Leitsatz
[1] Auch bei der Prüfung einer Gebrauchsmusterverletzung ist eine erschöpfende Erörterung erforderlich, welche Lehre zum technischen Handeln der Fachmann den Schutzansprüchen entnimmt.
Weichen Begriffe in den Schutzansprüchen vom allgemeinen technischen Sprachgebrauch ab, ist der sich aus Schutzansprüchen und der Beschreibung ergebende Begriffsinhalt maßgebend.
Gesetze: GebrMG § 12 a
Instanzenzug: LG München I
Tatbestand
Die Klägerin war Inhaberin des deutschen Gebrauchsmusters 91 00 903 (Klagegebrauchsmusters), das am angemeldet und am eingetragen wurde. Es betrifft einen Knickschutz für einen Hochdruckschlauch bei Hochdruckreinigern.
Die der Eintragung zugrunde liegenden Schutzansprüche 1 und 2 haben folgenden Wortlaut:
1. Knickschutz für einen Hochdruckschlauch bei Hochdruckreinigern, wobei der Hochdruckschlauch am Schlauchanfang eine Hülse aufweist, die von einer Überwurfmutter umgeben ist und im weiteren eine Dichtung mit einer Preßarmatur vorgesehen sind, die mit dem Anschlußstutzen des Hochdruckreinigers in Verbindung stehen dadurch gekennzeichnet, daß der Knickschutz als lose den Hochdruckschlauch umgebende Knickschutztülle ausgebildet ist und mit der Überwurfmutter nach Art einer Umspritzung werkstoffeinstückig verbunden ist.
2. Knickschutz nach Anspruch 1, dadurch gekennzeichnet, daß die Knickschutztülle nach der Schlauchseite hin eine trompetenartige Erweiterung aufweist.
Nach Eintragung reichte die Klägerin neue Schutzansprüche zu den Gebrauchsmusterakten; in diesen war der Begriff "werkstoffeinstückig" aus dem kennzeichnenden Teil des Anspruchs 1 gestrichen und das erste kennzeichnende Merkmal in den Oberbegriff übernommen.
Die Klägerin reichte sodann erneut geänderte Schutzansprüche ein, die im kennzeichnenden Teil des Schutzanspruchs 1 wieder den Begriff "werkstoffeinstückig" enthielten. Dieser Teil des eingereichten Schutzanspruchs 1 lautete danach: "dadurch gekennzeichnet, daß die Knickschutztülle (5) nach der Schlauchseite hin eine trompetenartige Erweiterung (10) aufweist und mit der Überwurfmutter (3) nach Art einer Umspritzung werkstoffeinstückig verbunden ist."
Der Beklagte vertreibt einen Hochdruckschlauch für Hochdruckreiniger, der mit dem Anschlußstutzen des Hochdruckreinigers durch eine Überwurfmutter verbunden und mit einem Knickschutz versehen ist. Die Knickschutztülle weist nach der Schlauchseite hin eine Erweiterung auf und ist auf die aus einem anderen Material bestehende Überwurfmutter aufvulkanisiert.
Die Klägerin hält diese Ausführungsform für gebrauchsmusterverletzend und nimmt den Beklagten auf Auskunft und Feststellung ihrer Schadensersatzverpflichtung in Anspruch.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung hatte keinen Erfolg.
Mit ihrer Revision verfolgt die Klägerin ihren Auskunfts- und Feststellungsantrag weiter.
Der Beklagte tritt der Revision entgegen.
Gründe
Die zulässige Revision führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Berufungsgericht.
