Leitsatz
[1] Die Geltendmachung einer zivilprozessualen Scheidungsfolgensache außerhalb des Verbundverfahrens ist grundsätzlich nicht mutwillig im Sinne des § 114 ZPO.
Gesetze: ZPO § 114
Instanzenzug: OLG Celle vom AG Soltau
Gründe
I.
Die Ehe der Parteien ist auf den Scheidungsantrag der Antragstellerin durch Urteil des Amtsgerichts - Familiengericht - geschieden worden. Die Rechtskraft hinsichtlich der Ehescheidung ist am eingetreten. Im vorliegenden Verfahren begehrt die Antragstellerin Prozeßkostenhilfe für eine Klage auf Zugewinnausgleich in Höhe von 3.596,96 € nebst Zinsen. Der Antragsgegner ist dem Anspruch entgegengetreten.
Das Amtsgericht - Familiengericht - hat den Antrag auf Bewilligung von Prozeßkostenhilfe mit der Begründung zurückgewiesen, die beabsichtigte Prozeßführung sei unnütz teuer und daher mutwillig. Die hiergegen gerichtete sofortige Beschwerde der Antragstellerin blieb erfolglos. Mit ihrer - zugelassenen - Rechtsbeschwerde verfolgt sie ihr bisheriges Begehren weiter.
II.
1. Die Rechtsbeschwerde ist zulässig, weil das Beschwerdegericht sie gemäß § 574 Abs. 1 Nr. 2 ZPO zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zugelassen hat. Daran ist der Senat gebunden (§ 574 Abs. 3 Satz 2 ZPO).
Zwar kommt eine Zulassung der Rechtsbeschwerde bei der Bewilligung von Prozeßkostenhilfe unter dem Gesichtspunkt der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 574 Abs. 2 Nr. 1 ZPO) oder der Fortbildung des Rechts oder der Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO) nur in Betracht, wenn es um Fragen des Verfahrens der Prozeßkostenhilfe oder der persönlichen Voraussetzungen ihrer Bewilligung geht (Senatsbeschluß vom - XII ZA 6/04 - FamRZ 2004, 1633, 1634; - FamRZ 2003, 671). Das ist hier indessen der Fall, da die Antragstellerin geltend macht, die personenbezogene Beurteilung ihrer Rechtsverfolgung als mutwillig sei nicht gerechtfertigt.
2. Die Rechtsbeschwerde hat auch in der Sache Erfolg.
a) Das Oberlandsgericht hat die Auffassung vertreten, die nachgesuchte Prozeßkostenhilfe sei wegen Mutwilligkeit der beabsichtigten Klage auf Zugewinnausgleich zu versagen. Hierzu hat es im wesentlichen ausgeführt: Eine bedürftige Partei handele mutwillig, wenn sie ohne triftige Gründe davon absehe, das Unterhalts- oder Zugewinnausgleichsverfahren im Verbund geltend zu machen. Nur auf diese Weise könne der Verpflichtung zur kostengünstigen Rechtsverfolgung Genüge getan werden. Die Ansicht, die demgegenüber im wesentlichen darauf abstelle, daß bei einem Obsiegen mit einer günstigen Kostenentscheidung zu rechnen sei, übersehe, daß häufig die Kostenerstattungsansprüche nicht zu realisieren seien und daher tatsächlich eine Entlastung der Staatskasse nicht eintrete. Soweit die nicht bedürftige Partei es unterlasse, eine Folgesache im Verbund geltend zu machen, um alsbald geschieden zu werden, trage sie das Kostenrisiko selbst. Sie könne dieses Risiko nicht der Landeskasse überbürden, zumal ihrem Anliegen bei einer außergewöhnlichen Verzögerung gemäß § 628 Abs. 1 Nr. 4 ZPO Rechnung getragen werden könne. Die Antragstellerin habe indessen keine triftigen Gründe vorgetragen, die es rechtfertigen könnten, von einer Geltendmachung ihres Zugewinnausgleichsanspruchs im Verbundverfahren abzusehen. Aus dem vorgerichtlichen Schriftverkehr ergäben sich keine konkreten Vergleichsverhandlungen, insbesondere sei den vorgelegten Schreiben der Gegenseite, die vor dem verfaßt worden seien, nicht zu entnehmen, daß sich der Gegner vor Ausspruch der Ehescheidung bereit erklärt habe, Verhandlungen über den Zugewinnausgleich aufzunehmen.
