Leitsatz
[1] Für die Zulässigkeit der Nebenintervention im Patentnichtigkeitsverfahren reicht es jedenfalls aus, wenn der Nebenintervenient ein Unternehmen ist, das durch das Streitpatent in seinen geschäftlichen Tätigkeiten als Wettbewerber beeinträchtigt werden kann (Aufgabe von BGHZ 4, 5 - Schreibhefte I und Sen.Beschl. v. - X ZR 71/67, Liedl 1967/68, 368).
Gesetze: PatG §§ 81 ff.; PatG § 99 Abs. 1; PatG §§ 110 ff.; ZPO § 66
Instanzenzug: Bundespatentgericht 3 Ni 44/00 (EU) vom
Gründe
1. Die Beklagte ist eingetragene Inhaberin des mit Wirkung für die Bundesrepublik Deutschland erteilten europäischen Patents 0 808 162 (Streitpatent). Das Streitpatent betrifft die "Verwendung von Carbazol-Verbindungen zur Herstellung eines Arzneimittels für die Behandlung von kongestivem Herzversagen" und erfasst in zahlreichen Unteransprüchen insbesondere die Verwendung der Carbazol-Verbindung Carvedilol.
Auf Antrag der Klägerin hat das Bundespatentgericht mit Urteil vom (Az. 3 Ni 44/00 (EU)) das Streitpatent mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland für nichtig erklärt. Dagegen wendet sich die Beklagte mit der Berufung. Nach Einlegung der Berufung haben die Nebenintervenienten den Beitritt zum Nichtigkeitsverfahren auf Seiten der Nichtigkeitsklägerin erklärt.
Die Rechtsvorgängerin der Nebenintervenientin zu 1 ist in Tschechien aus dem zum Streitpatent parallelen tschechischen Patent 292 009 verwarnt worden. Die Nebenintervenientin zu 2 ist Wettbewerber der Beklagten bei Herstellung, Konfektionierung und Vertrieb von Arzneimitteln. Sie vertreibt insbesondere in Deutschland ein Carvedilol-Präparat, das nach ihrem unbestrittenen Vortrag auch der Behandlung der Herzinsuffizienz dienen kann.
Die Beklagte macht geltend, den Nebenintervenienten fehle eine Rechtsbeziehung zu der Beklagten, die durch die Entscheidung im vorliegenden Nichtigkeitsverfahren beeinflusst werden könne. Die Beklagte beantragt deshalb, die Nebeninterventionen als unzulässig zurückzuweisen. Die Nebenintervenienten treten den Zurückweisungsanträgen entgegen.
2. Der Beitritt der Nebenintervenienten, über den der Senat durch Beschluss entscheidet, ist zulässig. Die Nebenintervenienten haben das erforderliche Interesse daran, dass in dem beim Senat anhängigen Nichtigkeitsverfahren die Klägerin obsiegt. Einer weitergehenden Rechtsbeziehung zwischen dem Nebenintervenienten und entweder dem Nichtigkeitskläger oder dem Patentinhaber hinsichtlich des Streitpatents bedarf es für die Zulässigkeit der Nebenintervention nicht. An seiner abweichenden früheren Auffassung (BGHZ 4, 5; Sen., BGH Liedl 1967/68, 368 - Nebenintervention 02) hält der Senat nicht fest.
2.1. Weder die Regelungen zum Berufungsverfahren in Patentnichtigkeitssachen (§§ 110 ff. PatG) noch die zur Lückenfüllung primär heranzuziehenden Vorschriften für das erstinstanzliche Verfahren vor dem Bundespatentgericht enthalten Vorschriften zur Nebenintervention. In analoger Anwendung des § 99 Abs. 1 PatG kann daher im patentrechtlichen Berufungsverfahren auf die Vorschriften der Zivilprozessordnung zur Nebenintervention entsprechend zurückgegriffen werden, soweit die Besonderheiten des Berufungsverfahrens gegen Nichtigkeitsurteile des Patentgerichts nicht entgegenstehen (vgl. Sen.Urt. v. - X ZR 212/02, GRUR 2004, 354 - Crimpwerkzeug; Beschl. v. - X ZR 17/94, GRUR 1997, 119 - Schwimmrahmenbremse). Derartige Besonderheiten sind hier nicht zu erkennen.