1. Das Berufungsgericht hat angenommen, der Klägerin stünden Ansprüche auf Auskunftserteilung und Feststellung der Schadensersatzpflicht gemäß den §§ 24 Abs. 1, Abs. 2, 24b, 11 Abs. 1, 12a GebrMG nicht zu, denn der von dem Beklagten hergestellte und vertriebene, mit einem Knickschutz versehene Hochdruckschlauch verletze die Rechte der Klägerin aus dem Schutzanspruch 1 des Klagegebrauchsmusters nicht, weil er die hiernach zu fordernde Werkstoffeinstückigkeit zwischen der Überwurfmutter und der trompetenartigen Erweiterung der Knickschutztülle nicht aufweise. Das Wort "werkstoffeinstückig" in Schutzanspruch 1 des Klagegebrauchsmusters sei so zu verstehen, daß die Knickschutztülle und die Überwurfmutter ein Werkstück bildeten und aus einem Werkstoff bestünden. Dies ergebe sich schon unter Heranziehung des allgemeinen Sprachverständnisses. Ein anderes Verständnis lege auch der Durchschnittsfachmann nicht zugrunde. Der vom Landgericht zugezogene Sachverständige habe ausdrücklich darauf hingewiesen, daß er eine andere Formulierung des Schutzanspruchs erwartet hätte, wenn sich das Wort "werkstoffeinstückig" nur auf die untrennbare Verbindung von Knickschutztülle und Überwurfmutter habe beziehen sollen. Wenn der von der Klägerin beauftragte Privatgutachter gemeint habe, den Begriff "werkstoffeinstückig" habe er in seiner 42-jährigen Industrie- und Hochschulpraxis noch nie gehört, so decke sich dies zwar mit den Ausführungen des gerichtlichen Sachverständigen, dem der Begriff ebenfalls nicht bekannt gewesen sei. Es sei aber im Ansatz falsch, wenn der Privatgutachter gemeint habe, der Begriff müsse deshalb entsprechend der Beschreibung und den Zeichnungen des Gebrauchsmusters interpretiert werden. Die Auslegung eines in einem Schutzanspruch verwendeten Begriffs sei "selbstverständlich" nicht entsprechend der Beschreibung und den Zeichnungen vorzunehmen, sondern habe sich in allererster Linie an dem zu ermittelnden Inhalt der Gebrauchsmusteransprüche zu orientieren, während die Beschreibung und Zeichnungen lediglich zu deren Verständnis heranzuziehen seien.
Dieser rechtliche Ausgangspunkt des Berufungsgerichts hält revisionsrechtlicher Prüfung nicht stand.
Nach § 12a Satz 2 GebrMG sind zur Auslegung der Schutzansprüche eines Gebrauchsmusters die Beschreibung und die Zeichnungen heranzuziehen, wobei das Berufungsgericht hier zutreffend die letzte zu den Gebrauchsmusterakten gereichte Fassung des Schutzanspruchs 1 zugrunde gelegt hat. Demgemäß sind die Schutzansprüche eines Gebrauchsmusters nach denselben Grundsätzen wie Patentansprüche auszulegen. Auch bei der Prüfung einer Gebrauchsmusterverletzung (zur Patentverletzung vgl. etwa BGHZ 125, 303, 310 - Zerlegvorrichtung für Baumstämme m.w.N.), ist eine erschöpfende Erörterung erforderlich, welche Lehre zum technischen Handeln der Fachmann dem Schutzanspruch entnimmt (Senat, Urt. v. - X ZR 74/94, GRUR 1997, 454, 455 - Kabeldurchführung I). Maßgebend ist der Offenbarungsgehalt der Schutzansprüche und ergänzend - im Sinne einer Auslegungshilfe - der Offenbarungsgehalt der Beschreibung, soweit dieser Niederschlag in den Ansprüchen gefunden hat (Senat, Urt. v. - X ZR 85/96, GRUR 1999, 909, 911 - Spannschraube). Dabei ist nicht die sprachliche oder logisch-wissenschaftliche Bestimmung der in der Beschreibung und in den Ansprüchen verwendeten Begriffe entscheidend. Weichen Begriffe vom allgemeinen technischen Sprachgebrauch ab, ist nicht dieser, sondern der sich aus den Ansprüchen und der Beschreibung ergebende Begriffsinhalt maßgebend (Senat aaO - Spannschraube; BGHZ 105, 1, 10 - Ionenanalyse; BGHZ 113, 1, 9 f. - Autowaschvorrichtung; BGHZ 150, 149, 153 - Schneidmesser I).