Das hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand.
b) Die Frage, ob die isolierte Geltendmachung von Scheidungsfolgesachen mutwillig im Sinne des § 114 ZPO ist und damit der Bewilligung von Prozeßkostenhilfe entgegensteht, wird in Rechtsprechung und Schrifttum nicht einheitlich beantwortet.
Die wohl noch überwiegende Auffassung geht davon aus, mutwilliges Verhalten liege vor, wenn nicht im Einzelfall vernünftige, nachvollziehbare Gründe für die isolierte Geltendmachung der Folgesache sprächen. Eine bedürftige Partei sei grundsätzlich gehalten, von zwei gleichwertigen prozessualen Möglichkeiten der Rechtsverfolgung die kostengünstigere zu wählen. Die Geltendmachung von Folgesachen im Verbundverfahren verursache aber insgesamt geringere Kosten, weil die Gebühren gemäß §§ 46 Abs. 1 Satz 1 GKG, 16 Nr. 4 RVG nach den zusammengerechneten Werten der Scheidungssache und der Folgesachen berechnet würden (OLG Brandenburg - 1. Familiensenat - FamRZ 1998, 245; FamRZ 2001, 1083, 1084; FamRZ 2003, 458, 459; OLG Celle - 15. Zivilsenat - OLG-Report 1999, 43; einschränkend: OLG Celle - 21. Zivilsenat - OLG-Report 2005, 58, 59; OLG Dresden FamRZ 2001, 230, 231; OLG Düsseldorf FamRZ 1993, 1217; OLG München OLG-Report 1995, 212, 213; OLG Oldenburg - 12. Zivilsenat - FamRZ 2001, 630; OLG Schleswig - 13. Zivilsenat - FamRZ 2000, 430, 431; OLG Thüringen FamRZ 1998, 1179; FamRZ 2000, 100, 101; OLG Zweibrücken FamRZ 2003, 1759, 1760; Kalthoener/Büttner/Wrobel-Sachs Prozeßkostenhilfe und Beratungshilfe 3. Aufl. Rdn. 473 f.; Stein/Jonas/Bork ZPO 22. Aufl. § 114 Rdn. 51). Dabei wird allerdings teilweise angenommen, von der Bewilligung der Prozeßkostenhilfe seien nur die Mehrkosten auszunehmen, die sich bei vergleichender Gegenüberstellung isolierter Rechtsverfolgung zur Geltendmachung im Verbundverfahren ergäben, wobei wiederum unterschiedliche Auffassungen darüber bestehen, ob diese Einschränkung schon im Bewilligungsbeschluß zum Ausdruck kommen muß oder erst im Rahmen des Festsetzungsverfahrens Abzüge vorzunehmen sind (OLG Dresden FamRZ 1999, 601, 602; OLG Düsseldorf FamRZ 1994, 635, 636; OLG Frankfurt NJW-RR 1997, 1167; OLG-Report 1997, 187; OLG Karlsruhe - 18. Zivilsenat - FamRZ 2004, 1880, 1881; OLG Köln - 14. Zivilsenat - NJW-FER 2000, 189; FamRZ 2003, 237; OLG Rostock FamRZ 1999, 597, 598; Musielak/Fischer ZPO 3. Aufl. § 114 Rdn. 36; Thomas/Putzo/Reichold ZPO 26. Aufl. § 114 Rdn. 8 a; Schwab/Maurer/Borth Handbuch des Scheidungsrechts 4. Aufl. Kap. I Rdn. 170 f.).
Nach der Gegenmeinung ist die isolierte Geltendmachung einer Folgesache grundsätzlich nicht als mutwillig zu bewerten (OLG Bremen FamRZ 1998, 245, 246; OLG Hamburg FamRZ 1998, 1178; OLG Hamm FamRZ 2001, 231, 232; OLG-Report 2001, 48, 49; - veröffentlicht bei JURIS; OLG Koblenz FamRZ 2004, 1880; OLG-Report 2004, 664, 665; OLG Köln - 4. Zivilsenat - FamRZ 2003, 102 (Leitsatz), Gründe veröffentlicht bei JURIS; OLG Naumburg FamRZ 2001, 1082, 1083; FamRZ 2001, 1468, 1469; OLG Oldenburg - 4. Zivilsenat - FamRZ 2003, 1757, 1758; OLG Schleswig - 8. Zivilsenat - MDR 2004, 398, 399; in diese Richtung auch: OLG Nürnberg FamRZ 2003, 772, 773; vgl. auch OLG Brandenburg - 10. Zivilsenat - FamRZ 2002, 1411; Zöller/Philippi ZPO 25. Aufl. § 623 Rdn. 24, 24 a; Philippi FPR 2002, 479, 484 f.; MünchKomm-ZPO/Wax 2. Aufl. § 114 Rdn. 144; Wax FPR 2002, 471, 472; vgl. auch Vogel FPR 2002, 505, 507 und Johannsen/Henrich/Thalmann Eherecht 4. Aufl. § 114 Rdn. 25 b und 25 d).