Nach § 66 ZPO kann in jeder Lage des Rechtsstreits ein Nebenintervenient einer Partei zum Zwecke ihrer Unterstützung beitreten, wenn er ein rechtliches Interesse daran hat, dass diese Partei in einem zwischen anderen Personen anhängigen Rechtsstreit obsiegt. Aus dem Erfordernis eines rechtlichen Interesses folgt, dass ein rein wirtschaftliches Interesse für die Zulässigkeit einer Nebenintervention nicht ausreicht. Es ist aber anerkannt, dass der Begriff des rechtlichen Interesses in § 66 Abs. 1 ZPO weit auszulegen ist (vgl. etwa Vollkommer in Zöller, ZPO, 25. Aufl. 2005, § 66 Rdn. 8; Weth in Musielak, ZPO, 4. Aufl. 2005, § 66 Rdn. 5 m.w.N.). Insbesondere wird es zur Begründung des rechtlichen Interesses im Sinne von § 66 Abs. 1 ZPO für ausreichend gehalten, wenn der Nebenintervenient von der Gestaltungswirkung eines Urteils betroffen wird (BGHZ 68, 81, 85; Zöller, aaO Rdn. 11; Musielak, aaO Rdn. 7). Einer rechtskräftigen Entscheidung im Patentnichtigkeitsverfahren kommt eine solche Gestaltungswirkung zu, soweit darin das Patent für nichtig erklärt oder die Berufung gegen ein die Nichtigkeit des Streitpatents aussprechendes Urteil des Bundespatentgerichts zurückgewiesen wird. Von der Gestaltungswirkung eines solchen Nichtigkeitsurteils sind jedenfalls alle Unternehmen betroffen, die durch das Streitpatent in ihren geschäftlichen Tätigkeiten als Wettbewerber beeinträchtigt werden können. Denn ihre Handlungsmöglichkeiten im Wettbewerb werden durch den Bestand des Patents eingeengt und damit erweitert, wenn diese Beschränkung beseitigt wird, indem es für nichtig erklärt wird. Das genügt für die Zulässigkeit beider Nebeninterventionen nach § 66 ZPO. Für das Patentnichtigkeitsverfahren gilt insoweit nichts anderes.
2.2. Allerdings setzte nach der bisherigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs die Zulässigkeit der Nebenintervention voraus, dass hinsichtlich des Streitpatents zwischen dem Streithelfer und entweder dem Nichtigkeitskläger oder dem Patentinhaber eine Rechtsbeziehung besteht, welche durch die im Nichtigkeitsverfahren ergehende Entscheidung beeinflusst werden kann (BGHZ 4, 5; Sen., BGH Liedl 1967/68, 368 - Nebenintervention 02).
An dieser Beschränkung der Zulässigkeit von Nebeninterventionen hält der Senat nicht fest. In den früheren Entscheidungen des Bundesgerichtshofs wurde das Erfordernis der bestehenden Rechtsbeziehung damit begründet, dass eine Zulassung der Nebenintervention ohne eine solche Rechtsbeziehung auch nicht aus Gründen der Prozessökonomie geboten sei, weil die Nebenintervenienten die als Popularklage ausgestaltete Nichtigkeitsklage jederzeit selbständig erheben könnten. Die Zulassung einer unter Umständen unabsehbaren Zahl von Verletzern würde das Nichtigkeitsverfahren dagegen in nicht zu verantwortender Weise belasten (BGHZ 4, 5, 10).