Diesen Grundsätzen entspricht die Auslegung des Begriffs "werkstoffeinstückig" durch das Berufungsgericht nicht. Sowohl der gerichtliche Sachverständige als auch der Privatgutachter haben angegeben, den Begriff nicht zu kennen. Der Begriff war daher auslegungsbedürftig. Der gerichtliche Sachverständige hat letzteres zwar in Abrede gestellt. Er hat aber gleichwohl seinerseits ausgelegt und dabei dem Begriff sein eigenes vom Inhalt der Beschreibung im übrigen unabhängiges Verständnis beigelegt, wonach "werkstoffeinstückig" mehr bedeuten müsse als "einstückig", denn sonst würde "man" den Schutzanspruch 1 anders, nämlich wie folgt formuliert haben: "Überwurfmutter und Knickschutztülle sind nach Art einer Umspritzung zu einem Stück verbunden" (schriftliches Gutachten GA 99). Der Begriff beziehe sich auf zwei Merkmale, nämlich einerseits die Verbindung von zwei Teilen zu einem und andererseits auf die Identität des Werkstoffs, aus dem die zusammengefügten zwei Teile bestünden (mündliche Anhörung GA 132). Er hat dabei aber gerade ausdrücklich nicht den Gesamtinhalt der Gebrauchsmusterunterlagen berücksichtigt. Er hat vielmehr der Gebrauchsmusterbeschreibung nur die Bedeutung einer "Zustandsbeschreibung" beigemessen, auf die es für die Frage, was in den Merkmalen des Schutzanspruchs 1 geschützt sei, nicht ankomme (mündliche Anhörung GA 133).
Das Berufungsgericht hat diesen Standpunkt des gerichtlichen Sachverständigen übernommen. Damit genügt seine Auslegung nicht den oben dargestellten Anforderungen.
Der Begriff "werkstoffeinstückig" kommt in der Beschreibung wiederholt vor. Diese hebt auf Seite 5, 3. Absatz als wesentliche Neuerung hervor, daß der Knickschutz nicht - wie im Stand der Technik - unmittelbar den Schlauch umgibt, sondern - werkstoffeinstückig - mit der Überwurfmutter verbunden ist und ausgehend davon in loser Umgreifung in Art einer Knickschutztülle den Schlauch umfaßt. Dazu soll, was die Herstellung des Knickschutzes vereinfache, die bereits an der Überwurfmutter vorhandene Kunststoffumspritzung einfach verlängert werden (S. 5, 4. Abs.). Die aus einem Messingteil bestehende Überwurfmutter sei bereits vorhanden und werde lediglich mit einem ringförmigen Kunststoffteil umspritzt, wodurch ein inniger Verbund zwischen der Mutter und dem Kunststoffteil stattfinde, wobei dieses Kunststoffteil in Verlängerung zur Schlauchseite hin gleichzeitig als Knickschutztülle ausgebildet sei (S. 5 letzter Abs., übergreifend S. 6). Danach geht die Beschreibung von unterschiedlichen Materialien für Mutter und Knickschutz aus. Das Berufungsgericht hat diesen Inhalt der Beschreibung bei der Auslegung ausdrücklich nicht berücksichtigt, sondern dies als "selbstverständlich" nicht in Betracht kommend zurückgewiesen. Der Inhalt der Beschreibung macht aber gerade deutlich, daß mit "werkstoffeinstückig" im Sinne des Gebrauchsmusters nicht gemeint ist, daß nur ein Werkstoff zur Verwendung kommt, sondern daß die Erfindung darin bestehen soll, die aus einem Messingteil - von anderen Werkstoffen ist in der Beschreibung nicht die Rede - bestehende Überwurfmutter mit einem ringförmigen Kunststoffteil zu umspritzen und damit einen innigen Verbund zwischen Mutter und Kunststoffteil zu erreichen. Weil das Berufungsgericht der Auffassung war, es komme auf eine Auslegung unter Heranziehung der Beschreibung und Zeichnungen nicht an, hat es diese Gesichtspunkte nicht gewürdigt und ist deshalb zu einem Auslegungsergebnis gelangt, das mit dem Inhalt der Beschreibung nicht in Einklang zu bringen ist. Der Senat kann die Auslegung des Begriffs "werkstoffeinstückig" in dem vorstehend geschilderten Sinn selbst vornehmen, da weitere tatrichterliche Feststellungen hierzu nicht erforderlich sind.