c) Der Senat folgt der letztgenannten Auffassung.
Eine Rechtsverfolgung ist mutwillig, wenn eine verständige, nicht hilfsbedürftige Partei ihre Rechte nicht in gleicher Weise verfolgen würde. Mutwillig handelt deshalb, wer von zwei gleichwertigen prozessualen Wegen denjenigen beschreitet, von dem er von vornherein annehmen muß, daß er für ihn der kostspieligere ist (vgl. Zöller/Philippi aaO § 114 Rdn. 30, 34 m.N.). Nach diesen Maßstäben ist jedenfalls die Geltendmachung einer zivilprozessualen Scheidungsfolgensache außerhalb des Scheidungsverbunds grundsätzlich nicht als mutwillig anzusehen. Es trifft zwar zu, daß aufgrund der Streitwertaddition (§§ 46 Abs. 1 Satz 1 GKG, 16 Nr. 4 RVG) und des degressiven Anstiegs der Gebühren im Verbundverfahren insgesamt geringere Kosten entstehen als bei isolierter Geltendmachung einer Folgesache. Für die Beurteilung der Mutwilligkeit kommt es aber nicht auf die insgesamt anfallenden Kosten, sondern darauf an, ob eine nicht bedürftige Partei aus Kostengesichtspunkten von einer isolierten Geltendmachung der Folgesache in der Regel absehen würde. Eine kostenbewußte vermögende Partei wäre aber in erster Linie auf die allein sie treffenden Kosten bedacht. Deshalb ist auch für die Frage, ob eine Rechtsverfolgung aus Kostengründen mutwillig ist, hierauf abzustellen (ebenso etwa OLG Hamm FamRZ 2001 aaO 232; aaO). Dann kann aber nicht davon ausgegangen werden, daß im Rahmen des Scheidungsverbunds geringere Kosten entstehen würden. Während nämlich die obsiegende Partei der isoliert geltend gemachten Folgesache einen Kostenerstattungsanspruch gegen den Gegner erlangt (§ 91 Abs. 1 ZPO), werden die Kosten der Folgesachen im Regelfall gegeneinander aufgehoben (§ 93 a Abs. 1 Satz 1 ZPO). Für die Partei besteht jedenfalls keine Gewißheit, daß das Gericht im Verbundverfahren eine von § 93 a Abs. 1 Satz 1 ZPO abweichende Kostenverteilung vornimmt (vgl. OLG Koblenz OLG-Report 2004 aaO S. 665). Erstattet aber der unterlegene Gegner die Kosten, so wird der klagende Ehegatte durch den Zivilprozeß mit geringeren Kosten als in dem Fall belastet, daß er eine Entscheidung im Verbundverfahren begehrt hätte.
Gegen diese Beurteilung wird zwar eingewandt, die Argumentation überzeuge nicht, weil über die Prozeßkostenhilfe vorab zu entscheiden und der Ausgang des Rechtsstreits noch offen sei (vgl. etwa OLG Köln FamRZ 2001 aaO 232). Dem ist entgegenzuhalten, daß für die rechtliche Prüfung, ob Prozeßkostenhilfe zu gewähren ist, der Erkenntnisstand im Zeitpunkt der Beschlußfassung maßgebend ist (Johannsen/Henrich/Thalmann aaO § 114 Rdn. 26 m.N.). Da Prozeßkostenhilfe nur bei erfolgversprechender Rechtsverfolgung bewilligt wird, ist mit einem Sieg der klagenden Partei und mit einer Verurteilung des Gegners in die Kosten zu rechnen. Gelingt die Realisierung des Kostenerstattungsanspruches, so ist der selbständige Zivilprozeß für sie günstiger als eine Entscheidung im Verbund. Das kommt auch der Staatskasse zugute, denn sie kann die Gerichtskosten und die für den Prozeßbevollmächtigten des Klägers gezahlten Anwaltskosten beim Gegner einziehen (§§ 29 Nr. 1 GKG, 59 Abs. 1 RVG).