Die Erhebung einer eigenen Nichtigkeitsklage stellt für den Nebenintervenienten jedoch gegenüber seinem Beitritt zu dem schon laufenden Verfahren keine effizientere Rechtsschutzmöglichkeit dar. Dies gilt insbesondere dann, wenn das laufende Nichtigkeitsverfahren bereits in der Berufungsinstanz anhängig ist. Spezifische Gründe der Prozessökonomie, die im Nichtigkeitsverfahren für eine gegenüber der ZPO engere Zulässigkeit der Nebenintervention sprechen können, sind daher nicht ersichtlich. Zutreffend ist zwar, dass die Zulassung einer unter Umständen erheblichen Zahl von aktuellen oder potentiellen Verletzern das Nichtigkeitsverfahren erheblich belasten kann. Andererseits kann bei einer gegenüber der bisherigen Praxis großzügigeren Zulassung von Nebeninterventionen die Frage der Wirksamkeit des Patents schneller einer endgültigen Klärung zugeführt und eine mehrfache, zeitlich versetzte und unökonomische Befassung der Gerichte mit demselben Streitpatent vermieden werden. Nebeninterventionen können zu einer schnelleren Entscheidung auf der Basis einer umfassenden Sachverhaltsermittlung führen. Zwar müsste das Gericht wegen des im Patentnichtigkeitsverfahrens geltenden Amtsermittlungsgrundsatzes auch relevanten Prozessstoff berücksichtigen, von dem es anderweitig als durch einen Verfahrensbeteiligten Kenntnis erlangt. Es fördert das Nichtigkeitsverfahren aber, wenn derjenige, der über relevantes neues Material verfügt, dieses nicht nur in den Prozess einführen, sondern dazu auch selbst schriftlich und in der mündlichen Verhandlung vortragen kann.
Ein Grund für eine gegenüber der allgemeinen Auslegung des § 66 ZPO engere Zulässigkeit der Nebenintervention im Patentnichtigkeitsverfahren ergibt sich auch dann nicht, wenn die möglichen Kostenfolgen der Nebenintervention betrachtet werden. Zwar trifft den Nichtigkeitsbeklagten nach einer Nebenintervention auf Seiten des Klägers ein erhöhtes Kostenrisiko, weil er bei Obsiegen des Klägers auch die Kosten der Nebenintervention zu tragen hat. Das muss für den Beklagten aber nicht notwendig ungünstiger sein als das Kostenrisiko in mehreren Prozessen.
Die Ausgestaltung der Nichtigkeitsklage als Popularklage spricht dafür, auch hinsichtlich des rechtlichen Interesses für eine Nebenintervention keine besonderen, gegenüber der ZPO weitergehenden Anforderungen zu stellen. Jedenfalls dann, wenn der Nebenintervenient auf dem Markt des Streitpatents als Wettbewerber tätig ist, hat er ein rechtliches Interesse am Ausgang des Nichtigkeitsverfahrens. Dies ist bei der Nebenintervenientin zu 2 im Hinblick auf das von ihr in Deutschland vertriebene Carvedilol-Präparat der Fall. Hinsichtlich der Nebenintervenientin zu 1 wurde zwar nicht vorgetragen, dass sie bereits aktueller Wettbewerber mit Carvedilol-Präparaten auf dem deutschen Markt sei. Sie kann jedoch durch das Streitpatent jedenfalls an der Ausdehnung ihrer geschäftlichen Aktivitäten mit Carvedilol nach Deutschland gehindert sein. Damit ist auch sie von der Gestaltungswirkung eines die Nichtigkeit aussprechenden bzw. bestätigenden Urteils betroffen. Aufgrund des dadurch begründeten rechtlichen Interesses ist ihre Nebenintervention ebenfalls zuzulassen. Anhaltspunkte dafür, dass im vorliegenden Fall die Nebeninterventionen missbräuchlich sein könnten, etwa weil es ihnen allein darauf ankäme, die Nichtigkeitsbeklagte mit weiteren Kosten zu belasten, sind nicht ersichtlich.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
NJW 2006 S. 2334 Nr. 32
IAAAC-05123
1Nachschlagewerk: ja; BGHZ: ja; BGHR: ja