2. Das Berufungsurteil erweist sich auch mit seiner Hilfsbegründung nicht als tragfähig. Das Berufungsgericht hat ausgeführt, auf die Rechtsbeständigkeit des Gebrauchsmusters gemäß §§ 13 Abs. 1, 15 Abs. 1 Nr. 1, 1, 3 GebrMG komme es nicht mehr an, es sei jedoch darauf hinzuweisen, daß auf der Grundlage der Ausführungen des gerichtlichen Sachverständigen von einer Schutzfähigkeit des Klagegebrauchsmusters nur dann ausgegangen werden könne, wenn sich das Wort "werkstoffeinstückig" auf die Überwurfmutter und die Knickschutztülle mit der Folge beziehe, daß die Überwurfmutter und die Knickschutztülle ein Werkstück bildeten und aus demselben Werkstoff bestünden.
Auch dies trägt die Entscheidung nicht. Das Berufungsgericht hat sich darauf beschränkt, kursorisch die Ansicht des gerichtlichen Sachverständigen wiederzugeben, ohne darzulegen, aus welchen Gründen es an einem erfinderischen Schritt i.S. von § 1 GebrMG fehle. Der gerichtliche Sachverständige hat in der Ergänzung seines schriftlichen Gutachtens (GA 115) ausgeführt, die Lehre des Gebrauchsmusters basiere auf einer Kombination in der Branche bekannter Einzellösungen, die in den eingereichten Schriften "weitestgehend" beschrieben seien. Allerdings sei die Kombination neu, wenn auch die Erfindungshöhe gering einzuschätzen sei. In seinem ersten schriftlichen Gutachten hat er gemeint (GA 99), die Verbindung von Knickschutztülle und Überwurfmutter sei nur dann "schützenswert", wenn beide Teile aus einem Werkstoff bestünden, wenn also das Wort "werkstoffeinstückig" im Sinne seiner Auslegung zu verstehen sei. Dies hat er in der mündlichen Verhandlung dahingehend erläutert, daß die US-Patentschrift 2 295 830 schon eine trompetenartige Erweiterung zeige sowie auch eine Verbindung zum Anschlußstück.
Bei der US-Patentschrift 2 295 830 ist jedoch die Knickschutztülle aus Metall und in einem Kupplungsstück aus Metall gehalten. Danach ist jedenfalls zu klären, ob es hiervon ausgehend für den Fachmann nahelag, die Knickschutztülle mit der Überwurfmutter durch Umspritzung zu verbinden.
3. Das Berufungsgericht wird daher unter Zugrundelegung der unter 1. vorgenommenen Auslegung der Schutzansprüche zu klären haben, ob die angegriffene Ausführungsform den Gegenstand des Klagegebrauchsmusters verwirklicht. Kommt es auf die Schutzfähigkeit des Gebrauchsmusters an, so wird das Berufungsgericht weiter zu klären haben, welche Schritte im einzelnen für den Fachmann notwendig waren, um vom Stand der Technik ausgehend zum Gegenstand von Schutzanspruch 1 des Klagegebrauchsmusters zu gelangen. Erst danach wird zu beurteilen sein, ob es eines erfinderischen Schritts bedurfte, um den Gegenstand von Schutzanspruch 1 des Klagegebrauchsmusters bereitzustellen.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
LAAAC-05054
1Nachschlagewerk: ja; BGHZ: nein; BGHR: ja