Zwar hat die unterliegende Partei nur die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Kosten zu erstatten (§ 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Selbst wenn insofern davon ausgegangen würde, daß die für die Geltendmachung einer Folgesache außerhalb des Verbunds anfallenden Mehrkosten dann nicht notwendig sind, wenn für das isolierte Verfahren kein sachlicher Grund vorhanden ist (so OLG Düsseldorf FamRZ 2003, 938, 939) und deshalb nur die Kosten zu erstatten sind, die im Verbundverfahren entstanden wären, ist die Annahme gerechtfertigt, daß der selbständige Zivilprozeß - auch für die Staatskasse - günstiger ist. Denn die im Verbundverfahren nach dem entsprechend höheren Streitwert dann anfallenden höheren Kosten hätte sie - angesichts der in der Regel nach § 93 a Abs. 1 Satz 1 ZPO getroffenen Kostenentscheidung - mitzutragen, während ihr die im isolierten Verfahren an den Prozeßbevollmächtigten des Klägers gezahlten Anwaltskosten jedenfalls im wesentlichen von dem Gegner zu erstatten sind und sie nur mit den (dann erheblich geringeren) Kosten aus dem Verbund belastet bleibt.
Daß der Kostenerstattungsanspruch, wie das Oberlandesgericht angenommen hat, häufig nicht zu realisieren sei, kann nicht allgemein angenommen werden. Jedenfalls in Fällen, in denen eine Zugewinnausgleichsforderung geltend gemacht wird, erscheint das nicht naheliegend. Wenn aber die finanzielle Lage des Anspruchsgegners besorgen läßt, daß er einen Kostenerstattungsanspruch nicht erfüllen kann, dürfte der Antragsteller andererseits auch einen anerkennenswerten Grund für eine möglichst schnelle Scheidung und damit ein berechtigtes Interesse daran haben, eine Belastung des Scheidungsverfahrens mit zusätzlichen Streitpunkten zu vermeiden, so daß ihm jedenfalls nicht vorgeworfen werden kann, die Folgesache ohne triftigen Grund isoliert geltend zu machen. Denn die Ausgleichsforderung entsteht gemäß § 1378 Abs. 3 Satz 1 BGB erst mit Beendigung des Güterstandes und wird durch den dann noch vorhandenen Wert des Vermögens begrenzt (§ 1378 Abs. 2 BGB).
d) Außerdem ist zu berücksichtigen, daß Art. 3 Satz 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsgrundsatz eine weitgehende Angleichung der Situation von Bemittelten und Unbemittelten bei der Verwirklichung des Rechtsschutzes gebietet (BVerfGE 81, 347, 356). In der Praxis bestehen aber keine Anhaltspunkte dafür, daß eine verständige, nicht bedürftige Partei grundsätzlich alle Folgesachen, in denen zwischen den Parteien (noch) keine Einigkeit besteht, im Verbund geltend macht. Vielmehr wird sie häufig darauf bedacht sein, das Scheidungsverfahren ohne zusätzliche, vermeidbare Belastung mit Folgesachen zügig zum Abschluß zu bringen und erst danach eine Regelung der Scheidungsfolgen zu betreiben (vgl. Wax, FPR aaO S. 472). Mit Rücksicht darauf bedarf die Einschränkung des nach § 623 Abs. 1 ZPO bestehenden Wahlrechts der Partei, eine Folgesache im Verbund oder isoliert geltend zu machen, einer besonderen Rechtfertigung, die indessen - auch aus Kostengründen - nicht besteht.
3. Die angefochtene Entscheidung kann danach keinen Bestand haben, da nach den getroffenen Feststellungen von einer mutwilligen Rechtsverfolgung der Antragstellerin nicht ausgegangen werden kann. Die Sache ist an das Oberlandesgericht zurückzuverweisen, das zu prüfen haben wird, ob die Antragstellerin die wirtschaftlichen Voraussetzungen für die Bewilligung von Prozeßkostenhilfe erfüllt und die beabsichtigte Klage hinreichende Aussicht auf Erfolg verspricht (§ 114 ZPO).
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
BAAAC-06106
1Nachschlagewerk: ja; BGHZ: nein; BGHR: ja