt. Sie verfügt zudem aufgrund ihrer geistigen Behinderung lediglich "über die Intelligenz einer 7 bis 8jährigen". Weiterhin konnte das Landgericht bei der Beurteilung der Persönlichkeit des Täters und der Tat zwar berücksichtigen, daß er mit seiner zwei Jahre älteren geschiedenen Ehefrau sexuelle Kontakte hatte, die "für ihn voll befriedigend" waren. Bei der Würdigung, ob die Tat des Angeklagten symptomatisch für den Hang zur Begehung gleichartiger Taten und für die Gefährlichkeit ist, muß aber auch bedacht werden, daß die Bindung an die geschiedene Ehefrau bereits zur Zeit der Tat bestand und die Schlußfolgerung des Tatrichters nicht ohne weiteres zu stützen vermag.
4. Über die Anordnung von Sicherungsverwahrung muß nach alledem neu befunden werden.
Der neue Tatrichter wird einen weiteren Sachverständigen zu den Voraussetzungen der §§ 63 und 66 StGB zu hören haben (§ 246a StPO). Sollte sich dabei ergeben, daß der im Rahmen von § 66 StGB vorausgesetzte Hang auf Umstände zurückgeht, welche gleichzeitig die erheblich verminderte Schuldfähigkeit begründen, ist die Unterbringung nach § 63 StGB vorrangig und deren alleinige Anordnung im Regelfall auch ausreichend (vgl. BGHR StGB § 72 Sicherungszweck 6).
Auch bei Annahme eines Hangs im Sinne des § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB und der sonstigen Voraussetzungen für die Anordnung von Sicherungsverwahrung stünde diese gemäß § 66 Abs. 3 Satz 1 StGB im Ermessen des Gerichts (vgl. BGHR StGB § 66 Abs. 3 Begründung 1; BGH NStZ 1985, 261 m. w. N.).
5. Angesichts der vom Landgericht angestellten Strafzumessungserwägungen kann der Senat nicht ausschließen, daß die Strafkammer, hätte sie die Sicherungsverwahrung angeordnet, eine geringere Strafe verhängt hätte (vgl. BGH NJW 1980, 1055, 1056; BGH StV 2002, 480). Der Ausspruch über die verhängte Strafe wird deshalb aufgehoben.
Fundstelle(n):
PAAAC-07134
1Nachschlagewerk: nein